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STREIFZÜGE/041: Zeitschrift des Kritischen Kreises, Nr. 68, Herbst 2016


Streifzüge Nummer 68, Herbst 2016
Magazinierte Transformationslust

Zeitschrift des Kritischen Kreises - Verein für gesellschaftliche Transformationskunde


INHALTSVERZEICHNIS

Petra Ziegler: Einlauf

Tomasz Konicz: Let's Atomize

Franz Schandl: Die große Ratlosigkeit. Notizen zu Resignation und Erschöpfung, Transposition und Perspektive

Annette Schlemm: Eine andere Zukunft ist not-wendig

Nikolaus Dimmel: No Nature, No Future?

Home Stories: mit Beiträgen von Ricky Trang, Theresia Pfister, Franz Schandl

Martin Scheuringer: ECOMMONY. Abschweifende Rezension zum Buch von Friederike Habermann

Meinhard Creydt: 46 Fragen zur nachkapitalistischen Zukunft

Lorenz Glatz: MorgenGrauen? Einige Behauptungen zum gesellschaftlichen Niedergang und zu möglichen Auswegen

Franz Schandl: Die große Freisetzung. Transvolutionäre Mutmaßungen zum elementaren Aufstand

Stefan Meretz: Grundrisse einer freien Gesellschaft

Emmerich Nyikos: Bornierte Freiheit oder: Wie man blind und ungeplant ins Desaster stolpert

Martin Scheuringer: Pathogene Marktwirtschaft

Hermann Engster: No future for Jenny

Kolumnen
Immaterial World: Stefan Meretz über "Vermittlung"
Dead Men Working: Maria Wölflingseder meint "Kein Spielraum"
Rückkopplungen: Roger Behrens zu "The Future is unwritten"

Rubrik 2000 Zeichen abwärts
Petra Ziegler (P.Z.): Worauf warten wir?
Ricky Trang (R.T.): The radical new same old shit

Auslauf: Franz Schandl über "Denkfabriken"

*

Einlauf

von Petra Ziegler

Rosig sind die Aussichten nicht. Der Zweckoptimismus einzelner Unverdrossener wirkt angesichts der Nachrichtenlage eher befremdlich. Nein, da wird nichts "wieder werden". Und wohin wollte man auch zurück, so man denn könnte. In vergangene "bessere Zeiten", die freilich immer schon ihren Preis hatten. Nur mussten den vorwiegend die außerhalb der westlichen Welt zahlen. Die etwa, die heute immer öfter auf Aufnahme hoffen bei uns, und auf Teilhabe, wenigstens auf einen sicheren Ort. Es ist ohnehin nur ein kleiner Prozentsatz jener Menschen, die auf ihrer Flucht vor Krieg, Hunger und ökologischer Zerstörung nach Europa kommen.

Mit Mauern und Zäunen lassen sich Wahlen gewinnen, nicht nur in den USA. Insgesamt wirkt das psychische Umfeld wie ein immer unverdaulicheres Gebräu aus Ohnmacht, Abstiegsängsten und Wutbürgerei. Von emanzipatorischer Gegenbewegung ist wenig zu spüren. Dagegen scheint auf der Siegerstraße, wer kräftig nach unten tritt, Hass und Ressentiments schürt und den starken Mann markiert.

Gehört Schwarzmalerei dieser Tage offenbar zu den leichteren Übungen, bleiben die Vorstellungen eines Miteinander frei von Unterdrückung und herrschaftlichen wie sachlichen Zwängen vage. Mehr denn je braucht es eine Absage an illusorische Hoffnungen auf alternative Regierungsprogramme. Zukunft - wenn sie denn mehr sein soll als Überlebenskampf unter verschärften Bedingungen - verlangt die Aufhebung der kapitalistischen Produktions- und Lebensweise.

Die in dieser Ausgabe versammelten Beiträge zeigen ein Herantasten, sie setzen auf das Verlernen und fragen nach dem "guten Leben für alle". Drastische Darstellungen der Gegenwart fehlen nicht, aber auch Skizzen einer freien Gesellschaft finden sich. Das Heft versteht sich als Aufforderung gegen den Wahnwitz der Verhältnisse.

*

Let's Atomize!*

von Tomasz Konicz

Es ist die Banalität der nuklearen Apokalypse: Als ob es sich um den Wetterbericht handeln würde, wird in Medien und Politik über einen drohenden Großkrieg, über einen nuklearen Schlagabtausch zwischen Ost und West debattiert.

Die Vereinigten Staaten und Russland würden sich auf den "Weltuntergang" vorbereiten, betitelte jüngst die Webpräsenz der US-Zeitschrift Foreign Policy einen Bericht, der die Aufkündigung eines nuklearen Abrüstungsabkommens durch Russland thematisierte. Die USA verfügen über 88 metrische Tonnen waffenfähiges Plutonium, woraus sich gut 22.000 neue Atomsprengköpfe fertigen ließen. Russlands Vorräte sollen sich auf 128 metrische Tonnen belaufen. Dieses Material wird nun nicht - wie vertraglich vereinbart - entsorgt werden.

Derzeit verfügten die Vereinigten Staaten über rund 4.500 Nuklearwaffen, so Foreign Policy, wobei Russland über ein ähnliches Arsenal verfügen solle. Dieses Vernichtungspotenzial scheint den "Militärisch-Industriellen-Komplexen" beider Großmächte somit nicht mehr auszureichen. Bei der drohenden Weltvernichtung will man offensichtlich in Ost wie West auf Nummer sicher gehen, weswegen schon seit längerer Zeit auch die Modernisierung der nuklearen Massenvernichtungswaffen global forciert wird (Welt vor neuem Weltkrieg?). Und da ist ja noch Luft nach oben: Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges verfügten USA und Sowjetunion jeweils über mehr als 30.000 Nuklearwaffen.

In Russland wird inzwischen offen über einen nuklearen Schlagabtausch mit den USA debattiert. Während in den Staatsmedien Szenarien eines Atomkrieges diskutiert werden, zu dem der komplexe Mehrfrontenkrieg in Syrien eskalieren könnte, leiteten die russischen Behörden erste Vorsichtsmaßnahmen ein. Seit September wurden russlandweit umfassende Zivilschutzübungen durchgeführt, an denen rund 40 Millionen Menschen teilnahmen. Bei Militärübungen in Südrussland wurde ein Großkriegsszenario durchgespielt, während der Gouverneur von St. Petersburg die Lebensmittelrationen bekannt gab, die im Fall eines Krieges an die Bevölkerung verteilt würden (300 Gramm Brot täglich).

In Reaktion auf die provokative Aufstellung einer US-Raketenabwehr in Polen und Rumänien - direkt an Russlands Grenze - hat der Kreml zudem angekündigt, seine Atomraketen nach Kaliningrad zu verlegen, um westeuropäische Städte binnen weniger Minuten ausschalten zu können.

Überdies haben nun Russland und China angekündigt, bei der Suche nach Strategien und Methoden zu kooperieren, mit denen die US-Raketenabwehr umgegangen werden kann. Das amerikanische Raketenabwehrsystem wird nicht nur von Moskau, sondern auch von Peking als eine strategische Bedrohung der nuklearen Abschreckungsfähigkeit erkannt.

Die wachsende Gefahr eines großen Krieges zwischen den USA und Russland resultiert derzeit aus der Eskalation in Syrien, wo eine nahezu unentwirrbare Verflechtung von Interessen kaum ohne massiven Machtverlust einer oder mehrere Konfliktparteien überwunden werden könnte.

In gewisser Weise ist in Syrien die unipolare Weltordnung bereits aufgehoben - die Hegemonie der USA ist hier schon Geschichte. Neben Russland, das erfolgreich seine militärischen Kapazitäten demonstriert und das amerikanische Monopol auf imperiale Gewaltanwendung in der Region bereits gebrochen hat, verfolgen auch die Regionalmächte wie die Türkei, der Iran und Saudi Arabien ihre eigenen Ziele in der Region.

Russland bemüht sich in Kooperation mit dem Assad-Regime und dem Iran zurzeit, möglichst große militärische Geländegewinne vor den Präsidentschaftswahlen zu erringen, um die künftige Administration vor vollendete Tatsachen zu stellen und dem syrischen Regime eine möglichst gute Ausgangsbasis für Verhandlungen zu verschaffen.

Dieses russische Roulette des Kreml könnte nach hinten losgehen. Wie Reuters am 15.10.2016 meldete, finden in Washington Beratungen darüber statt, ob nicht doch eine militärische Eskalation in Syrien gesucht werden müsse, um Washingtons schwindenden Einfluss im Mittleren Osten wiederherzustellen. Demnach gebe es Planspiele, das Militär und die Milizen des syrischen Regimes anzugreifen. Russland hat wiederum ausdrücklich davor gewarnt, die syrischen Regimekräfte anzugreifen. Während also in Russland nukleare Bedrohungsszenarien hochgekocht werden, überlegen die USA, ob sie die von Russland aufgestellten "roten Linien" in Syrien bewusst überschreiten sollen. Genau so werden Weltkriege vom Zaun gebrochen.

Ozeanien gegen Eurasien

Es stellt sich die Frage, wieso beide Seiten diese Konfrontation suchen? Wieso spielt man in Washington und Moskau wieder mit der Option eines nuklearen Schlagabtauschs, also letztendlich mit der Weltvernichtung? Es geht dabei nicht in erster Linie um ein tyrannisches und massenmörderisches Regime in Damaskus, oder um einige islamistische Kopfabschneiderbanden im Sold der CIA - Syrien ist nur der aktuelle Brennpunkt eines globalen Kampfes um die Hegemonie im spätkapitalistischen Weltsystem.

Die im imperialen Abstieg befindlichen Vereinigten Staaten sind bestrebt, ihre rasch erodierende hegemoniale Stellung durch eine globale Eindämmungsstrategie zu verteidigen, während die "eurasischen" Großmächten Russland und China bemüht sind, die USA zu beerben. Ein eurasisches Machtsystem soll an die Stelle der schwindenden US-Hegemonie treten - dies ist die Vision, die insbesondere von Moskau forciert wird. Deswegen war der Kreml bemüht, dieser strategischen Zielsetzung etwa mit der Gründung einer etliche postsowjetische Staaten umfassenden Eurasischen Union näherzukommen.

Washington reagierte auf diese Herausforderung mit dem Versuch, diesem von Moskau und Peking forcierten Eurasien ein Bündnissystem entgegenzusetzen, dass ruhig als Ozeanien bezeichnet werden könnte. Über beide Ozeane - den Atlantik wie den Pazifik - hinausgreifend, sollte ein globales geopolitisches Bündnissystem geschaffen werden, dass durch umfassende Freihandelsabkommen flankiert würde.

Das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP sollten West- und Mitteleuropa in der "atlantischen" Einflusssphäre Washingtons halten und Russland isolieren, während die Transpazifische Partnerschaft TTP eine Eindämmungsstrategie gegenüber China verfolgte, bei der die südlichen und östlichen Anrainer der Volksrepublik eingebunden werden sollten. Mittels dieses "ozeanischen" Bündnissystems wollte Washington die geopolitische Machtentfaltung der eurasischen Herausforderer seiner schwindenden Hegemonie blockieren, sowie eine substanzielle Verschiebung der ökonomischen Potenzen verhindern, die den "Westen" in eine strategische Schieflage brächten.

Dieser geopolitische und wirtschaftspolitische Kampf hat schon längst auch eine militärische Dimension angenommen. Derzeit sind es - neben dem syrischen Brandherd - auch die Auseinandersetzungen in Südostasien, konkret im Südchinesischen Meer, das von Peking de facto annektiert wird, die mit militärischen Drohgebärden und einem lokalen Rüstungswettlauf einhergehen. Die USA unterstützen dabei die lokalen Gegenspieler Pekings - wie etwa Vietnam oder Japan - um hierdurch die intendierte Isolation Chinas zu realisieren. Mit mäßigem Erfolg, wie das Ausscheiden der Philippinen aus der antichinesischen US-Front beweist.

Es ist übrigens das sich immer deutlicher abzeichnende Scheitern dieser US-Strategie, das in Washington den imperialistischen Falken, die eine Eskalationsstrategie befürworten, Auftrieb verschafft. Der erste "heiße" Konflikt dieses eurasischen "Great Game" fand in der Ukraine statt.

Bei der Intervention des Westens in dem krisengebeutelten osteuropäischen Land - bei der die "liberalen Demokratien" sich wenig wählerisch faschistischer Sturmtruppen bedienten - ging es in erster Linie um geostrategische Interessen. Die damalige ukrainische Führung unter dem ostukrainischen Oligarchen Janukowitsch hat sich entschlossen, im Gegenzug für Krisenkredite und verbilligte Energieträger in der russischen Einflusssphäre aufzugehen und der vom Kreml forcierten Eurasischen Union beizutreten. Das Ziel des westlichen "Regime Change" war somit rein destruktiv: eine Einbindung der Ukraine in die Eurasische Union sollte verhindert werden.

Hierbei waren sich Washington und Berlin - die beide unterschiedliche ukrainische Oppositionskräfte unterstützten - zuerst durchaus einig. Für Merkel und Schäuble ging es vor allem darum, das Aufkommen eines lokalen Konkurrenten zum deutschen Austeritäts-Europa zu verhindern, der für die krisengeplagte europäische Peripherie - der Schäuble ein desaströses Sparregime oktroyierte - eine gangbare Bündnisalternative dargestellt hätte.

Eskaliert wurden die Auseinandersetzungen in Kiew aber maßgeblich von Washington, dass eine weitergehende Zielsetzung als Berlin verfolgte. Das US-Kalkül in der Ukraine zielte nicht nur darauf ab, die Eurasische Union Putins zu schädigen, überdies sollte durch die Eskalation in der Ukraine ein Keil zwischen Berlin und Moskau getrieben werden, um eine strategische Kooperation zwischen beiden Ländern zu verhindern.

Während die Spannungen zwischen Russland und der deutsch dominierten EU zunehmen, sollte Westeuropa mittels des Freihandelsabkommens TTIP in der geopolitischen Umlaufbahn Washingtons verankert werden. Auch dieses Kalkül Washingtons scheint - nach dem offensichtlichen Scheitern von TTIP - nicht aufgegangen zu sein. Sowohl in Europa wie auch in Fernost scheint die "ozeanische" Eindämmungsstrategie Washingtons gegenüber Eurasien zu scheitern. Ozeanien wird wohl eine Fiktion bleiben.

Krise und Krieg

Genau deswegen steigt die Kriegsgefahr. Die Vereinigten Staaten sind de facto dazu verdammt, ihre Stellung als Welthegemon mit allen Mitteln zu halten - oder in einer schweren Wirtschaftskrise zu versinken. Die USA sind bekanntlich über die Maßen verschuldet, wobei es eigentlich nur einen einzigen fundamentalen Unterschied zwischen den Vereinigten Staaten und Schuldenländern wie Griechenland oder der Ukraine gibt: den US-Dollar als Weltleitwährung, als Wertmaß aller Waren auf globaler Ebene, in dem sich die USA durch Gelddruckerei verschulden können.

Der Kampf Washingtons gegen Eurasien ist somit der Kampf um Stellung des US-Dollar als Weltleitwährung, der ja den ökonomischen Kern der amerikanischen Hegemonie bildet. Die Vereinigten Staaten müssen das Aufkommen eines konkurrierenden Wirtschaftsraumes verhindern, der das ökonomische Gewicht mit sich brächte, den US-Dollar als Weltleitwährung zu verdrängen. Der hoch überlegenen US-Militärmaschinerie würde in einem solchen Fall schlicht das Geld ausgehen. Eine eurasische Wirtschaftsunion wäre hierzu - zumindest hypothetisch - durchaus in der Lage.

Dennoch findet bei dem eurasischen Great Game keine bloße "Auswechslung" des Welthegemons statt, da die eurasischen "Herausforderer" der USA sich ebenso in einer tiefen Krise befinden wie die Vereinigten Staaten. Offensichtlich ist dies im Fall der exzessiv verschuldeten Volksrepublik China, deren Führung nur mittels massiver staatlicher Interventionen bisher den Kollaps der diversen Spekulationsblasen auf den Immobilen- und Aktienmärkten verhindern konnte.

Die Spekulationsexzesse auf dem chinesischen Immobiliensektor übersteigen inzwischen den amerikanischen Immobilienwahn, der 2008 platzte. Aller Akrobatik des staatlichen Krisenmanagements zum Trotz werden auch diese Blasen irgendwann die chinesische Realwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen. Auch das von Sanktionen und niedrigen Energieträgerpreisen geplagte Russland befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise.

Die hohen Schuldenberge der USA sind nur Teil einer globalen Verschuldungsorgie die auf die tiefe systemische Krise der Warenproduktion des gesamten kapitalistischen Weltsystems verweist (Die Krise kurz erklärt). Diese latente Krisis ist mit dem Platzen der transatlantischen Immobilienblasen in Amerika und Westeuropa ab 2008 in ein manifestes Stadium getreten.

Die beständig wachsenden Schuldenberge, die viel schneller anschwellen als die globale Wirtschaftsleistung, sind Folge einer grundlegenden Überproduktionskrise der realen Wirtschaft, die an ihrer Produktivität erstickt. Nur noch auf Kredit kann eine Nachfrage hergestellt werden, die zumindest eine Zeit lang noch die zombiehafte Illusion von gelingender Kapitalakkumulation aufrechterhalten kann.

Dieser scheiternde Strukturwandel kapitalistischer Warenproduktion, der ein neues, massenhaft Lohnarbeit verwertendes Akkumulationsregime fehlt, lässt die Krisenkonkurrenz eskalieren - auch und gerade zwischen den staatlichen Administrationen. Konfrontiert mit zunehmenden inneren Widersprüchen und Verwerfungen, gehen die spätkapitalistischen Staatsapparate dazu über, in der zunehmenden geopolitischen Konkurrenz die Krisenfolgen auf andere abzuwälzen.

Die inneren Widersprüche sollen durch äußere Expansion kompensiert werden. Die geopolitische Lage ist somit gefährlicher als auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, da die Crisis allen neoimperialen Akteuren im Nacken sitzt und sie in eine letztendlich irrationale imperialistische Aggression treibt.


* gekürzte Fassung eines Artikels bei Telepolis vom 17.10.2016

*

Die große Ratlosigkeit
Notizen zu Resignation und Erschöpfung, Transposition und Perspektive

von Franz Schandl

Gibt es überhaupt noch so etwas wie eine Zukunft? Die kapitale Propaganda will sie ja nur noch als Fortschreibung der Gegenwart gelten lassen, als Wert- und Wertegemeinschaft auf ewig. Eher geht die Welt unter, als dass der Kapitalismus zusammenbricht. Das wird uns auch täglich mitgeteilt. Wir leben in Zeiten der großen Blasen, nicht nur der Finanzmarkt hat diese zu bieten, die gesamte Kulturindustrie zehrt davon und blüht dafür. Die große Fiktion ist überall. Doch die Brüchigkeit ist ebenfalls sichtbar und spürbar, beobachtbar und vernehmbar. Da muss man gar nicht theoretisch ausstaffiert sein.

Resignation

Ein Problem ist, dass viele radikale Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft kapituliert haben. Noch dazu eher die klügeren als die naiveren. Man hat zwar nicht Frieden geschlossen, aber beschlossen, Frieden zu geben. Die Auseinandersetzung erscheint aussichtslos, die Struktur als übermächtig. Negatives Denken ist umgeschlagen in die Negation aller Möglichkeiten. Viele ziehen sich zurück und sehen nur noch zu, auch wenn sie keine Konvertiten geworden sind. Gepflegt wird die Ohnmacht. Die Depression ist allgemein und tatsächlich gibt es wenig Gründe, nicht depressiv zu sein. Verdrängung wird sodann zu einer nützlichen Größe.

Resignation ist das Gefühl der Zeit. Selbstverständlich ist sie sympathischer als die blanke Affirmation, diese falsche Tante der Unlust, die lieben lässt, was grauslicher nicht sein könnte. Aber praktisch führt Resignation zur bloßen Hinnahme. Man ist zwar nicht dafür, aber was soll man tun? So macht man halt mangels Alternativen mit und nichts dagegen. Oft ist der Zynismus der logische Partner einer solchen Haltung. Wie sollte eins auch sonst funktionieren bei derlei Widersprüchen? Ohne Ventile geht das nicht.

Und die, die nicht resigniert haben, also die breite Mehrheit der Landsleute, haben nicht einmal resigniert. In ihrer kruden Übereinstimmung mit dem äußeren Schein der Welt ist ihnen oft kaum bewusst, wie prekär ihre Lage ist. Und wenn doch, dann individualisieren sie diese Bedrohung als eigene Schuld oder projizieren sie nach außen, indem sie gierig nach Sündenböcken suchen. Stets werden sie fündig.

Unterwerfung sagt zumindest: Ich tue etwas, was ich nicht will! Die meisten müssen sich demnach gar nicht unterwerfen. Ihnen ist ihre mentale Konstitution nie aufgefallen, diese war lediglich Aufforderung, nicht Herausforderung. Mehr als gesunder Menschenverstand ist nicht, doch der ist eine Volkskrankheit.

Erschöpfung

Viele Projekte erschöpfen sich, manche schneller, andere langsamer. Insofern ist das hohe Alter der Streifzüge nicht zu unterschätzen. Aber auch bei uns stellt sich die Frage nach dem Aufwand. Er ist relativ hoch. Das Produkt mag das rechtfertigen, aber tut es die Rezeption? Da müssten wir lügen. Im Gegensatz zur ersteren, scheint letztere kaum im Wachstum begriffen zu sein. Was wir an einigen Orten gewinnen, das verlieren wir anderswo. Wir gleichen dem Hamster im Rad ...

Indes brauchen wir konzentrische Kreise von bestimmter Größe, um in zarten Ansätzen relevant zu sein, Kreise, die nicht nur konsumieren, sondern auch mit uns auf uns bauen. Vor allem also auch Menschen, die unsere Überlegungen verbreiten und ausschmücken, d.h. ihnen zusätzlich Leben verleihen. Dass der Setzung eine Fortsetzung folge. Letzteres ist immer ein wunder Punkt gewesen. Schwächen werden dann durch größere innere Anstrengungen behoben. Doch das kann es nicht sein, das trägt zwar, aber es führt auf Dauer nicht wirklich weiter. Wir schrumpfen zwar nicht, wir expandieren aber auch nicht. Reif sind wir, aber frisch sind wir nicht.

Außerakademische Kritik hat ihren Exponenten ja auch kaum existenzielle Surrogate anzubieten, sprich Entschädigungen, Versorgungen oder gar Arbeitsplätze mit Pensionsanspruch. Nicht einmal für bestellte Aufsätze vermögen wir ein kleines Honorar zu überweisen. Wir hängen sozusagen an unserem Publikum, das uns füttert wie erntet. Doch besteht dieses spezifische Publikum im wahrsten Sinne des Wortes aus Zuschauern und Zuzahlern. Insgesamt ist es eine atomisierte Menge, die sich kaum zur Selbsttätigkeit aufraffen kann. Wir wollen jedoch ein Projekt und nicht nur ein Produkt sein. Wir ersuchen, das ausdrücklich als Beschwerde zur Kenntnis zu nehmen.

Inferiore Fronten, falsche Fragen

Was wir heute erleben, ist dieses Manko an Perspektive. Nicht, dass es diese nicht gäbe, soll hier behauptet werden (vgl. auch mein "Die große Freisetzung" in dieser Ausgabe), wohl aber dass diese nicht greift. Notwendigkeit und Möglichkeit greifen nicht ineinander, sondern klaffen weit auseinander.

Der Liberalismus vereinigt blanke Affirmation und seichte Kritik zu einem omnipräsenten Ensemble. Die Anschlussfähigkeit lässt zwar nach, aber jener beherrscht nach wie vor weite Teile der Kulturindustrie, d.h. alte und neue Medien, Hochkultur, Popkultur, Werbung und vor allem die öffentlichen Sprachregelungen (Correctness). Der Populismus hingegen ist ein Querschläger, die grobe Rache der Immanenz. Im Rechtspopulismus kämpft das System gegen das System selbst. Von allem, was wir satt haben sollten, will er noch mehr.

Was sich zur Zeit an Alternative zum liberalen Marktwirtschaftsdemokratismus geriert, ist geradezu erschreckend. Als gäbe es nur mehr die Variante, dass das noch Üblere das Schlechte hinwegfegt. Was sich da aufschaukelt und zuspitzt, das ist (zumindest in den zentralen kapitalistischen Ländern) eine Konfrontation zwischen dem satten (Links)Liberalismus und dem hungrigen (Rechts)Populismus. In dieser schrägen Konfrontation droht alles andere unterzugehen, wird alles, was quer dazu liegt, von den jeweiligen Frontoffizieren akkurat der Gegenseite zugeschlagen, um es dann entsprechend zu diffamieren. Was nicht zugeordnet werden kann, wird trotzdem eingekastelt. So verschwindet Gesellschaftskritik von der Bildfläche, wird nur als zu diskreditierende Flanke des Irrsinns wahrgenommen.

Nicht Gegenstand ist hingegen, was diese vermeintlichen Gegner eint: Marktwirtschaft, Standort, Arbeit, Demokratie, Leistung, Wachstum, Konkurrenz, Flüchtlingsabwehr. Die Liste lässt sich ins Unendliche verlängern. Was abläuft, ist eine Farce. Dass etwa die Kern-Doskozil-SPÖ noch einmal als Attraktion erscheinen kann, ist ein Treppenwitz. Und doch erfasst deren Performance mehr Leute als man für möglich hielte. Ungeheuerlichkeiten gehen fast unkommentiert über die Bühne. Ungeheuerlichkeiten werden kleiner, wenn die Etikette eine andere ist. Und von den Etiketten versteht er was, der Christian Kern, anders als sein Vorgänger, der Werner Faymann, auch wenn die Differenz in der Eloquenz liegt. Der Ruf der Coolness reicht aus, um Friends and Followers auf Facebook oder sonstwo zu kreieren.

