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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1584: 22. Gewerkschaftstag der IG Metall


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11 - November 2011
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

22. Gewerkschaftstag der IG Metall
Stabile Verhältnisse trotz kleinerer Punktsiege von links

Von Jochen Gester


Vom 9. bis 12. Oktober fand in Karlsruhe der 22. Gewerkschaftstag der IG Metall statt. In seinem Einleitungsbeitrag zur einwöchigen Tagung bescheinigte Bertold Huber der IG Metall, einen guten Job gemacht zu haben. Sie habe in der Krise bewiesen, wie wichtig eine gut funktionierende Sozialpartnerschaft ist. Auch genieße sie das Vertrauen der Jugend, die wieder verstärkt Aufnahmeanträge unterschreibe. Am Ende wurden die bisherigen Vorstandsmitglieder mit hohen Quoten wieder gewählt.
Manch Außenstehender wird sich verwundert die Augen reiben angesichts der allgemeinen Prekarisierung der Arbeitswelt, deren Wucht auch ein Ergebnis gewerkschaftlicher Politik der Marke "Standort Deutschland" ist.
Darüber, welche Ergebnisse der Gewerkschaftstag im Einzelnen hatte, befragte Jochen Gester KLAUS MURAWSKI, der als Delegierter der Berliner Verwaltungsstelle dabei war.
Klaus ist Vertrauenskörperleiter bei OTIS und Mitglied der Berliner Ortsverwaltung. Auf der örtlichen Delegiertenversammlung erhielt er sein Mandat für den Gewerkschaftstag gegen die Empfehlung der Geschäftsführung.


SOZ: Was waren die Hauptthemen auf diesem Gewerkschaftstag?

KLAUS MURAWSKI: Es gab viele. Hauptthema war eigentlich, wie die IG Metall eine Perspektive finden kann. Die IG Metall hat ja jetzt aktuell neue Mitglieder gewonnen, ganz gegen den Trend. Dafür wurden auch große Anstrengungen unternommen. Das Motto war: "Wir wollen stark bleiben und uns weiterentwickeln und an Bedeutung gewinnen." Das bezieht sich vor allem auf die Politik. Deshalb wurden auch Merkel und Wulff eingeladen.

Das konkrete Thema war die prekäre Beschäftigung. Neu als Thema waren die sog. Werkverträge. Ich wusste nicht, dass die IG Metall das jetzt so in den Mittelpunkt stellt. Weiter ging es um das Thema Befristungen und die Ausgrenzung durch Leiharbeit. Hier ging es dann auch um die Frage der Belastungen - durch Schichtarbeit und ihre Ausweitung sowie durch Managementsysteme wie "100%-Arbeit" oder "Arbeit ohne Ende".

Eine besondere Rolle spielte die prekäre Beschäftigung für die junge Generation. In diesem Umfang neu war auch die Rolle der Mitgliedergewinnung, vor allem junger Mitglieder. Debattiert wurde, wie man die junge Generation besser ansprechen und für sie Politik machen kann. Hier ging es um den Zusammenhang von prekärer Beschäftigung und selbstbewusstem Auftreten. Die Gewerkschaften haben gemerkt, dass das Erste das Zweite verhindert, Perspektivlosigkeit und Verängstigung erzeugt und es schwer ist, unter diesen Bedingungen eine selbstbewusste Gewerkschaftspolitik zu machen.


Das Personelle

SOZ: Um welche Fragen gab es kontroverse Debatten?

KLAUS MURAWSKI: Es gab deutlich weniger kontroverse Debatten als vor acht Jahren, als ich auch als Delegierter dabei war. Die erste Kontroverse war - das lief ja auch durch die Medien - die unerwartete Vorstandswahl. Nach dem Vorschlag des Vorstands sollte die CDA, bisher durch Regina Görner vertreten, nicht mehr Sitz und Stimme im Vorstand haben.

Das war aber nicht der eigentliche Konflikt. Der drehte sich um die Frage, welche Bezirke im Vorstand vertreten werden und welche nicht, was so aber nie offen ausgesprochen wurde. Deutlich wurde dies bei der geheimen Abstimmung über den Satzungsantrag, bei der es um die Absicht ging, den geschäftsführenden Vorstand zu verkleinern. Hier haben Frankfurt und Niedersachsen geschlossen gegen den Vorstand votiert, weil sie im neuen Vorstand nicht mehr vertreten gewesen wären. Das reichte zur Ablehnung, weil eine Zweidrittelmehrheit notwendig war.

