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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2378: "Die bad boys sind wieder von der Straße"


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5 · Mai 2019
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Die bad boys sind wieder von der Straße"
DHL Delivery ist wieder bei der Deutschen Post - für die Beschäftigten eine Niederlage

Violetta Bock sprach mit Michael Akinlaton


Ver.di und die Deutsche Post AG haben im März eine Tarifeinigung zum 1. Juli 2019 verkündet. Die rund 13.000 Beschäftigten der im Jahre 2015 gegründeten Regionalgesellschaften (DHL Delivery GmbHs) sollen in die Haustarifverträge der Deutschen Post AG übergeleitet werden. "Jetzt gibt es wieder eine Belegschaft bei der Deutschen Post AG. Künftig gilt wieder: ein Betrieb, ein Tarifvertrag", sagte die stellvertretende Ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis. Aber ist das wirklich so?
Violetta Bock sprach darüber mit Michael Akinlaton. Er ist seit Ende 2015 Betriebsratsvorsitzender bei der DHL Delivery Kassel. Im Herbst 2018 erhielt er den Betriebsrätepreis.


SoZ: Kannst du etwas über deine Betriebsratsarbeit bei DHL Delivery sagen?

Michael Akinlaton: Als 2015 der Betriebsrat gewählt wurde, hatten wir noch wenig Ahnung. Der Arbeitgeber hielt mich damals für verrückt und nahm mich nicht ernst, nach dem Motto: "Du bist hier sowieso nicht geboren, du bist hier nicht zur Schule gegangen, es gibt so viele Bausteine und Fristen im Betriebsverfassungsgesetz." Doch wir erhielten schnell Einblick in dieses Gesetz und konnten dem Arbeitgeber sagen: "Ok, pass mal auf, es gibt ein Mitbestimmungsrecht, es gibt ein Informationsrecht und es gibt ein Miteinander, das heißt die Betriebsparteien müssen miteinander sprechen, es gibt nach Paragraph 74 ein Monatsgespräch und es gibt 29 (4), das heißt wir können den Arbeitgeber zu einem Thema einladen, um darüber zu sprechen.

Gewisse Sachen hat er am Anfang ignoriert, andere fand er lächerlich, bis wir mit der Betriebsvereinbarung Arbeitszeit angefangen haben. Denn wir haben gesagt: Es kann nicht sein, dass laut Betriebsordnung 60 Stunden und ein Minuskonto möglich sind. Und wenn die Leute Überstunden machen, kommt es in ein Konto, und wenn Leute früher nach Hause gehen, kommt es in ein Minuskonto, und an jedem 15. Mai wird genullt. Das heißt für uns, an Tagen, wo keine Arbeit da ist, hast du Pech. In Paragraph 293 BGB ist geregelt, dass das nicht als Minus gezählt werden darf.

Wir wollen bezahlte Überstunden, kein Minuskonto, und wenn die Geschäftsleitung will, dass wir Überstunden machen, muss sie einen Antrag stellen. Es kostete viele Nerven, viele gerichtliche Auseinandersetzungen, aber wir haben viel durchgesetzt. Die Betriebsvereinbarung (BV) zur Arbeitszeit ist der Vater aller Betriebsvereinbarungen, da spielt die Musik. Der Arbeitgeber hat alles versucht, um das zu verhindern. Wir sind vor die Einigungsstelle gezogen, das Gericht folgte uns. Im März 2016 war der Spruch der Einigungsstelle und unsere BV Arbeitszeit war geboren.

Was stand drin? Von 60 Stunden sind wir auf 37,6 bzw. 38 Stunden runter. Das Minuskonto wurde abgeschafft, wenn der Arbeitgeber keine Arbeit hat, werden die Stunden als erbracht gezählt. Wir haben auch durchgesetzt, dass Überstunden auf freiwilliger Basis erfolgen, und wenn jemand mehr als 8 Stunden Überstunden hat, kann er dem Chef sagen, er möchte einen Tag zu Hause bleiben - das bedarf der Zustimmung von Arbeitgeber und Betriebsrat. Wir haben einen Mechanismus gefunden, bei dem der Arbeitgeber nicht einseitig und willkürlich eine Entscheidung treffen kann.

Wir haben auch gesagt, dass auf dem Arbeitszeitkonto nicht mehr als 40 Stunden stehen dürfen. Ab 40 Stunden muss der Betreffende nach Hause geschickt werden oder es tritt eine Regelung im Manteltarifvertrag in Kraft, in der steht, die 39. und 40. Stunde fließen in die Freizeit, die 41. in die Auszahlung. Das heißt man hat die Möglichkeit zu sagen, ich will einen Teil in Freizeit und einen Teil ausgezahlt. Der Arbeitgeber muss jetzt den Dienstplan vorlegen und vom Betriebsrat genehmigen lassen, auch die Änderungen daran. Wenn wir uns nicht einigen, gehen wir vor die Einigungsstelle.

