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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2159: Kumpel, lass die Kohle sein...


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8 Juli/August 2017
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Kumpel, lass die Kohle sein - sattel lieber um auf Erneuerbare

von Angela Klein


Das Aus für die Kohleverstromung ist keine Frage mehr des Ob, nur noch des Wann und des Wie. Während Ver.di aber die Hand aufhält und errechnet, was es kostet, wenn die Beschäftigten vorzeitig in den Ruhestand geschickt werden, fragt Greenpeace, wo neue Arbeitsplätze herkommen können. Die IG BCE ist vollends abgetaucht.


In den Braunkohlebetrieben geht die Angst um die Arbeitsplätze um. Selbst die Union der europäischen Elektrizitätswirtschaft Eurelectric, der aus Deutschland der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (der Verband der Energiebetriebe) angehört, hat Anfang April dieses Jahres angekündigt, ab dem Jahr 2020 in keine neuen Kohlekraftwerke mehr zu investieren. Der Klimaplan der Bundesregierung - der gar nicht ausreicht, um die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen - sieht eine Halbierung der CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 vor, und das trifft in erster Linie die Energiewirtschaft. Obwohl sie anders könnten, starren die Gewerkschaften auf die bestehenden Arbeitsplätze und überlassen die Frage künftiger Beschäftigung den Umweltschützern. Verschiedene Studien haben sich in letzter Zeit damit befasst, zwei davon wollen wir hier vorstellen.


Unbefriedigende Zielsetzung

Vor zwei Jahren trat der Ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske noch an die Öffentlichkeit mit der Mahnung, der Kohleausstieg «gefährde 100.000 Arbeitsplätze». Dann kam der Gewerkschaftstag im Herbst, der ihn belehrte, dass ein großer Teil der Delegierten aber aus den fossilen Energien raus wollte; der Gewerkschaftsrat legte sich im April 2016 auf ein «Umsteuern in der Energiepolitik» fest und gab Gaskraftwerken und Kraft-Wärme-Kopplung die Priorität. Zugleich gab der Vorstand eine Studie in Auftrag, die ermitteln sollte, was der Ausstieg aus der Kohle kostet, wenn die Beschäftigten dabei keine Einbußen erleiden sollen.

Diese Studie wurde im Herbst 2016 veröffentlicht. Sie ist in vielerlei Hinsicht unbefriedigend, aber sie widerlegt das Märchen von der Arbeitsplatzvernichtung durch den Kohleausstieg eindeutig: Weder gehen die Lichter aus, wenn die Kohlekraftwerke abgeschaltet werden, noch nagen die Kumpels am Hungertuch, noch kostet dies die Steuerzahler Unsummen. Hingegen kommt die Studie zu einigen interessanten Ergebnissen.

Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Ausstiegsszenarien, die versuchen, jeweils Kosten und Nutzen (in Reduzierung des CO2-Ausstoßes gemessen) zu beziffern.(*)

Die von Ver.di in Auftrag gegebene Studie stützt sich vorrangig auf das Szenario der Agora Energiewende, ein Gemeinschaftsprojekt der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation, die ihrerseits von diversen, vielfach privatwirtschaftlichen Stiftungen getragen wird. Die Agora peilt einen Ausstieg aus der Kohle (Steinkohle und Braunkohle) bis zum Jahr 2040 an. Deren Ergebnisse vergleicht sie mit zwei Szenarien: einem, in dem Steinkohlekraftwerken eine Lebensdauer von 50 Jahren, Braunkohlekraftwerken von 60 Jahren zugemessen wird; und einem, in dem die Leistung der Kohlekraftwerke bis zum Jahr 2030 (gegenüber 2016) halbiert wird und das letzte Kraftwerk erst 2050 vom Netz genommen wird (was in etwa dem Klimaschutzplan der Bundesregierung entspricht). In keinem Szenario ist ein Neubau von Kohlekraftwerken vorgesehen.

Es ist jedoch völlig klar, dass auch ein Ausstieg aus der Kohle im Jahr 2040 das Pariser Klimaziel, die Erderwärmung auf +1,5°C zu begrenzen, weit verfehlt. Wie neuere Studien belegen, erfordert die Einhaltung dieses Ziels den vollständigen Ausstieg aus der Kohle bis 2025-2030.

Auch den deutschen Klimaschutzplan verfehlt die Zielmarke 2040 (einen Kohleausstiegsplan hat die Bundesregierung ja nicht): Nach diesem Plan soll der Energiesektor bis zum Jahr 2030 seine Emissionen (gegenüber 2014) halbieren. Die bislang beschlossenen Maßnahmen schaffen aber nur 40 Prozent, und auch der von Agora angepeilte Ausstieg bis 2040 schafft es nicht, die Vorgaben des Klimaschutzplans einzuhalten - von dem man außerdem weiß, dass er den Pariser Klimazielen nicht gerecht wird.

Insofern erfüllt die von Ver.di beauftragte Studie nicht die Erwartungen, die an sie zu stellen sind. Dennoch ist sie von Nutzen, weil sie zeigt, über welche Größenordnungen wir reden, wenn es darum geht, einen Wirtschaftszweig stillzulegen und die Beschäftigten dabei nicht ins Aus zu schicken.


