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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2325: Tausende besetzten wieder Kohlebahn im rheinischen Revier


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 12 · Dezember 2018
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Tausende besetzten wieder die Kohlebahn im rheinischen Revier

Interview mit Selma Richter, Pressesprecherin von Ende Gelände


SoZ: Auf der Webseite von Ende Gelände erklärt ihr, dass 6.500 Menschen am letzten Oktoberwochenende an eurer Aktion im rheinischen Braunkohlerevier teilgenommen haben. Damit war sie die größte Aktion zivilen Ungehorsams, die es bisher im Zusammenhang mit der Braunkohle gegeben hat. Hat euch das nicht überrascht? Schließlich hat es vorher den Entscheid vom Oberverwaltungsgericht gegeben, die Rodungen im Hambacher Forst vorerst zu stoppen. Trotzdem sind so viele gekommen. Wie erklärt ihr euch das?

Selma Richter: Wir haben schon damit gerechnet, dass wir in diesem Jahr sehr viele sein werden, weil unser Anliegen durch die Zuspitzung des Konflikts mit RWE und der Landesregierung in den vergangenen Wochen und Monaten sehr viel mediale Aufmerksamkeit bekommen hat, wodurch der Konflikt noch mal deutlicher geworden ist und besser bebildert wurde.

Ein bisschen haben wir das ja auch schon bei Ende Gelände geschafft, den sehr abstrakten Klimawandel konkret sichtbar und erfahrbar zu machen, indem wir direkt an den Ort der Zerstörung gegangen sind und nicht, wie viele Umweltorganisationen, in den größeren Städten Demonstrationen organisieren, die ganz weit weg sind vom Ort des Geschehens. In diesem Fall aber konnten wir zusätzlich mit dem positiven Bild vom Hambacher Wald mobilisieren. Sonst hatten wir ja immer die Kohlemine, die Grube und die Bagger als Bild der Zerstörung. Aber dieses Mal wurde noch deutlicher, was eigentlich gerade passiert, und die Notwendigkeit zu handeln noch sichtbarer: nämlich dass eine wichtige Lebensgrundlage zerstört wird für vollkommen unsinnigen Kohlestrom. Das hat mobilisiert, auch wenn der Hambacher Wald jetzt erst mal eine Schonfrist genießt.

Ich denke, viele Leute, die bereit sind, zivilen Ungehorsam zu machen, haben sich schon mit der Thematik beschäftigt und wissen, dass es nicht allein um den Erhalt des Hambacher Waldes geht, sondern eben darum, die Klimakrise zu stoppen - und das ist nur zu erreichen, wenn wir die Kohleverstromung stoppen. Der Kohleausstieg ist ja auch noch nicht beschlossen.


SoZ: Wo kamen denn all die Leute her?

Selma Richter: Es gab einen Sonderzug aus Tschechien, der hat auch in Dresden und Lepizig Halt gemacht. Wir haben seit vielen Jahren sehr gute Beziehungen zu AktivistInnen und Aktivisten aus Schweden, aus den Niederlanden, aus Italien, aus Polen, für die ist es sehr spannend hinzuzukommen, denn Klimawandel und CO2-Emissionen machen ja nicht an Ländergrenzen Halt, sondern betreffen alle.

Es sind auch Menschen aus Frankreich gekommen, aus der Schweiz, ich kann die Länder gar nicht alle aufzählen... Ende Gelände ist eben seit Anbeginn keine rein deutsche Angelegenheit, wir hatten schon immer sehr viel Zuspruch aus Nachbarländern, auch sehr viel Skill Sharing, also Austausch von Fertigkeiten, auch Lernprozesse, wie die Klimabewegung oder die Klimagerechtigkeitsbewegung in andern Ländern arbeitet, was dort die Protestformen sind. Genauso geht es auch umgekehrt: Viele, gerade aus den Niederlanden und aus Tschechien, kommen immer wieder nach Deutschland zu Ende Gelände Aktionen und nehmen dann auch die Aktionsform des zivilen Ungehorsams mit nach Hause. In Tschechien hat in diesem Jahr schon die zweite Massenaktion zivilen Ungehorsams stattgefunden, in den Niederlanden ebenfalls.


SoZ: Wie ist die Aktion abgelaufen, was habt ihr erreicht?

Selma Richter: Es gab verschiedene Finger, wie wir das nennen, also verschiedene Gruppen, die zum Teil in einer angemeldeten Demonstration, zum Teil mit Bussen zu ihrem Aktionsort angereist sind. Manche kamen vom Hambi-Camp, manchen kamen vom Ende Gelände Camp, das wir kurz davor errichtet hatten, und eine Gruppe hat versucht, in den Tagebau Inden zu gelangen, um noch mal das Augenmerk darauf zu richten, dass nicht nur der Hambacher Wald vor der Zerstörung gerettet werden muss, sondern auch einige Dörfer, die von der Erweiterung des Tagebaus Inden betroffen sind. Hier müssen viele Menschen damit rechnen, dass sie zwangsumgesiedelt werden. Die Gruppe hat's leider nicht geschafft, in den Tagebau selbst einzudringen, sie wurde vorher gekesselt.

