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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1512: Strategie der Metallgewerkschaft FIOM gegen das Diktat von Fiat


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3 - März 2011
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Wir ziehen alle Register"
Giorgio Airaudo beschreibt die Strategie der FIOM gegen das Diktat von Fiat


Am 14. Januar waren die Arbeiter im Fiat-Stammwerk Mirafiori, Turin, aufgerufen, einem Ultimatum zuzustimmen: Sie sollten Ja zu einem Vertrag sagen, der sie zu individuellen Arbeitsverträgen zwingt, ihnen verbietet, ihre gewerkschaftliche Vertretung im Betrieb zu wählen, und der Geschäftsleitung die Möglichkeit gibt, jeden Verstoß gegen den Vertrag mit sofortiger Kündigung zu beantworten. Außerdem wurden die Arbeitszeiten deutlich verlängert, die Pausen verkürzt, die Taktzeiten heraufgesetzt.

Die Mehrheitsgewerkschaft bei Mirafiori, die zum Gewerkschaftsverband CGIL gehörende Metallgewerkschaft FIOM, hat den Vertrag auch als einen Versuch interpretiert, sie als kämpferische Interssenvertretung loszuwerden.

Die SoZ sprach mit Giorgio Airaudo, dem Sprecher der FIOM bei Mirafiori, darüber, was die FIOM gegen diesen Knebelvertrag, den sie als einzige Gewerkschaft abgelehnt hat, tun kann.


SOZ: Unser letzter Informationsstand betrifft das Ergebnis des Referendums bei Fiat-Mirafiori. Da hat sich das Ja zum Vertrag der Geschäftsleitung nur sehr knapp durchgesetzt. Was ist seither passiert?

GIORGIO AIRAUDO: Es ist passiert, dass Fiat mit seiner Linie weiter macht. Im Moment haben sie sich ein drittes Werk vorgenommen, die Carrozzerie Bertone, das ist ein kleineres Werk, das Zubehör herstellt. Die FIOM versucht auch hier, eine Verhandlungslösung zu erreichen und ein weiteres Ultimatum zu vermeiden. Es hat vielleicht eine Chance, weil die FIOM mit 65% die absolute Mehrheit der Belegschaft hinter sich hat. Fiat schlägt dieser Belegschaft allerdings dasselbe vor, wie der von Pomigliano und von Mirafiori. Es gibt auch dieselben Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gewerkschaften.

Wir versuchen, die Belegschaft maximal in diese Verhandlungen einzubeziehen. In den nächsten Tagen versammeln sich die Delegierten aus dieser Fabrik, dann sehen wir, wie es weiter gehen kann.

SOZ: Bei Mirafiori sind die Arbeiter jetzt in Kurzarbeit?

GIORGIO AIRAUDO: Ja, diese "Kurzarbeit wegen Krise" gibt es ein Jahr lang. In der Zeit wird in dem Werk nur eine Woche im Monat gearbeitet. Die Verkaufszahlen von Fiat auf dem italienischen Markt sind aber miserabel. Es wird deshalb nur dann eine Rückkehr zur Arbeit geben können, wenn es auch Investitionen gibt.

SOZ: Was bedeutet das jetzt für die FIOM? Wenn ich recht verstanden habe, müssen alle Arbeiter, die wieder eingestellt werden wollen, einen individuellen Arbeitsvertrag unterschreiben?

GIORGIO AIRAUDO: Das ist richtig. Wir halten die Auseinandersetzung aber noch nicht für abgeschlossen. Wir werden gerichtliche Schritte einleiten. Gestern haben wir uns in Rom mit den Anwälten zusammengesetzt, und ich denke, wir setzen jetzt die Klagen auf, und zwar ausgehend vom Werk Pomigliano, weil dies das erste Werk ist, das in eine neue Gesellschaft überführt und die Arbeit unter den neuen Bedingungen aufnehmen wird. Eine Klage muss aber natürlich den gesamten Vorgang berücksichtigen, also die Verträge in allen Werken.

SOZ: Was bedeutet das konkret?

GIORGIO AIRAUDO: Fiat hat mit den Verträgen eine Reihe von Gesetzen gebrochen, bzw. bewegt sich damit hart am Rande der Legalität; sicher hat die Geschäftsleitung auch einige Verfassungsgrundgesetze verletzt. Wir wollen also, dass sich die Gerichte damit befassen. Gleichzeitig werden wir mit den Arbeitern weitere Initiativen ergreifen, damit ihr Einkommen in der Krise geschützt wird.

SOZ: In welcher Weise?