Für Jürgen Peters aus Niedersachsen war 2007 Detlef Wetzel aus NRW nachgerückt. Bisher war es so, dass immer ein Vertreter aus Niedersachsen oder Baden-Württemberg Erster oder Zweiter Vorsitzender gewesen ist. Mit dieser Tradition war gebrochen worden. Die Niedersachsen haben dann bei den Frankfurtern Verbündete gefunden. Bayern, Baden-Württemberg und NRW hatten für den Antrag gestimmt.

SOZ: War das auch ein Stellvertreterkonflikt, bei dem andere eine zusätzliche Rolle spielten?

KLAUS MURAWSKI: Ja, es gab auch andere, die unzufrieden waren. Es gab ein Papier der Vorstandsverwaltung, welche Personengruppen künftig im Vorstand vertreten sein sollten. Dort tauchten Frauen, Jugend und Migranten und Angestellte nur noch da auf, wo es um Mitgliederentwicklung ging, aber nicht bei der Besetzung der Vorstandsämter. Das war zumindest ungeschickt. Der Vorstand konnte das auch nicht erklären und begründen, wie sichergestellt wird, dass die Gruppen wirklich im geschäftsführenden Vorstand repräsentiert werden. Dadurch gab es wohl eine Menge von Sympathisanten des Vorhabens, die geplante Verkleinerung des geschäftsführenden Vorstands zu Fall zu bringen, die dann mit aufgesprungen sind.

Die Zahl der Gegenstimmen wuchs dann nochmal bei der zweiten, geheim durchgeführten Abstimmung. Dadurch besteht jetzt die Chance, den nicht verkleinerten Vorstand wirklich mit Jüngeren zu besetzen und mit einer Frau aus Niedersachsen.


Die Anträge

Über das Thema "Organisationsreform IG Metall 2009" hinaus gab es natürlich noch weitere Kontroversen. An vier Punkten wurde gegen die Empfehlung der Antragsberatungskommission (ABK) votiert. Vor acht Jahren waren das noch deutlich mehr, was vor allem das Ergebnis der Arbeit der ABK ist.

Punkt 1 war Leiharbeit. Es lag ein Antrag vor, der sich für ein langfristiges Verbot der Leiharbeit aussprach. Das wurde von der ABK abgelehnt, aber von den Delegierten klar befürwortet.

Punkt 2 war die Forderung nach einer abschlagsfreien Rente mit 60 nach 40 Versicherungsjahren. Da haben sie gemerkt, dass eine Ablehnung dieses Antrags keine Mehrheit findet und deshalb eingelenkt. Der Vorstand hatte die Abschlagsfreiheit erst mit 65 befürwortet.

Punkt 3 war ein Antrag des Ortsjugendausschusses, der gefordert hatte, Werbung für die Bundeswehr nicht nur aus Schulen, sondern auch aus Berufsschulen, Messen und Arbeitsämtern rauszuhalten. Hier war im empfohlenen Antrag nur von "Schulen" die Rede.

Bei Punkt 4 ging es um das Outsourcing von Bildungsarbeit beim Vorstand und den Bezirksverwaltungen. Hier wurde gefordert, Outsourcing, Werkverträge und Leiharbeit sofort zu stoppen und wieder rückgängig zu machen. Auch hier lenkte die ABK ein.

Erwähnenswert ist auch, dass viele Redner kritisierten, dass der Vorstand die beschlossene Kampagne gegen die Rente mit 67 abgebrochen hat. Der Vorstand hat diesen Vorwurf jedoch zurückgewiesen und erklärt, die Kampagne werde fortgesetzt.


Konversion

SOZ: Gab es eine Debatte um den Kurzreport des Vorstands zur Politik im Schiffbau? Der kam ja öffentlich unter Beschuss, weil hier eine Ausweitung des Rüstungsexports empfohlen wurde.
(*)

KLAUS MURAWSKI: Gleich am ersten Tag beim Geschäftsbericht ging Katinka Penske, die 2. Bevollmächtigte aus Frankfurt, darauf ein und fragte, was das Papier soll. Man könne ja den Eindruck gewinnen, der Vorstand nehme die eigene Beschlusslage nicht ernst. Schließlich sei ja Konversion die Linie.

Es gab dazu mehrere Wortmeldungen. Auch ich habe mich zu Wort gemeldet und den Vorstand, Wolfgang Rohde, der das kritisierte Vorwort mit verfasst hatte, gefragt, wie das zu erklären sei. In dem Papier steht deutlich drin, dass die HDW immer noch auf Geld für drei U-Boote wartet, das die Griechen zur Zeit nicht haben. Da wird auch klar, was Aufrüstung für ein Land wie Griechenland bedeutet, das praktisch pleite ist. Sie tötet nicht nur in Kriegs-, sondern auch in Friedenszeiten, weil das Geld für andere Sachen fehlt.