Dass CETA, Brexit oder die Kandidatur Van der Bellens keine entscheidenden Punkte sind, darf da gar nicht kommen. Im medialen Gewitter sind es meist völlig nachrangige Probleme, die unsere Gemüter besetzen und erhitzen. Insofern wird es auch immer wichtig bleiben, die herrschenden Fragen selbst in Frage zu stellen und eigene zu formulieren. Nicht nur die Antworten sind falsch, es sind bereits die Fragen.

Transposition

"Transposition meint, dass es aufgrund der sich aufschaukelnden Gefahrenlagen notwendig ist, einen Standpunkt jenseits der Konfliktebenen zu beziehen. Das ist nicht zu verwechseln mit Äquidistanz oder Ignoranz. Es schließt konkrete Solidarisierungen mit Opfern nicht aus. Solidarität gilt nicht Völkern, Kollektiven oder Staaten, sondern betroffenen Individuen, kurzum den leidtragenden Menschen in diesen Auseinandersetzungen. Transposition bezeichnet weder Partei noch Neutralität, sie versucht sich eben nicht im vorgegebenen Koordinatensystem zu verorten, sondern will darüber hinaus die Destruktivität der Konfrontationen selbst zum Gegenstand machen. Sie ist die ideelle Negation des Konflikts, die sich an der reellen Negation betreibt. Sie will ihre Fragen stellen und nicht die gestellten beantworten. Sie will nicht Flaggen hissen, sondern die Fahnen einrollen. Kurzum: Schwächt alle Fronten! Raus aus den Schützengräben!" Was sich damals (Streifzüge 37/2007) auf die internationalen Konflikte bezog, ist durchaus von allgemeiner Natur. Falsche Fronten sind allgegenwärtig, lähmen, verunsichern und schwächen jede emanzipatorische Regung, da sie permanent in die Irre führen und unzählige Kräfte absorbieren.

Inzwischen sieht es freilich so aus, als ob alle Wege in diese elenden Schützengräben führten. Als sei unsere Betrachtung nur ein frommer Wunsch Unentwegter, man könnte auch sagen Phantasten oder Hirnederln. Inwiefern unser Gedankengut überhaupt ankommt und aufgegriffen wird, ist schwer zu sagen. Zur Zeit sieht es aus, als sei unser Part eine Mini-Minderheitennummer. 95 Prozent der Leute sind gegen euch, höre ich da von irgendwoher. Wenn es nur so wäre! Das Problem ist nicht, dass es so ist, sondern dass es nicht einmal so ist. Fünf Prozent, das wäre nämlich sogar eine beträchtliche Menge an Zuspruch.

Immer weiter so?

Welch Glück, dass es die Betriebsamkeit gibt und die Kulturindustrie noch dazu, so fällt gar nicht mehr auf, was auffällig ist: In der bürgerlichen Gesellschaft herrscht eine große Ratlosigkeit, auch wenn es welche gibt, die diese halluzinativ überspringen. Damit sind nicht nur die Regimenter des Establishments gemeint. Insbesondere der Rechtspopulismus, der nicht einmal ahnt, wie wenig er weiß, wäre hier anzuführen. Es ist ja gerade seine Beschränktheit, die ihn stark werden lässt. Ressentiment und Vorurteil brauchen weder Wissen noch Erkenntnis. Was ihn aber gerade deswegen besonders gefährlich macht, droht doch das Berechenbare und Kalkulierbare von Herrschaft zu kippen. Rationaler Wahn steigert sich in irrationalen, siehe Strache, Orbán Erdogan, Putin, Duterte, jetzt auch noch Trump. Die Welt ist nicht nur voll von solchen Typen, sie haben zunehmend Zulauf. Kleine Monster gebären große.

Die Stimmung ist ungefähr so: Nichts geht mehr, weder das, was ist, noch das, was sein könnte. So wird weitergemacht. Wird schon. Irgendwie. Doch diese Realität sollte mehr Warnung sein als Sicherheit geben. Wenn wir nur zuschauen, wird uns das mehr zusetzen, als uns lieb sein kann. Zweifellos, wir sind recht hilflos, aber am Hilflosesten sind wir, wenn wir uns ergeben. Anpassung ist die gemeinste Form verpassten Lebens. Leben darf nicht heißen, "dass man nie tut, was man will und dass man nie gewollt hat, was man getan hat". (André Gorz, Über das Altern (1960); in: ders., Der Verräter (1958). Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer, Zürich 2008, S. 381)

"Sozialismus oder Barbarei?", so formulierte Rosa Luxemburg in ihrer Junius-Broschüre (1916) die zentrale Entscheidungsfrage. Die Barbarei ist nicht nur möglich, sie hat sich in nicht wenigen Zonen schon eingenistet, man denke nur an die molekularen Bürgerkriege mit Weltbeteiligung in Syrien oder auch Libyen. Es ist uns so selbstverständlich, dass wir gar nicht mehr begreifen, was es ist, obwohl es offensichtlich ist. Das Problem ist sogar weniger, dass wir es nicht zu benennen imstande sind, sondern, dass wir es nicht spüren, weil wir empathische Spatzen sind, denen außer ihrer unmittelbaren Umgebung wenig nahe geht. Uns den Strapazen eines kritischen Denkens und warmen Empfindens zu unterziehen, wo wir doch durch Alltag und Job überbelastet sind, scheint nicht möglich. Unser Sensorium ist gestört. Es ist jedenfalls auch eine große Krise des Fühlens, in der wir heute leben, und es ist zu fürchten, dass eine bombastische Fehlemotionalisierung uns sogar die Reste unserer Menschlichkeit austreibt.

So gesehen, ist das hier auch ein kontrafaktischer Aufruf, allen Widrigkeiten zum Trotz nicht aufzugeben - eine Attacke gegen den Fatalismus und die ihm zugrunde liegende Realität. So probieren und experimentieren wir weiter. Zwar nicht blindlinks, aber doch entschlossen, den widrigen Zeiten zu trotzen. Gibt es Besseres? Eigentlich nicht! Der Zersetzung des gesellschaftlichen Gefüges kann nur effizient mit der Abschaffung desselben begegnet werden, ansonsten ist der Zusammenbruch tatsächlich einer der übelsten Sorte und eben nicht das, was er sein soll: die produktive Zerstörung einer irren Form. Was die Zukunft bringt? Nun, das hängt auch davon ab, ob und wie wir uns einbringen können ohne eingemengt zu werden.

*

Eine andere Zukunft ist not-wendig

von Annette Schlemm

Wer glaubt noch daran, dass ein Temperaturanstieg auf der Erde um zwei Grad unterschritten werden kann? Dass dies höchst unwahrscheinlich ist, lässt darauf schließen, dass die nächsten Jahrzehnte nicht nur wärmer werden, sondern für viele Millionen Menschen die Lebensbedingungen unerträglich werden. Was bedeutet das für unsere Vorstellungen von einem guten Leben für alle, für unsere Utopien?

Gerade brachte der Solarenergie-Förderverein Deutschland eine neue Karikatur heraus (Mester 2016): Es hat bei der Familie geklingelt, bei der CO2-Qualm das Zimmer vollwabert; im Türrahmen steht Gevatter Tod, und die Frau sagt zu ihrem Mann: "Es ist der Klimawandel!" Er darauf: "Jetzt schon?" Wir schauen in diese Karikatur wie in einen Spiegel. Die Vermutung, die Hitzetage und die Statistik der höheren Temperaturen und auch der mangelnde Schnee im Winter seien tatsächlich ein Anzeichen für eine irreversible Klimaveränderung, können wir kaum aushalten. Wir trösten uns mit dem Gedanken, dass die Zukunft sowieso immer ungewiss ist. Es gibt zwar Prognosen, Trends und Szenarien, aber das früher einmal Vorhergesagte sieht in der Jetztzeit immer ziemlich antiquiert aus.

Es wird gerade diskutiert, ob das neue Zeitalter der explosiv wachsenden Ökonomie und anderer Parameter und der ebenso explosiv wachsenden Verelendung unzähliger Menschen und der Zerstörung der ökologisch-klimatischen Lebensgrundlagen "Anthropozän" (vgl. Schlemm: philosophenstuebchen.wordpress.com/2015/05/29/anthropozaen/) genannt wird. Der Anbruch des "Anthropozäns" ist keine gute Nachricht, sondern eher ein Schreckensruf. Die Erfolge der "Beherrschung" der Natur zeitigen unbeherrschbare Folgen, verheerend für Milliarden Menschen und natürlich auch viele Tier- und Pflanzenpopulationen. Es ist aber nicht einfach "die Menschheit", die den Planeten derart verwüstet. Es sind Menschen in kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnissen. Man sollte also besser nicht vom "anthropogenen Klimawandel" sprechen, sondern vom "kapitalogenen Anthropozän". Der Bericht "Grenzen des Wachstums" hat einst viele Menschen aufgerüttelt. Die Prognosen sind nicht ganz so eingetreten, wie damals berechnet, aber von der Tendenz her war es sicher richtig, darauf aufmerksam zu machen, dass unsere Wirtschaftstätigkeit die natürlichen Regenerationszyklen nachhaltig stört. Wenn wir weltweit im August (in Deutschland schon im April) alle Ressourcen verbraucht haben, die sich in einem Jahr natürlich regenerieren können, dann bewegen wir uns im wahrsten Sinne wie das Männeken im Trickfilm, das versucht, in der leeren Luft über einen Abgrund zu laufen, und erst nach ein paar Schritten merkt, dass ihn nichts mehr hält. Wie dünn die Luft ist, kann man heute in einer neuen wissenschaftlichen Studie mit der Bezeichnung Konzept "Planetare Grenzen" (vgl. Schlemm:
philosophenstuebchen.wordpress.com/2015/05/31/planetare-grenzen/) erfahren. Dieses Konzept fixiert sich nicht nur auf den durchaus breit diskutierten Klimawandel, sondern macht auf andere kritische Bedingungen unserer Existenz aufmerksam wie den Biodiversitätsverlust, stockende bzw. ausufernde biogeochemische Kreisläufe (vor allem Stickstoff und Phosphor betreffend), die Übersäuerung der Ozeane und andere. Für all diese Prozesse ist zu erwarten, dass noch in den nächsten Jahrzehnten ein qualitativer Einbruch geschieht, ganz nach dem Motto "Kleine quantitative Veränderungen führen bei Überschreiten eines Schwellwerts zum Umkippen des Selbstregulationssystems". Die Studie umreißt "nur" die naturwissenschaftlich voraussagbaren Folgen des Voranschreitens der derzeitig herrschenden Trends. Wer die Beziehungen zwischen Menschen und Natur als "gesellschaftliche Naturverhältnisse" begreift, merkt, dass damit nur eine Seite des Ganzen angesprochen wird. Aber solange wir Menschen nicht nur Gesellschafts-, sondern auch biologische Wesen sind, sind wir auf die Funktion wichtiger Regulierungskreisläufe auf unserem Planeten angewiesen, deren Funktionsweise naturwissenschaftlich analysiert werden kann. Gerade um gesellschaftlich bewusst handeln zu können, brauchen wir das Wissen um die bio-geo-chemo-klima-bezogenen Prozesse.

Letztlich wird die Natur gerade im "Anthropozän" wirklich zur "gesellschaftlichen Natur", sie kann nur noch als "natürliche[s] Substrat und Milieu gesellschaftlicher Praxen" (Karl Hermann Tjaden 2009): "Gesellschaft" und "Naturverhältnisse" - Ansätze zu einer Konkretisierung der Begriffe, in Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 79, gefasst werden, nicht mehr als außerhalb des menschlichen Tuns stehend. Die Natur auf dem Planeten Erde ist nicht Natur "an sich", also so, wie sie wäre, wenn die Menschen nicht mit ihr und von ihr lebten. Insofern haben diskurstheoretische Ansätze Recht: Über "Natur ohne Menschen" zu sprechen, wäre unangemessen. Gleichzeitig können wir Menschen uns nichts Beliebiges über sie gedanklich konstruieren, denn wir hängen ganz praktisch an ihr fest. Die Gesellschaft kann ebenfalls nicht mehr getrennt von diesen natürlichen Grundlagen gesehen werden. Die Fortschrittshoffnung der letzten Jahrhunderte in Europa setzte ja darauf, dass die Menschheit sich im Verlauf ihrer Geschichte immer unabhängiger von den Naturbedingungen machen könnte. Natürlich ist die Beseitigung und Eindämmung von gefährlichen Einwirkungen der natürlichen Bedingungen ein Fortschritt. Aber der Umgang mit ihnen bedeutet gerade nicht Unabhängigkeit, sondern aktives und bewusstes Handeln. Die Natur ist nicht mehr nur "Umwelt" gegenüber der gesellschaftlichen Entwicklung. Die große Herausforderung ist nicht mehr "nur" die Beseitigung der Klassengesellschaften, sondern die Schaffung eines neuen gesellschaftlichen Naturverhältnisses. Je länger wir hoffen: Es wird schon nicht so schlimm werden - desto schlimmer wird es werden.

Nur noch unverbesserliche Optimisten glauben an den Erfolg der kapitalismuskonformen Klimaschutzbemühungen. Die anderen kritischen Faktoren der "Planetaren Grenzen" werden sowieso nur beiläufig zur Kenntnis genommen. In der Zwischenzeit spüren mehr und mehr Menschen die Folgen von langandauernden Trockenheiten, Überschwemmungen und Hurrikans. Die sich katastrophal verschlechternden natürlichen Lebensbedingungen verschärfen Konflikte, lösen Kriege aus und führen damit auch massenhaft zu Migration und Flucht. Zu den Ungerechtigkeiten aufgrund von Klasse, Geschlecht und anderen zugeschriebenen oder echten menschlichen Unterschieden gesellt sich eine neue. Die Folgen der "Planetaren Grenzen" müssen größtenteils von anderen Menschen getragen werden als von jenen, die davon nach wie vor profitieren. Uns selbst begegnen diese Folgen zuerst in Gestalt der zu uns flüchtenden Menschen. Dies verschleiert den Zusammenhang der Verursachung dieser katastrophalen Lebensumstände noch zusätzlich. Europa wird zu der Festung, die schon lange gefürchtet wurde und nun von vielen sogar erhofft wird. Wie auch immer, "die mit der Erderwärmung einhergehenden Raum- und Ressourcenkonflikte werden in den nächsten Jahrzehnten fundamentale Auswirkungen auf die Gestalt der westlichen Gesellschaften haben". (Harald Welzer (2010): Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird, FaM., S. 22).

Diese Gestalt wird entweder von Verwüstung und Barbarei, mit der Auflösung der zivilisatorischen Errungenschaften und unsäglichen Kämpfen gegeneinander verbunden sein, oder die Not wird gewendet durch neue gesellschaftliche Verhältnisse ohne Ausgrenzungen, ohne dass sich Teile auf Kosten anderer Teile (z.B. auch natürlicher) des Ganzen zu erhalten oder auszuweiten versuchen. Man könnte auch sagen, nicht am Klassenkampf geht der Kapitalismus unter, sondern an den natürlichen Grenzen. Aber diese natürlichen Grenzen sind nicht unabhängig von der Gesellschaft. Dass wir den Umgang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen noch nicht so regeln können, dass ihre Reproduktionszyklen aufrechterhalten und gestärkt werden, liegt an unserem unzulänglichen gesellschaftlichen Entwicklungsstand. Deshalb ist es auch gar nicht so sinnvoll, über uns scheinbar äußerliche "planetare Grenzen" zu sprechen, sondern wir sollten über einen "sicheren Entwicklungsbereich" für ein gutes Leben für alle reden.

Konkrete Utopien

Gesellschaftliche Verhältnisse, in denen wir als Menschen gesellschaftlich so agieren, dass wir wachsende Bedürfnisse bei Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung unserer Naturverhältnisse ermöglichen, sind deshalb keine Utopie, sondern werden zur Not-Wendigkeit des 21. Jahrhunderts. "Nur noch Utopien sind realistisch" (Negt 2012). Gemeint sind konkrete Utopien im Sinne Ernst Blochs. Solche Utopien unterstellen der Wirklichkeit eine Tendenz zum "verhindert Fälligen", und sie bauen auf die Latenz als das "Korrelat der noch nicht verwirklichten objektiv-realen Möglichkeiten in der Welt" (Das Prinzip Hoffnung (1985), Werkausgabe Bundesrepublik Deutschland. 5, FaM., S. 727). Dieses "Noch-Nicht" war bei Bloch vorwiegend hoffnungsvoll konnotiert, obwohl er auch mit der Enttäuschbarkeit der Hoffnung rechnete. Zu den "noch nicht verwirklichten objektiv-realen Möglichkeiten in der Welt" gehört auch die Möglichkeit des Untergangs der Zivilisation oder einer langandauernden verlustreichen Barbarei.

Dass etwas möglich ist, das Wünschbare wie das Gefürchtete, bedeutet überhaupt nicht, dass es die Entwicklung wie eine Art Entelechie bestimmen kann. Möglich ist das Ende der menschlichen Vorgeschichte im marxschen Sinne der Aufhebung der Entfremdung wie auch die schlimmsten Zukunftsvarianten. Jede Utopie muss sich dem Crashtest stellen, sie muss die Möglichkeit des Untergangs und der Barbarei in Rechnung stellen und sich ihrer erwehren. Viele Utopien sind ja "Schönwetter-Utopien". Sie gehen von bestimmten Problemen aus, die durch die Utopie gelöst werden sollen, und ignorieren andere. Utopien im 21. Jahrhundert müssen die sich destabilisierenden ökologischen Bedingungen in Rechnung stellen. Das bedeutet zum Beispiel, dass nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass immer mehr Einsatz von Energie immer mehr menschliche Arbeitskraft ersetzt. Auch der Einsatz von erneuerbaren Energien würde bei ihrem weiteren Wachstum die Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre für Abwärme übersteigen. Man kann also den Trend der Arbeitsproduktivitätssteigerung durch gesteigerten Energieeinsatz nicht weiter verlängern. Der Ausgleich zerstörter ökologischer Netzwerke und der Neuaufbau unserer Zivilisation unter den neuen Bedingungen (z.B. nach der Überschwemmung der meisten Küstenregionen und der Ausweitung von Wüsten bis weit in die heutigen Hauptanbaugebiete hinein) werden ebenfalls viel Arbeit erfordern. Die Voraussetzung, dass Menschen in einer neuen Gesellschaft wenig notwendige Arbeit, dafür viel freie Zeit hätten, muss also wohl fallen gelassen werden. Die Utopie muss also ohne solche "Schönwetter"-Bedingungen auch funktionieren, und sie muss den Crashtest auch möglichst besser bestehen als die anderen nicht wünschenswerten Alternativen.

Bei der Beschäftigung mit diesem Thema habe ich nach Erfahrungen mit dem Umgang mit solchen kritischen Umweltbedingungen gesucht. Falls die Unterlagen verlässlich sind, so lässt sich z.B. aus einem Vergleich der Inselgruppen Polynesien und Melanesien folgern, dass gerade dort, wo die Lebensbedingungen eher schwer sind, egalitäre und offene gesellschaftliche Strukturen sich bewährt haben, während hierarchisch-geschlossene Strukturen dort entstanden, wo die Probleme geringer waren (Hans Dieter Seibel 1978). Die Enstehung von macht und Reichtum, in: Argument, Sonderband 32, S. 101 ff.). Auch die Commonsstudien (Elinor Ostrom (1999): Die Verfassung der Allmende: jenseits von Staat und Markt, Tübingen) zeigen, wie durch kollektive, den territorialen Bedingungen angepasste und flexible Regelungen empfindliche ökologische Ressourcen in angemessener Weise bewirtschaftet werden können. Von den westafrikanischen Krahn wird berichtet, dass diese Gesellschaft in "ständiger Bedrohtheit" lebt und ihr Überleben vor allem durch die bestmögliche Mobilisierung der individuellen Handlungsfähigkeit gesichert wird (Seibel ebd.).

Utopien, die auf die Selbstentfaltung gesellschaftlicher Individuen setzen, sind also durchaus geeignet, den Crashtest zu bestehen. Die Wahrscheinlichkeit dieser Entwicklungsmöglichkeit gegenüber den Trends der Ab- und Ausgrenzung und der unmäßigen weiteren Ausbeutung von Mensch und Natur ist in den letzten Jahrzehnten leider eher nicht gestiegen. Vielleicht verläuft die Entwicklung auch wie eine Berg-und-Tal-Bahn. Die menschliche Zivilisation auf kapitalistischer Basis befindet sich auf der Bergspitze eines bestimmten Zivilisationstyps mit hoher gesellschaftlicher Produktivkraft, jedoch auf ausbeuterischen Grundlagen. Von da aus gibt es vielleicht keine direkte Stufe hin zu Fortschritt und allgemeinem Glück. Der Aufstieg zum nächsten Berg erfordert erst einmal ein Zurück ins Tal, gefolgt von einem neuen Aufbruch mit anderen Mitteln. Wir können nicht "durch die Luft" zum nächsten Gipfel. Aber wir können ihn immer im Blick behalten und auf dem Weg bleiben ...


"Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens."

(Antonio Gramsci)

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No Nature, No Future?

von Nikolaus Dimmel



"Die Zukunft war früher auch besser"
(Karl Valentin)


Die Welt, so weit die materiellen Ressourcen der Erde damit gemeint sind, ist endlich. Nicht so der dem Kapitalismus inhärente Zwang, Wirtschaftswachstum qua Kredit zu generieren um Kapital zu akkumulieren. Bereits Rosa Luxemburg annotierte im 6. Kapitel zur "Die Akkumulation des Kapitals", dass neben der Intensivierung der Vernutzung menschlicher Arbeitskraft und der Steigerung der Arbeitsproduktivität die gesteigerte Ausbeutung der Naturkräfte und natürlichen Ressourcen Ausdruck der erweiterten Reproduktion des Kapitals ist. Die fortgesetzte Akkumulation verwandelt die Welt in Ware und Markt. Beschleunigt durch die institutionalisierten Renditeerwartungen des deregulierten Kapitals werden erneuerbare Ressourcen des Planeten schneller vernutzt als sie reproduziert werden können. Zugleich werden nicht erneuerbare Ressourcen irreversibel und derart ungleich verteilt aufgebraucht, dass die Reproduzierbarkeit von Populationen, die Bewohnbarkeit von Landstrichen und die Nutzbarkeit der Erde in einem Vorgriff in die Zukunft bereits Vergangenheit sind. Wie der Kredit ein Vorgriff auf eine spekulativ erhoffte ökonomische Zukunft ist, so hat der finanzmarktgetriebene Kapitalismus die Zukunft bereits verausgabt.

Belastungsgrenzen

Tatsächlich ist der Metabolismus der kapitalistischen Verwertungsmaschine inzwischen an biologische, geologische und thermodynamische Belastungsgrenzen der Erde gestoßen, welche sowohl die Fortsetzung der Kapitalakkumulation als auch die Güter- und Dienstleistungsproduktion mit neuartigen Herausforderungen und Hürden konfrontiert. Der ökologische Rucksack des Konsums jener Warenwelt, die aus unwiederbringlich vernutzten Rohstoffen entsteht, wiegt schwer. So ist ein Mobiltelefon, welches einige hundert Gramm wiegt, im Rucksack 28 kg schwer. Ein Laptop weist ein Gewicht von ca. 2 kg aus, sein ökologischer Rucksack aber wiegt 745 kg. Extrapoliert man die durchschnittliche Wachstumsrate der letzten 35 Jahre, dann verbraucht der globale Kapitalismus 2030 Ressourcen, die nachhaltig bereitzustellen zwei Planeten erforderlich wären. Wollen Plutokraten, funktionelle Kapitalisten und deren Symbolagenten weiter Status durch Konsum demonstrieren und die funktionale Loyalität der Subalternen sicherstellen, führt dieser "ökologische Overshoot" zu Ressourcenkonflikten, Armut und Verelendung, Kriegen um Wasser und bebaubaren Boden, Hungersnöten und Massenflucht (Migration).

Die Komplexität der Rückkopplungen zwischen Naturverbrauch und Reibungsverlusten in der kapitalistischen Megamaschine nimmt zu: in Florida gelten Immobilien in Strandnähe nicht mehr versicherbar und werden damit im Wiederverkauf massiv entwertet; aufgrund von steigenden Temperaturen und Wasserknappheit werden in Kalifornien Millionen von Nussbäumen kompostiert und die illegalisierten mexikanischen ErntearbeiterInnen arbeitslos; die Erschöpfung der Sandvorräte bedingt durch den Bauboom vor allem in China und den Erdöl exportierenden Staaten führt zur Entstehung einer Sandmafia, zur weltweiten Zerstörung von Sandstränden, zunehmender Krisenbetroffenheit der Tourismusindustrie sowie zu einer gerade in den informellen Ökonomien nicht mehr leistbaren Verteuerung des Bauens; die Austrockung des Ogallala-Aquifier in Nebraska beendet die intensive Landwirtschaft in den Great Plains und die Wiederkehr des texanischen "Dust Bowl"; der Kakao-Anbau in Westafrika steht dürre- und temperaturbedingt vor dem Aus, wodurch es zu unsteuerbaren Migrationsprozessen kommt; die Überfischung in den 12-Meilen-Zonen führt zur Dislozierung schwimmender Fischfabriken vor allem in den Küstenregionen "unter"-entwickelter Länder, was zur Vertreibung der örtlichen Subsistenzfischer führt. Damit entstehen Kosten, die sich im Verteilungskonflikt auch auf die Mehrwertabschöpfung niederschlagen. Alleine in Österreich werden die Kosten des Klimawandels bis 2030 auf max. 4,2 Mrd. Euro pro Jahr und bis 2050 auf max. 8,8 Mrd. Euro ansteigen. (Die Presse, 17.01.2015)

Naturverbrauch

Naturverbrauch wird zugleich zu Ware bzw. zu einem Spekulationsobjekt. Denn der kapitalistische Markt kann sich die Vernichtung natürlicher Ressourcen und Habitate nur als Produkt (Luftverschmutzungszertifikate) und Preis vorstellen. Zumal bei fast allem, was die kapitalistische Verwertungsmaschine an "natürlichen" Produktionsfaktoren benötigt (Tiere, Rohstoffe, Wasser, Wasser, Luft, Boden) zwischenzeitig ein Peak erreicht ist; etwa bei Öl oder Mangan. 2012 waren knapp 66 Prozent der Meeresfisch-Bestände überfischt, vom Thunfischbestand des Jahres 1950 sind noch 10 Prozent vorhanden. Der "Living Planet Index" 2008 hielt fest, dass die Artenvielfalt auf der Erde zwischen 1970 und 2005 um 27 Prozent gesunken ist; 34.000 Arten sind gegenwärtig vom Aussterben bedroht. Weil auf Knappheit, Versorgungsengpässe, Katastrophen und Hunger an den Börsen spekuliert wird, liegt die Zahl der Hungernden ungeachtet aller agro-industriellen Kapazitäten noch immer bei bei 0,8 Mrd. Dies drückt sich seit 2008, vorangetrieben durch die Spekulation mit Wasser und Nahrungsmitteln (Ernten) etwa in Hungerrevolten, aber auch steigendem sozialen Druck in der "Abstiegsgesellschaft" aus.

