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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1787: Kanadisch-Europäische Freihandelszone


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 12 - Dezember 2013
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Kanadisch-Europäische Freihandelszone:
Vorbote einer weiteren Globalisierung oder der Fragmentierung?

Von Ingo Schmidt



"Das Geld erklärt dem ganzen Menschengeschlecht den Krieg"
(Pierre de Boisguillebert, 1704)  


Mitte Oktober haben die kanadische Regierung und die EU-Kommission der Öffentlichkeit einen Freihandelsvertrag vorgestellt, der nun zur Ratifizierung ansteht. Dieser Vertrag betritt insofern Neuland, als er die bislang weitgehend geschlossenen Märkte für Agrarprodukte und das öffentliche Auftragswesen für ausländische Konkurrenten öffnet. Daneben sind eine weitere Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen sowie ein Schutz ausländischer Investitionen vorgesehen.


Kanadas konservativer Premierminister Mulroney hatte bereits in den 80er Jahren den Freihandel vorangetrieben. Auf seine Initiative wurde 1988 ein Freihandelsvertrag mit den USA unterzeichnet, der 1994 zur Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) erweitert wurde. Mulroneys Parteigenosse und Amtsnachfolger Harper hatte bei den Verhandlungen mit der EU vorwiegend die Absatzinteressen der kanadischen Öl-, Bergbau- und Agrarfirmen im Sinn. 2006 war er mit dem Ziel angetreten, Kanada zum Hoflieferanten der USA zu machen, musste seither aber mit ansehen, wie der amerikanische Frackingboom die Bedeutung kanadischer Öllieferungen verringerte. Gleichzeitig nutzten kanadische Firmen steigende Rohstoffpreise zum Ausbau ihrer globalen Stellung als Exporteure und Investoren. Die damit verbundenen Finanzierungen gaben den kanadischen Banken enormen Auftrieb.

Kanadas zuvor weitgehend auf den amerikanischen Kontinent ausgerichtete Wirtschaft hat sich zu einem Global Player entwickelt, dessen Märkte nun auch politisch abgesichert werden sollen. So erklären sich Kanadas Beteiligung an den Kriegen in Afghanistan, dem Irak am Militärputsch in Haiti, der Abschluss eines Investitionsschutzabkommens mit China im vergangenen Jahr und der Freihandelsvertrag mit der EU.


Globale Auswirkungen

Für europäische Firmen spielt der kanadische Markt insgesamt eine untergeordnete Rolle. Mit 1446 Milliarden US-Dollar lag das kanadische Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr knapp vor dem spanischen (1407 Mrd.) und entsprach damit 9% des Bruttoinlandsprodukts aller EU-Mitgliedsländer. Wichtiger ist ihnen Kanada als Gegengewicht zu den Öl- und Rohstofflieferungen aus dem Mittleren Osten und Russland. Zudem dient das Abkommen mit Kanada als Testfall für die gerade angelaufenen Verhandlungen mit den USA über das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen TIPP. Mit 16244 Mrd. US-Dollar liegt der US-Markt immer noch vor dem der EU (16092 Mrd.). Zusammengenommen sind das immerhin 40% der globalen Produktion. Sollten die TIPP-Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden, entstünde ein Weltmarktgigant, der die Verhandlungsposition seiner politischen Repräsentanten in Washington, Ottawa und Brüssel gegenüber allen anderen Ländern und Ländergruppen der Welt uneinholbar stärken würde.

Trotzdem ist keineswegs sicher, dass die alten imperialistischen Länder damit auch die seit Doha darniederliegenden WTO-Verhandlungen wieder in Schwung bringen werden. In einer von Überkapazitäten geplagten Weltwirtschaft führt die Vertiefung des Handels zwischen einigen Ländern keinesfalls automatisch zu mehr Freihandel zwischen allen Ländern, sondern kann, selbst entgegen anderen Absichten, zur Herausbildung regionaler Handelsblöcke führen. Die Mauern zwischen Norden und Süden können höher werden.