SOZ: Was hat Wolfgang Rhode dazu gesagt?

KLAUS MURAWSKI: In einem persönlichen Gespräch hat Rhode versucht, mir die Situation in der Werftindustrie zu erklären. Der Bereich ist zu 95% gewerkschaftlich organisiert und die technikbegeisterten Leute lieben ihre Produkte, entsprechend schwer hat es ein Vorständler, der ihnen mit Konversion kommt. Mit denen muss man lange reden.

Der Bereich des militärischen Schiffbaus ist auch sehr geschrumpft. Es gibt nur noch 4.000 Arbeitsplätze in der Endfertigung. Das war mal das Zehnfache.

Huber brachte zum Ausdruck, dass ihn der Beitrag von Katrin Penske sehr gewurmt hat, und betonte, die rüstungskritische Beschlusslage habe sich nicht verändert, eine solche Debatte sei auf dem Gewerkschaftstag eigentlich fehl am Platz.

Zu dem Thema wurde dann ein Ergänzungsantrag angenommen, in dem klar formuliert ist, dass die IG Metall sich für die Erschließung neuer alternativer Arbeitsfelder, insbesondere für die Konversion in der wehrtechnischen Industrie einsetzt.

SOZ: Kam das Thema "Tarifeinheit" irgendwie zur Sprache? Huber hatte ja erklärt, er wolle dieses Ziel trotz des Ausstiegs von Ver.di weiter verfolgen.

KLAUS MURAWSKI: In der Aussprache zum Geschäftsbericht haben sich einige kritisch dazu geäußert und der Vorstand ist nicht dagegen aufgetreten. Diese Geisternummer scheint wirklich vom Tisch zu sein. Huber hat in seinem Grundsatzreferat hervorgehoben, für die IG Metall sei es wichtig, sich durch ihre Tarifpolitik als stärkste Gewerkschaft durchzusetzen. Und Vorstand Helga Schwitzer betonte in ihrem Geschäftsbericht, die IG Metall solle das politisch durch eigene Anstrengungen erreichen. Dafür sei das Urteil günstig, weil die Christlichen Gewerkschaften als Dumpingkonkurrenz dadurch eher ausgebootet werden können.

SOZ: Die Medien haben über den Gewerkschaftstag und die IG Metall durchweg lobend berichtet. Sind das nicht vergiftete Komplimente?

KLAUS MURAWSKI: Das war auf jeden Fall peinlich. In Karlsruhe haben deshalb einige Redner erklärt, diese Schmeicheleien würden nicht dazu führen, dass die IG Metall ihre kritischen Positionen gegenüber Politik und Wirtschaft aufgibt. Das hat auch Huber gesagt.

Beim Auftritt von Merkel war eigentlich eine Aktion für die unbefristete Übernahme geplant. Aber die Kanzlerin war, kaum war sie drin, schon wieder draußen. In der Rede von Wulff fand ich wirklich gut, was er zum Thema Jugend sagte. Hier hat er sehr gut gesprochen, auch mit Kritik an der Regierung [wegen mangelnder Überprüfung der staatlichen Reformen zur Flexibilisierung der Arbeitswelt auf Missbrauch].

SOZ: Gab es auf dem Gewerkschaftstag für dich Mut machende Weichenstellungen?

KLAUS MURAWSKI: 82% der Delegierten waren zum ersten Mal auf dem Gewerkschaftstag. Das war auch ein Grund, warum weniger als sonst diskutiert wurde. Es gab eine gute Vorbereitung in den Verwaltungsstellen. Und die Antragsberatungskommission hat im Gegensatz zu vor acht Jahren auch fast alle Anträge zur Annahme empfohlen. Hier sehe ich eine ehrlich gemeinte Bemühung, den Zusammenhalt der Organisation zu stärken.

Erwähnenswert finde ich auch, dass ziviler Ungehorsam und Blockaden gegen Nazi-Aufmärsche befürwortet wurden. Natürlich geht es um kaum mehr, als den Kapitalismus zu verschönern. Das war immer Aufgabe der Gewerkschaften. Wir sind ja ein Teil dieses kapitalistischen Systems. Wichtig finde ich, dass wir nicht nur mehr junge Mitglieder bekommen, sondern dass sie sich mehr engagieren, auch politisch.


(*) Mehr zu diesem Thema unter
www.labournet.de/igm-akint.berlin/aktuelles.htm.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11, 26.Jg., November 2011, Seite 7
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2011