GIORGIO AIRAUDO: Wir fordern weiterhin, dass es Verhandlungen gibt, und zwar für die gesamte Gruppe Fiat-Auto, nicht für jedes Werk einzeln, wie dies derzeit der Fall ist.

SOZ: Zieht ihr vor das Verfassungsgericht?

GIORGIO AIRAUDO: Nein, wir gehen davon aus, dass wir schon vor Arbeitsgerichten Recht bekommen, und wir stützen uns auf solche Elemente, die von diesen behandelt werden können. Ein Punkt ist z.B., dass Fiat mit seinen Verträgen zwar neue Rechtsformen schafft, aber eigentlich nur den Namen ändert, während die Arbeiter, das Eigentum, der Betrieb, der Typ von Arbeit gleich bleiben; das ist aber gegen das Gesetz. Aus unserer Sicht ist es nicht möglich, die Rechte der Arbeiter vertraglich zu beschneiden, nur weil das Unternehmen seinen Namen geändert hat.

SOZ: Wie ist es möglich, auch in einem neuen Unternehmen, den Arbeitern das Streikrecht zu verwehren?

GIORGIO AIRAUDO: Weil einige Gewerkschaften diese Verträge unterzeichnet haben, damit haben sie die neuen Spielregeln akzeptiert. Sie sagen, dass dies eine Vereinbarung ist; wir aber sagen, dass dies unmittelbar das Streikrecht für den einzelnen Beschäftigten in Frage stellt, unabhängig von der Gewerkschaft.

SOZ: Wenn Anfang nächsten Jahres die Arbeiter einzeln wieder eingestellt werden, ist die Gefahr doch groß, dass jene, die mit Nein gestimmt haben, nicht darunter sind. Wie seht ihr das?

GIORGIO AIRAUDO: Das Risiko gibt es natürlich. Fiat hat keine Tradition partnerschaftlicher Beziehungen zur Gewerkschaft, sein Verhalten ihnen gegenüber ist sehr aggressiv, deswegen ist sowas möglich. Aber gerade deshalb halten wir die Auseinandersetzung noch nicht für beendet. Wir haben am 28. Januar schon einen Streik zusammen mit allen anderen Metallarbeitern durchgeführt, der ist sehr erfolgreich verlaufen. Wir werden jetzt Rechtsmittel einlegen. Und dann hat Fiat in Italien ja viele Werke; wir werden deshalb wahrscheinlich auch andernorts Probleme bekommen.

Diese Auseinandersetzung ruft eigentlich die Veantwortung der Politik auf den Plan, aber die macht ihre Aufgaben nicht, und wir wissen ja, dass die italienische Politik derzeit mit ganz anderen Fragen beschäftigt ist. Sie hat weder eine Antwort auf die Krise, noch schafft sie Bedingungen, dass die Arbeiter diese Krise ohne den Verlust ihrer Rechte und Freiheiten durchstehen können.

SOZ: Denkt ihr an Streikaktionen in allen Fiat-Werken?

GIORGIO AIRAUDO: Die haben wir schon gemacht und schließen weitere nicht aus. Wir schließen nichts aus: Streiks, Klagen, Verhandlungen, in Fiat-Betrieben oder Nicht-Fiat-Betrieben. Wir haben aber auch eine Auseinandersetzung um den Flächentarifvertrag laufen. Denn Fiat konnte nur deswegen so vorgehen, weil zugleich der Flächentarif in Frage gestellt wurde, der jetzt für die Metallarbeiter nicht mehr gelten soll.

Wir führen einen großen Widerstandskampf und müssen die besten Bedingungen zurückerobern. Wir müssen auch Zeit gewinnen, weil in der Krise das Kräfteverhältnis für uns nicht günstig ist. Wir haben eine herrschende Klasse, und leider auch einen Teil der Opposition, die sich um diese Fragen nicht kümmert.

SOZ: Die polnischen Fiat-Arbeiter haben ähnliche Probleme, auch da ist eine kämpferische Gewerkschaft im Visier der Geschäftsleitung. Habt ihr Beziehungen zu ihnen?

GIORGIO AIRAUDO: Zu den polnischen Kollegen haben wir viele Beziehungen. Sie haben auch unter einer Spaltung der Gewerkschaft zu leiden, wir unterhalten deshalb Beziehungen zu allen Gewerkschaften bei Fiat-Tychy. Sie handeln natürlich autonom, aber was in Italien passiert, hat zwangsläufig Folgen für die Situation in Polen. Dort sind zudem in jüngster Zeit besorgniserregende Dinge passiert...

SOZ: Nämlich?