Stolpersteine für den Welthandel

Der Agrarhandel stellt den ersten Stolperstein bei der Neubelebung der Liberalisierung des Welthandels dar. Dass sich Kanada und EU auf eine weitreichende Liberalisierung dieses Sektors einigen konnten, ist ein Novum. Es ist aber zweifelhaft, ob sich das Beispiel auf die WTO übertragen lässt. Die Doha-Verhandlungen waren ja gerade an der Weigerung des Westens gescheitert, ihre Märkte für Agrarimporte des Südens weiter zu öffnen. Solche Ausfuhren sind auch für industrialisierte Länder wie Argentinien und Brasilien weiterhin unverzichtbare Einnahmequellen. Im Rohstoffsektor hat die Expansion kanadischer Firmen zur unmittelbaren Konkurrenz mit brasilianischen Konzernen geführt, beim Flugzeugbau konkurrieren Bombardier und Embraer. Die Liste solcher Beispiele ließe sich fast beliebig fortsetzen und auf andere Weltregionen erweitern.

Als weiterer Stolperstein für eine Liberalisierung des Welthandels könnten sich die Umschichtungen der globalen Kapitalströme seit der Großen Rezession herausstellen. Von diesen waren die alten imperialistischen Zentren nämlich viel stärker betroffen als die neuen Regionalmächte des Südens. Der dramatische Rückgang der Wirtschaftstätigkeit im Norden hat zu massiven Kapitalabflüssen in den Süden geführt, wo sie auf die Zahlungsbilanzen drücken und Inflation und Spekulationsblasen anfeuern. Soweit die Zentralbanken darauf mit Zinserhöhungen reagieren, heizen sie den Kapitalzufluss eher noch weiter an, weil der Renditeunterschied gegenüber dem Norden mit seiner Nullzinspolitik immer weiter steigt. In einigen Fällen wurden Kapitalverkehrskontrollen eingeführt, um Finanzkrisen vorzubeugen. Außerdem beschweren sich die Regierungen des Südens immer häufiger darüber, dass der Norden mit seiner laxen Geldpolitik eine Abwertungsstrategie betreibt. Dadurch würden die nach Jahrzehnten neoliberaler Strukturanpassungsmaßnahmen mühselig errungenen Wettbewerbsvorteile wieder zunichte gemacht.

Zudem wirkt sich die Stagnation im Norden mittlerweile auch negativ auf Exporte und Wirtschaftswachstum im Süden aus. Angesichts dieser Entwicklung dürfte das Interesse des Südens, den Freihandelsvorstellungen des Nordens entgegenzukommen, gering sein. Anders als in vergangenen Zeiten westlicher Weltbeherrschung lassen sich die Interessen zumindest der großen unter den Südländern nicht mehr ignorieren.


Fragmentierung wider Willen

Es ist paradox: Die antiimperialistischen Banner in Peking und Hanoi sind eingerollt, der Sowjetkommunismus zusammengebrochen. Die Regierungen der ganzen Welt, von Ausnahmen wie Kuba, Venezuela und Bolivien einmal abgesehen, teilen die westlichen Prinzipien des privaten Eigentums an Produktionsmitteln und freien Warenaustauschs. Keine antikapitalistischen Regime oder Bewegungen stellen gegenwärtig eine Herausforderung für den neoliberalen Kapitalismus und seine Vorstellung von einem globalen Weltmarkt dar, wohl aber die Widersprüche und Krisen, die er produziert.

Ein Zusammenbruch des Weltmarkts und damit der Übergang in eine globale Depression wie in den 1930er Jahren konnte bislang verhindert werden. Andererseits hat das Krisenmanagement der vergangenen Jahre das Problem der Überkapazitäten, Geldvermögen ohne Aussichten auf rentable Anlagemöglichkeiten und globale Ungleichgewichte nicht lösen können. Angesichts dessen ist es alles andere als sicher, dass die konzentrierte Macht des Westens die eigenen Freihandelsbestrebungen als Hebel für globale Liberalisierungen nutzen kann. Es ist ebenso gut möglich, dass der Westen mit seinen Initiativen unter sich bleibt und damit, entgegen den eigenen Absichten, einen regionalen Block bildet, der den Weltmarkt nicht integriert, sondern fragmentiert. Statt Motor des globalen Freihandels würden die Bemühungen der Nordatlantikstaaten zu einem Zusammenrücken des Westens führen, der die Weltbeherrschung nicht aufgeben will, obwohl er sie nicht mehr ausüben kann.

Damit käme es zu einer Globalisierung der Unsicherheit, zu zwischenstaatlichen Konflikten und Klassenkämpfen. Die bestehende Weltordnung zersetzt sich. Angesichts dessen erscheint die Phase des Aufstiegs der neoliberalen Globalisierung als geradezu idyllisch. Es war die Ruhe vor dem Sturm.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 12, 28. Jg., Dezember 2013, S. 11
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2014