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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2269: Die Herbstaktionen von Ende Gelände


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6 · Juni 2018
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Die Herbstaktionen von Ende Gelände
Energieversorgung demokratisieren, Wald und Klima retten

von Robin Herbst


"Ende Gelände!" wird diesen Herbst mit einer Massenaktion zivilen Ungehorsams den Hambacher Forst im Rheinischen Braunkohlerevier schützen. Der Kampf gegen den Energieriesen RWE wirft die grundsätzliche Frage auf: Wollen wir eine weitere Machtkonzentration von Stromkonzernen - oder eine solidarische Gesellschaft, die ihre Energieversorgung ökologisch, dezentral, demokratisch und für alle bezahlbar gestaltet?


Im Oktober will RWE die Reste des verbliebenen Hambacher Forstes roden - eines mehr als 12.000 Jahre alten Waldes. Er soll einem Erdloch weichen: dem Braunkohletagebau. Hier fördert der Energiekonzern RWE Braunkohle - den ineffizientesten, klima- und umweltschädlichsten Energieträger. Unter Missachtung aller Klimaziele will der Konzern weiterhin Strom aus Kohle gewinnen, obwohl die Überproduktion schon jetzt die Netze verstopft und die Energiewende behindert. Der Kampf um den Hambacher Forst vereint ein breites Bündnis von Anwohnern aus dem Rheinland, Waldbewohnern, NGOs und Klimagerechtigkeitsaktive aus ganz Europa. So ist es im Winter 2017/18 erstmals seit 40 Jahren gelungen, die jährliche Rodung zu verhindern. Dieses Jahr steht die Entscheidung an: RWE will ab dem 1. Oktober 2018 wieder Bäume fällen. Wenn wir es schaffen, das zu verhindern, ist das der Anfang vom Ende für den Tagebau Hambach - und damit der erste Schritt für einen Kohleausstieg von unten.

Indem wir den Wald bewahren, können wir dazu beitragen, das Klima zu retten. Dem Bündnis "Ende Gelände!" geht es aber um weit mehr. Die zentrale Forderung ist Gerechtigkeit: für die Ärmsten im globalen Süden, deren Lebensgrundlagen zerstört werden, obwohl es vor allem reiche Menschen im globalen Norden sind, die mit ihrem Lebensstil den Planeten erhitzen; für die Menschen in Braunkohlerevieren wie dem Rheinland, deren Häuser, Schulen und Kirchen abgerissen werden, um darunter nach Kohle zu graben; und Gerechtigkeit bei der Energieversorgung, damit nicht länger die Rüstungs- und Automobilindustrie Zugang zu günstigem Strom hat, während jährlich mehr als 300.000 Menschen der Strom abgeklemmt wird.


Erneuerbare Energie für alle und bezahlbar

Die Mehrheit der Menschen in Deutschland steht zur Energiewende und will den Kohleausstieg. Als "Prosumenten" wollen sie ihren eigenen Strom produzieren und konsumieren. Die Bundesregierung handelt jedoch im Sinne der Konzerne: Die Förderung für Bürgerenergie und Mieterstrom ist zusammengestrichen worden; der Strompreis hat sich für private Haushalte seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt. Großbetriebe verbrauchen 18 Prozent des Stroms, tragen aber nur 0,3 Prozent der Kosten für die Förderung von Erneuerbaren Energien. Bei den Netzentgelten zahlen private Haushalte mit geringem Stromverbrauch sechsmal so viel wie Industriebetriebe. Die Schere zwischen arm und reich geht also auch im Energiesektor immer weiter auseinander.

"Ende Gelände!" steht für eine Zukunft, in der alle Menschen ein Zuhause mit Licht und Wärme haben, ohne dass dadurch die Natur, das Klima und die Lebensgrundlagen von anderen Menschen vernichtet werden. Dafür muss vor allem der industrielle Stromverbrauch gesenkt werden. Die Stromproduktion sollte zudem am Gemeinwohl orientiert sein statt am größtmöglichen Profit. In Deutschland existiert trotz der zahlreichen neuen Ökostromanbieter noch immer ein Oligopol der "großen vier" Energiekonzerne RWE, E.on, Vattenfall und EnBW, die zusammen nicht nur mehr als die Hälfte des Strommarkts dominieren, sondern die auch die Stromnetze unter sich aufteilen. Auf EU-Ebene setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass eine Dezentralisierung auch weiterhin durch rechtliche und finanzielle Regelungen verhindert wird.

Der Deal zwischen RWE und E.on, die Zerschlagung der RWE-Tochter Innogy, vergrößert die Marktdominanz noch: RWE will sich um die Stromerzeugung kümmern - auch weiterhin mithilfe dreckiger Braunkohle aus dem Rheinland - und E.on besitzt dann insgesamt 1,5 Millionen Kilometer Strom- und Gasnetze. Sogar die NRW-Landesregierung hat Bedenken, dass hier eine "weitere Fokussierung der Marktmacht im Energiesektor" stattfindet.


