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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2135: Christian Leye zur Partei DIE LINKE und den Landtagswahlen in NRW


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4 · April 2017
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

«Wir werden eine von der SPD geführte Minderheitsregierung nicht stützen»
Zur Partei DIE LINKE und den Landtagswahlen in NRW

Gespräch mit Christian Leye von Manuel Kellner


Am 14. Mai 2017 wird in Nordrhein-Westfalen ein neuer Landtag gewählt. Bei den letzten Landtagswahlen im Mai 2012 kam DIE LINKE nur auf 2,5% der Stimmen und verlor ihre Landtagsfraktion. Inzwischen sind die Aussichten besser, DIE LINKE könnte wieder in den Landtag einziehen.

Wir haben mit Christian Leye über die inhaltlichen Schwerpunkte des Wahlkampfs der LINKEN und ihre Haltung zur Regierungsfrage gesprochen. Christian Leye, von Haus aus Volkswirt und Politikwissenschaftler, ist Sprecher und Spitzenkandidat der LINKEN NRW (Listenplatz 2; Sprecherin der LINKEN und Spitzenkandidatin auf Listenplatz 1 ist Özlem Demirel). Das Gespräch für die SoZ führte Manuel Kellner.


Was sind die Schwerpunkte eures Wahlprogramms und auf welche Themen konzentriert ihr euch im Wahlkampf?

Im Mittelpunkt steht bei uns die Frage der sozialen Gerechtigkeit, die Auflehnung gegen die krasse und wachsende gesellschaftliche Ungleichheit. In den letzten Jahren ist die Handvoll Reicher und Superreicher immer reicher geworden, die großen Konzerne und Banken haben kassiert. Zugleich nimmt die Armut zu, die Zahl der Armen wächst und ihre Lage verschlechtert sich immer mehr. Die sog. Mittelschicht ist dünner geworden, und viele dieser Menschen sind vom sozialen Abstieg bedroht oder fürchten sich davor.

In NRW gelten nach offiziellen Kriterien 17,5% der Bevölkerung als arm, das sind 3 Millionen Menschen. Jeder fünfte Beschäftigte arbeitet unter prekären Bedingungen im Niedriglohnsektor. Im Ruhrgebiet ist es besonders schlimm. Dort gilt jeder Fünfte als arm. Es gibt in diesem Ballungsraum Städte, wo jedes vierte, andere, wo gar jedes dritte Kind von Hartz IV abhängt. Dabei ist konzentriert sich die Armut noch einmal besonders in den ärmsten Stadtvierteln. NRW ist von der unsozialen neoliberalen Politik im bundesweiten Vergleich besonders betroffen.


Nun haben die Bundesländer recht eingeschränkte Kompetenzen mit wenig Möglichkeiten, Steuergerechtigkeit herzustellen und Reichtum umzuverteilen...

Das stimmt zwar, aber dennoch gibt es auch auf Landesebene Möglichkeiten, etwas zu ändern. Wir fordern eine umfangreiche Investitionsoffensive in die öffentliche und soziale Infrastruktur. Bei den öffentlichen Investitionen ist NRW das Schlusslicht. Gerade Menschen mit normalen und niedrigen Einkommen sind aber auf öffentliche Einrichtungen angewiesen, weil sie z.B. ihre Kinder nicht auf teure Privatschulen schicken können und Kitas brauchen. Die soziale Infrastruktur zerfällt. Alleine für die Sanierung und Instandhaltung der Schulen sind 7 Milliarden Euro erforderlich. Die Offensive bei den öffentlichen Investitionen würde auch viele qualifizierte und tariflich bezahlte Erwerbsarbeitsplätze schaffen.

Außerdem haben Hannelore Kraft und ihre Koalition aus SPD und Grünen versäumt, das Gewicht der NRW-Landesregierung auf Bundesebene in die Waagschale zu werden. Damit meine ich nicht nur Bundesratsinitiativen für mehr Steuergerechtigkeit. Immerhin ist die SPD seit Jahren Teil der Bundesregierung, und angesichts der katastrophalen Lage in NRW wäre es die Pflicht der NRW-SPD, auf die Politik der Bundesregierung Einfluss zu nehmen, damit sich das ändert. Aber die SPD will keinen Politikwechsel.

Wir Linken fordern angesichts der hoch spezialisierten Anwaltskanzleien, die den Geschäftsleitungen beim Betriebsratsmobbing helfen, den Aufbau einer entsprechend qualifizierten Schwerpunktstaatsanwaltschaft, die die Belegschaften und ihre Interessenvertretungen in ihren Rechten schützt. Die SPD will auf diesem Gebiet nur eine Studie mit Landesmitteln finanzieren.


Laut einer der letzten Wahlumfragen käme DIE LINKE auf 5%. Kann es da nicht passieren, dass sie an der 5%-Hürde scheitert? Oder sind solche Umfrageergebnisse bewusst gegen DIE LINKE gestrickt?

Solche Vorwürfe erhebe ich nicht, wenn ich sie nicht belegen kann. Immerhin liegt die NRW-LINKE seit Jahren stabil über 5%. Daran hat auch der Hype um Martin Schulz nichts geändert. Gerade seit 2012, als DIE LINKE im Landtag keinen Druck mehr machen konnte, hat die SPD-geführte Landesregierung gezeigt, dass sie mit den sozialen Belangen nichts am Hut hat. Rhetorisch greift sie im Wahlkampf unsere Aussagen auf, die realen Vorschläge sind aber sehr dürftig. In den Medien werden wir zwar nicht gepuscht, aber doch auch nicht so schlecht behandelt wie 2012. Das mag auch daran liegen, dass der Landtag ohne uns langweilig ist. Die Piraten sind inhaltlich schwach, der Herr Laschet ist als Oppositionsführer nicht gerade mitreißend. Mit einer bissigen und mutigen LINKEN im Landtag gäbe es wenigstens wieder mal was zu berichten.