Die Beschäftigungsentwicklung

Die Ver.di-Studie betrachtet nur die Zahl derer, die in den Kohlekraftwerken beschäftigt sind, nicht die Beschäftigten im Tagebau bzw. in den Zechen, was sicher eine zu organisationsbornierte Sichtweise ist, weil sie die im Tagebau nicht organisiert. Sie kommt dabei auf 9018 Beschäftigte in den Steinkohlekraftwerken und 5617 Beschäftigte in den Braunkohlekraftwerken, zusammen also knapp 15.000 Beschäftigte. In den kohlebetriebenen Kraftwerken waren es noch einmal soviele. Im Braunkohlebergbau insgesamt waren 2013 in Deutschland rund 16.400 Menschen beschäftigt. Für die gesamte Elektrizitätsversorgung wird die Zahl der Beschäftigten mit knapp 200.000 angegeben.

Wie entwickeln sich nun die Beschäftigtenzahlen in den drei Szenarien? In allen drei Szenarien nimmt ihre Zahl deutlich ab - logischerweise, denn alle drei setzen ja auf ein Auslaufmodell. Wenn die Kraftwerke noch bis zum Ende ihrer Laufzeit weiter betrieben werden, sind im Durchschnitt der Jahre 2016-2050 noch 8600 Personen beschäftigt, beim Ausstieg 2040 sind es kaum halb so viele (4000). Aber auch im ersten Fall gehen mehr Arbeitsplätze verloren, als altersbedingt ausscheiden.

Eine verantwortungsvoll handelnde Gewerkschaft muss sich also in jedem Fall einen Kopf darum machen, was aus den Kollegen wird, die «freigesetzt» werden.


Die Kosten

Was kostet nun ein sozialverträglicher Kohleausstieg? Ver.di hängt die Latte sehr hoch: Alle Beschäftigten bekommen bis zur Rente die alten Bezüge weiter, zuzüglich Arbeitgeberbrutto und eine jährliche Anpassung an die Preissteigerung von 0,7 Prozent. Der Kohleausstieg 2040 würde nach den Berechnungen der Studie im Durchschnitt 500 Mio. Euro im Jahr kosten (gerechnet bis 2050).

Das ist eine ziemlich lächerliche Summe, wenn wir dagegen halten:

- im Jahr 2014 haben die Stromverbraucher für das gesamte Stromsystem etwa 63 Milliarden Euro gezahlt;

- allein die Erlöse aus dem Handel mit Emissionszertifikaten betrugen 2014 rund 1,2 Mrd. Euro;

- die Befreiung der Industrieabnehmer von der EEG-Umlage kostet die Stromverbraucher jährlich 5,7 Mrd. Euro (Stand: 2013), die Netzbetreiber bekommen aus der EEG-Umlage jährlich 24 Mrd. Euro.

Wenn man beim EEG Verbrauchergerechtigkeit einführen würde, ließen sich die Kosten für den Ausstieg aus der Kohle locker aus dem EEG bezahlen - und das wäre sinnvoller, als die industriellen Energiegroßverbraucher zu subventionieren.

Ver.di aber legt sich mit denen nicht an, sondern will den Emissionshandel anzapfen. Dessen Erlöse sind erstens rückläufig, zweitens hat sich dieser Mechanismus als unwirksam erwiesen, die CO2-Emissionen zu senken.

Schließlich aber rechnet die Studie nicht gegen, wie viele Arbeitsplätze durch eine konsequente Umstellung der Wirtschaft auf erneuerbare Energien geschaffen würden. Obwohl der Anteil der erneuerbaren Energien am Energiebedarf erst bei rund 12 Prozent liegt, sind deutschlandweit mittlerweile deutlich mehr Menschen in der Erneuerbare-Energien-Branche beschäftigt als in der konventionellen Energiebranche. Und es könnten noch viel mehr werden, würde nicht der Ausbau der Fotovoltaik und der Onshore-Windkraft im Interesse der Kohlekonzerne behindert.

Gemessen am Arbeitsplatzabbau, der in den vergangenen 60 Jahren stattgefunden hat, ist der Strukturwandel, der in den nächsten 20-30 Jahren bevorsteht, klein. Allerdings sind die betroffenen Regionen - das Ruhrgebiet und die Lausitz - bereits vielfach gebeutelt. Es ist deshalb auch für eine Gewerkschaft zu kurz gegriffen, allein auf den Sozialplan zu setzen, statt offensiv den ökologischen Umbau der Wirtschaft mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze zu verbinden.


Die Ver.di-Studie findet sich unter
https://ver-und-entsorgung.verdi.de/themen/energiewende/++co++98e6b066-7b06-11e6-918f-525400a933ef.

(*) Einen Überblick darüber gibt die neueste Studie des Naturschutzbunds NABU,
www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/energie/metastudie-kohleausstieg-2017.pdf.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8 32. Jg., Juli/August 2017, S. 14
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. August 2017

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