Der ungesteuerte Ressourcenverbrauch spiegelt sich zum zweiten in der Erreichung ökologischer Belastungsgrenzen und Kipppunkte, etwa der 2-Grad-Grenze des "global warming" (6 Grad sind heute realistisch), dem Klimawandel (Zusammenbrechen des Monsuns, Hitzewellen, lokalisierter Starkregen), dem Anstieg der Meerespiegel (1901 bis 2010 um 21 cm; bis 2100 um voraussichtlich 150 bis 200 cm; innerhalb von 300 Jahren bis zu 500 cm) und der absehbaren Unbewohnbarkeit urbaner Hafen-Metropolen, der Versteppung und Verwüstung bislang agrarisch nutzbarer Flächen, der Erwärmung des Meeres oder der Erschöpfung der Kohlenstoff-Senke im Meer. Heute verwertet das Kapital auf der Suche nach Rendite die regenerierbaren Ressourcen von 1,5 Planeten. Anders: die Biosphäre benötigt 18 Monate, um den Verbrauch der Menschheit von 12 Monaten zu decken. Das betrifft etwa die Selbstreinigungskapazität des Wassers oder die Bodenregeneration. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts wurden 60 Prozent der weltweiten Ökosysteme übernutzt bzw. irreparabel geschädigt. Dies drückt sich in der Abholzung der Wälder, dem Rückgang der Fischbestände, zunehmender Trinkwasserknappheit, der Zunahme von Kohlendioxid in der Atmosphäre, der Verschmutzung von Böden und dem Verlust an Biodiversität aus. Die 8,5 Mio. Tonnen Plastik, die jährlich im Meer entsorgt werden, gelangen über das Plankton in die Nahrungskette und haben dort destruktive biologische wie chemische Konsequenzen. 12,6 Mio. Menschen starben 2015 unmittelbar an den Folgen von Gift im Wasser, Chemieabfällen, Strahlung oder Luftverschmutzung.

Und es spiegelt sich zum dritten am Schrumpfen bewohnbarer Habitate. Bedingt durch die Bodenerosion sinkt die Produktivität des Bodens, verringern sich die Ernteerträge, weshalb ein Teil der Landbevölkerung aus den degradierten Gebieten in die urbanen Agglomerationen wandert und dort in der Slumbevökerung (1,3 Mrd. leben in Slums) aufgeht. Andere flüchten als Umwelt- oder Klimaflüchtlinge. Konsequent werden die Konflikte um kultivierbaren Boden und Wasser bewaffnet ausgetragen. Etwa 150 Mio. Menschen sind deshalb unterwegs. Auch in Syrien herrschte von 2009 bis 2015 eine extreme Dürre, sodass die syrische Flüchtlingsbewegung 2015 als erste Klimamassenflucht verstanden werden muss. Aus gleichartigen Gründen müssen 600 Mio. Menschen perspektivistisch den Sahel verlassen, migrieren vormalige NomadInnen in der Mongolei auf der Flucht vor den "schwarzen Wintern" in die Hauptstadt Ulaan Baatar.

In der Anthropozän-Debatte wird dieses Belastungs-Szenario verdichtet. Die aktuellen 420 ppm/m3 fanden sich das letzte Mal vor 24 Mio. Jahren in der Atmosphäre. Temperaturen erreichten korrespondierend 90°C. Vorangetrieben von Treibhausgasen, landschaftlichen Veränderungen durch die Verarbeitung natürlicher Ressourcen in Ware und Profit, die explosionsartige Erhöhung der Sedimentproduktion, die Übersäuerung der Ozeane und die Vernichtung von Arten weit über dem natürlichen Niveau der Extinktion, die Artenwanderung, die Verdrängung natürlicher Vegetation durch agroindustrielle Monokulturen reduzieren sich Reproduktions- und Entwicklungschancen menschlicher Gesellschaften auf sozial selektive Weise. Ökologischer Overshoot ist nicht dispers verteilt: er trifft vor allem Arme, Prekarier, Abstiegsgefährdete und Mittelschichten in Angst.

Globale Kapitalverwertung

Im historischen Rückblick zog die Erschließung und Verwertung von vorgefundener Natur in marktkompatible Ressourcen und Umwelten, als (Neo)Kolonialismus und (Neo)Imperialismus apostrophiert, von der ursprünglichen Akkumulation ausgehend einen Furor erweiterter Markteroberung und intensivierter Kommerzialisierung nach sich. Zum einen wurden selbst die letzten Winkel der Erde in den globalen Kapitalverwertungskreislauf integriert, zum anderen wurde buchstäblich alles kommodifiziert, in Ware verwandelt, aber auch zum Gegenstand der Spekulation. Waren dies in frühkapitalistischen Gesellschaften Rohstoffe, Boden und Arbeitskraft, so gilt dies heute auch für Gene, Körper, Gedanken und Gefühle, also die "Natur des Menschen".

Im Weltsystem entwickelte sich zugleich eine komplizierte Architektur ungleicher Räume mit verlängerten Werkbänken und Zentrum-Peripherie-Konstellationen. Dies schließt transnationale Leihmutterschaften ebenso ein wie das Land-Grabbing oder den Handel mit Hypophysen. In diesem Prozess der formellen und reellen Subsumtion der Natur unter das Kapital wurden die Grenzen zwischen Natur(raum) und Kultur(raum) bis zur Unkenntlichkeit aufgelöst. So tritt die Natur dem auf den/die LohnarbeiterIn/KonsumentIn reduzierten Menschen (Subalternen) als durchindustrialisierte Um- und Lebenswelt gegenüber.

Deshalb sind das wirtschaftspolitische Narrativ und der Fortschrittsglaube der Subalternen, dass es mit ihrem Konsum, der ja ihr Lebensinhalt ist, so weitergehen kann wie in den fordistischen Jahrzehnten, erschüttert. Folgerichtig wird das sukzessive Schwinden bewohnbarer Natur und die unausweichlich gewordene Klimakatastrophe in eine ästhetisierte Ware verwandelt. Tatsächlich wird im medialen Katastrophismus eine Umweltkatastrophe nach der anderen regelrecht zelebriert: Stürme, Erdbeben, Hochwasser, Dürren, Tsunamis oder Brände reihen sich aneinander. Freilich, ein restaurativer bzw. konservierender Naturbegriff, in dem Ökonomie bzw. Gesellschaft und Natur einander entgegengesetzt werden, verkennt, dass das, was dem Menschen als Natur entgegentritt, ab einer gewissen Verdichtung sozialer und ökonomischer Interaktionen immer gesellschaftlich erzeugt worden ist. Ein "Verlust" von natur bezieht sich also auch immer auf den Verlust vordem gesellschaftlich erzeugter oder "gerahmter" Natur. Allerdings ist auch eine gänzlich artifiziell gewordene, wortwörtlich bewirtschaftete, durch Geo-Engeneerung, Ressourcen-Nutzung und Infrastrukturerschließung bearbeitete Natur nicht endlos nutz-, form- und konsumierbar. Phantasien wie jene des Blockbusters "Elysium", in dem die herrschende Klasse in den Weltraum emigriert, um die Subalternen auf einer ökologisch verwüsteten Erde in Lohnknechtschaft zu halten, verkennen, dass die menschliche Biologie ein Leben im Weltraum allein schon aufgrund von Strahlung und Schwerelosigkeit nur befristet und bedingt durchhält. Wenn schon, müsste sich die herrschende Klasse in einer Mensch-Maschine-Kopplung unsterblich machen, sodass sich die Plutokratie mithilfe von Quanten-Computer-Netzwerken in hybride, tausch- und optimierbare Körper hochladen kann. Das aber ist Science Fiction. Noch sterben selbst Hegdefonds-Manager an Magenkrebs.

Auch für die herrschende Klasse bleibt der "Weltinnenraum des Kapitals" (Sloterdijk) also "one world". Unerbittlich stößt die auf Permanenz gestellte ursprüngliche Akkumulation, die jeden Quadratkilometer der Erde vermessen und bereits pro futuro als Ertragsobjekt be- und verwertet hat, auf harte, nicht mehr erweiterbare Grenzen. Zugleich erweist sich die Welt, wie der Klimawandel, die Versauerung, Degeneration, Versalzung, Versteppung und Verwüstung bislang bebaubarer Böden, die mit dem Faktor 1.200 über der natürlichen Extinktions-Rate liegende Vernichtung von Arten, die Erschöpfung natürlicher Grundwasser-Reservoirs u.a.m. zeigen, nicht nur als endlich, sondern als Risiko auch für die herrschenden Klassen selbst. Die sozial-ökologischen und gesundheitlichen Folgen des Betriebs von "Dump-Sites" (Entsorgung radioaktiver Abfälle im Meer; Atemluft-, Boden- und Grundwasservernichtung durch Goldabbau oder Fracking; die Zerstörung der Meeresbiologie durch Erdölförderung, die Einbringung von Plastik und chemischen Abfällen) lassen sich nicht mehr externalisieren. Sie kehren aus der Peripherie des globalen Südens u.a. über landwirtschaftliche (Vor)Produkte in den Nahrungskreislauf und die Lebenswelt der "Ersten Welt" zurück.

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Immaterial World

Vermittlung

von Stefan Meretz

Vermittlung verbindet Unterschiedenes. Die Pole des Unterschiedenen sind Pole des Gleichen. Sonst wären sie Getrennte. Unterscheiden heißt somit, den Zusammenhang des Unterschiedenen als Vermittlung zu begreifen, Trennen heißt ihn aufzulösen. Manchmal ist die Trennung jedoch nur Schein dessen, was eigentlich nur unterschieden ist, also zusammengehört oder identisch ist. Das will ich am Beispiel von Individuum und Gesellschaft zeigen.

Die Gesellschaft erscheint als etwas von uns Getrenntes, obwohl wir sie machen. Sie ist uns fremd, obwohl wir es sind, die sie ist. Doch als Gesellschaft sind wir uns fremd. Woran liegt das? Liegt es daran, dass die Gesellschaft einen uns gegenüber verselbstständigten Systemcharakter hat? Oder liegt es an der Vermittlung über den Wert "hinter unserem Rücken"? Anders und nach vorne gefragt: Muss uns jede Gesellschaft fremd sein oder können gesellschaftliche Verhältnisse nach dem Kapitalismus auch gefühlt unsere werden?

Im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft sind zwei Ebenen der Vermittlung zu unterscheiden. Zunächst gibt es die Selbstvermittlung als innere Vermittlung der Gesellschaft mit sich selbst. Herstellung und Nutzung sind die beiden Pole der Selbstvermittlung. Alles, was genutzt werden will, muss hergestellt und gepflegt werden. Zwischen den Polen muss Übereinstimmung bestehen, damit das gesellschaftliche Ganze stabil sein und bleiben kann.

Die gesellschaftlichen Infrastrukturen - stoffliche wie symbolische - sind dazu da, alles, was getan werden muss, um den gesellschaftlichen Zusammenhang zu erhalten, tun zu können. Die Gesellschaft, so wie sie ist, repräsentiert die Handlungsnotwendigkeiten. Diese Notwendigkeiten müssen von jemandem erbracht werden, nicht aber von bestimmten Individuen. Für das Individuum sind die gesellschaftlichen Notwendigkeiten nur Handlungsmöglichkeiten. Das ist in allen Gesellschaften der Fall. Gleichwohl gibt es in Bezug auf die Größe der Möglichkeitsräume große historische und positionale Unterschiede: Wer oben sitzt, hat mehr zu sagen und wer Geld hat, kann über andere verfügen.

Die zweite Ebene ist die der Individualvermittlung, der Vermittlung der Individuen mit der Gesellschaft. Einzelne Menschen haben immer nur mit Ausschnitten der Gesellschaft zu tun. Da aber diese Ausschnitte über die gesellschaftliche Selbstvermittlung mit faktisch allen anderen Aspekten der Gesellschaft verbunden sind, wirkt die Gesellschaft immer auch als Ganzes in die individuelle Lebensführung hinein. Unsere individuellen Gedanken, Gefühle und Handlungen sind immer gleichzeitig nahegelegte Aspekte dessen, wie gesellschaftlich gedacht, gefühlt und gehandelt wird.

Jede Gesellschaft kennt das Doppel von Notwendigkeiten gesellschaftlicher Selbstvermittlung und Möglichkeiten gesellschaftlicher Individualvermittlung. Doch wird mit der Behauptung, jede Gesellschaft habe eine Selbstvermittlung, nicht in Wahrheit die entfremdet-kapitalistische Vergesellschaftung "hinter unserem Rücken" unzulässig verallgemeinert? Und wird mit der Behauptung von Möglichkeiten bei der Individualvermittlung nicht der Zwang der Verwertungslogik verschleiert? Die Antwort ist beide Male "nein".

Gäbe es keine genuine Selbstvermittlung, so würde die Gesellschaft theoretisch auf das Niveau einer bloßen Gemeinschaft heruntergebracht. Vermittlung in Gemeinschaften geschieht durch unmittelbar-personale Interaktionen, was ihre Größe begrenzt. Gemeinschaften stehen und fallen mit der personalen Beteiligung. Anders Gesellschaften: Ihre Vermittlung basiert auf transpersonal-mittelbaren Kooperationen. Aufgrund ihrer Größe und inneren Strukturierung sind sie in der Regel skalenfrei: Auch Ausschnitte besitzen die gleiche Funktionsfähigkeit wie das Gesamt. Zwar gibt es untere Grenzen, doch spielen sie heute praktisch keine Rolle mehr.

Selbstvermittlung als Eigenschaft von Gesellschaften sagt noch nichts darüber aus, wie diese Selbstvermittlung hergestellt wird und welche soziale Form sie annimmt. Im Kapitalismus kommt es zu einer fetischistischen Verkehrung von Sozialem und Sachlichem, von Bedürfnis und Wert. Die soziale Form der Selbstvermittlung ist Resultat eines sachlichen Prozesses - der Vermittlung über den Wert. Ursache ist die isolierte Privatproduktion, die einen nachgeordneten Tauschprozess erfordert, der nur den Wert der Produkte beachtet. Nur wenn die Vermittlung über den Wert gelingt, kann die Ware ein Bedürfnis befriedigen. Aufgrund der Konkurrenz hat die Wertvermittlung autoreflexiven und expansiven Charakter, deren permanente Wiederholung Zwang ist. Das Kapital wird zum eigentlichen "automatischen Subjekt" (Marx), dem sich der soziale Prozess anpassen muss.

Damit sind wir bei der Frage nach dem individuellen Verwertungszwang. Die fetischistische Verkehrung von Bedürfnis und Wert entzieht uns zwar die Verfügung über den gesellschaftlichen Prozess, was jedoch nicht bedeutet, dass die Notwendigkeiten der Kapitalverwertung individuell zu Handlungsdeterminanten werden. Gleichwohl ist die Existenzsicherung nur durch Beteiligung an der Verwertungslogik möglich. Also wird die Freiheit zwar eingeschränkt, einen unhintergehbaren Zwang gibt es jedoch nicht. Es gibt immer Handlungsmöglichkeiten.

Eine individuelle freie Entfaltung gibt es allerdings nur dann, wenn wir über die gesellschaftliche Selbstvermittlung bewusst und frei verfügen. Aber wie über einen automatischen Prozess frei verfügen? Kurz gefasst: Indem die fetischistische Verkehrung von Bedürfnis und Wert beendet wird. Dann ist der Treiber im Prozess der Selbstvermittlung nicht mehr der Wert, sondern es sind die Bedürfnisse. Dann besteht der gesellschaftliche Vermittlungsprozess "nur" mehr darin, die unterschiedlichen produktiven wie sinnlich- vitalen Bedürfnisse so zu realisieren, dass sich niemand mehr auf Kosten von anderen durchsetzen kann. Dann wird der automatische gesellschaftliche Prozess zur Bedingung meiner Freiheit, denn dann kann ich darauf vertrauen, dass andere die Bedingungen für meine Bedürfnisbefriedigung mit schaffen.

Und dann endlich kann ich Gesellschaft als das erleben, das sie ist: als mit mir Identisches - unterschieden, aber nicht getrennt.

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When there's no futore how can there be Sinn?

von Ricky Trang

Die Sonne wird in ihrer neuen Funktion als Roter Riese die Geschichte der Erde, dann ohnehin nur noch ein heißer toter Planet, auf dem die Zellmembran des letzten Bakteriums längst zerplatzt ist, in sieben Milliarden Jahren (ein paar Jahre auf oder ab) beenden. So viel zur Zukunft.

Aber nachdem dies nicht die Art der Transformation ist, mit der wir uns bei den Streifzügen beschäftigen, will ich versuchen mich dem Thema anders anzunähern.

Die Zukunft ist laut Duden die Zeit, die noch bevorsteht, die noch nicht da ist; die erst kommende oder künftige Zeit und das in ihr zu Erwartende; und hatte als solche im Mittelhochdeutschen (natürlich) auch eine religiöse Dimension im Sinne des bevorstehenden "Herabkommens Gottes", aber das ist eine andere Geschichte.

Die bevorstehende Zeit also ...

Um es mir nicht noch schwerer zu machen, folge ich der klassischen Physik, ignoriere Quantisierung und Raumzeit, belaste mich nicht mit der Idee, dass die Zeit eine bloße Illusion ist, sondern betrachte sie als etwas, das die Abfolge von Ereignissen beschreibt und im Gegensatz zu anderen physikalischen Größen eine eindeutige, unumkehrbare Richtung hat, die als Zunahme der Entropie bestimmt werden kann.

Diese Zeit ist etwas ganz besonderes. Sie hält für mich stets eine aktuelle und ausgezeichnete Stelle bereit, die wir die Gegenwart nennen und die sich unaufhaltsam in Richtung Zukunft zu bewegen scheint. Oder auch umgekehrt, je nach Betrachtungsweise. Und nachdem das menschliche Gehirn die Gegenwart in Einheiten zu etwa 2,7 Sekunden verarbeitet, dauert das Jetzt nicht einmal 3 Sekunden.

Das Jetzt ist also die Zeit, in der alle Ereignisse stattfinden. Somit ist die Zukunft die Summe aller kommenden Gegenwarten. Hier lässt mich nicht nur die Physik, sondern auch die Sprache im Stich. Die Physik kennt die Gegenwart nicht einmal im Singular, ich muss also mit dem Zeitpfeil der klassischen Physik vorliebnehmen, der die Richtung der Zeit von der Vergangenheit in die Zukunft bestimmt. Zumindest hier besteht die Vergangenheit aus der Menge aller Ereignisse, die kausal mit dem als Gegenwart bezeichneten Ereignis verbunden sind, dieses also beeinflussen konnten.

Mit diesem (Nicht-)Wissen ausgestattet kann ich beginnen meine Gegenwart zu konstruieren, was ich (mehr oder weniger bewusst) ohnedies ständig mache. Und somit auch die Zukunft, die nichts anderes als auf dem Zeitpfeil verschobene Jetzt-e ist.

Das einzige, was ich sicher über meine noch vor mir liegenden Gegenwarten weiß, ist, dass ihre Anzahl, wie groß auch immer sie sein mag, mit jedem Augenblick kleiner wird. So lange, bis keine mehr übrig sind. Was für mich ab diesem ersten für mich nicht mehr vorhandenen Jetzt aber bedeutungslos sein wird, weil auch dieses "mich" dann nicht mehr existiert.

Mein Plan für die Zukunft war immer im kohärenten Zusammenhang mit anderen und der radikalen Theorie die menschliche Geschichte, die Geschichte der Warenproduktion, der Akkumulation und der Entfremdung mit der sozialen Revolution zu Ende zu bringen und mich in dieser Aufhebung zu verwirklichen. Und all das nur aufgrund meines unwiderstehlichen Verlangens nach Genuss.

Wieso auch nicht - wir Kohlenstoffeinheiten haben es offensichtlich weit gebracht. Längst haben wir gelernt Atome zu spalten, wir sequenzieren und manipulieren Genome und werden demnächst künstliches Leben schaffen. Und doch scheint dies alleine nicht zu reichen, vielmehr ergibt die Relation von technisch-wissenschaftlichem Fortschritt und unserer sozialen/empathischen Entwicklung einen Quotienten des Schreckens.

Egal, wohin ich den Zeitstrahl verschiebe, es bleibt ein "gegen", Unterdrückung und Vernichtung, weil es Spaß macht und schmeckt und jedeR schauen muss, wo er oder sie bleibt. Eine Differenz zur Rechtfertigung ist stets leicht konstruiert. Und wenn es zu schlimm wird, bleiben immer noch unsere imaginären Freunde oder spirituellen Fluchthelfer aus der Realität, der wir uns nicht stellen wollen und können. Und nachdem wir unsere Zeit, unsere Vergangenheit und Gegenwart nicht begreifen und ohne Empfindung unserer Praxis sind, wird die Unsicherheit zur Geburtsstunde ewiger Sicherheiten.

So ist alles, was für meine Zukunft bleibt, der Subjektivismus des zusammenhangslos existierenden Einzelnen, das Denken des sich Durchschlagens, ohne jemals durchschlagenden Erfolg zu haben, die Sicht des Einzelnen, die das Eingeständnis der Unfähigkeit zu radikal sozialem Verhalten, das Sich-auf-die-Abwesenheit-einer-sozialen-Bewegung-Einrichten und Sich-damit-Abfinden ist. Die Welt der Genüsse ist nicht zu gewinnen, es bleibt die Langeweile.

Ob das noch eine Homestory wird? Aber letztlich ist es schon genau das. Geht es doch um alles und ist es alles, was mir at home oder sonstwo noch widerfahren wird. Oder auch nicht, denn die klassische Physik hat längst ausgedient.



no future!
Ein Gefühlsausbruch

von Theresia Pfister

Mit dem, was ich bisher an Erfahrungen, Einsichten, an Gehörtem, Gelesenem und Beobachtetem gesammelt habe, bin ich eigentlich (und täglich mehr) davon überzeugt, dass wir schnurstracks auf einen tödlichen Abgrund zumarschieren. Ich muss "wir" sagen, weil auch ich dieser Spezies Mensch angehöre. Gerne distanziere ich mich davon und fühle mich fremd, je älter je öfter, aber ich gehöre doch dazu.

Marx und Engels haben die Entwicklung der Menschheit beschrieben bis hin zu dem heutigen kapitalistischen System und dessen ruinösen Gesetzmäßigkeiten wie Wachstums- und Profitzwang. Das hat sich über mehrere Jahrtausende hingezogen, und nur selten wurde "Stopp!" gerufen. Auch die französische und russische Revolution und die wenn auch nur kurzlebige Pariser Kommune, die sich für die Aufhebung des Privateigentums und damit für eine friedlich(er)e, solidarische Welt einsetzten, scheiterten grandios, aber die Revolutionäre hatten den Mut, gegen den Strom zu schwimmen und unter Einsatz ihres Lebens auf die Möglichkeit eines anderen Zusammenlebens hinzuweisen.

Herr und Knecht haben sich schließlich arrangiert, als ganze Spezies fühlen sie sich der Schöpfung überlegen, praktizieren deren Unterwerfung, obwohl (oder weil?) ihnen täglich, stündlich ihre Ohnmacht vor Augen geführt wird: der Tod kommt für jede/n früher oder später, der Körper und all seine Organe arbeiten ohne menschliches Zutun, das Herz schlägt, der Atem kommt und geht ohne zu fragen, wir haben keine Kontrolle darüber. Trotz diesem "Geworfensein", trotz diesem offensichtlichen Ausgeliefertsein entblöden wir uns nicht zu behaupten, dass die Erde unser Eigentum sei, wir maßen uns an zu bestimmen, wem was gehört und wem nicht, ziehen Grenzen, bauen Zäune und Mauern und morden, wenn diese willkürlichen Trennlinien überschritten werden.

Es gibt die Geschichte von Buddha, der einen Mörder bat: "Bevor du mich umbringst, erfülle mir noch einen Wunsch: Schneide den Ast dieses Baumes ab." Der überraschte Übeltäter tat, worum gebeten. Dann bat Buddha ihn, den Ast wieder anwachsen zu lassen. - So leicht ist Zerstörung, und so schwer bis unmöglich der schöpferische Akt.

Inzwischen können wir jedes Leben auf unserem Planeten mehrfach vernichten, es gibt weltweit über 400 Akws, 10.000 atomare Waffen, die Lagerung der abgebrannten Brennstäbe der Akws ist ungeklärt und keine Lösung in Sicht. Auch nach Tschernobyl und Fukushima verharren wir in unserer Ignoranz, lachen über die Einfalt von Schafen, nennen uns gegenseitig dumme Kuh, blöde Gans und Rindvieh, ohne zu merken, dass unsere Blödheit als Menschheit im Ganzen von keinem Tier überboten werden kann.

Hat nicht der Club of Rome schon um 1970 gewarnt, dass es "5 vor 12" sei? Seither erscheint fast jährlich ein Appell in Buch- oder anderer Form, der auf die Gefahren der jetzigen Entwicklung hinweist - die Klimaerwärmung, das Schmelzen der Gletscher und Pole, die Abholzung der letzten Urwälder, das rapide Artensterben, die ausgelaugten Böden, die Schäden durch Pestizide, Genmanipulation u.v.m. - alle Kassandra-Rufe verhall(t)en unbeachtet. Die zwei Weltkriege mit ihren Gräueln? Der Holocaust mit seinem unfassbaren Horror - warum hat das nicht gereicht? Keine Steigerung des Schreckens mehr vorstellbar? O nein - es ging und geht weiter.