Dann gab's noch einen sehr großen Finger, der vom Ende Gelände Camp losgelaufen ist und es auf die Gleise der Hambachbahn geschafft hat, und einen weiteren Finger, der vom Hambi-Camp losgegangen ist, der es ebenfalls auf die Gleise der Hambachbahn geschafft hat. Dort haben wir über 24 Stunden lang den Betrieb komplett lahm gelegt. Die Hambachbahn - das ist die Hauptschlagader des Reviers, weil darüber die komplette Kohle, die im Tagebau Hambach abgebaut wird, an die umliegenden Kraftwerke verteilt wird - konnte nach eigenen Angaben von RWE keinen Gramm Kohle aus dem Tagebau zu den Kraftwerken befördern in der Zeit, wo wir blockiert haben.


SoZ: Das habt ihr bisher noch nie geschafft, eine so lange Zeit eine Infrastruktur von RWE zu blockieren. Wie erklärt ihr euch, dass das diesmal geklappt hat? Ich find das ja gigantisch.

Selma Richter: Also, wir haben's tatsächlich auch schon mal geschafft, in der Lausitz relativ lange die Kohleinfrastruktur zu blockieren, da mussten die Kraftwerke sogar gedrosselt werden. Im Rheinland hatten wir es im vergangenen Sommer mit dem Flächenkonzept, wo mehrere Aktionsformen nebeneinander über einen längeren Zeitraum ausgeübt wurden, geschafft, über mehrere Tage zu blockieren und zu stören. Dass das dieses Jahr wieder geklappt hat, war allerdings nicht unbedingt absehbar, da wir wochenlang Stress hatten, um überhaupt Flächen für unser Camp zu bekommen, selbst kurzfristig noch haben wir Campflächen nicht genehmigt bekommen, ein Camp wurde quasi die Nacht, bevor die ersten Aktiven am Donnerstag angereist sind, noch geräumt. Es war also tatsächlich nicht absehbar, dass wir es in so kurzer Zeit noch schaffen würden, alle Aktivistinnen und Aktivisten organisiert unterzubekommen, das war ein richtiger Kraftakt. Wir mussten dann einen Platz nehmen, der vom Tagebau Hambach relativ entfernt war, so dass die Leute noch kilometerweit laufen mussten, bis sie zur Hambachbahn gelangen konnten.


SoZ: Du hast es schon angesprochen, es gab massive Behinderungen durch die Polizei...

Selma Richter: Wir müssen immer mindestens eine Woche bevor die Aktion anfängt, mit dem Campaufbau beginnen. Wir hatten rechtzeitig verschiedene Flächen vorgeschlagen, haben aber erst eine Woche vor der Aktion Bescheid bekommen, dass wir die Fläche nicht genehmigt bekommen. Daraufhin haben wir als Notlösung eine Fläche von RWE, die gerade nicht in Benutzung war, für uns eingenommen und angefangen, dort Infrastrukturzelte aufzubauen. Noch in derselben Nacht wurde dieses Camp geräumt und Flächen in Manheim mit schwerem Gerät umgegraben, so dass ein Campen dort nicht mehr möglich war.

Von seiten der Landesregierung wurde massiv Stimmung gegen uns gemacht, wir wurden kriminalisiert und es wurden Drohszenarien aufgebaut. Die politische Situation in NRW ist ja gerade alles andere als eine Willkommenskultur für AktivistInnen und Aktivisten. In diesem Umfeld war es schwierig für uns, zivilen Ungehorsam - ein legitimes demokratisches Mittel in einer Notsituation wie der Klimakrise - einzusetzen. Beispielsweise hat die Polizei alle Aktiven, die mit dem Sonderzug angereist waren, acht Stunden am Bahnhof festgehalten und erst nach Durchsuchung der Gepäckstücke und erkennungsdienstlicher Behandlung wieder freigelassen. Und das alles ohne rechtliche Grundlage!


SoZ: Wurden Leute auch festgenommen?

Selma Richter: Ja. Es gab immer wieder Leute, die in Gewahrsam gekommen sind, und es wurde versucht, ihre Personalien festzustellen. Doch bei Ende Gelände haben wir die Praxis, dass wir versuchen, kollektiv unsere Personalien nicht anzugeben, um einen Schutzraum für uns zu schaffen. Das haben wir dieses Jahr wieder hinbekommen, alle Leute sind in angemessener Zeit wieder aus dem Gewahrsam entlassen worden.


SoZ: Also haben sie bisher noch keine Handhabe gefunden, euch aus der Besetzung einer Infrastruktur wie der Hambachbahn einen Strick zu drehen?

Selma Richter: Bisher wurden noch keine Aktiven für eine Aktion von Ende Gelände rechtskräftig von einem Gericht verurteilt. Das ist auch ein Zeichen dafür, dass unser Protest sehr viel legitimer ist, als es gerne von der Politik dargestellt wird, und dass wir weitaus häufiger kriminalisiert werden, als wir tatsächlich gegen Gesetze verstossen.


SoZ: In dem Zusammenhang war auch die Begleitdemonstration der Naturschutzverbände für euch wichtig, oder?

Selma Richter: Das ist auf jeden Fall eine Möglichkeit, auch noch mal breitere gesellschaftliche Schichten anzusprechen, weil man dann ganz vielen eine Chance bietet, sich solidarisch mit Ende Gelände zu zeigen ohne direkt an der Aktion teilzunehmen. Das war für uns sehr motivierend und hat noch mal gezeigt, dass wir eben sehr viel Zuspruch aus der Mitte der Gesellschaft erfahren.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 12, 33. Jg., Dezember 2018, S. 10
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2018

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