Welche Rolle spielt für euch die Förderung der außerparlamentarischen Bewegungen?

Die entscheidende Rolle. Wir wollen uns nicht in den Ausschüssen vergraben und in Bergen von Papier ersticken, sondern mit den Menschen in NRW Politik machen. Dazu gehört auch, dass wir aktiv an sozialen Bewegungen teilnehmen - z.B. für den Klimaschutz gegen den Braunkohletagebau und für das rasche Umsteuern auf eine ökologisch verantwortliche Energiepolitik, gegen rechts und gegen Rassismus, für Rechte, Aufnahme und Integration der Flüchtlinge. Zentral ist dabei für uns allerdings der Kampf gegen soziale Ungleichheit und damit die Klassenfrage; wir wollen sie wieder auf die politische Tagesordnung setzen. Besonders wichtig finde ich die Präsenz der LINKEN in den Stadtteilen, denn wir wollen nicht stellvertretend für die Menschen, sondern zusammen mit den Menschen Politik machen.

Mandate sind für uns kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck, um Verbesserungen zu erreichen und die Menschen zur solidarischen Eigenaktivität zu ermutigen. Indem unsere damalige Landtagsfraktion gegen den Haushalt 2012 gestimmt und damit das Risiko in Kauf genommen hat, dass die linken Mandate verloren gehen, hat sie gezeigt, dass wir Linken keine leeren Versprechungen machen, sondern zu unseren Aussagen stehen. Ich sage klipp und klar: Wir übernehmen keine politische Mitverantwortung für Sozialabbau, Privatisierungen, ökologisch unverantwortliches Wirtschaften und ein «Weiter so» in der knallharten Abschiebepolitik in NRW.


Wie beantwortet DIE LINKE NRW dann die Regierungsfrage? Welche Bandbreite an Positionen gibt es dazu im Landesverband?

Dazu gibt es bei uns im Landesverband zurzeit keine zugespitzten Kontroversen. SPD und Grüne sind für die verheerende Lage ja verantwortlich, und wir legen die Latte für eine linke Regierungsbeteiligung sehr hoch. Gleichwohl sagen wir auch, dass ein wirklicher Politikwechsel an uns nicht scheitern würde. Viele erwarten von uns, dass wir reale Verbesserungen durchsetzen. Das können wir auch aus der Opposition heraus. Doch um unsere Regierungsbeteiligung zu ermöglichen, müssten SPD und Grüne tatsächlich für soziale Gerechtigkeit eintreten und bereit sein, sich vom neoliberalen Dogma der Schuldenbremse loszusagen und sich mit dem Kapital ernstlich anzulegen.


Aber wieso wollt ihr euch die mögliche Stützung einer SPD-geführten Regierung offenhalten, wenn doch klar ist, dass SPD und Grüne bei ihrer prokapitalistischen Politik bleiben?

An dieser Stelle antworte ich häufig: Viele Linke haben als Marxisten ihre Schlüsse schon gezogen, aber als linker Politiker muss ich die Menschen mit ihren gegebenen Ansichten ansprechen und mitnehmen. Wir können in NRW sehr konkret erklären, woran es derzeit mit der SPD hapert. Hannelore Kraft behauptet, Tausende Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose geschaffen zu haben. In Wirklichkeit sind es nur 2.000 bei 300.000 Langzeitarbeitslosen. Das sind 0,6%. Im Wahlkampf verspricht die SPD Arbeitsplätze für weitere 2%. Sie lässt also die große Mehrheit von ihnen im Regen stehen.

Angesichts eines Investitionsstaus von 7 Milliarden Euro in den Schulen will sie nur zwei Milliarden investieren. Sie verantwortet die Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte wegen der Steuergeschenke an Reiche, Konzerne und Banken. Sie weigert sich, die Steuerhinterziehung wirksam zu bekämpfen, durch die den öffentlichen Haushalten jedes Jahr 100 Milliarden Euro gestohlen werden. Während ein Hartz-IV-Empfänger, der sich um ein paar Minuten verspätet, Opfer von Sanktionen wird, werden den Banken für ihre Beihilfe zur Steuerhinterziehung nicht die Lizenzen entzogen.

Einer Minderheitsregierung von SPD und Grünen stehe ich sehr kritisch gegenüber, wenn es auf unsere Stimmen ankommen sollte. 2010 war das anders, da gab es inhaltlich mehr Schnittmengen und vor allem die Studierendenbewegung und das konkrete Ziel der Abschaffung der Studiengebühren, die dann ja auch gekommen ist. Da hat unsere Fraktion per Stimmenthaltung die Wahl einer Regierung aus SPD und Grünen ermöglicht. In der Folgezeit ist es ihr dann in Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und Umweltverbänden gelungen, mit einer Politik wechselnder Mehrheiten einige Verbesserungen durchzusetzen - z.B. soziale und ökologische Vergabekriterien bei öffentlichen Aufträgen und das Tariftreuegesetz.

Heute ist die Situation eine andere. Martin Schulz spricht laut über soziale Gerechtigkeit, während weder er noch die SPD erkennbar etwas ändern wollen. Es ist jetzt viel die Rede von einer möglichen SPD-FDP-Koalition. Das könnte rechnerisch möglich werden. Da sage ich: Die SPD wird sich entscheiden müssen. Entweder soziale Gerechtigkeit oder eine Regierung mit der FDP, beides gleichzeitig ist offensichtlich Quatsch. Mit der FDP zeigt die SPD dann noch drastischer, dass soziale Gerechtigkeit mir ihr nicht zu haben ist.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4, 32. Jg., April 2017, S. 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2017

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