Dabei wären die Menschen mit so viel Talent gesegnet. Es braucht nicht viel Phantasie sich auszumalen, wohin das Freisetzen der schöpferischen Kräfte all der vom Systemwahnsinn unterdrückten, geknechteten, niedergehaltenen Menschen die Gesellschaft zum Besseren hätte voranbringen können, ganz zu schweigen vom Freisetzen der schöpferischen Kräfte der weiblichen Hälfte der Gesellschaft. Aber haben wir überhaupt noch Phantasie? Der Kapitalismus ist alternativlos. Punkt. These - Antithese - Synthese, das gilt nicht mehr. Das Jin und Jang der asiatischen Philosophen, das Spiel der Gegensätze und ihrer Transzendenz - das alles wird geleugnet, alles wird grau und versinkt in einem lähmenden oberflächlichen Irgendwas, betäubt und bewusstlos ertrinkt die große Masse in ihrer Ohnmacht, die Drahtzieher und Puppenspieler ersaufen in ihren Allmachtsphantasien.

Gott ist tot - jetzt ist der Mensch ein Gott, der glaubt, er kann mit allem spielen. Aber: "Naturgesetze können überhaupt nicht aufgehoben werden. Was sich in historisch verschiedenen Zuständen ändern kann, ist die Form, worin jene Gesetze sich durchsetzen." (Marx) Und die Form, wie die Naturgesetze sich nunmehr durchsetzen, wird zur Katastrophe für die menschliche, blinde Überheblichkeit. So stehen wir also da, das Wasser bis zum Hals, dem blinden Diktat des Kapitals unterworfen, die Naturgesetze missachtend und die Folgen verdrängend. Wir sind alle, jede/r einzelne von uns für die heutige, hiesige Situation mitverantwortlich. Die Entscheidung für das Privateigentum, für das Patriarchat, die Atomspaltung, die Eingriffe in das Erbgut usw. haben wir nicht widerrufen, kein Gott, kein Teufel hat uns dazu gezwungen. Es gibt auch keine Sündenböcke, weder die da oben noch die da unten. Eine Umkehr erscheint unwahrscheinlich, wir stecken alle tief im Dreck, und es ist schon lang nach 12 - aber mit Selbstkritik, Selbsterkenntnis und mit dem Eingeständnis der Eigenverantwortung an die Wand fahren ist allemal besser und menschenwürdiger als im dumpfen Gleichschritt wie Lämmer zur Schlachtbank. Aber vielleicht sind wir bis jetzt doch nur zu dumm gewesen, um zu sehen, dass darin doch noch eine Chance liegen könnte.



Kleine Ratlosigkeit

von Franz Schandl

Wenn im Haushalt was bricht, bin ich zuerst ratlos und dann hilflos. Glühbirnen vermag ich zwar zu wechseln und Abflussrohre von Verstopfungen zu befreien, aber darüber hinaus sind meine Kenntnisse und Fertigkeiten bescheiden. Wenn wir wieder mal ausmalen, weiß ich immer erst am Schluss, was ich besser hätte machen können, aber das nächste Mal habe ich es schon wieder vergessen. Ein Heimwerker bin ich nicht und ich werde auch keiner mehr werden, wenngleich ich unter Aufsicht und Anweisung durchaus imstande bin, sogar Künetten im nördlichen Weinviertel auszuschaufeln. So wahr mir Trang helfe.

Auf technische Komplikationen im Haushalt reagiere ich genervt. Zuletzt als der Zufluss zur Abwasch in der Küche leckte und die Hausverwaltung einen Installateur vorbeischickte, der den kleinen Wasserrohrbruch auch rasch beheben konnte. Ich mokierte mich noch kurz über die mangelnde Haltbarkeit der Rohre und die Sollbruchstellen diverser Produkte, was der Arbeiter mit dem lapidaren Satz "Lassen Sie uns doch auch etwas verdienen" quittierte.

Dieser unschuldige Satz, dem in seiner unmittelbaren Richtigkeit nichts entgegenzusetzen ist, brachte mich aus der Fassung. Und zwar, weil hier doch der ganz rationale Wahn des aktuellen Produzierens ausgesprochen wurde. Aber wie in Kürze und Würze erklären, hieße das doch, Fabrikation und Reparatur für verrückt zu erklären und so auch den Job des freundlichen Mannes zu gefährden. Was so einer Person sagen, noch dazu zwischen Tür und Angel, wo doch einige Häuser weiter der nächste Auftrag lauert und die Angst den Arbeitsplatz zu verlieren allgegenwärtig ist. Wovon soll er leben? Jetzt? Fortan? Wie erklären, dass das Richtige falsch ist? Derweil handelt es sich im Prinzip nur um eine kleine Verrückung, wenn auch um einen scharfen Perspektivwechsel. Ohne den freilich ist jede Perspektive sinnlos. Völlig sinnlos.

*

ECOMMONY
Abschweifende Rezension zum Buch von Friederike Habermann

von Martin Scheuringer

Über Dinosaurier, Kometen, Enten und dergleichen gibt es hervorragend aufbereitete Kinderbücher: Fakten werden anschaulich dargelegt und aufgeschlossene Eltern lernen mit, ist doch ihr Wissen über diese Gegenstände oft seit der Schulzeit nicht mehr aufgefrischt worden. Die Paläontologie zum Beispiel hat viele ihrer Aussagen ändern müssen, und die Welt der Dinosaurier erscheint heute in einem anderen Bild. Dementsprechend werden die Kinderbücher neu zusammengestellt aufgelegt.

Märchenstunde

Nicht so in Sachbüchern für Kinder über das "liebe" Geld oder unser Wirtschaftssystem: In diese wird eine grundlegende Erkenntnis nicht aufgenommen. Aber vielleicht reden wir hier von zwei verschiedenen Paar Schuhen: Denn dass die Dinosaurier in großer Zahl kleine Viecher mit Federn waren und nicht nur riesige blutrünstige Giganten wie in den alten Büchern, ändert nichts an der Tatsache, dass es Kolosse gab - sehr wohl aber ändert sich unsere Vorstellung darüber, wie es damals auf der Erde zuging. Kein Hauen und Stechen allenthalben, kein blutrünstiges Monster hinter jedem Baum. Viele bunte Vögel weilten auf dem Planeten.

In der Ökonomie ändern die neuen Erkenntnisse auch grundlegende Annahmen über ihren Gegenstand: Empirische Forschung entlarvt den immerwährenden Tausch, das ewige Privateigentum und den natürlichen Nutzenmaximierer als Produkte moderner Phantasterei. Wie soll man aber Forschungsergebnisse in ein Buch aufnehmen, das genau auf diesen absolut gesetzten Grundannahmen aufbaut? Man müsste das Geld, die Arbeit, den Handel und den modernen Staat mit Argumenten begründen. Das geht nicht! Da erzählt man lieber Geschichten über deren Natürlichkeit und immerwährendes Bestehen anstatt überprüfte Geschichte: Wir lesen Märchen aus Ländern, die es nie gab, sie sind der Phantasie der Wirtschaftswissenschaftler/-innen entsprungen. Ein alter Trick im Übrigen, den schon Hobbes zu unserem Leidwesen sehr erfolgreich verwendet hat.

"Schon Schimpansen haben eine Vorstellung von Eigentum." (Memo, Wirtschaft, S. 14) "Bevor das Geld erfunden wurde, musste man Gegenstände jedoch direkt tauschen."(Ebda. S. 18) "Wer beispielsweise eine Ziege gegen Feuerholz tauschen wollte, musste unter Umständen lange suchen, bis er jemand fand, der eine Ziege gegen Feuerholz tauschen wollte. Dieses Problem wurde erst mit der Erfindung des Geldes gelöst." (Ebda. S. 20) Spätestens bei dem Beispiel hätte der Autor doch überlegen können, wie es wirklich war, wenn er ohnehin schon vermutet, dass das früher recht kompliziert gewesen sein muss. Aber vermutlich denkt er bei sich: Die waren eben nicht so entwickelt wie wir jetzt. Das Problem ist, wenn man sich selbst für die Krone der Schöpfung hält, dann können die anderen nur umständlich und kompliziert gelebt haben. Ist doch so. Oder muss so gewesen sein.

Daher findet man auch keine Quellenangaben in Büchern für Jugendliche, die schon ab und an was referenzieren. Wieso auch, es ist für die Ökonomie sonnenklar, wie es gewesen sein muss! Die Mühe mit der Forschung können wir uns sparen, da sparen wir gleich ein bisschen die Produktionskosten. Wir sind doch die effizienteste Gesellschaftsordnung, seit es Menschen gibt!

"Es muss so gewesen sein." Dieser Satz ist sehr verräterisch. Denn er behauptet eine Notwendigkeit, ohne die Wirklichkeit kennengelernt zu haben. Da wird eine Gesetzmäßigkeit nicht aus vielen einzelnen Beobachtungen zu einem Allgemeinen hin induktiv erschlossen, sondern von einem Allgemeinen ausgehend wird im phantasierten Einzelfall das Gesetz wie durch ein Wunder entdeckt. Dieser logische Schluss ist eine Deduktion von einer modernen Gesellschaft in eine traditionalistische. Die Besonderheit der traditionalistischen Gesellschaft wird nicht wahrgenommen. Moderne Gewohnheiten werden in Weltgegenden oder Zeiten, in denen diese Gewohnheiten schlicht nicht existent waren, hineinphantasiert. Das fällt den Phantasierenden nicht auf, denn diese Gewohnheiten sind in hohem Grade "natürlich" geworden: Ein Leben ohne Tausch, Privateigentum und Nutzenmaximieren kann sich ein Mitglied einer demokratischen Marktwirtschaft nicht vorstellen.

Daher gehen den meisten Leserinnen und Lesern diese Märchen rein wie ein Dübel in ein vorgebohrtes Loch. Die Eltern nehmen seit Generationen die Bohrmaschine in die Hand und bohren geschäftstüchtig in den mentalen Strukturen ihrer Kinder herum.

Dressur zum homo oeconomicus

Besuchen Sie einmal eine Sandkiste und achten Sie darauf, mit welcher Strenge und Härte Eltern das Recht auf Eigentum durchsetzen. "Mit dem Lastauto darfst du nicht spielen, das gehört einem anderen Kind!", ertönt die verärgerte und mit betonter Strenge gefärbte Stimme der Mutter. Doch - das Lastauto liegt schlicht vor dem Kind, es muss nur die Hand ausstrecken und es nehmen, um damit in der Sandkiste eine Runde zu drehen, kein anderes Kind ist in Sichtweite. Wie verstörend muss das eigentlich sein, dass dann so mir nichts, dir nichts die Mutter das Kind ermahnt und mit großer Strenge "Nein, Nein, Nein!" schreit. Wo ist da die Regel zu erkennen? In anderen Situationen darf das Kind immer nehmen, was gerade in der Nähe ist, und auch hier in der Sandkiste war es so. Es ist dem Lastauto wirklich nicht anzumerken, dass die Mutter so ablehnend reagieren wird. Es muss wohl ein böser Zauber auf ihm liegen, den sie erkennen kann, das Kind aber nicht - Max Weber hin oder her. Sicherheitshalber und erschrocken legt das Kind das Lastauto zurück. Es folgt ein Lob der Mutter und eine schwer verständliche Belehrung über das Eigentum, die mit viel nachdrücklichem Pathos vorgetragen wird, denn das muss das Kind verstehen: Wir regeln unsere Konflikte bei der Nutzung der Gegenstände nicht mit Kommunikation oder Blickkontakt, sondern durch das Recht auf Eigentum. Das "Meins!" ist dann oft Streitgrund.

Eltern gehen so gut wie nie auf die Beschaffenheit des Gegenstandes ein, den das Kind an sich nimmt, sondern auf das unsichtbare Eigentumsverhältnis, in das dieser Gegenstand eingewoben ist: Ein Kind kommt freudestrahlend mit einem Laufrad angesaust. Anstatt zu sehen, womit das Kind fährt, klatscht der Vater die Hände zusammen und lässt voller Verzweiflung folgenden Satz los: "Um Gottes willen, hast du auch gefragt, ob du dir das ausborgen darfst?" Und dann ganz laut: "Das gehört dir nicht!" Wie soll ein unter Zweijähriger alle seine Sachen kennen und sich merken, was ihm gehört und was nicht? Und warum soll er ein Dreirad, mit dem gerade kein Kind spielt, nicht zum Herumfahren verwenden? Wieder dieser böse Zauber!

Doch kehren wir zurück zu den Kindern am Ende des Volksschulalters, die das mit dem faulen Zauber namens Eigentum schon intus haben. Die Eltern setzen das am Spielplatz "Erzogene" fort, nun in einem Alter, in dem die Kinder Argumente für ihr Handeln gebrauchen, verwenden Eltern dann Märchenbücher, um die verstörenden Zauberdinge wie Geld, Arbeit, Privateigentum und Tausch zu begründen.

Belastbare Forschung

Ohne Märchen und Zauberei zu gebrauchen, werde ich nun referieren, wie es sich zugetragen hat, bevor das Eigentum unsere Beziehungen verzaubert. Anthropologinnen oder Ethnographen haben die Wirklichkeit anderer Kulturen beobachtet. Die fahren tatsächlich hin und bleiben lange dort, um diese Kulturen zu verstehen. Können Eigentum, Arbeit, Tausch und Nutzenmaximieren in diesen Gemeinschaften festgestellt werden? Eine Ethnographin fasst das Ergebnis vieler solcher Studien zusammen: "Schlicht und einfach wurde nicht ein einziges Beispiel einer Tauschwirtschaft jemals beschrieben, ganz zu schweigen davon, dass daraus Geld entstand; nach allen verfügbaren ethnographischen Daten hat es das nicht gegeben." (Humphrey zit. in: Habermann, Ecommony, S. 106) Wie bitte? So klar ist das? Nichts ist es mit den Adjektiven "natürlich" und "ewig". Induktion statt Deduktion, Wirklichkeit statt falscher Notwendigkeit.

Damit die Vorstellung angeregt wird, wie es aber war, denn Bürgerinnen und Bürger können sich ein so arg anderes Leben nicht vorstellen, referiere ich ein wenig Alltagsgeschichte. Es geht um Joshua und Henry - zwei fiktive Personen, die nach den tatsächlichen Regeln ihrer Kulturen zusammenleben. "[Henry] brauchte ein Paar Schuhe und hatte nur einige Kartoffeln herumliegen. Joshua hatte ein überzähliges Paar Schuhe, brauchte aber eigentlich keine Kartoffeln. [...] Falls zum Beispiel Henry in einem Langhaus der Seneca, eines nordamerikanischen Indianerstamms aus dem Bündnis der Sioux, leben sollte, würde er es niemals betreten. Er würde seiner Frau von der Sache erzählen, die würde das Thema im Kreis der anderen Frauen zur Sprache bringen, Material aus dem gemeinsamen Lager des Langhauses holen und ihm Schuhe nähen. [...] [oder bei den Nambigwarea oder den Gunwinggu]. Henry trifft Joshua und sagt: 'Hübsche Schuhe!' Joshua erwidert: 'Ach, die sind nichts Besonderes, aber wenn sie dir gefallen, kannst du sie gern haben.' Henry nimmt die Schuhe. Von Henrys Kartoffeln ist gar nicht die Rede, weil beide genau wissen, das Henry Joshua jederzeit Kartoffeln geben würde, wenn er welche brauchen sollte." (Graeber, zit. in: Habermann, S. 106)

Das ist irritierend für uns besondere moderne Wesen. Und mit unseren Verstehenswerkzeugen der Welt, nämlich Privateigentum, Arbeit, Tausch und Nutzenmaximieren, können wir diese Praxis nicht beschreiben. Dieser abstrakte Zusammenhang versagt hier. Er ist nicht allgemeingültig.

ECOMMONY

Doch wie können andere bestehende wie zukünftige Ordnungen systematisiert werden? Ein hilfreiches Buch hat Friederike Habermann verfasst: "ECOMMONY. UmCARE zum Miteinander". Das Buch ist so gut, weil es das Heute, Gestern, Morgen, Übermorgen und Jetzt beleuchtet. Und zwar mit der Wahrnehmungsstruktur der Commons und nicht der des Privateigentums. Unser soziales Handeln wird mit dieser Theorie anders betrachtet, und nach dem Buch kann man versuchen, sein eigenes Leben mit dieser Brille neu zu überlegen. Aber der Reihe nach, ein wenig will ich aus dem Buch referieren. Die vier Prinzipien einer Ecommony lauten:

1. Besitz statt Eigentum: Bei Commons zählt, wer etwas tatsächlich braucht und gebraucht, und nicht das Recht zum Ausschluss anderer oder zum Verkauf;

2. Teile, was du kannst;

3. Beitragen statt Tauschen: tätig werden aus innerer Motivation - bei gesichertem Ressourcenzugang;

4. Offenheit und Freiwilligkeit." (Habermann, S. 10)

Begriffe sind ohne konkrete Beispiele recht leer, wie Kant schon darlegte, und daher hängen diese Prinzipien vorerst in der Luft, aber Habermann bringt viele Beispiele, und eines davon wird den Aha-Affekt beim Leser hoffentlich auslösen. "Wird nicht das Geld, sondern der reale Reichtum dieser Welt nach dem Prinzip 'Besitz statt Eigentum' genutzt - also privat dort, wo es Sinn macht, wie beim T-Shirt oder dem eigenen Wohnraum, aber gemeinschaftlich, wo immer es angebracht ist, von der Bohrmaschine bis zu den Produktionsmitteln - ist genügend für alle da. Wobei Besitz Unterschiedliches bedeuten kann, und dafür steht 'Teile, was du kannst': Wenn Sie Ihre Bohrmaschine ständig gebrauchen, dann behalten Sie eben eine zu Hause; im Durchschnitt jedoch wird dieses Werkzeug heutzutage maximal 13 Minuten seines Lebens genutzt. In einer auf Besitz beruhenden Gesellschaft würde es sicher kulturell sehr unterschiedliche Praktiken geben." (S. 10f.) Da springt die Phantasie an: Wie wenig Bohrmaschinen wären in so einer Gesellschaft herzustellen? Wie würden wir in einer Wohngemeinschaft die Nutzung vereinbaren? Wäre das Vereinbaren recht anstrengend? In welchem Raum wäre ein gleicher Zugang für alle gut realisierbar? Was passiert dem, der die Bohrmaschine kaputt macht? Wir müssten dann doch viel mehr mit den Menschen, die neben uns wohnen, reden und kooperieren. Wollen wir das? Sind wir so weit? Soll ich das in meinem Haus versuchen? Also meine Bohrmaschine, Laubsäge, Stichsäge in ein gemeinsames Gut transformieren, auf das alle Zugriff haben? Und wenn ich jemanden nicht mag? Ich hätte planerische Tätigkeit vor mir, aber auch mehr menschlichen Kontakt.

Aber was davon ist denn revolutionär? Das ist doch immer noch bürgerlich! "Da bleibt doch die Produktionsweise unangetastet", macht sich der Marxist in mir bemerkbar. Vorerst stimmt das. Es ist aber ein Schritt in eine gute Richtung, der heute praktikabel ist, und er lässt das Reproduzieren unserer sozialen Beziehungen nicht unangetastet, da er Menschen mit den Commons in Berührung bringt - also praktisch das Privateigentum vernichtet. Wohlgemerkt die Institution, nicht das Ding, aber das haben Sie bestimmt gewusst!

Wenn man das dritte Prinzip hinzudenkt, wird auch die Herstellung miteinbezogen. "'Beitragen statt Tauschen'. Es steht dafür, unsere Lust und unser Bedürfnis, uns in dieser Welt vielfältig zu betätigen und zu verwirklichen, zu befreien." (S. 13f.) Kennen Sie dieses Bedürfnis noch? Wann haben Sie zum letzten Mal einen Gebrauchsgegenstand gestaltet? Wann haben Sie das letzte Mal etwas gelernt, um einen Gebrauchsgegenstand selbst herstellen zu können? Wie war das? Wenn Sie sich nicht mehr erinnern können, dann probieren Sie das wieder einmal. Bauen Sie ein Spielzeug mit Ihren Kindern/Enkeln! Gärtnern Sie! Machen Sie Seifen! Schreiben Sie Codes! Das Spannende ist: Tätigsein jenseits der Arbeit ist als solches schon sehr schön, nicht nur weil man in seinem Rhythmus dahinwerken darf und nicht im Takt der Arbeit, sondern auch weil die Menschen, mit denen man das macht, meistens recht feine Leute sind. Anstrengung hat ein sinnvolles Ziel, das in Gemeinschaft erreicht wird.

Aber dann kommt noch ein Aspekt dazu: Man kommt durch das Selbermachen in eine Stimmung des Schenkens, denn, weil das Machen so schön ist, baut/gärtnert man mehr, als man braucht, und das kann dann zur Verfügung gestellt werden - also verschenkt oder eben beigetragen als Gemeingut für dessen Nutzer. Das bedeutet eben, dass man den Flugdrachen nicht für ein bestimmtes Kind baut, sondern für die Wiese. Und alle Kinder, die ihn benutzen wollen, werden vereinbaren müssen, wie sie das nun anstellen. Oder dass man die gezimmerte Werkbank der Wohngemeinschaft zur Verfügung stellt und sie nicht dem besten Freund übergibt. So entgeht einem zwar das freudestrahlende Gesicht bei der Übergabe des Geschenks, aber andererseits wird das gute Stück häufiger genutzt. Das kann ich mir schon auch befriedigend vorstellen.

"In einer [...] [Ecommony] wird aus einem Bedürfnis heraus gehandelt; das muss nicht unbedingt Spaß an der Sache bedeuten, sondern es kann auch Verantwortungsgefühl sein. Nicht zufällig sind es überwiegend feministische Theoretikerinnen, die aus der Anerkennung einer fast lebenslangen gegenseitigen Abhängigkeit heraus diese Bandbreite von Motivationen betonen: Brigitte Kratzwald bringt es auf den Punkt mit zwischen Lust und Notwendigkeit, Ina Praetorius mit der Wiederentdeckung des Selbstverständlichen und Genevieve Vaughan schreibt: 'Die Mutter füttert ihr Kind nicht, um selbst vom Kind gefüttert zu werden oder damit das Kind seinen Finger in ihren Mund legt.'"(S. 66)

UmCARE

Womit wir bei der UmCARE angelangt sind. "Care_Logik erlaubt einen anderen Blick auf das gesamte Wirtschaften: Denn wenn es Care ist, einer Kranken Essen zu verabreichen - warum sollte es nicht Care sein, das Essen anzubauen? Wenn es Care ist, ein Kind ins Bett zu tragen - warum sollte es nicht Care sein, das Bett zu produzieren?" (S. 67) Das Motiv für das Handeln ist ein Sichkümmern, eine Sorge. Es nimmt uns als Menschen, die einander bedürfen, ernst, und widmet sich dieser Voraussetzung. Mit dieser Motivation stülpt man uns nicht ein falsches Bild vom Menschen über, der sich aus allen Abhängigkeiten befreit und alleine seinen Nutzen maximiert, sondern man versucht, diese Abhängigkeit in gemeinschaftlicher Weise durch Kommunikation und Kooperation zu gestalten.

Auf einer begrifflichen Ebene wird auch klar, dass durch diese Wahrheit unserer Gemeinschaftlichkeit der Begriff der Freiheit als allein stehender definierender Term für das Menschsein problematisch ist (vgl. Tschemernjak in Streifzüge 67). Habermann bringt es folgendermaßen auf den Punkt: "Freiheit und Solidarität gehören zusammen. Wer nach Freiheit sucht, sucht auch nach einer solidarischen Gesellschaft." (S. 149) Es ergibt sich ein Begriffspaar, das aufeinander bezogen ist, das nicht in eine Richtung hin aufgelöst werden kann. So wie Gemeinschaft und Individuum auch - eines gibt es nicht ohne das andere. Solidarität geht nicht ohne Freiheit und Freisein nicht ohne Abhängigkeit.

Abhängig freilich darf man nur von Ebenbürtigen oder Gleichen sein, ein Herrschaftsverhältnis würde die Balance dieses Begriffspaars auflösen. "Solidarität setzt Ebenbürtigkeit voraus, sonst versagen wir darin." (S. 169) Von Ebenbürtigen ist man in bestimmten begrenzten Situationen abhängig, nicht aber strukturell sein ganzes Leben lang.

Schluss

"Die dem gegenwärtig neu Entstehendem abgelauschten Prinzipien einer Ecommony sind nicht dafür da abzuwarten, bis sie gesellschaftlich eingeführt werden, sondern als Bewusstwerden unserer eigenen Handlungsleitlinien [...] das, was David Graeber mit Direkter Aktion bezeichnet [...]. Nicht zu fordern, nicht zu warten, sondern das Neue zu leben. Commoning." (S. 176)

Im Buch findet man viele Möglichkeiten, wie man sich gemeinschaftlich betätigen kann. Ich würde eigentlich gern ein einführendes Buch über die moderne Gesellschaft schreiben, das Leser/-innen ab zehn Jahren verstehen können, und das dann als Commons zur Verfügung stellen. Wenn jemand mitmachen will: Gerne! Meinen Kontakt findet ihr ja.


Literatur

Johnny Acton und David Goldblatt: Memo. Wirtschaft, übersetzt von Birgit Reit, Dorling Kindsley Verlag GmbH, München 2011.

Friederike Habermann: Ecommony. UmCARE zum Miteinander,
Ulrike-Helmer-Verlag, Sulzbach 2016.

J.S. Tschemernjak: Die Freiheit, die niemand kennt, Streifzüge 67.