Klimagerechtigkeit braucht globalen Klassenkampf

Durch den Eon-RWE-Deal sollen 5.000 Arbeitsplätze wegfallen. Hier zeigt sich, dass die Energiekonzerne nie am Erhalt von Arbeitsplätzen interessiert sind, sondern immer nur an Profitsteigerung. Immer mehr Gewerkschafter sprechen sich mittlerweile für die Energiewende aus. Die Kämpfe für soziale und ökologische Gerechtigkeit hängen zusammen und können einander gegenseitig bestärken. Menschen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung suchen deshalb seit vielen Jahren den Dialog mit Beschäftigten der Kohleindustrie. Die Angst vor einem plötzlichen Jobverlust ist verständlich und muss ebenso ernst genommen werden wie Beschwerden über prekäre Arbeitsverhältnisse im Bereich der erneuerbaren Energien.

Fest steht aber: Echte Klimagerechtigkeit braucht einen Klassenkampf, der die wichtigen Definitionen aus dem 19. Jahrhundert für den heutigen Kontext erweitert und der globale Gerechtigkeit zum Ziel hat. Wir müssen die Stromkonzerne entmachten und den Menschen die Souveränität über die Energieversorgung selbst in die Hand geben: In Solidarität mit allen, die im globalen Süden ihre Lebensgrundlage verlieren, und mit allen, die hierzulande ihre Stromrechnungen nicht mehr zahlen können.

Auf die Kommission, die jetzt von der Bundesregierung einberufen wird, können wir nicht setzen, denn hier kommen diejenigen zusammen, die gerade die Klimaschutzziele bis 2020 aufgegeben haben. Schon jetzt zeichnet sich ab, was das Hauptziel sein soll: Verzögerungstaktik. Ende Gelände fordert stattdessen: Dezentrale Erzeugung und Einspeisung von erneuerbaren Energien; weniger Stromverbrauch vor allem in der Industrie; Stromnetze, die gemeinschaftlich betrieben und verwaltet werden. Das stellt das kapitalistische System in Frage.

Und genau darum geht es: Wer Klimagerechtigkeit will, muss den Kapitalismus überwinden. Wenn wir also dieses Jahr die Rodungen des Hambacher Forstes stoppen und das Ende der fossilen Energien einleiten, dann sind dies nur die ersten Schritte auf dem Weg einer grundlegenden Transformation der Gesellschaft.


Eine breite Bewegung für den Systemwandel

Seitdem im August 2015 unter dem Motto "Ende Gelände!" erstmals Menschen in weißen Maleranzügen und Staubmasken die Kohlegruben des Rheinischen Reviers betreten und die gigantischen Braunkohlebagger zum Stillstand gebracht haben, ist aus der Massenaktion eine breite Bewegung geworden. Es gibt Klimacamps und Aktionen zivilen Ungehorsams in immer mehr europäischen Ländern, bspw. gegen tschechische Braunkohletagebaue und gegen Gasförderung in den Niederlanden (siehe den Artikel auf dieser Seite). Es gibt Solidarität über Grenzen hinweg. Zudem gibt es Ortsgruppen für Klimagerechtigkeit in immer mehr Städten, die sich jenseits von "Ende Gelände!" auch für die Verkehrswende und die Abkehr von der industriellen Landwirtschaft engagieren. Und die Bewegung ist in die Mitte der Gesellschaft hinein gewachsen, immer mehr Menschen sehen ein: Auf einem begrenzten Planeten kann es kein unbegrenztes Wachstum geben. Wir müssen die Klimazerstörung stoppen. Wir müssen heute anfangen, Kohlekraftwerke abzuschalten.

"Ende Gelände!" steht für Nachhaltigkeit und Systemwandel auch in der Form des Aktivismus. Wir wollen Kämpfe verbinden und zuspitzen und dabei Unterschiede anerkennen und von anderen Akteuren lernen - im Hambacher Forst und weltweit. Wenn es uns dieses Jahr gelingt, den Hambacher Forst zu retten, wird das die entscheidende Wende in der Auseinandersetzung mit RWE und der entscheidende Auftrieb für die europäische Klimagerechtigkeitsbewegung sein. Wenn der Wald stehen bleibt, kann der Tagebau Hambach nicht erweitert werden. Dann ist es zwar noch ein weiter Weg, RWE zu entmachten, den Kohleausstieg durchzusetzen und die Energieversorgung zu demokratisieren. Aber dann ist der erste Schritt gemacht. Also, fangen wir an!

Robin Herbst ist Aktivistin bei Ende Gelände.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6, 33. Jg., Juni 2018, S. 12
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2018

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