Das haben wir auch bei befristeten Verträgen genutzt. Wir haben gesagt: "Pass mal auf, an Hand des Dienstplans und der Informationen, die wir haben, boomt die Branche. Es kann nicht sein, dass die Leute jeden Tag Überstunden machen. Das heißt, du hast Probleme mit deiner Personalplanung." Der Arbeitgeber hat dann mit uns eine Entfristungsquote vereinbart, und wir haben durchgesetzt, dass er pro Jahr 25 Leute entfristet.

Die Leute haben keine Angst mehr. Wir haben 2016 gestreikt, als der Manteltarifvertrag auslief. Die Friedenspflicht war vorbei und der Arbeitgeber hat gedacht, wegen der prekären Arbeitsverträge kommen die Leute nicht auf die Straße. Aber sie kamen, ebenso in Frankfurt. Für uns war das ein Erfolg. Wir haben nicht alles erreicht, aber mit dem Streik haben wir unsere Kampfbereitschaft gezeigt.

Durch die Betriebsvereinbarung hat der Arbeitgeber gemerkt, dass nicht mehr Business as usual gilt...


SoZ: Wie fing das mit der Zusammenführung an?

Michael Akinlaton: Erst waren wir alle zusammen bei der Post angestellt. Dann wurden wir getrennt, weil die Geschäftsleitung es für wirtschaftlich sinnvoll gehalten hat, 46 GmbHs zu gründen. Im Januar 2018 wurde uns aber plötzlich gesagt, ab dem 1.5.2018 soll es wieder ein gemeinsamer Betrieb sein. Wir glauben der Arbeitgeber dachte, er könne den doofen neuen Betriebsrat ins kalte Wasser schmeißen, und stellte fest, dass wir ihm Paroli bieten. Es gilt nicht mehr Befehl und Gehorsam. Also entschied er, er hat keine andere Wahl, er muss die Leute wieder schlucken.

Das war eine Betriebsänderung und wir mussten gucken, was wir dagegen machen können. Wir haben prüfen lassen, ob die Entscheidungsbefugnis beim Konzern oder der örtlichen Einheit liegt. Denn wenn jemand über unsere Zukunft entscheidet, spielt die Musik vor Ort. Es ging um einen Sozialplan und den Interessenausgleich. Wir konnten das Arbeitsgericht in Kassel überzeugen, dass die Entscheidung vor Ort liegt. Der Arbeitgeber legte Beschwerde ein und es dauerte mehrere Monate bis zum Urteil, d.h. der 1.5. war erstmal tot.

Damit haben wir gezeigt, es geht doch. Da haben auch andere angefangen zu prüfen. Das Landesarbeitsgericht folgte der Entscheidung der ersten Instanz nicht, das heißt, den Interessenausgleich macht der Konzernbetriebsrat für das ganze Unternehmen. Die Verhandlungen liefen bis Januar, da sind sie gescheitert. Der Arbeitgeber wollte einen Sozialplan vermeiden. Dann hat das Arbeitsgericht gesagt, über den Sozialplan muss die örtliche Einheit verhandeln. Dagegen hat der Arbeitgeber wieder Beschwerde eingelegt, aber diesmal folgte uns das LAG. Parallel dazu haben wir im Rahmen des Manteltarifvertrags und gestützt auf das LAG noch andere Sachen durchgesetzt, etwa eine Gefahrenzulage.

Vermutlich sind der Geschäftsführung diese Auseinandersetzungen um die Betriebsänderung zu teuer geworden. Deshalb hat sie einen Betriebsübergang angestrebt, angeblich "damit wir wieder eine Familie sind". Gemeint waren aber nur die 46 Delivery, die ihm Paroli bieten. Darum herum gibt es ja noch weitere, Delivery Solution etc. Doch er will nur die 46 schlucken. Und nun sind wir ab dem 1. Juli unter einem Haustarif Deutsche Post.

Bei den Verhandlungen waren wir nicht zugegen, die hat Ver.di für uns geführt. Wir haben das Ergebnis bewertet und für uns ist es eine Niederlage.


SoZ: Was bedeutet die jetzige Tarifeinigung?