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46 Fragen zur nachkapitalistischen Zukunft(*)

von Meinhard Creydt


Verlag Westfälisches Dampfboot
245 Seiten, ca. 22 Euro


Von den globalisierungskritischen Bewegungen hört man seit Jahren den Slogan "Eine andere Welt ist möglich". Allerdings bleibt es oft bei Wunsch und Beteuerung. Der vorliegende Band nimmt dieses Motto ernst. Und das heißt, - im Unterschied zu vielen Linken - sich einem weit verbreiteten Einwand zu stellen. Er lautet: "Selbst wenn uns infolge der Kritik an der kapitalistischen Ökonomie eine Alternative wünschenswert erschiene, so weist die nachkapitalistische Gesellschaft notwendigerweise zentrale Strukturprobleme und massive negative Folgen auf. Bei all seinen Mängeln erscheint der Kapitalismus insofern als kleineres Übel." Dieser Band stellt Konzepte für eine nachkapitalistische Gesellschaft vor, die nicht in die Nähe von unterkomplexen Patentrezepten oder totalitären Systemen geraten. Im Unterschied zu utopistischen Kopfgeburten knüpfen die skizzierten Regelungen und Leitbilder an Bewegungen, Institutionen und Potentialen an, die im modernen Kapitalismus entstehen.

Für die nachkapitalistische Gesellschaft ist ein eigenes positives Paradigma charakteristisch. Es geht darüber hinaus, im Horizont der Mängelrügen am Kapitalismus positive Alternativen zu formulieren. Not-wendig ist eine Veränderung der Art und Weise der Vergesellschaftung. Mit Werten wie Gerechtigkeit und Demokratie lassen sich entscheidende Fragen nicht beantworten: Wie kann sich im Bezug der Produzenten auf die Konsumenten durchsetzen, dass sich die Produzenten mit ihren Produkten an den wohlverstandenen Bedürfnissen der Konsumenten orientieren? Wie lässt es sich erreichen, dass die Konsumenten es nicht allein auf ihr Konsumgut absehen und vom "Schicksal" der Arbeitenden in der Arbeit absehen? Was sind die Voraussetzungen dafür, dass die Konkurrenz zwischen den Produzenten und zwischen den Konsumenten aufhört? Was ist nötig, damit sich Produzenten und Konsumenten von ihrer Gleichgültigkeit gegenüber den von Arbeit und Konsum indirekt Betroffenen emanzipieren? Wie können Hindernisse der Kooperation und des Gemeineigentums überwunden werden, die aus den Schwierigkeiten kollektiven Handelns resultieren?

Mit dem Begriff von "Praxis" arbeite ich eine "kognitiv-evaluative Landkarte" (Hartmut Rosa) und ein neues gesellschaftliches Leitbild heraus. Es fällt nicht hinter die Errungenschaften des bürgerlichen Paradigmas (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) zurück und ist den über es hinausgehenden Bedürfnissen angemessen. Gefragt wird nach der für die nachkapitalistische Bedürfnissen angemessen. Gefragt wird nach der für die nachkapitalistische Gesellschaft maßgeblichen Vorstellung vom "guten Leben". "Praxis" bezieht sich auf die Entfaltung menschlicher Sinne, Fähigkeiten und Reflexionsvermögen u.a. im Arbeiten, in sozialen Beziehungen, in der Gestaltung der Gesellschaft durch ihre Mitglieder. Mit "Praxis" (als Integration dieser verschiedenen Momente) entsteht ein gegenüber den Perspektiven der Kapitalverwertung ums Ganze unterschiedener Horizont dessen, was als Reichtum gilt. Nicht allein um eine andere Verteilung des Kuchens geht es, sondern um einen anderen Kuchen und um eine andere Art des Kuchenbackens.

Im Unterschied zum Plädoyer für die Umverteilung "von oben nach unten" liegt der Akzent im vorliegenden Band eher auf der Qualität der Gebrauchswerte, des Arbeitens und der Sozialbeziehungen. Im Unterschied zu einer politischen Perspektive, die sich auf die Zusammenarbeit von Parteien auf Regierungsebene konzentriert (Politik von oben), interessiert mich die "zivilgesellschaftliche" Mobilisierung von Fähigkeiten und Sinnen, Reflexionsvermögen und sozialer Assoziation in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen gegen ihre kapitalistische Form.

Für einen anderen Schwerpunkt der gängigen linken Agenda steht der Slogan "Wer Demokratie will, muss die Finanzmafia entmachten" (Linkspartei). Kritik an den weit verbreiteten Vorstellungen von der vermeintlichen Macht des Finanzkapitals über die sog. "Realwirtschaft" formuliert bislang viel zu wenig berücksichtigte kapitalismustheoretische und empirische Einwände gegen die Zentrierung von Kapitalismuskritik auf die "bösen Börsenbuben" (Franz Schandl) und gegen die Diagnose eines "finanzmarktgetriebenen Kapitalismus". Problematisch wird das kapitalistische Wirtschaften zudem nicht erst durch "Übergriffe" gegenüber anderen Bereichen. Die Perspektive besteht nicht in der Politisierung der Ökonomie, sondern darin, die schädlichen Trennungen und Abstraktionen, Widersprüche und Eigendynamiken des kapitalistischen Wirtschaftens zu überwinden. Dies erfordert Formen der gesellschaftlichen Regulation, Auseinandersetzung und Gestaltung, die über die Institutionen der modernen bürgerlichen Demokratie hinausgehen. Die Fixierung auf Haupt- und Staatsaktionen blamiert sich an der nicht erst von Ulrich Beck (Stichwort "Subpolitik") analysierten Koexistenz des politischen Zentrums und der im Kapitalismus der gesellschaftlichen Gestaltung entzogenen grundlegenden Prozesse. Die Veränderung dieser Konstellation muss beide, zueinander komplementäre Seiten verwandeln.

Die in diesem Band skizzierten Umrisse einer nachkapitalistischen Zukunft unterscheiden sich ums Ganze von Gesellschaften des sowjetischen Typs, von Selbstverwaltungsutopien, von technokratischen Vorstellungen eines Computersozialismus, die sich auf Planungs- und Berechnungsmethoden konzentrieren, und von die Bevölkerung moralisch erziehenden und mobilisierenden Regimen (z.B. Maoismus). Regimen (z.B. Maoismus).

(*) aus dem Vorwort

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MorgenGrauen?
Einige Behauptungen zum gesellschaftlichen Niedergang und zu möglichen Auswegen

von Lorenz Glatz

1.

Ceterum censeo: Die gegenwärtige Krise des Kapitalismus führt zu seinem Ende. Dass es uns dann besser geht, bedeutet das allerdings nicht. Das Kapital verliert jedenfalls mit der abnehmenden produktiven Arbeit seine Substanz. Es wird fiktiv. Kapitalismus ist eine Glaubensgemeinschaft geworden, die am geringsten Zweifel seiner Priester zerbrechen kann. Die Argumente dafür sind in den Streifzüge-Heften und auf der Website in nicht wenigen Artikeln nachlesbar.

Die Kraft des Kapitals, die Menschen in sein Verhältnis einzuschließen, nimmt ab. Für kapitalistische Produktion, deren Verwaltung, Sicherheit und Infrastruktur werden immer weniger Arbeitskräfte gebraucht. Die Zahl der prekär arbeitenden und lebenden Menschen wächst. Viele werden überhaupt ins Abseits gedrängt.

Vor allem aber: Auf dem Planeten schreitet an jedem weiteren Tag dieser Wirtschafts- und Lebensweise die Zerstörung der Ressourcen der Menschen und für alles mit ihnen verwandte Leben fort.

Diese Situation hat sich schon vor vier Jahrzehnten abgezeichnet, es war aber noch gut ein Jahrzehnt lang fast unsagbar. Heute gibt es durch die Erosion der Fundamente der herrschenden Ordnung ein verbreitetes "Gefühl", dass es mit dem Kapitalismus zu Ende gehen könnte. Und was dann? Ratlosigkeit!? Was ist mit der Erkenntnis dann gewonnen für einen Ausweg zu einem "guten Leben für alle Menschen"?

2.

Das Wanken der Grundfesten unserer Gesellschaftsform hat tatsächlich die Praxis jeder verunsicherten Herrschaftsordnung ungemein verstärkt: die rohe Gewalt, die wütende Affirmation des Bestehenden, die Konkurrenz jeder gegen jede und auch das Buckeln nach oben und Treten nach unten. Und wo eins die Wahl hat, werden von der blinden, gebündelten Frustration über den und von der Angst vor dem gesellschaftlichen Niedergang offen gewaltbereite Leute an die Staatsmacht gespült, die "aufzuräumen" versprechen. Der Erfolg einer solchen Type in den USA, im Land der Vormacht des globalen Kapitals, wird in den Ländern des Gefolges Schule machen. Und die ratlosen Politiker des alten Establishments - die mit den erträglicheren Manieren - sind schon dabei, noch auf den abgefahrenen Zug zu springen, um sich bis zur nächsten Wahl vielleicht zu retten. Die aus anderen Ländern vor Perspektivlosigkeit und Krieg "Davongelaufenen", die auf dem Arbeitsmarkt "Übriggebliebenen", die "Obezahrer", die "in der sozialen Hängematte", die "Trittbrettfahrer", die Bettler, Sandler und die "Durchgedrehten", die das Straßenbild "verunzieren", die sind zu opfern, wenn möglich auszusperren, abzuschieben, der Obdachlosigkeit, sogar dem Hunger preiszugeben. Und der eine oder andere Korrupte ein paar Etagen höher kommt vielleicht auch noch irgendwie dran. Alle diese Menschen werden den Zombies, zu denen unsere Lebensweise mit ihrer Kälte, ihrem Stress und Schrecken und ihrer Öde immer mehr Menschen macht, zum Fraß vorgeworfen, damit es irgendwie noch weitergeht.

Aber was weitergeht, ist bloß die Zerrüttung. Der vom globalen Zentrum zum Teil selbst gezüchtete Terror zieht ebenso eine blutige Spur durch die Welt wie der Krieg gegen ihn und auch der gegen ausgewählte Diktatoren und die Stellvertreter gegnerischer Bündnisse und Mächte. Die Lebensbedingungen werden so, wie man es befürchtet. Es wird sozial noch viel kälter werden, als es eh schon ist. Wer sich da noch in Beschaulichkeit, Wegschauen, guten Werken und ein wenig Wohlstand abseits halten konnte und auf seinen Stimmzettel für die Gemäßigten in der Regierung hoffte, wird unsanft aufgeweckt.

Wenn das globale Finanzsystem über kurz oder lang unhaltbar wird und damit die internationalen Zahlungsansprüche illusorisch werden, dann zählt, worauf man physisch Zugriff hat, sonst nichts. Es ist unwahrscheinlich, dass die wieder sprunghaft steigenden Rüstungsanstrengungen der mächtigen Staaten nicht auch dieses Szenario als Grundlage haben. Der Niedergang des globalisierten Kapitalsystems leitet damit auch - ob bewusst oder nicht - den Kampf um die Herausbildung einer neuen, wieder stärker fragmentierten Herrschaft ein.

Der kapitalistische homo oeconomicus ist ja nur eine der realen Gestalten, die Menschsein in einer herrschaftlichen Ordnung annehmen kann. Wir alle haben in einem tief gestaffelten System von Imperativen zu leben gelernt. Und es ist keineswegs unmöglich, dass abgewandelte Imperative schließlich eine neue Unterart von Hobbes'schen Wölfen züchten werden, die in einem umgeformten "Spektakel" ihre Zähne gegeneinander fletschen. Die kapitalistischen Kategorien wie Arbeit, Geld, Recht und Staat sind wahrscheinlich auch in postkapitalistische Zustände transformierbar. Jenseits von Wachstum und Verwertung bleibt immer noch die Kontrolle des "access" zu allem, was das Leben braucht, als Quelle gesellschaftlicher Dominanz.

Konsumtrottelei lässt sich auch mit "steady state" und geringerem stofflichem Verbrauch realisieren. Rassismus, Ethnizismus und Sexismus können sich keineswegs nur mit Kapitalismus amalgamieren. Und die Aussperrung der Flüchtlinge, ja eine systematische Apartheid gegenüber der gescheiterten "Entwicklung" des größten Teils der Welt passt durchaus auch zu einem Szenario eines Umgangs mit überflüssigen Menschen in einer postkapitalistischen herrschaftlichen Zukunft. Literarisch hat Jean-Christophe Rufin schon vor einem Dutzend Jahren in seinem dystopischen Roman "Globalia" eine solche darzustellen versucht, in der durchaus auch einiges, was heute als fortschrittlich und "zukunftweisend" gilt, in eine/r neue/n Unterdrückung "aufgehoben" ist.

3.

Der Rohstoff der Entwicklung herrschaftlicher Strukturen stammt ironischerweise nicht zuletzt aus dem Widerstand gegen Unterdrückung und aus den Bemühungen um Alternativen. Das zeigt auch die jüngste Binnengeschichte des Kapitalismus selbst und ist wohl auch auf einen Herrschaftswechsel übertragbar. Was ist z.B. aus der antiautoritären Bewegung der 68er geworden? - Die Regulierung der "Willkür" des Unterrichts (im Guten wie im Bösen) durch Gesetze und Erlässe, das neoliberale "schlanke Management" und die unternehmerische Mitverantwortung jedes "Mitarbeiters" für den Erfolg "seines" Betriebs. Die Kritik an und der Angriff auf bestimmte Facetten einer Herrschaftsform wie auch auf Herrschaft überhaupt verändert mit ziemlicher Sicherheit die Form, aber nicht unbedingt den Inhalt. Der Angriffspunkt, an dem sich Unmut und Widerstand entzünden mögen, ist partikulär, der Angriff mag "siegreich" sein, aber die "Sieger" sind assimilierbar an den höheren Zweck, der im Schatten bleibt und an den sie dann nicht mehr denken mögen. Verwertung z.B. geht - wenn man "ein paar Dinge" und viele Menschen ausblendet - auch antiautoritär. Aber eine gut kooperierende "Betriebsgemeinschaft" mit viel Erfolg und "gutem Klima" ist nebenbei auch der Ruin des "Mitbewerbers".

Für einen Weg aus diesem Dilemma kann theoretische Anstrengung hilfreich sein. Es braucht Überlegungen und Untersuchungen, um die bewegte und schillernde Oberfläche von der beharrlichen Tiefenstruktur der herrschenden Ordnung zu unterscheiden. Analysen aber auch, die klar machen, wie sich diese Grundlagen in der Stellung und im Verhalten der Menschen zueinander abbilden, wie sie in den Köpfen und Herzen der Menschen selbst sitzen und wie damit umzugehen ist, wenn eins sich davon befreien will. Erkenntnisse übrigens, die auch von der Lebenspraxis der Theoretiker selbst sehr erschwert werden können.

Ein Hauptproblem bei alledem ist die Gewalt: Wie bewegen wir uns in einer Gesellschaft, die auf Konkurrenz und Kampf beruht, in der die vorhandenen Strukturen und Institutionen zu einem großen Teil auf vergangener Gewalt fußen und in der es in allen sozialen Fragen um Sieg und Niederlage geht? Sind Sieg und Niederlage nicht das konstituierende Ereignis von Herr- und Knechtschaft? Formatieren Sieg und Niederlage nicht als gelungene oder gescheiterte "Selbstbehauptung" auch unser ganz individuelles Denken, Tun und Fühlen, was uns doch für ein Zusammenleben in Zuneigung und Anerkennung ungeeignet macht? Und drohen nicht umgekehrt Rücksicht und Empathie uns wehrlos zu machen gegen die Gewalt der Herrschaft. Welche Quantitäten schlagen hier um in welche Qualität? Es ist herauszufinden, wie wir solche Widersprüche, in die das Leben uns verstrickt, nicht zum Lobpreis von Kampf und Heldentum auflösen, hinter dem Herrschaft und Unterdrückung sich verbirgt und den Weg zu einem guten Leben in Frieden mit unseresgleichen und allem Leben uns verstellt.

4.

Mit den herrschenden Verhältnissen weder Sinn noch Hoffnung mehr zu verbinden, kann uns jedenfalls die Sicht auf eine andere, eine lebensfreundliche Welt öffnen. Es macht empfänglich für Gedanken und für praktische Versuche, ein "gutes Leben für alle" zu erreichen. Wo Herrschaftssysteme abgelöst wurden, waren Menschen am Werk, die aus ihrer zugewiesenen sozialen Stellung ausgebrochen sind, die in der Krise der alten Verhältnisse die Chance von neuen erkannt und genützt haben. Jedes Mal haben Menschen dabei die Freiheit von Unterdrückung für alle aufs Tapet gebracht. Für eine neue Herrschaft mussten sie erst niedergerungen werden. Das ist bis jetzt gelungen, Schicksal aber ist das nicht.

Am Anfang eines solchen Übergangs leben wohl auch wir. Das alte System der Geldvermehrung zersetzt sich in Unsicherheit und Fiktion, löst sich schon an vielen Orten auf in Brachialgewalt, wird sogar in seinen Zentren schon in Frage gestellt. Eine neue Herrschaftsordnung ist noch keineswegs formiert, Freiheit und "gutes Leben für alle" kommt wieder aufs Tapet. Und es soll festgehalten werden: der Ausgang ist am Eingang ungewiss.

Im weitaus größten Teil der Welt weiß wohl ein großer Teil der Menschen: Im Kapitalismus ist für sie der Platz nur noch am Abgrund. Ihre Verbindung zur herrschenden Ordnung ist oft nur noch deren Schmelzen in die Gewalt von religiös verbrämten Warlords, von Mafiabanden und dergleichen. Und doch agieren in Stadt und Land auf Subsistenz in Selbstbestimmung ausgerichtete "Weiberwirtschaften". Und generell wäre wohl ein weit größerer Teil der Menschheit von Hunger und Not betroffen, gäbe es nicht diesen vielfältigen, widerständigen und kreativen "Charme des Informellen". Es ist nicht einfach nur Notbehelf, es ist auch Widerstand und hat in sich die Keime eines guten Lebens. Und vielerorts sind trotz aller Bedrängnis noch Erfahrungen lebendig von Zeiten und Kulturen, wo Geld, Arbeit, Recht und Staat noch nicht das Leben total durchtränkt hatten. Das hilft dabei, die Chance der Freiheit offen, das "gute Leben für alle" denk- und machbar zu halten.

Es gibt auch hier in den Ländern des Zentrums kapitalistischer Lebens- und Wirtschaftsweise Dinge, die uns hoffen lassen. Sie bleiben meist lange in den Rastern der systemkonformen Wahrnehmung als Marginalien unbeachtet. Die an vielen Orten der Gesellschaft auftauchende "Solidarische Ökonomie" zum Beispiel kann sich zu einer um Gemeinschaften zentrierte Versorgung für alle entwickeln, wenn sie auf dem Weg von einer "alternativen Vermarktung" zu einer Alternative zu Vermarktung und staatlicher Verwaltung nicht stehen bleibt. Dazu gehört vor allem die CSA ("Community Supported Agriculture", deutsch oft SoLawi-Solidarische Landwirtschaft genannt), die einige Hunderttausend Menschen in Europa involviert. In ihrer Charta steht, dass "Essen ein Gemeingut, keine Ware ist". Diese Auffassung teilt sie mit der Bewegung für Ernährungssouveränität, die sich in achtzig Ländern, vor allem auf dem Trikont, zusammen mit Via Campesina rührt. Eine Logik der Versorgung statt der Verwertung nicht bloß in Familien, sondern als Kooperation in Nachbarschaften, als Verabredung in Netzwerken von Menschen, die einander kennen(lernen), wird hier gedacht und in Keimen praktiziert. Nachbarschaftshilfe für den Alltag organisiert sich auch in großen Städten, überschreitet die "Stiege" und das Haus. Die zerstörerischen Illusionen von Wachstum und blindem technischen Fortschritt haben in diesen und vielen weiteren Projekten, Versuchen, Treffen keine Strahlkraft mehr. Diskurse um Commons und Degrowth entwickeln sich, treten aus ihren Nischen.

Neue Praxis ist ambivalent. Sie kann von (alten und neuen) Herrschaftsordnungen eingesogen und "verdaut" werden, sie kann aber auch der Ausgangspunkt eines, es sei nochmals so genannt: guten Lebens für alle werden. Es gibt also Bedarf und reichlich auch Gelegenheit, wo Leute, die von einer solchen "anderen Welt" mitteil- und argumentierbare Vorstellungen hegen, etwas zum Sagen und zum Mittun haben. - Und hier ist noch sehr viel auszuführen. In Worten und in Taten.

*

Die große Freisetzung
Transvolutionäre Mutmaßungen zum elementaren Aufstand

von Franz Schandl


Was ersparen wir uns,
wenn es kein Geld mehr gibt?
Nicht nur das Geld ersparen wir uns,
wir ersparen uns noch viel mehr:
Wir ersparen uns,
das Leben zu versäumen.

Um Kuchen zu backen, brauchen wir kein Geld, wir brauchen Mehl, Wasser, Zucker, Milch, Butter, Nüsse, vielleicht Safran. Nicht so im Kapitalismus. Da ist die Kostenfrage unumgänglich, auch wenn kein Gramm des Geldes in die Süßspeise einzudringen versteht. Kurzum: Wirklich wird nicht, was möglich ist, real wird erst das, was bezahlbar ist. Wirtschaft folgt nicht den Bedürfnissen der Menschen, sondern der Logik von Geld und Ware. An dieser Finanzierung scheitert gar vieles.

Heutzutage hat ein Großteil der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht unmittelbar mit Produktion, Distribution und Dienstleistung zu tun, er folgt ausschließlich geschäftlichen, d.h. monetären Erfordernissen. Der Großteil der Arbeit gehorcht nicht nur der Geldreligion, er gehört selbst dem Religionsdienst an. Rechnungen sind Gebetszettel und Bilanzen sind Gebetsbücher dieser seltsamen aber militanten Kommunikationsform. Alles dreht sich um die Finanzierung. Ohne diese läuft wenig. Wir leben in einer finsteren Periode der vom Geld- und Warenfetisch beschlagnahmten Zeit.

Was wir beobachten, ist die Dichte, ja zunehmende Verdichtung der Matrix diverser Beschäftigungen, die ausschließlich oder vornehmlich nur um des Geldes willen verrichtet werden müssen. Sie machen bloß Sinn im Sinne ständiger Kostenrechnung und Bilanzierung. Inzwischen haben sie sich aufgebläht wie eine Blase, der wir Muskel, Nerv und Hirn zuführen, obwohl alle diese Leistungen weder gegessen, getrunken, geschmeckt, genutzt werden können. Zahlenkolonnen und Daten, Tabellen und Statistiken, Kurven und Kurse, das erscheint als objektiviertes Material ökonomischer Sachverhalte. Dies alles türmt sich vor uns auf. Mit dem leben wir, tagtäglich verfolgt es uns, wenngleich wir es als gegeben hinnehmen. Wir, die Geldsubjekte haben nichts anderes gelernt. Fast alles, was wir tun, endet in einer Rechnung, entweder sollen wir zahlen oder wollen bezahlt werden. Registrierkassen sind überall, reell wie virtuell.

Kapitalismus bedeutet, dass alle, also wirklich alle, sich stets Sorge machen müssen um das Geld, das sie haben oder eben nicht haben. Sie müssen es einnehmen und ausgeben, aufstellen und anlegen. Es herrscht die Kunst der monetären Disposition. Das gehört nicht nur dazu, das ist elementar und essenziell. Fast wie Natur oder schon ganz wie diese. Der eigentliche Sinn der Warensubjekte ist der Geschäftssinn. Gnade jenen, die ihn nicht haben oder einsetzen können! Fürsorge in der bürgerlichen Gesellschaft dient vorerst dem Geld, dann erst den Leuten, denen es vielleicht zukommt. Menschen werden heutzutage vom Geld evaluiert, d.h. in Wert gesetzt oder entwertet. Das ist inakzeptabel, und zwar nicht nur aufgrund der Resultate, sondern ganz prinzipiell.

Eines der gängigsten wie mächtigsten Vorurteile ist, dass Geld unsere Beziehungen einfacher macht, ja überhaupt erst ermöglicht. Das Gegenteil ist der Fall, es macht diese um vieles komplizierter, als sie sein müssten, weil sich Tätigkeiten nicht als solche, sondern als marktrelevante zu konstruieren haben, wo die Warenhüter, vulgo Käufer und Verkäufer, sich über abstrakte Arbeitsquanta (oder zusehends über die Simulation derselben) als Konkurrenzsubjekte austauschen. Geld demonstriert die synthetische Unreife der bürgerlichen Spezies, dokumentiert selbstverschuldete Hörigkeit und Unfreiheit, die man partout als solche nicht erkennen will. Geld erscheint gar als zentrales Mittel unserer Mündigkeit und Freiheit.

Verlernen und Verschwinden

Ich will mich hier nun auf einen Aspekt konzentrieren und meine ganze Aufmerksamkeit auf ihn richten, das ist die Demonetarisierung (vgl. dazu ausführlich die Ausgabe 54 der Streifzüge), die mir für die Auflösung der Warengesellschaft fundamental erscheint. Anzuschauen wäre, welche Lebensgewinne sich aus Geld- und Geschäftsabbau ergeben könnten. Unzählige Berufe, die es heute gibt, gibt es ja nur, weil es Geld gibt. Sie entwickeln sich aus keiner anderen Notwendigkeit. Das muss man sich erst vergegenwärtigen, es ist ja alles andere als selbstverständlich, dass es

  • Steuerberater
  • Kassiererinnen
  • Versicherungsagenten
  • Immobilienmaklerinnen
  • Mahnverrechner
  • Buchhalterinnen
  • Kalkulationsersteller
  • Gerichtsvollzieher (Exekutoren)
  • Börsenspekulanten
  • Geldtransporteure
  • Bankangestellte
  • Steuerbehörden etc. gibt.

Machen wir ganz unsystematisch weiter. Dezidiert überflüssig wären alle Agenten der Geldzirkulation. Auch der überwiegende Teil der Kriminalität würde mangels Geld sich entsorgen. Dazu die nötige Juristerei und Polizei, die ja geradezu durch Kapital, Korruption und Kriminalität erzeugt werden. Auch bräuchte es keine parlamentarischen Untersuchungsausschüsse mehr, wo Funktionäre und Personal monatelang im Dreck der anderen wühlen (müssen) und sich zum Schluss niemand mehr auskennt, weil Beweis und Gerücht, Indiz und Verleumdung, Wahrheit und Lüge zu einem unbekömmlichen Brei verrührt werden.