GIORGIO AIRAUDO: Vor einigen Wochen sind in einer Nachtschicht über 300 Autos beschädigt worden, in Tychy. Wenn Arbeiter zu Formen der Maschinenstürmerei greifen, ist das ein Zeichen für großen Zorn und auch für eine schwache gewerkschaftliche Organisation. Es gibt da also sehr schwerwiegende Probleme. Fiat will ja auch die Gewerkschaften zurechtstutzen, mit denen sie im Konflikt liegt. Vor allem auf August '80, scheint es, liegt ein starker Druck, und es wird versucht, der Gewerkschaft ihre Rechte zu nehmen.

SOZ: Wie äußert sich die Gewerkschaftsspaltung bei Fiat Tychy?

Darin, dass es hier fünf Gewerkschaften gibt, wovon vier bereit sind, einen Vertrag zu unterschreiben, der dem unseren sehr ähnlich ist, und eine nicht. Zum Glück gibt es in Polen ein Gesetz, das es in Italien nicht gibt, und das festlegt, dass alle Gewerkschaften, die in einem Betrieb mehr als 10% der Stimmen haben, einen Vertrag unterschreiben müssen, sonst ist er nicht gültig. Es reicht, wenn eine Gewerkschaft Nein sagt; diese Gewerkschaft ist August '80. Fiat versucht jetzt, diese Gewerkschaft unter 10% zu drücken - mit allen Mitteln.

Fiat Polen ist nicht autonom in seinen Entscheidungen, auch weil das, was in Polen hergestellt wird, zu 80% auf dem italienischen Markt verkauft wird.

SOZ: Habt ihr Pläne für gemeinsame gewerkschaftliche Aktionen?

GIORGIO AIRAUDO: Es ist sehr schwer, zwei Länder zusammenzutun, deren Gewerkschaften gespalten sind. Das ist schon schwer, wenn sie einer Meinung sind. Sind sie gespalten, ist es noch schwieriger. Es gibt Informationsaustausch, Kontakte und natürlich auch Meinungsverschiedenheiten.

SOZ: Gibt es diesen Konflikt auch in anderen Fiat-Werken in Europa?

GIORGIO AIRAUDO: Fiat hat in Europa keine weiteren Autobetriebe, Tychy in Polen ist das einzige. Dann gibt es noch einen Neuerwerb in Kragujevac in Serbien. Hier gibt es ein anderes Problem; es gab Massenentlassungen, und Fiat will nur einen Teil der Belegschaft wieder einstellen. Das ist ein traditionellerer Konflikt, aber er hat auch zu tun mit der Umstrukturierung, die derzeit bei Fiat Auto läuft.

Fiat hat in Europa natürlich noch andere Werke, aber dort werden Nutzfahrzeuge hergestellt, die gehören zu Fiat Industrial, da gibt es diese Auseinandersetzung nicht.

Fiat Auto macht eine tiefgreifende Veränderung durch, das wird ein amerikanisches Unternehmen, kein italienisches mehr. Wir werden jetzt für Chrysler dasselbe, was Opel für General Motors ist, eine europäische Filiale von Chrysler. Das ist noch nicht offiziell, aber das ist die Richtung.

SOZ: Seht ihr die Möglichkeit einer allgemeinen Mobilisierung zur Verteidigung des Streikrechts?

GIORGIO AIRAUDO: Es hat in diesem Sinn schon einige Initiativen gegeben, gerade heute haben wir mit der CGIL in Rom eine wichtige Unterredung. Wir denken, dass wir einen Generalstreik aller italienischen Arbeiter brauchen, nicht nur der Metallarbeiter. Denn das Modell Fiat macht auch im öffentlichen Dienst Schule. Die Regierung will jetzt zu denselben Maßnahmen greifen.

SOZ: Wo?

GIORGIO AIRAUDO: An den Schulen, überhaupt im öffentlichen Dienst. Auch hier sollen die gewerkschaftlichen Rechte beschnitten werden. Und auch hier wird es wieder Gewerkschaften geben, die unterschreiben, und andere nicht. Das ist eine internationale Tendenz, die aus den USA zu uns rüber kommt; dort verlieren sie gerade den einzigen Flächentarifvertrag, den sie hatten. Uns hier versuchen sie einzureden, dass unsere einzige Möglichkeit, aus der Krise herauszukommen, die ist, auf den Flächentarif zu verzichten, auf die Arbeitersolidarität und auch auf unsere individuellen Rechte und Freiheiten.

Dagegen müssen wir Widerstand leisten, aber wir müssen Zeit gewinnen und ein günstigeres Kräfteverhältnis aufbauen.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3, 26.Jg., März 2011, S. 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2011