Michael Akinlaton: Ab dem 1. Juli gibt es jetzt einen geänderten Haustarifvertrag, d.h. die vier, fünf Jahre, die wir bei Delivery waren, werden nicht angerechnet. Wir kommen alle unter Stufe 0, Weihnachtsgeld kriegen wir erst ab einem Jahr - wir werden als neu Angestellte behandelt. Was die Postler haben, das behalten sie. Das heißt, es gibt unter dem Dach der Deutschen Post einen Posttarifvertrag und einen abgeänderten Tarifvertrag. Letzterer gilt nur für Delivery. Die Tarifkommission der Post wurde dafür unter Druck gesetzt nach dem Motto: Wenn ihr das nicht unterschreibt, wird die nächsten 20 Jahre nur bei Delivery eingestellt, das heißt ihr Postler sterbt langsam aus. Zweitens habt ihr 300 Befristete, die lass ich auslaufen. Bei der Post hatten sie früher eine Staffel alle zwei Jahre, jetzt ist sie alle vier Jahre.

Also gibt es weiter Klasse 1 und Klasse 2. Der einzige Vorteil ist, wir sind alle Deutsche Post. Den Nachteil kann man vielleicht in Zukunft wegstreiken. Wir haben erwartet, dass die Tarifkommission kontra gibt, aber leider wurden wir eines Besseren belehrt, weil sie keine Möglichkeit haben zu streiken. Also haben sie alles geschluckt.


SoZ: Was heißt das jetzt für euch?

Michael Akinlaton: Das bedeutet für uns, alles was wir Betriebsräte von Delivery erkämpft haben, ist ab dem 1. Juli verschwunden. Die bad boys sind weg von der Straße - mich haben sie "Schwarze Mamba" genannt und "Rottweiler". Alles, was wir in bezug auf die Arbeitszeit erreicht haben, Gefahrenzulage, Nahverkehrskontrolle, Urlaubszeit, da ist jetzt überall Feierabend. Wir müssen uns wieder mit den 60 Stunden bei der Post vergnügen, und es gibt wieder das Minuskonto.

Aber Unkraut vergeht nicht. Viele haben verstanden, dass es anders geht, dass wir unserem Konzernarbeitgeber egal sind und er nur Gewinn machen will.


SoZ: Wie war denn die Zusammenarbeit unter den Delivery Gesellschaften?

Michael Akinlaton: Was ich bei Delivery klasse fand: Wenn ein Betriebsrat irgendwo was durchsetzte, informierte er die anderen und alle zogen nach. Wir sind alle in den gleichen Kindergarten gegangen, wir haben mit den gleichen Seminaren angefangen. In jeder Gesellschaft wurde ein Betriebsrat gegründet. Das hat den Arbeitgeber mehr Geld gekostet und das letzte Wort war vor Ort, nicht bei der Konzernleitung. Wir waren gut organisiert und das hat dem Arbeitgeber nicht geschmeckt.


SoZ: Ver.di hat die Vereinigung als Erfolg verkauft.

Michael Akinlaton: Ja, natürlich, aber ohne Inhalt. Ich bin Verdianer, in meinem Betrieb sind wir mittlerweile etwa 187, davon sind über 100 von mir für Ver.di geworben worden. Was will ich damit sagen? Ich muss den Leuten ja auch erzählen, wie es ist. Der Arbeitgeber versucht zu verwirren, indem er ihnen sagt, sie kommen in eine bessere Stufe. Aber ab dem 1.? Juli wird der Krankenstand hoch gehen, das Betriebsklima wird gestört sein und es wird heißen, der Betriebsrat stiftet nur Unruhe.

Ich hab' zu Ver.di gesagt, welche Information ist jetzt wichtig? Wenn ihr mich als Mitglied behalten wollt, und meinen Beitrag akzeptiert, müsst ihr mit meiner Kritik umgehen. Ihr verkauft das als einen Erfolg, ohne die Opfer zu nennen, ohne zu sagen, warum ihr das unterschrieben habt. Weil der Arbeitgeber euch die Pistole auf die Brust gesetzt hat. Aber nein, sie stellen sich als mächtig dar und jubeln. Ich habe Hochachtung vor dem BR-Vorsitzenden der Post, Karl-Friedrich Sude. Er hat gesagt, das kann man nicht als Erfolg verkaufen, aber es ist das Beste was wir rausholen konnten.

Die Leute im Betrieb wissen, sie sind verarscht worden. Manche suchen schon eine andere Arbeit.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 34. Jg., Mai 2019, S. 8
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
SoZ-Verlag, Regentenstr. 57-59, 51063 Köln
Telefon: 0221/923 11 96
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2019

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