Ein Großteil unserer Tätigkeiten sind jedenfalls Narreteien, dem Geld geschuldet. Sie folgen der puren Notwendigkeit von Markt und Verwertung. Ohne diesen Fanatismus gäbe es sie nicht. Der Markt ist zu überwinden. Auf der Tagesordnung stünde ein großes Verlernen und Verschwinden. Güterdistribution ist von Geldzirkulation zu befreien. Verschwinden würden:

  • alle Kassageschäfte, ja das Geschäft überhaupt
  • das ganze Bank- und Versicherungswesen samt Personal
  • alle monetären Aufzeichnungen und die dazu nötigen Aufwendungen (Programme, Tools u.v.m.)

Ebenso Richtung Orkus verflüchtigten sich alle Tätigkeiten, die indirekt mit dem Geld zu tun haben, also kapitalproduktive Prozesse, die es nur aus dem Grund gibt, weil sie für Akkumulation und Geschäft notwendig sind. Darunter fallen:

  • der Druck der Werbebroschüren, die Herstellung des dafür erforderlichen Papiers und der Farbe
  • der Transport all dieser Materialien und Rohstoffe, die Schlägerung diesbezüglicher Wälder
  • die Produktion der dafür erforderlichen Maschinen
  • der Bau entsprechender Bürogebäude für all die Überflüssigen erster und zweiter Ordnung
  • das Reinigen und Warten dieser meist klobigen Büroklötze
  • Papier und Druck für Rechnungen, Tickets, Quittungen. Etc., etc., etc.

Man merkt, das alles beträfe auch industrielle Kernsektoren (Hochbau, Tiefbau, Maschinenbau). Der Großteil der Produkte ist sowohl schädlich als auch unnötig. Nur durch Verwertung und Wachstum erhalten viele Dinge und Verhältnisse ihren seltsamen Zweck.

Unserer Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Wenn das Geld, der Tauschwert und die abstrakte Arbeit fallen, dann hat das auch ungemeine Auswirkungen auf alles, was man jetzt Gebrauchswert nennt. Güter der Zukunft sind also nicht bloß vom Wert befreit, sie sind gänzlich anderer Statur.

Kettenreaktionen

Die nunmehrige Obsoleszenz der Obsoleszenz führte dazu, dass die Haltbarkeit (statt die Verkaufszahl) der Produkte steigt, was wiederum bedeutete

  • weniger Produktionsaufwand
  • weniger Distributionsaufwand
  • weniger Konsum
  • weniger Müll
  • weniger Verkehr (Stau)
  • weniger physischer, psychischer und emotionaler Verschleiß: Stress, Burnout, berufsbedingte Krankheiten u.v.m.

Das alles hätte zum Ergebnis, dass es weniger Telefonate, weniger Handys, weniger Autos, weniger Computer gäbe. Das alles hätte wiederum zur Konsequenz, dass weniger Energie verbraucht würde, weniger Kraftwerke, Züge, Flugzeuge, Busse, Lastkraftwägen hergestellt werden und in Betrieb gehen müssten.

Die Kettenreaktionen würden gar nicht abreißen, das ganze System des Waren- und Geldverkehrs würde sich ins Nichts auflösen. Auch bei den Konsumenten entfielen alle finanziellen Kalkulationsüberlegungen. Die gesamte Abschaffung der kommerziellen Werbung, auch die wäre ungemein befreiend. Die Welt wäre eine andere, eine mit ganz anderen Usancen und Chancen.

Aber in einigen Details liegen sicher auch noch geahnte und ungeahnte Schwierigkeiten. Das hier ist ja auch lediglich eine rohe Skizze und kein ausgefeiltes Konzept. Was ebenfalls nicht ganz klar ist, ist die zeitliche Dimension, von der wir sprechen. Erste Überlegungen lassen aber vermuten, dass es sich hierbei um keinen hundertjährigen Transformationsprozess handelt. Das können wir uns nicht leisten. Tatsächlich geht es aber, wie Heinrich Harbach richtig schreibt, um eine "Strategie der sukzessiven Auflösung der Wert- und Warenformen". (Ist "Marktwirtschaft" der Endzustand der Menschheitsgeschichte?; in: Marxistische Abendschule Hamburg (Hg.), Aufhebung des Kapitalismus. Die Ökonomie einer Übergangsgesellschaft, Hamburg 2015, S. 155)

Man müsste Kataster erstellen, d.h. alle aktuellen Berufe und Arbeitsfelder auf ihre Begründung hin anschauen und erfassen. Die Anforderungsprofile an zukünftige Tätigkeiten wären jedenfalls substanziell anderer Natur: Wie sehr belasten wir Mensch, Tier, Pflanze, Welt? Wie haltbar sind die Produkte und Leistungen? Wie gesund die Nahrungsmittel? Wie schädlich die Medikamente? Solche Kriterienkataloge gibt es zwar heute auch schon, aber sie sind stets overruled durch finanzielle Interessen. Schließlich geht es jetzt darum Profite zu machen, Löhne zu zahlen, Preise zu erzielen.

Mehr und weniger

All diese Abschaffungen wären verbunden mit einem deutlichen Zeitgewinn, den man fortan für zwischenmenschliche Beziehungen fruchtbar machen könnte. Was den Zuwachs solitärer Kontemplation nicht ausschließt. Produktion könnte ein Teil der Reproduktion werden, hätte nicht mehr den Status einer Sonderzone, die der Gesellschaft als Befehlshaber vorsteht. Denn ohne Markt verschwindet tatsächlich die starre Grenze zwischen Produktion und Reproduktion. Wo vieles weniger wird, wird einiges auch mehr: Man wird mehr kochen, sorgen, pflegen, heilen, lernen, lesen, lieben, lungern, schlafen, basteln, denken, dichten, werken, wandern, spielen, sich dem Müßiggang hingeben, aber auch aktiv sein und sich gelegentlich kräftig anstrengen, körperlich wie geistig. Der Charakter der Pflicht und der Willigkeit soll dem der Solidarität und Freiwilligkeit weichen.

Nichts zu tun auf Dauer ist schier unerträglich, aber die Möglichkeit haben, einmal nichts tun zu müssen, auch länger, von keinen Terminen umstellt zu sein, das wird solche Zeitkontingente erst richtig produktiv machen. Dem Müßiggang entspringen die besten Ideen. Da erwachen Geister und Lüste, wachsen Freude und Freundschaft. Die Freisetzungen stellen also Entlastungen immenser Dimensionen dar, selbst wenn ein nicht unbeträchtlicher Teil der Surpluszeit vorerst in die große Wiederherstellung gesteckt werden muss. Denn freilich darf nicht verschwiegen werden, dass der Kapitalismus einen Riesenaufwand an unaufschiebbarer Reparatur hinterlassen hat. Die Übergangsphase wird auch eine Rehabilitationsphase sein. Es geht um eine Genesung. Nachdem was Herrschaft, also insbesondere Kapital und Staat, Industrialisierung und Mobilisierung, Maskulinisierung und Militarisierung dem Planeten angetan haben, muss dieser generalsaniert werden.

Den Luxus des Träumens sollten wir uns leisten. Ich will hier aber keine Blaupause zeichnen, denn Träume werden sowieso nur wahr, wenn viele träumen und aus der Absicht ein Wollen und Tun entwickeln. Davon sind wir leider weit entfernt. Ein Grundproblem besteht auch darin, dass wir das Neue bisweilen in der alten Form (Geld, Recht, Politik, Werte) denken: "Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neue Weltgeschichtsszene aufzuführen." (Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, MEW 8, S. 115) Allerdings gilt es aufzupassen, dass die Farce nicht wiederum zur Tragödie gerät, wenn wir es nicht schaffen, diese neue Sprache zu erlernen.

Nicht mehr

Die große Freisetzung wäre eine Befreiung der Menschen und eine Entlastung der Natur. Sie würde die soziale und die ökologische Misere lösen. Vor allem wäre sie aber auch der große Schritt vom Disponiert-Werden zum Disponieren, vom Passiv zum Aktiv. Unsere Optionen sind eingeschränkt, weil unsere Geldangelegenheiten, die zahlreichen Fetischdienste (Kaufen, Verkaufen, Bewerben, Berechnen, Überweisen, Kalkulieren) unsere Lebenszeit fressen.

Natürlich wird es auch in Zukunft ein Rechnungswesen geben, aber das wird sich auf Stoffe, Tätigkeiten und Aufwendungen beschränken. Es ist ja nichts mehr in Geldkategorien umzurechnen, da die Finanzierung kein Kriterium darstellt. Rechnungen der Zukunft haben Rechnungen über Materialien und Dienste zu sein, nicht über Kosten derselben. "Denken wir uns die Gesellschaft nicht kapitalistisch, sondern kommunistisch, so fällt zunächst das Geldkapital ganz fort, also auch die Verkleidungen der Transaktionen, die durch es hineinkommen. Die Sache reduziert sich einfach darauf, dass die Gesellschaft im voraus berechnen muss, wie viel Arbeit, Produktionsmittel und Lebensmittel sie ohne irgendwelchen Abbruch auf Geschäftszweige verwenden kann, die, wie Bau von Eisenbahnen z.B. für längere Zeit, ein Jahr oder mehr, weder Produktionsmittel noch Lebensmittel, noch irgendeinen Nutzeffekt liefern, aber wohl Arbeit, Produktionsmittel und Lebensmittel der jährlichen Gesamtproduktion entziehn. In der kapitalistischen Gesellschaft dagegen, wo der gesellschaftliche Verstand sich immer erst post festum geltend macht, können und müssen so beständig große Schwierigkeiten eintreten." (Karl Marx, Das Kapital, Band II, MEW 24, S. 316 f.)

Unumgängliche Verbindlichkeiten hätten ein geringeres Pensum. Unser Leben wäre nicht mehr von Pflichten geprägt, obwohl einigen Aufgaben schon unbedingt nachgekommen werden müsste. Unsere Möglichkeiten wären gänzlich andere, denn sie würden nicht mehr schlicht an der beschlagnahmten Zeit scheitern. Insbesondere braucht niemand mehr Geld zu verdienen, was meint: dem Geld zu dienen. Auch dieses Hetzen und Stressen, dieses geschäftige Getue, dieses ständige von Termin zu Termin eilen, wäre over. "Beatus ille, qui procul negotiis", sagt Horaz (epodes II, 1): Glücklich, wer fern den Geschäften.

Befreiung heißt auch, dass das Geld nicht mehr mitzudenken ist, es als Form der Kommunikation in der Transformation in Vergessenheit gerät. Überhaupt müssen wir aufhören, uns mit dem kommerziell Machbaren aufzuhalten. Wir haben nicht realistisch zu sein. Wenn wir realistisch bleiben, verbleiben wir dort, wo wir sind, oder (was immer wahrscheinlicher wird) wir gehen mit dieser realistischen Welt ganz realistisch zugrunde. Seien wir unrealistisch!

Gut sein

Die letzte These lautet, dass wir, die bürgerlichen Subjekte, aufgrund unserer gesellschaftlichen Situation und Konstitution, den Großteil unseres Lebens durch Fetischdienste versäumen, dass das Leben, gemeint nicht als krude Existenz sondern als das gute Leben, sich gegenwärtig lediglich in Nischen entfalten kann. Und auch dort nur gebrochen. Die große Freisetzung könnte nun das versäumte Leben in das gute Leben verwandeln. Leben mit Leben fluten. Nicht nur das Geld ersparen wir uns, wir ersparen uns noch viel mehr: Wir ersparen uns, das Leben zu versäumen. Es gäbe endlich die Möglichkeit, sich zum Dasein emotional versiert und geistig reflektiert, nicht bloß reflexartig und affektiert zu verhalten. Vor allem müssten wir dann nicht dauernd ans Geld denken und über das Geld handeln. "Wir wollen, weil müssen dich haben", dieses tägliche Stoßgebet des Fetischs wäre ein trauriges Märchen von gestern. Und irgendwann wird man es nicht einmal mehr verstehen, wird diese Transsubstantiation nicht mehr sinnlich fassbar sein.

Das triviale Ziel von alledem ist, dass es den Menschen gut geht und dass sie gut sind. Dass sie gut sorgen und gut versorgt werden und dass sie den Großteil ihres Lebens nach Gusto und nicht nach Zwängen leben können. Uns gut sein und es uns gut gehen lassen! Die Akzeptanz der Ungeheuerlichkeiten, die sich "Ernst des Lebens" nennt, ist durch eine Lust am Leben abzulösen.

Leben statt Überleben!, das ist die banale Ansage, und sie ist eine durchaus darstellbare und vorstellbare Aussage. Spannend noch dazu. Und doch bedarf es eines mentales Sprungs, um diese enorme Initiative anzuzetteln, diesen elementaren Aufstand in Gang zu setzen. In Sicht ist das alles nicht. Aber das macht es nicht unnötig, sondern nur uns unzufrieden. Die künftigen Eruptionen - sie sind zu wünschen wie zu fürchten - werden massiv sein. Sich ihnen einfach auszuliefern, sollte uns nicht gestattet werden. Insofern ist das hier ein waghalsiger Vorschlag in Güte, der aufgegriffen und angenommen werden sollte.


Dieser Beitrag ist auch als Ergänzung und Weiterführung des Aufsatzes "Vom Schöpfen" in Streifzüge 45/2009 zu lesen.

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2000 Zeichen abwärts

Worauf warten wir?

von Petra Ziegler

Die Hütte brennt, aber wir kriegen den Hintern nicht hoch. Totstellen wird kaum helfen. Soviel sollte klar sein. Ist es Dummheit, Trägheit, Mangel an Vorstellungsvermögen, Ohnmacht, die Furcht vor dem Unbekannten?

Nicht, dass die Leute sich nicht über die Zustände aufregen. Aufregung herrscht praktisch in Permanenz. Irgendein Schwachsinn findet sich immer, über den eins sich ordentlich echauffieren kann. Und überhaupt - wer kann denn garantieren, dass auch wirklich was Besseres nachkommt? Da bleiben wir lieber im Vertrauten hocken, flüchten uns in den Alltag. Notgedrungen, sagen wir. "Wie es draußen denn sei, ob es auch nicht regne, / Ob nicht doch Wind ginge, ob da ein anderes Haus sei, / Und so noch einiges", so musste sich schon der Buddha im Gleichnis vom brennenden Haus (Bertolt Brecht, Kalendergeschichten) fragen lassen auf seine dringende Warnung, dass ja bereits "Feuer im Dach sei".

Was sind wir denn für Menschen, dass wir glauben, wir könnten uns "noch allzulang fragen / Wie wir uns dies dächten, wie wir uns das vorstellten" und was wohl werden soll aus den "Sparbüchsen und Sonntagshosen"? Bis uns irgendwann vielleicht eine Alternative reizvoll genug erscheint? Pech eben für die Unzähligen, die draufgehen, derweil wir noch halbwegs im Warmen sitzen. Die täglichen Meldungen vom Elend der Welt können auch wirklich depressiv machen ...

Unsere Resignation, unser Weiterwurschteln, das zähneknirschende Durchbeißen, Tag für Tag - immer auch gibt es ein Stück Weg weiter in die Barbarei frei. Lieber sollten wir uns in die Büsche schlagen, auch wenn da Stolpersteine und unsicheres Gelände auf uns zukommen. Jetzt! Wir können uns dabei nicht aufhalten (lassen), bis auch die letzten Zweifel ausgeräumt sind. "... Wirklich, Freunde, / Wem der Boden noch nicht so heiß ist, dass er ihn lieber / Mit jedem andern vertausche, als dass er da bliebe, dem / Habe ich nichts zu sagen. / So Gothama, der Buddha."

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Grundrisse einer freien Gesellschaft(*)

von Stefan Meretz

(*) Der Artikel ist ein Beitrag aus dem Buch: Aufbruch ins Ungewisse. Auf der Suche nach Alternativen zur kapitlistischen Dauerkrise; Tomasz Konicz, Florian Rötzer (Hg.), Telepolis 2014


Viele Ansätze erdenken neue Gesellschaften, indem sie interessante aktuelle Entwicklungen prognostisch verlängern. Im Zentrum stehen meist neue Technologien - Jeremy Rifkin (2014) und Ludger Eversmann (2014) machen es vor. Ob die prognostizierte neue Gesellschaft wirklich "neu" oder doch nur eine modernisierte Variante des Gehabten ist, wird selten thematisiert. Doch was macht das Neue einer Gesellschaft aus? Was überhaupt ist eine Gesellschaft?

Gesellschaft ist der soziale Zusammenhang, in dem Menschen ihre Lebensbedingungen herstellen und den sie herstellen. Gesellschaft ist somit doppelt bestimmt. Sie ist Bedingung des Machens und Gemachtes. Als Vorfindliches ist sie Rahmen des Handelns, als Aktuelles ist sie Ergebnis des (all-)täglichen Handelns. Kapitalismus als derzeit dominante Weise der Herstellung der Lebensbedingungen ist keine Veranstaltung außerhalb von uns, sondern wir stellen die sozialen Formen, die den Kapitalismus ausmachen, her. Jeden Tag, mit Notwendigkeit.

Das Neue einer neuen Gesellschaft ist nun ebenso doppelt bestimmt. Neu ist eine Gesellschaft nur, wenn die Lebensbedingungen qualitativ auf andere Weise als zuvor hergestellt werden und der soziale Zusammenhang, in dem dies geschieht und den wir täglich erzeugen, eben jene neue Qualität hat, dies zu tun. Es geht damit um zwei Themen: Re-/Produktion und soziale Vermittlung.

Re-/Produktion

Wir stoßen sogleich auf das erste Problem: Die Herstellung der Lebensbedingungen erscheint uns als Produktion, der ein anderer Bereich, die Reproduktion, gegenüber steht. Diese Sphärenspaltung ist jedoch nicht naturgegeben, sondern nur Artefakt der gegenwärtigen Produktionsweise. Tatsächlich umfasst das, was wir täglich brauchen und nutzen, Gebrauchsgüter, Dienste, Kommunikation, Zuwendung, Pflege, Erholung, Ernährung - alles: Produktion und Reproduktion, die wir machen. Genau besehen enthalten sich beide Aspekte: Keine Schöpfung von Neuem ohne Erhaltung von Bestehendem und umgekehrt. Dennoch stehen sich im Kapitalismus Produktion und Reproduktion als getrennte Sphären jeweils eigener Logik gegenüber.

Im Kapitalismus trägt der Sonderbereich "Produktion" den Namen Ökonomie. Diese Bezeichnung geht auf eine Zeit zurück, als Produktion und Reproduktion noch nicht gespalten waren: "Oikos" war der Haushalt, der beides umfasste. Heute bezeichnet die Ökonomie eine besondere Produktionsweise, die Warenproduktion. Waren - wir sprechen hier nur über solche in einer dominant Waren produzierenden Gesellschaft, nicht über Frühformen innerhalb anderer Produktionsweisen - sind eine historisch spezifische soziale Güterform. Es sind auf Grundlage des (individuellen oder kollektiven) Privateigentums getrennt produzierte Güter, die getauscht werden.

Kapitalismus loszuwerden impliziert, anders zu produzieren, und anders zu produzieren, erfordert eine doppelte Überschreitung: keine Warenform, keine Sphärenspaltung. Warum? Die Ware ist die "Elementarform" (Marx 1890, 49) der kapitalistischen Handlungsstruktur. Es ist die soziale Form, in der wir produzieren und die wir reproduzieren. Es ist die soziale Mikroform, die die soziale Makroform - Kapitalismus - erzeugt und in ihr ihre Funktion erhält. Wer über den Kapitalismus hinaus will, muss eine andere Produktionsweise an die Stelle der Warenproduktion setzen.

"Kapitalismus abschaffen" im schlichten Sinne geht also nicht. Andererseits verbleibt bloß innerhalb der Änderungsreichweite des Kapitalismus, wer lediglich abgeleitete Formen - Geld, Gewinn, Zins, Kapital, Betriebsstruktur usw. - modifizieren will. Immanent spricht nichts gegen Genossenschaften, Karmakonsum, Gemeinwohlbetriebe, Arbeiten-ohne-Chef, Ethik und Moral usw., aber sie alle verbleiben innerhalb der Warenform und stellen diese her.

Das Fiese: Die Warenform strukturiert die Handlungsweise, die Exklusionslogik. Dabei geht das warenförmige Handeln des Einen stets auf Kosten eines Anderen: Käufer*in vs. Verkäufer*in, Arbeitsplatzbesitze*r vs. Arbeitslose*r, Markterobernde*r vs. Pleitier, Gewinner*in vs. Verlierer*in. Inklusionen sind keineswegs ausgeschlossen, im Gegenteil. Kooperationen haben die Funktion, die eigene Position in der universalen Konkurrenz zu verbessern. Sie sind der Exklusionslogik als struktureller Handlungsmatrix einverleibt und untergeordnet. Die Gegensätzlichkeit der "Metamorphose(n) der Waren, welche den gesellschaftlichen Stoffwechsel vermittelt" (Marx 1890, 119), spiegelt sich in den gesellschaftlichen Spaltungen, die sie entlang nahezu jeder sozialen Dimension (modern: "Sektion") erzeugt: Klasse, Geschlecht, sexuelle Präferenz, Hautfarbe, Alter, Bildung, Sprache etc. Es ist eine sich durch alle gesellschaftlichen Bereiche durchziehende Logik des Drinnen und Draußen. Dem ist mit Ethik und Moral nur schwer beizukommen. Auch hier sei betont: Immanent spricht nichts gegen Interessenkämpfe, doch sie alle haben nur die Potenz zur immanenten Verschiebung von Kräfte- und Einflussgewichten, nicht zur Aufhebung der Exklusionslogik als Handlungsmatrix.

Eine besondere Form der gesellschaftlichen Spaltung ist die immer noch präsente geschlechtlich strukturierte Sphärenpolarität von Produktion und Reproduktion, von Ökonomie und Privathaushalt (vgl. Scholz 2000). Der Exklusionslogik von Berechnung, Verwertung und Vernutzung steht die Inklusionslogik mit Intimität, Sorge und Liebe komplementär gegenüber. Was nicht verwertbar ist, aber benötigt wird, bleibt der abgespaltenen Privatheit überlassen; was als Gegenstand der Kommerzialisierung entdeckt wird, wird in berechenbarer Form der Verwertung einverleibt (Stichwort: Pflege).

Das Verrückte dieser Sphärenspaltung ist ihre quantitative Verteilung: Entgegen dem Augenschein werden nahezu zwei Drittel der gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten nicht in der Warenform (vulgo: bezahlt) erbracht, sondern jenseits dieser mehr oder minder freiwillig. Gleichwohl bestimmt die Warenlogik die gesellschaftliche Entwicklung umfassend, sie durchwirkt auch die sozialen Beziehungen im privaten Nahraum. Da in abhängiger Weise auf eine funktionierende Warensphäre bezogen, kann die abgespaltene Privatsphäre in ihrer grundsätzlich inklusiven Logik die Ökonomie dennoch nicht ersetzen. Obwohl gesellschaftlich unabdingbar fehlt ihr die produktive Potenz. Eine Alternative kann nur eine Weise der Herstellung aller erforderlichen Existenzbedingungen sein, in der produktive und reproduktive Aspekte nicht konträren Logiken folgen, sondern einander durchdringen und Momente des gleichen Prozesses werden.

Peer-Commons

Eine solche Alternative existiert, es sind die Commons. Sie bilden eine Alternative zur Ware, denn sie repräsentieren eine andere soziale Form die Lebensbedingungen herzustellen. Sie sind die Elementarform einer anderen, einer commonistischen Handlungsstruktur. Ein Commons (das "s" wird für Einzahl und Mehrzahl verwendet) ist der Prozess der Nutzung und Erhaltung von Ressourcen durch eine Gruppe von Menschen, die ihren sozialen Prozess, das Commoning, selbst organisieren und dabei die Regeln ihres Miteinanders festlegen. Die Resultate dieses Prozesses sind traditionell die Erhaltung der gegebenen Ressourcen (meistens Naturressourcen wie Wald, Boden, Wasser) oder in neuerer Form die Herstellung von neuen Produkten (etwa Wissen, Software, Hardware, Nahrungsmittel, Produktionsmittel). Peer verweist in diesem Zusammenhang auf die Gleichrangigkeit der Beteiligten, die die Grundlage der selbst organisierten, freien Kooperation bildet. Peer-Commons sind vernetzbar, die Resultate des einen Commons können Ressource eines anderen sein. Damit ist ihre prinzipielle gesellschaftliche Integration und Verallgemeinerbarkeit gegeben. Doch in welcher Form können Schöpfung und Nutzung gesellschaftlich vermittelt werden, wie entsteht perspektivisch aus den vielen Mikroprojekten eine gesellschaftliche Makrokohärenz?

Vor der Beantwortung dieser Frage ist es sinnvoll, die unterschiedlichen Qualitäten der Elementarformen der Ware und der Peer-Commons zu verdeutlichen. Obwohl sich die realen Peer-Commons noch nicht auf ihrer eigenen Grundlage entfalten können, sondern sich als Keimformen in einer strukturell feindlichen Umgebung behaupten müssen, sind die Unterschiede in den Handlungslogiken dennoch bereits erkennbar.

Warenlogik und Commonslogik

Die Exklusionslogik als dynamisches Verhältnis von Inklusionen und Exklusionen wurde bereits als konstitutive Handlungsstruktur der Ware bestimmt. Voran kommt, wer sich auf Kosten anderer durchsetzt und dabei partielle Bündnisse eingeht. Dem steht die Inklusionslogik als bestimmendes Merkmal der Peer-Commons gegenüber. Hier geht es darum, möglichst viele und geeignete Mitstreiter*innen zu gewinnen, um die Projektziele zu erreichen. Die grundsätzliche Freiwilligkeit, dem auf Seiten der Ware der Zwang zur Verwertung gegenüber steht, ist die Grundlage dafür, dass die Strukturen integrativ und gewinnend gestaltet werden müssen. Die Entfaltung des Einzelnen wird hier zur Voraussetzung für die Entfaltung der anderen Beteiligten. Diese Beziehungsform kann als positive Reziprozität gefasst werden, der im Fall der Ware die strukturell exkludierende negative Reziprozität gegenüber steht. Während negativ-reziproke Beziehungen tendenziell strukturelle Vereinzelung erzeugen, ist das Resultat positiv-reziproker Inklusionsbeziehungen die strukturelle Gemeinschaftlichkeit.

Die Produktion der Güter ist bei der Ware durch fremde Zwecke bestimmt, nämlich die Verwertung des eingesetzten Kapitals. Bei den Commons geht es um die je eigenen Zwecke, um die Befriedigung der Bedürfnisse. Bedürfnisse zählen auf der anderen Seite bei der Ware nur, sofern sie zahlungsfähig sind - Ökonomen nennen sie Bedarfe. Doch auch die Bedarfe sind nicht in ihrer vollen Bandbreite gemeint, sondern nur insoweit sie auf den Kauf der aus Sicht des Verkäufers jeweils eigenen Ware zielen. Alle anderen Bedürfnisse werden unberücksichtigt gelassen oder gar verletzt, sie werden externalisiert. Im Ergebnis erfolgt die Vermittlung der Bedürfnisse ex post über den Markt oder den Staat, also nachdem die Produktion bereits gelaufen ist und die Waren zu Markte getragen wurden.

Die Isolation der unterschiedlichen Bedürfnisse voneinander und ihre getrennte Befriedigung bringt die Individuen in eine Situation struktureller Verantwortungslosigkeit - ethisches Handeln wird so zur externen und ebenso fremden Anforderung, die zudem faktisch nicht einlösbar ist. Sie resultiert in struktureller Selbstfeindschaft ausgedrückt als das Gegeneinander unterschiedlicher Partialinteressen, die durch die Personen hindurch gehen: Mobilität gegen Straßenlärm, Arbeitsplätze gegen saubere Umwelt etc. Peer-Commons auf der anderen Seite tendieren dazu, die unterschiedlichen Bedürfnisse zu internalisieren und ex ante zu vermitteln, also bevor die Produktion beginnt.

Die Kommunikation findet nicht wie bei der Ware über den wertvermittelten Umweg des Marktes statt, wo sich nur die Bedürfnisse durchsetzen, die zahlungsfähig sind, sondern die Kommunikation bezieht sich unmittelbar auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen in ihrer vollen Bandbreite, die nun selbst und ohne die Möglichkeit des Einsatzes struktureller Gewalt (als die Geld wirkt) in struktureller Verantwortungsfähigkeit eine Vermittlung finden müssen. Dass dies auf der lokalen Ebene noch vorstellbar, auf regionalen oder überregionalen Ebenen schwierig wird, liegt auf der Hand (dazu gleich mehr). Dabei erscheint der vergrößerte Zeitaufwand für die direkte kommunikative Vermittlung unterschiedlicher Bedürfnisse nur vor dem Hintergrund der durch permanente Verbilligung der partialisierten Produktion erzwungenen Zeiteinsparung als "ineffizient".

Tatsächlich ist eine Ex-Ante-Vermittlung gesamtgesellschaftlich betrachtet nicht nur effizienter, da durch ihre Ausrichtung eher auf die Vorsorge, Erhaltung und Schadensvermeidung als auf Nachsorge, Verschleiss und Schadensbewältigung (wie bei der Ware) orientiert ist. Sie ist auch individuell befr iedigender, da durch die Freiwilligkeit der produktiven Tätigkeiten in der tatsächlichen Zeitverausgabung die Lebensqualität liegt und nicht in die abgespaltene Sphäre der Familie, Ehe, Freizeit, Urlaub etc. ausgelagert ist.

Gleichheit und Gerechtigkeit sind zentrale, positiv besetzte Begriffe in der bürgerlichen Gesellschaft, die gleichwohl historisch überhaupt erst mit der Warengesellschaft entstanden sind. Erst die Befreiung aus personaler Abhängigkeit schuf die Gleichheit der Individuen als Tauschsubjekte auf dem Markt. Erst die sich hinter dem Rücken durchschnittlich herstellende Äquivalenz des Tausches schuf jene Gedankenformen der Gerechtigkeit, die uns heute so selbstverständlich erscheinen. Gegen diese Formen abstrakter Gleichheit und formaler Gerechtigkeit der Ware setzen die Commons hingegen auf die konkrete Besonderheit und empfundene Fairness der beteiligten Menschen. Sie berücksichtigen die Tatsache, dass die Menschen nun einmal besondere Individuen sind, jede und jeder einzelne für sich.

Auch die neoliberale Ideologie setzt hier an, doch für sie ist die individuelle Besonderheit nur Faktor im Kampf aller gegen alle. Die Aufhebung der konkurrenzförmigen Entfaltung der Individualität ist jedoch nicht leere Gleichmachung, sondern die Entfaltung aller in ihrer jeweiligen Besonderheit in einer Weise, dass niemand unter die Räder kommt. Das ist in der exklusionslogischen Praxis nicht denk- und machbar. Hier ist die Freiheit des Anderen die Grenze der eigenen Freiheit. Inklusionslogisch begriffen ist hingegen die Entfaltung der konkreten Besonderheit des individuellen Menschen die Voraussetzung für die Entfaltung aller anderen Menschen. Diese positiv-reziproke Beziehung der Menschen zueinander fassten Marx und Engels (1848) als "Assoziation worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist". Die Elementarform der Peer-Commons weist in ihrer sozialen Handlungslogik genau diese Beziehungsweise auf - in Keimform (vgl. Meretz 2014a) und mit allen Widersprüchen behaftet, die sich einstellen müssen, wenn sich die Mikroform nicht auf ihrer eigenen Grundlage, sondern in strukturell feindlicher Umgebung behaupten und entwickeln muss.

Vermittlung

Damit kommen wir zu der Frage, wie denn jene Assoziation, deren inklusive Logik schon Marx und Engels auf den Begriff brachten, aussehen kann und wie ihre gesellschaftliche Vermittlung funktioniert. Es ist klar, dass die Ware als Elementarform, als Mikroform dieser Vermittlung ausscheidet - und damit auch alle warenproduzierenden "Übergangsgesellschaften" (etwa der Sozialismus welcher Prägung auch immer). Die neue soziale Form der Vermittlung muss vielmehr in der dominanten alten Form direkt entstehen und sich dort verbreiten und schließlich die alte Warenlogik ablösen (zu den widersprüchlichen Schritten der Transformation vgl. Meretz 2014b und 2015).

Gesetzt also, die Elementarform "commonistischer" Vergesellschaftung sind die Peer-Commons. Wie lässt sich eine gesamtgesellschaftliche Vermittlung auf dieser Grundlage entwickeln? Drei Elemente, die sich teils getrennt, teils in Verbindung miteinander real herausgebildet haben und weiter entwickeln, sollen hier erläutert werden: Soziale Netzwerke, polyzentrische Selbstorganisation und Stigmergie.

Soziale Netzwerke sind Systeme sozialer Interaktionen, die mit Hilfe der Netzwerktheorie beschrieben werden können. Soziale Netzwerke wachsen zunächst langsam und benötigen dafür externen Ressourcen-Input. Oberhalb einer bestimmten kritischen Schwelle wachsen große Netzwerke schnell und tragen sich selbst, indem sie die benötigten Ressourcen selbst erzeugen (Netzwerkeffekt). Teil des Wachstumsprozesses großer sozialer Netzwerke ist ihre interne Ausdifferenzierung durch Funktionsteilung und Clusterbildung. Es bilden sich Hubs (wichtige "Knoten") mit vielen Verbindungen ("Kanten").

In sehr großen sozialen Netzwerken folgt die Verteilung der Verbindungszahlen der Knoten dem Potenzgesetz: Von wenigen sehr großen Hubs mit sehr vielen Verbindungen bis hin zu sehr vielen Knoten mit wenigen Verbindungen sind alle Verbindungsdichten vertreten. Solche Netzwerke sind damit häufig skalenfrei, das heißt, Netzwerkausschnitte (fast) beliebiger Größe sind strukturell gleichartig (gleiche Verteilung der Verbindungsdichten). Sie sind damit entwicklungsoffen (flexibel restrukturierbar) und fehlertolerant, da im Extremfall des Ausfalls wichtiger Hubs die abgetrennten Teilnetze weiterhin ihre Funktion erfüllen können (etwa in Katastrophenfällen). Die commonistische gesamtgesellschaftliche Vermittlung ist als soziales Makronetzwerk denkbar, das zwei Eigenschaften aufweist, die die beiden nächsten zu erläuternden Begriffe darstellen: polyzentrische Selbstorganisation (Qualität der "Knoten") und Stigmergie (Qualität der "Kanten").

Polyzentrische Selbstorganisation ist ein Begriff von Elinor Ostrom (2009), der die strukturelle Meta-Organisation in großen Commons-Systemen beschreibt. Anders als in hierarchischen Systemen mit einem Entscheidungszentrum an der Spitze bilden sich viele Zentren heraus, die unterschiedliche Funktionen wahrnehmen. Es sind die Hubs im Netzwerk, die sich durch die Selbstorganisation der Commons entwickeln.

In Anlehnung an Christian Siefkes (2008) sind vier Commons-Typen vorstellbar. Aufgabe der Projekt-Commons ist das Machen, sie setzen ihre selbst gesetzten Produktionsziele um. Die kapitalistische Analogie wäre der Betrieb. Rolle der Meta-Commons als eines der Polyzentumstypen ist die Koordination. Sie schaffen die Voraussetzungen für und die Koordination der Aktivitäten der Projekt-Commons. Die kapitalistische Analogie wären Management oder Planungsstäbe. Infrastruktur-Commons als weiterer Polyzentrumstyp schaffen die Infrastrukturen für die Vernetzung der Projekt- und Meta-Commons durch Organisation der Informations- und Stoffflüsse. Kapitalistische Analogie wäre das Netzmanagement (Strom, Gas, Bahn etc.). Commons-Institutionen sorgen für die Bereitstellung kontinuierlich benötigter gesellschaftlicher Dienste, wie wir sie heute von Gemeindeverwaltungen kennen. Diese hypothetische Skizze ist nur ein Beispiel, das dazu dient, die Vorstellung einer gesellschaftlichen Vermittlung jenseits der Geldlogik greifbar zu machen. Bei der Frage wie die Vermittlung zwischen den verschiedenen Commons organisiert ist, kommt die Stigmergie ins Spiel.

Stigmergie ist eine Form der indirekten Koordination von Aufgaben in großen sozialen Netzwerken mittels lokaler Informationen. Ursprünglich aus der Tierforschung stammend wurde das Konzept auf technische und soziale Systeme übertragen. Francis Heylighen (2007) hat die commonsbasierte Peer-Produktion als stigmergisches System beschrieben und Christian Siefkes (2013) hat den Ausdruck hinweisbasierte Aufgabenverteilung geprägt.

Aus individueller Sicht ist Stigmergie eine Form der Selbstauswahl, bei der sich Individuen einer Aufgabe verschreiben und sich dabei ggf. mit anderen koordinieren, die auch an dieser Aufgabe arbeiten (wollen). Im Gegensatz dazu ist die hierarchische Aufgabenverteilung fremdzuschreibend, da andere entscheiden, welche Aufgabe der Einzelne zu erledigen hat. Aber auch konsensbasierte Entscheidungen, die oft als Alternative zu hierarchischen Strukturen angesehen werden, haben ihre Nachteile. Sie skalieren nicht besonders gut (begrenzte Gruppengröße), tendieren zu ausufernden Diskussionen und sind anfällig für Provokateure. Konsens bedeutet nicht, dass alle Beteiligten einer Entscheidung zustimmen, sondern nur, dass es keine Gründe gibt, zu widersprechen und ein Veto einzulegen. Solche unter Umständen nur mäßige Akzeptanz führt zu unklaren Motivationen, eine Aufgabe nach einer Entscheidung auch tatsächlich mit Energie umzusetzen. Bei freiwilliger Selbstauswahl ist die Motivationslage hingegen eindeutig: Ich tue genau das, was mir entspricht und ich tun will. Anders als in hierarchischen oder konsensorientierten Systemen fallen Entscheidung und Umsetzung zusammen. Damit wird auch jene "knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit" überwunden, was Marx als Kennzeichen der "höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft" (1875) ansah.

Eine stigmergische Vermittlung der gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten wäre aus zwei Gründen sowohl effektiv (gesicherte Zielerreichung) wie auch effizient (minimaler Mitteleinsatz): wegen des bedürfnisbasierten, motivierten Handlungsantriebs und wegen des minimierten Transaktionsaufwands aufgrund der Selbstorganisation. Es bedarf keiner dritten Instanz, die die Koordination und Planung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene für andere übernimmt, und es bedarf auch keiner zusätzlichen Vermittlung etwa durch Geld. Das stofflich gesehen nutzlose Bewegen von Geld bindet menschliche Energie, die wesentlich sinnvoller für Tätigkeiten eingesetzt werden kann, die sowohl gesellschaftlich benötigt wie auch individuell befriedigend sind (zum Umgang mit unbeliebten Tätigkeiten vgl. Siefkes 2014). Gleichzeitig besteht auch eine funktionale Ähnlichkeit zum Geld als Signalgeber. Während jedoch die signalisierte Information beim Geld eindimensional und nur quantitativ ist ("Es rechnet sich - nicht"), ist sie bei der Stigmergie multidimensional und qualitativ. Ihre Vermittlungspotenz ist also wesentlich umfassender, einzelne Vermittlungen können wesentlich spezifischer gestaltet werden.

Stigmergie folgt dem Netzwerkeffekt. Je mehr Menschen oder Projekte sich einer Aufgabe verschreiben, desto größer sind die Ressourcen und damit Möglichkeiten, das angestrebte Ziel auch zu erreichen. Diese positive Rückkopplung verstärkt sich selbst und führt zu einem exponentiellen Wachstum, was bereits heute in vielen Commons-Projekten zu beobachten ist. Nachteil des Netzwerkeffekts ist die kritische Masse die erreicht werden muss, um die Schwelle zu überschreiten, ab der das Projekt "wie von selbst" wächst und sich trägt.

Im Unterschied zu hierarchischen und besonders zu konsensorientierten Entscheidungsstrukturen skaliert Stigmergie besonders gut für sehr große und komplexe Systeme. Stigmergie braucht Vielfalt und eine große Zahl von Menschen, die sich für eine Aufgabe interessieren könnten. In Anlehnung an das Linus-Gesetz (sinngemäß: "Viele Augen sehen alle Fehler im Programmcode", vgl. Raymond 1999) lässt sich ein Stigmergisches Gesetz der gesellschaftlichen Vermittlung so formulieren: "Gibt es genug unterschiedliche Menschen, so findet sich für jede Aufgabe ein Nerd, der/die sich ihrer annimmt". Eine gesamte Gesellschaft erfüllt genau diese Anforderung.

Zusammenfassend: Jede Gesellschaft lässt sich als soziales Netzwerk fassen, auch der Kapitalismus. Die unterschiedlichen Qualitäten liegen in der Form der Knoten und ihrer Verbindungen, die die gesellschaftliche Vermittlung ausmachen. Im Kapitalismus haben wir es mit einem Doppelnetz zu tun. In einem Teilnetz sind die Knoten die Unternehmen (samt Lohnarbeiter*innen), deren Verbindungen ex post als gesellschaftlich gültige Austauschrelationen (worüber die Wertäquivalenz entscheidet) über Märkte realisiert werden. Diesem Netz ist eine zweite, abgespaltene Netzstruktur zugeordnet, deren interne Verbindungen über die konkreten Lebensbedürfnisse entstehen.

Die Struktur des gesamten Netzwerks und die Proportionalität der Gesamtheit der Verbindungen ergibt sich als Resultat eines unbewussten Prozesses "hinter dem Rücken" (Marx 1890, 59) der Beteiligten. Die beiden Teilnetze funktionieren somit nach unterschiedlichen Logiken, die Verbindungen zwischen ihnen basieren auf gegensätzlichen Interessen und haben abstoßenden Charakter; gleichwohl bleiben es Verbindungen. Wie dargestellt resultiert diese widersprüchliche anziehend-abstoßende Wirkung aus dem Doppelcharakter der Ware, deren Exklusionslogik für das ganze Netz, also die gesellschaftliche Vermittlung insgesamt, bestimmend ist. Sie manifestiert sich im Konkreten in vielfältiger Weise entlang diverser willkürlich zu erzeugender menschlicher Unterscheidungsmerkmale und ist mit "Konkurrenz" viel zu undifferenziert beschrieben.

In der Skizze des Commonismus als freier Gesellschaft existiert nur ein Netz, das gleichwohl in sich hochgradig differenziert und polyzentrisch strukturiert ist. Die Sphärenspaltung ist aufgehoben. Die Knoten sind hier sowohl Peer-Commons (institutioneller wie informeller Art) wie auch Einzelpersonen, die je nach selbstbestimmter Zielsetzung eher mehr produktions- oder reproduktionsorientiert sind, was zudem beständig wechseln kann. Ihre Verbindungen untereinander entstehen aus ex ante bewusst eingerichteten oder im Prozess erzeugten stigmergisch vermittelten Beziehungen, die auf den Bedürfnissen der Beteiligten (Individuen oder Kollektive) beruhen. Planung wie Ausführung der gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten findet über das gesamte Netz verteilt statt und richtet sich permanent neu aus am Maßstab des Grades der Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen. Die Bewusstheit ist dabei nicht bei einer Institution (etwa eine Planbehörde) oder gar einer Person repräsentiert (wie in der nordkoreanischen Juche-Ideologie), sondern im Sinne kollektiver Bewusstheit vom gesellschaftlichen Prozess über das ganze Netz verteilt. Statt fetischistischer Dingfixierung (Statussymbole etc.) liegt der Fokus auf der Gestaltung und Intensivierung der zwischenmenschlichen Beziehungen.

Perspektivenwechsel

Niemand kann die Organisation einer freien Gesellschaft voraussagen. Darum geht es auch nicht. Es geht darum, die Vermittlung jenseits der Warenform prinzipiell denkbar zu machen, um daraus Inspiration und konkrete Kriterien für die Gestaltung der realen Commons-Projekte zu entwickeln. So sollte eines dieser Prinzipien deutlich geworden sein: Statt (fremder) Planung und Organisation der Produktionsprozesse geht es um die Selbstplanung (Meretz 1999) und Selbstorganisation (Schlemm 2006) durch die Produzent*innen. Statt für andere die Prozesse zu organisieren und zu planen, geht es darum, die Bedingungen und Infrastrukturen für die Organisation der Prozesse durch die Menschen selbst zu schaffen.

Die Frage ist also nicht, ob geplant wird, sondern wo, durch wen, für wen und orientiert an welchen Kriterien. Jede Gesellschaft ist in diesem Sinne eine Plangesellschaft. So aktivieren und fordern etwa Marktsysteme die Selbstplanung, dies jedoch unter den Bedingungen der Exklusionslogik auf volles eigenes Risiko und nicht auf Basis von Freiwilligkeit und Abgesichertheit. Fremdbestimmung und Existenzbedrohung schränken Kreativität und Motivation ein. Zentralplansysteme haben im Unterschied zu Marktsystemen die gesamtgesellschaftliche Proportionalität im Blick, können jedoch aufgrund ihrer unflexiblen hierarchischen Struktur nur zäh auf Veränderungen reagieren. Die Menschen sind zwar grundsätzlich abgesichert, in ihren schöpferischen Handlungsmöglichkeiten jedoch durch die Planvorgaben eingeschränkt.

Der Perspektivenwechsel besteht nun darin zu erkennen, dass die Menschen selbst am besten wissen, wie die konkreten Anforderungen vor Ort und an der Sache bewältigt werden. Sie brauchen dafür geeignete Entfaltungsvoraussetzungen, die unter warengesellschaftlichen Bedingungen - mit Markt oder Zentralplan oder Mischformen - nicht gegeben sind. Erst die Aufhebung der Warenform durch die Peer-Commons schafft die Voraussetzungen für eine gesellschaftliche Vermittlung durch stigmergische polyzentrische Selbstorganisation, die ihrerseits die Voraussetzungen für die allgemeine menschliche Selbstbestimmung und -entfaltung schafft.

Die neue Qualität liegt im Sozialen, in der neuen Art und Weise, die Lebensbedingungen und damit sich selbst als Mensch zu produzieren. Neue Technologien bieten hierbei wichtige Möglichkeiten - ohne das Internet keine vernetzten Peer-Commons, ohne neue Produktionsmittel keine relokalisierte Produktion. Sie allein erzeugen jedoch nicht den gesellschaftlichen Umbruch. Umbrüche sind soziale Prozesse, das müssen wir schon selber tun.

Fragen und Antworten zum Text online:
keimform.de/2016/commons-diskurs-freie-gesellschaft/


Literatur

Heylighen, Francis (2007), Warum ist Open-Access-Entwicklung so erfolgreich? Stigmergische Organisation und die Ökonomie der Information, in: Open Source Jahrbuch 2007, Berlin.

Marx, Karl (1875), Kritik des Gothaer Programms, in: MEW 19 (1973), Berlin.

ders. (1890), Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Erster Band, 4. Auflage (hrsg. von Friedrich Engels), in: MEW 23 (1973), Berlin.

Marx, Karl & Engels, Friedrich (1848), Manifest der Kommunistischen Partei, in: MEW 4 (1973), Berlin.

Meretz, Stefan (1999), Produktivkraftentwicklung und Subjektiuität. Vom eindimensionalen Menschen zur unbeschränkt entfalteten Individualität, online:
kritische-informatik.de/pksubjl.htm

ders. (2014a), Keimform und Elementarform, in: Streifzüge 60.

ders. (2014b), Keimform und gesellschaftliche Transformation, in: Streifzüge 60.

ders. (2015), Peer commonist produced livelihoods, in: Lemmens, Pieter (2015, Hrsg.), Producing commons by the common (in Vorbereitung).

Raymond, Eric S. (1999), The Cathedral and the Bazaar, Sebastopol.

Schlemm, Annette (2006), Selbstentfaltungs-Gesellschaft als konkrete Utopie, Osnabrück.

Scholz, Roswitha (2000), Das Geschlecht des Kapitalismus. Feministische Theorie und die postmoderne Metamorphose des Patriarchats, Bad Honnef

Siefkes, Christian (2008), Beitragen statt tauschen. Materielle Produktion nach dem Modell freier Software, Neu-Ulm.

ders. (2013), Peercommony reconsidered, online:
keimform.de/2013/peercommonyreconsidered/ ders. (2014), Artikelserie im Blog keimform.de, Start:
keimform.de/2014/dank-produktivkraftentwicklung-zur-neuen-gesellschaft/

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Dead Men Working

Kein Spielraum

von Maria Wölflingseder


Seltsam, obwohl Vielfältigkeit zum Prinzip erhoben wurde, erscheint die Welt immer einfältiger. Schon seit Jahren wird der Begriff Diversity (engl. für Diversität, Vielfältigkeit) lautstark in die gesellschaftspolitische Schlacht geworfen. Mit diesem soziologischen "modernen Gegenbegriff zu Diskriminierung" sollen "antidiskriminierende Maßnahmen" "argumentativ gebündelt" werden, erklärt Wikipedia. Wie üblich, wird kaum nach den tieferen Ursachen von Benachteiligung und Unterdrückung gefragt. Stattdessen wird hauptsächlich mit Schlagwörtern versucht gegenzusteuern. Das Zauberwort Diversity soll die Verantwortlichen in der Business-World überzeugen, dass auch ältere Menschen oder "Ausländer" mit anderen Religionen und Hautfarben sowie "Menschen mit besonderen Bedürfnissen" ein Recht auf einen Arbeitsplatz haben. Da es jedoch generell viel zu wenig Arbeitsplätze gibt, wird oft beteuert, ohnehin nur eine gerechtere Verteilung der Ungerechtigkeit anzustreben. Sind wir nicht längst auf dem besten Weg dorthin?

Die UNO wollte auf die Notwendigkeit von Biodiversität aufmerksam machen und hat das Jahr 2010 zum Internationalen Jahr der biologischen Vielfalt erklärt. Ob das reicht, die Vielfalt der Arten, der Ökosysteme und der Gene zu erhalten und den Herrschern über die Monokulturen Einhalt zu gebieten? Und in der Pädagogik wurde Diversität zum Prinzip erhoben, um allen Kindern die Chance auf Bildung zu ermöglichen. Als besonders chancengleich haben sich jedoch die Auswirkungen des Konkurrenzkampfes bewahrheitet. Diese treffen tatsächlich alle Kinder - und das in immer jüngerem Alter.

Aber auch bezüglich ganz banaler Dinge merke ich im Alltag wenig von Vielfältigkeit. Ganz im Gegenteil: Wehe du passt in kein Schema und in keine Norm! Wenn dein Fall auch nur kleine Abweichungen aufweist, dann kannst du ganz gehörig zwischen die bürokratischen Mühlsteine geraten. Letztes Jahr habe ich mich bereits Monate vor meiner Bildungskarenz erkundigt, wie ich als Uni-Absolventin nochmals für diese heiligen Bildungshallen zugelassen werden könnte. Als Ausnahmefall wurde ich wochenlang im Kreis geschickt. Ähnliches widerfuhr mir nach meiner Karenzierung am Arbeitsamt. Da ich finanztechnisch angeblich ein Sonderfall wäre, fuhr ich wiederum eine Woche lang Karussell, bevor meine Arbeitslos-Meldung überhaupt akzeptiert wurde.

Nicht weniger Zeit und Energie raubend wird es zunehmend, unter all dem Einheitslook überhaupt noch etwas Passendes zum Anziehen zu finden. Abstrus, jede Saison werden in allen Geschäften Klamotten ein und derselben Fasson angeboten. Wenn deine kleine kurvige Figur in den langen geraden Pullovern und Shirts keine gute macht, hast du Pech gehabt. Oder Jeans mit etwas weiteren Oberschenkeln gibt es nicht einmal mehr in Secondhand-Läden, weil auch dort nur mehr Up-to-date-Mode verkauft wird. Falls du doch noch irgendwo ein Exemplar auftreibst, in das deine Beine passen (die trotz Sport und richtigem Essen nicht schlanker werden), dann nur um den Preis eines Stoffhängebauchs an der Jean, weil der leibliche an dir nicht vorhanden ist.

Besonders arm an Vielfalt ist die trendige Akustik. Schrecklich eintönig klingt alles, was dir täglich zu Ohren kommt. Vom leisen, aber eindringlichen Gepiepse all der digitalen Geräte, über die schrillen Warnsignale, die jede einzelne Tür in den öffentlichen Verkehrsmitteln vor dem Schließen von sich gibt, bis zum hämmernden Sound (den manche Musik nennen), mit dem du allerorts zugedröhnt wirst. Kein Shopping-Tempel, keine Marken-Filiale ohne Umsatz steigernder, weil enthemmender Intonationen. In den Super- und Drogeriemärkten werden die Kunden zusätzlich aus den Lautsprechern verbal animiert. Persönliche Fachberatung und -auskunft hingegen wurden hier gänzlich aufgelassen. - Musik, die mir behagt, gäbe es vielerlei. Aber auf solche spitzen meine Ohren in der Öffentlichkeit vergeblich. - Abwechslungsreicher als die Shop-Akustik ist nur der tonangebende Höllenbaulärm. Von früh bis spät, oft auch samstags oder gar nächtens nervensägende Geräusche von unzähligen Baugeräten und -maschinen oder glockenhelles Schlagen von Metall auf Metall. Es gibt Gegenden, da reiht sich eine ein- oder zweijährige Haus-, Straßen- oder Leitungsverlegungsbaustelle an die nächste. Zehn ruhelose Jahre sind schnell um. Als Topping wird noch Fluglärm serviert. Seit dem Jahr 1999 donnern bei entsprechender Windrichtung täglich über 300 bodennahe Jets quer über Wien. Weder Naherholungsgebiete noch Seniorenwohnheime und Spitäler werden verschont. - Selbst in abgelegenen südlichen Gefilden wird das erholsame Meeresrauschen in der einsamen Bucht nach Jahrzehnten plötzlich vom Nachmittags-Disco-Sound der ankernden Schiffe übertönt und nächtens das Zikadenzirpen von den lautstarken Klimaanlagen der Nachbarzimmer. - Und das Resultat Tinnitus bietet leider auch nur einen einzigen kläglichen hohen Ton! Ebenso wenig unterhaltsam. - Grotesk, stets wird das Individuum zu gesundem Verhalten angehalten, aber gegen all diese akustischen Gemeingefährdungen gibt es keine staatlichen Einwände!?

Mit den öffentlich verbreiteten Gerüchen sieht's nicht besser aus. Während es früher in einem Schuhgeschäft nach Leder oder in einer Buchhandlung nach Papier roch, gibt heute das "Duftmarketing" den Geruch an. In Geschäften, in Büros, flächendeckend werden "Businessdüfte" verströmt, um den Umsatz zu erhöhen oder die Geschäftspartner besser rumzukriegen. Gesund sind diese Stoffe nicht unbedingt. Auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln und besonders penetrant in Theatern und Konzertsälen wird systematisch beduftet. Oft riecht es auch im Park ganz künstlich blumig - wohl aus den Klimaanlagen der darunter stationierten Tiefgaragen. Im Fachjargon nennt sich das "Aktiv-Klima". Höchst einrüchig, oder darf man das als anrüchig bezeichnen? - Wie belastend muss der Geräusch- und Geruchspegel erst für die Angestellten an ihren beschallten und vernebelten Arbeitsplätzen sein?

Der Spielraum wird immer kleiner. Wohin sollen diese Zwangsbeglückungen führen? Werden wir trotz hochgejubelter Vielfalt immer mehr in die Enge getrieben? Darf der Raum nicht nach unseren eigenen Vorstellungen bespielt werden?

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Bornierte Freiheit
oder: Wie man blind und ungeplant ins Desaster stolpert

von Emmerich Nyikos


Selbst wenn in einem Boot, das einen reißenden Fluss überquert, die Besatzungsmitglieder beim Rudern sich völlig verausgaben sollten, selbst dann wird das Boot durch die Strömung vom gegenüberliegenden Ufer extrem abgetrieben, sofern jeder allein und für sich, "völlig frei" sich verausgabt und nicht koordiniert mit den andern.

1.

Die "bürgerliche Freiheit" - ihre Essenz als reales Verhältnis - ist in der Person der Bürger verankert, im "Individuum" also, das, innerhalb der Koordinaten des bürgerlichen Systems, als ein von allen übrigen Akteuren isoliert agierendes Subjekt aufgefasst werden muss. Sie ist demnach um diese Person als ihren Drehpunkt zentriert und deswegen auch per definitionem borniert. Denn da die Person, die vermeint, "selbstbestimmt" zu agieren (wobei aus Prinzip andere Rücksichtnahmen negiert sind), gleichwohl in eine übergeordnete Ganzheit eingefügt ist - in die Gesellschaft (das Warensystem) -, so findet diese Art "Freiheit" ihre Grenzen auch logischerweise an den Grenzen des Handlungsspielraums von atomisierten Akteuren, die isoliert für sich operieren, die aber nichtsdestotrotz nicht vom Ganzen getrennt sind, eben nicht für sich existieren.

Dieser Handlungsspielraum erweist sich nun aber, stellt man den Modus operandi der bürgerlichen Ordnung in Rechnung, als äußerst beschränkt - beschränkt eben durch das blinde, spontane, ungeplante Zusammenspiel aller Akteure, ein Zusammenwirken, welches Umstände setzt (über die sonst überall auch gegebenen Handlungskonditionen, wie etwa das Klima, das Produktivkraftniveau usw., hinaus), die dann als objektive Handlungsbarrieren fungieren, als Schranken der persönlichen "Autonomie", ohne dass die Akteure sich freilich dessen auch nur im geringsten bewusst sind.

2.

Das Konzept der "bürgerlichen Freiheit" wurzelt im Warensystem, d.h. in der Produktion von "unabhängigen" Subjekten, Warenproduzenten mithin, die über den Austausch ihrer Produkte, und im Prinzip nur über ihn, in Kontakt zueinander treten. Das impliziert, dass die voneinander isoliert agierenden Produktionsentitäten ihre Praxis (freilich innerhalb der objektiven Grenzen, die von außen gesetzt sind) in der Tat willkürlich determinieren, oder, wenn man so will, "selbstbestimmt", "autonom", da, in der Theorie wenigstens, keine übergeordnete Instanz existiert - und dies umso weniger, sobald der feudal-absolutistische Staat einmal durch den bürgerlichen "Nachtwächterstaat" abgelöst ist -, die hier steuernd (nämlich von oben, also despotisch) eingreifen könnte. Das Prinzip der "bürgerlichen Freiheit" resümiert sich also darin, dass ein jeder, idealtypisch gesprochen, tun und lassen kann, was immer er will: Was, wie, warum, wann, wo und ob produziert (und natürlich auch konsumiert) wird, obliegt dem Subjekt, es fällt in die Kompetenz des "autonomen" Akteurs. Und das Korollarium dazu lautet schlicht: laissez-faire, laissez-passer. Oder anders gesagt: Es geht im Prinzip um nichts sonst als eben darum, dass sich niemand - keine Instanz, wer und was es auch sei (ob Institution oder Person) - von außen in die Belange der "Bürger" einmischen soll.

3.

Indessen, da es unumgänglich ist, dass die isolierten Warensubjekte, wie isoliert sie auch seien, dennoch, nach Ablauf der Produktion, in Kontakt zueinander treten, soll das System als solches auch funktionieren (denn die Warenproduzenten können aufgrund der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit per definitionem ihre eigenen Produkte nicht selbst konsumieren; würden sie es tun, so wären sie eben keine Produzenten von Waren), kommt es dann doch malgré tout zu einem Zusammenspiel der Akteure, effektuiert durch den Austausch zwischen personalen Agenten - die Ware des einen Akteurs gegen das Geld eines andern -, ein Austausch, der dann einen Zusammenhang auch der Akte der Produktion, und zwar rückwirkend, herstellt. Dieses Zusammenspiel ist aber im Prinzip anonym, es vollzieht sich hinter dem Rücken aller Akteure, denn nicht nur die Produktions-, auch die Austauschprozesse sind selbst jeweils nur ein isoliertes Geschehen, erweisen sich also als kongenial zu den Produktionstätigkeiten, die, um es nochmals zu sagen, sich spontan, also isoliert voneinander vollziehen.

Da dem so ist, da es sich letztendlich doch um ein Zusammenspiel handelt, jedoch unbewusst, ungeplant, so existiert eben deswegen auch eine über die Warensubjekte gesetzte, übergeordnete, sie am Gängelband führende und, wenn man so will, absolute Instanz (nämlich personis soluta), die aber unpersönlich, sachlich, im Grunde: übergesellschaftlich ist: die "sachlichen Mächte", von denen Marx spricht und die sich aus dem blinden, planlosen Handeln aller Akteure ergeben, aus ihrem spontanen, bewusstlosen Zusammenspiel - die "übermächtigen Sachen", welche da sind: die Profitrate, die Lohnrate, die Preise, der Zinsfuß, der Wechselkurs, die Beschäftigungsquote, die Konjunkturphasen und was es dergleichen noch mehr gibt.

4.

Nun ist es klar, dass, da das Neben- und Gegeneinander der Warenakteure definitionsgemäß Planung auf gesellschaftlichem Niveau exkludiert (welche stets gedankliche Antizipation inkludiert), das Denken auf lange Sicht dem Kollektiv der Akteure unmöglich ist. Das versteht sich von selbst. Es gilt aber auch für jeden aparten Akteur, denn da alle isoliert voneinander agieren (und zwar völlig spontan), kann niemand auch wissen, was im nächsten Augenblick sein wird - was sich aus dem Zusammenstoß der spontanen Akte ergibt -, so dass es sich als sinnlos erweist, über den Gegenwartspunkt in Richtung des Zeitpfeils, und sei es auch nur einen kurzen Moment, hinaus- und weiterzudenken.

Das Denken auf kurze Sicht, die Kurzsichtigkeit, ist demnach intrinsisches Moment des Systems, oder anders gesagt: Das epimetheische Gebaren ist eine logische Folge der Spontaneität der Warengesellschaft.

5.

Hinzu kommt dann noch, dass in einem solchen System immer dann, wenn der Erfolg sich nicht unmittelbar einstellen will - wenn die Profitrate auf das Nullniveau fällt oder, anders gesagt, der Input den Return übersteigt -, dass dann unweigerlich der Untergang der Produktionseinheit droht. - Nun aber gilt, dass, wenn man, unter den gegebenen Umständen, langfristig denkt, der Erfolg zunächst sehr oft eben ausbleiben wird, was gleichbedeutend damit ist, dass man gnadenlos scheitert. Eine Firma, die sich darauf kapriziert, Elektroautos zu bauen (weil irgendwann in der Zukunft das Erdöl ausgehen wird), ohne dass die Infrastruktur dafür schon gelegt worden wäre (Tankstationen und was man dergleichen noch mehr braucht), wird sicherlich nicht lang überleben.

So kann die Kapitalentität gar nicht anders, als stets nur den aktuellen Moment ins Auge zu fassen - die Gegenwart ist der Extremhorizont, alles, was zeitlich darüber hinausgeht, muss notwendigerweise aus dem Gesichtskreis verschwinden. Das Kapital ist auf die Gegenwart fixiert, es ist in seinem innersten Wesen eine post-moderne Erscheinung.

6.

Wie jedes dynamische spontane System so wird auch das Warensystem durch Rückkopplungsschleifen geregelt: Steigt ein Parameterwert über eine obere Grenze (oder fällt er, alternativ, unter eine untere Grenze), so löst dies spontan Reaktionen (den Effekt der Rückwirkung) aus, Reaktionen, die diesen Wert in kürzerer oder längerer Frist in seinen "Stabilitätsbereich" wieder zurücktransportieren. Steigt das Angebot über die Nachfrage nach einer gegebenen Ware, so fällt ihr Preis und es wird deswegen auch der Ausstoß dieser Ware von Seiten ihrer Produzenten gedrosselt, und dies eben so lange, bis ihr Preis wieder steigt, was sich automatisch daraus ergibt, dass die Reduktion der Produktion dazu führt, dass nunmehr die Nachfrage das Angebot überflügelt.

Der Ausgleich erfolgt, aber immer nur a posteriori. Und weil dies so ist, weil die Abweichung stets nur im Nachhinein konterkariert wird (und nicht im Voraus vermieden), gibt es eine Zwischenzeit, in der, gerade wegen der Anomalie - der Abweichung von den gegebenen Normen -, Kalamitäten statthaben können, die manchmal selbst dahin tendieren, katastrophale Dimensionen (bis hin zum Crash des Systems) anzunehmen. Steigt das Angebot einer Ware beträchtlich (ohne dass sich die Nachfrage dem anpassen würde - und warum sollte sie auch?), so kann der Warenbestand, der bereits produziert ist, nicht abgesetzt werden, so dass er verrottet, Arbeitskräfte werden entlassen, Ressourcen liegen untätig brach und nicht wenige Produktionsfirmen gehen, wenn es extrem wird, als selbständige Kapitale zugrunde.

All dies ist in etwa so, wie wenn man sich weigern würde, Vorkehrungen im Hinblick darauf zu treffen, nicht von der Brücke ins Wasser zu fallen, und stattdessen darauf setzen würde, dass das eiskalte Wasser ohnedies jeden zwingt, wieder ans Ufer zu klettern, um dann seinen Weg fortzusetzen. In dem einen wie dem anderen Fall ist man schlussendlich dort, wo man eigentlich sein soll, nur dass im letzteren Fall der "Umweg" nicht gerade angenehm ist.

7.

Es scheint, als ob sich das Warensystem befleißigen würde, die Regelprozesse in der Natur sich zu seinem Vorbild zu nehmen: Schädlinge fallen in Schwärmen über ganze Landstriche her, fressen kahl, was man nur kahlfressen kann, und vermehren sich so ungehemmt - solange allerdings nur, bis wirklich alles vertilgt ist; dann aber fällt ihr Bestand mangels Nahrung abrupt auf den Status quo ante zurück. Hat sich indessen, und eben dadurch, der Landstrich von dieser Plage erholt, so gibt es, wie schon zuvor, von neuem Nahrung in Hülle, und der Schwarm vermehrt sich erneut, ganz so, wie wenn es dafür keine Grenzen mehr gäbe, die es dann aber doch, zum Unglück für die Schädlinge, gibt. So dreht sich das Ganze im Kreise, einmal auf, einmal ab, in einem da capo eterno.

8.

Das Fatale dabei, was die Gesellschaft betrifft: Je höher das Niveau der Produktivkräfte ist (und unter kapitalistischem Signum steigt es beständig, es ist der alles beherrschende Trend), desto extremer muss die Reaktion auf die "Abweichung" sein, damit das "Gleichgewicht" wiederhergestellt wird. Und dies kann unter Umständen heißen, dass man auf einen Zustand zurückfällt, der ziemlich weit zurück in der Vergangenheit liegt. - Warum ist das so? Weil mit dem Produktivkraftniveau der Wirkungsgrad des menschlichen Eingriffs in die Konditionen der Praxis (in gesellschaftlichem oder ökologischem Sinn) und damit zugleich auch das Potential der Zerstörung dramatisch, kontinuierlich, unentwegt wächst.

Nehmen wir etwa die Forcierung des Ressourcenverbrauchs, den Raubbau, die Verpestung der Luft, die Verseuchung des Wassers, die Vergiftung der Böden, die Erosion und Verkarstung, die Abholzung der Regenwaldzonen und die Zerstörung der "Lunge der Welt", die Überfischung der Meere, die Wasserverschwendung, die Vermüllung an Land und im Meer, und was es dergleichen noch mehr gibt (und dies alles im Kontext der Explosion mit Bezug auf die demographischen Zahlen): Setzt sich dies ungebremst fort, dann kann die "Reaktion" (im Kontext des kapitalistischen Warensystems) nur darin bestehen, dass sich die Bevölkerungszahl radikal reduziert. Oder anders gesagt: Indem die Mehrheit verhungert oder sonst kläglich das Leben verliert (und die Menschheit somit als "schädlicher" Faktor verschwindet), werden ganz "automatisch" die Bedingungen restituiert (freilich erst nach Äonen von Jahren, wenn sich die Erde erholt hat), die den Anforderungen an ein habitables Milieu zwischen allen Extremen genügen. Hier also fällt der Status quo ante mit dem demographischen Stand der frühgeschichtlichen Ära in eins.

Wenn schließlich ein bestimmtes Limit erreicht ist, zu dem der historische Trend gleichsam schicksalhaft führt, dann drohen die dem System eigenen Regelsysteme unweigerlich zu versagen, so dass, um so wie bisher (im Rahmen der kapitalistischen Ordnung) weitermachen zu können, drastische Maßnahmen notwendig sind (Reaktionen, die sich indes nicht mehr automatisch ergeben, die man daher intentional herbeiführen muss), Eingriffe in das System, die als Trendumkehr konzipiert werden müssen, als Inversion des beherrschenden Trends, eine Inversion, die freilich nur, wie schon gesagt, "auf künstlichem Weg" effektuiert werden kann.

Nehmen wir die säkulare Tendenz des Systems, durch Automatisierungsprozesse die lebendige Arbeit durch tote, vergegenständlichte Arbeit in allen Sektoren der Produktion zu ersetzen (und nicht allein dort). Dies führt unvermeidlicherweise dazu, dass das System mit der Zeit den Bulk seiner Konsumenten verliert, deren absolute, dramatische Mehrheit (jenseits der Bourgeoisie, also der Aktionärsschicht mit ihrem Rattenschwanz aus höherem Management usw.) das Pech hat, auf Lohn und Gehalt als Basis ihres Warenkonsums angewiesen zu sein; und Lohn und Gehalt verschwinden logischerweise aus dem System, wenn die lebendige Arbeit durch tote flächendeckend ersetzt wird. Was aber dann, wenn die Waren nicht mehr abgesetzt werden können? Dann steht das Kapitalsystem an. Die Lösung innerhalb desselben kann dann auf lange Sicht nur darin bestehen (sobald sich der Notbehelf der Konsumkredite erschöpft hat und sofern die Bourgeoisie nicht auf charity in gigantischen Dimensionen zurückgreifen will), im Geist von Ned Ludd die automatisierten Maschinensysteme durch simples Gerät zu ersetzen (im besten Fall aber durch weniger raffinierte Maschinen), damit die Milliarden Beschäftigungsloser in den Arbeitsprozess wieder zurückfinden können. Selbst ein Krieg mit seinem Zerstörungswerk hilft hier nur wenig. Die "Reaktion" (die freilich nur eine theoretische ist) führt somit zurück in die Zeit, wo die Effektivität der Arbeitsmittel sich als derart bescheiden erwies, dass sie des heutigen Stands der Produktivkräfte spottet.

9.

Wie man hier in aller Deutlichkeit sieht: Die "Freiheit", so wie man sie heute, im Kontext der bürgerlichen Ordnung, versteht, nämlich als solche, die sich auf Personen, auf isolierte Entitäten bezieht, diese Art "Freiheit", sobald sie auf allen Niveaus praktiziert wird, genauer: als Leitstern der gesellschaftlichen Praxis fungiert, führt direkt ins Verderben.

Der Ausweg aus diesem Teufelskreis (aus diesem Komplex von circuli vitiosi) kann eigentlich nur darin bestehen, auf gesellschaftlichem Niveau die Produktionsprozesse zu planen, was allerdings, das versteht sich von selbst, voraussetzen würde, dass das Kollektiveigentum an den Produktionsmitteln überall durchgesetzt wird, und zwar ausnahmslos, universal. Der Ausweg besteht mithin in der Planung, deren Standpunkt der der Geschichte und nicht die bornierte Sichtweise ist, welche der bürgerlichen Gesellschaftsform eignet: also der Standpunkt der Vor-, Mit und Nachwelt, des Gesamtzusammenhangs in allen seinen Dimensionen, diachron- und synchronisch, strukturell und prozessual. Daß es nun überhaupt denkbar erscheint - en passant mag es erwähnt sein -, dass der Standpunkt der Geschichte sich an die Stelle der bornierten Sichtweise setzt, durch welche die bürgerliche Gesellschaft beherrscht wird, das ergibt sich zwanglos daraus, dass das Privateigentum, sobald es durch das Gemeineigentum einmal abgelöst worden ist, auf gesellschaftlichem Niveau eben keine Rolle mehr spielt: Und damit verschwindet der beherrschende Grund, der den Blick auf den beschränkten Horizont der isolierten Person bisher eingeengt hat.

10.

Und was wird aus der "Freiheit", wenn man den Produktionsprozess auf der Basis des Kollektiveigentums an den Produktionsmitteln plant? Aus der "Freiheit", die in der "Selbstbestimmung" besteht? Offenbar geht diese Art "Freiheit" völlig verloren. Oder im Klartext: Die "bürgerliche Freiheit" muss, wenn das bürgerliche System durch ein anderes abgelöst wird, sich zusammen mit diesem genauso verlieren. Denn es wäre völlig verfehlt (fahrlässig, um genauer zu sein), wenn man die Handhabe dessen, was in seinem innersten Wesen eine kollektive Obliegenheit ist, dem Gutdünken und der Willkür eines Gemischs von isolierten Partikeln überantworten würde, deren Gesichtskreis per definitionem beschränkt ist und die sich, als Partikel, auch niemals entblöden, alles nur auf sich selbst zu beziehen.

Die "bürgerliche Freiheit" muss ebendeswegen verschwinden - so wie die "feudale Freiheit", das Privileg, zu Beginn der bürgerlichen Epoche verschwand. Oder anders gesagt: Das Konzept der "Freiheit" der Bourgeoisie ist durch ein anderes Freiheitskonzept zu ersetzen, ein Konzept, das sich als kongenial zu dem neuen Typ der Gesellschaft erweist, der allein einen Ausweg aus dem Desaster der perpetuierten Gegenwart bietet.

Dieses Konzept aber besitzt eine duale Struktur: Offensichtlich kann "Freiheit" im "Reich der Notwendigkeit", wie es Marx einst genannt hat, also in der Sphäre der Produktion, des Stoffwechsels mit der Natur, nur "Einsicht in die Notwendigkeit" sein (so wie sie von Spinoza, Helvétius oder Hegel konzipiert worden ist), während in dem, was Marx das "Reich der Freiheit" genannt hat, in der Sphäre der Konsumtion (die jenseits des Stoffwechsels mit der Natur natürlich auch jedes kreative Bemühen umfasst), die "Freiheit" im Genuss "freier Zeit", in free activity besteht - frei von Einmischung und Übergriffen von außen.

Oder anders gesagt: Die Sphäre der Produktion als öffentlicher Bereich gibt Raum nur für das Diktat der Vernunft, der rationalen Überlegung mithin, jenseits personaler Belange, während die Sphäre der Konsumtion, als völlig privater Bereich, der Raum für die "Selbstbestimmung" des Individuums ist - frei von Interventionen von außen (vorausgesetzt freilich, dass die Formen der Konsumtion der Gesellschaft nicht abträglich sind) und zugleich dominant, eben weil die freie Zeit (als Konsequenz der Automatisierung der Produktion) sich bis an die Grenzen der verfügbaren Lebenszeit dehnt -, der Raum demnach einer "Autonomie", die so durch die Hintertür wieder zurückkehrt - diesmal jedoch ohne zu schaden und ohne nur scheinbar zu sein.

*

Pathogene Marktwirtschaft

von Martin Scheuringer


Wie weit reicht die Zuständigkeit für die eigene Gesundheit? Sind Menschen, die vor ihrem 70. Geburtstag sterben, selber schuld, wenn sie täglich rauchten, Limo tranken und Schweinsbraten aßen oder wenn sie Sport nur als Zuschauer vom Sofa aus kannten? Die Kampagnen der Gesundheitsinstitutionen bekräftigen diese falsche Wahrnehmung. Doch überprüft man diese Annahmen mit wissenschaftlichen Werkzeugen, ist klar und deutlich festzuhalten: Nur mit unterschiedlichem Gesundheitsverhalten kann das gesamte Ausmaß der Unterschiede in der (gesunden) Lebenserwartung nicht erklärt werden. Der große Teil der individuellen Unterschiede beim Todeszeitpunkt hängt nicht vom individuellen gesundheitsbezogenen Lebensstil ab.

Oder aus anderem Blickwinkel betrachtet: Langes Leben in Gesundheit für alle ist eine Leistung unserer Gesellschaft und keine der Individuen. Doch dieses Ziel ist definitiv nicht auf der Agenda der Marktwirtschaft. Dies ist offensichtlich für den Großteil des Globus; in den reichen Nationen kann man die lebensverkürzende und krank machende Eigenart der Marktwirtschaft mithilfe von Messungen nachweisen. Dazu werde ich im Folgenden eine Kette von Wirkungen ausgehend vom zu frühen Tod bis zur Marktwirtschaft bilden. Zu dieser Aufgabe gehört auch, Forschungsergebnisse gegen den Irrglauben, dass gesundes Verhalten alle Menschen gesund halten würde, anzuführen.

Belastbare Begründungen

Bei diesem Unterfangen verwende ich die Ergebnisse herkömmlicher empirischer Wissenschaft, in diesem Fall jene aus der Disziplin der public health - sie liefert gute Begründungen für verfrühte Sterblichkeit. Wenn man sich auf eine Methode einlässt, also auf einen überprüfbaren und nachvollziehbaren Weg, Erkenntnis zu erzeugen, so kommen oft Ergebnisse heraus, die dem Alltagsbewusstsein widersprechen. Wobei hier Vorsicht angebracht ist: Es gibt mangelhafte Studien wie Sand am Meer. Erst im Laufe der Zeit hat die Erforschung der Gründe verfrühter Sterblichkeit ein Komplexitätsniveau erreicht, das der Fragestellung angemessen ist. Dennoch werden zig Studien finanziert, die weit unter diesem Niveau bleiben und längst widerlegte scheinbare Zusammenhänge erneut als wissenschaftliche Tatsache ausweisen. All diese Studien sind aus wissenschaftlicher Perspektive nutzlos. Aus gesundheitlicher Perspektive sind sie gefährlich, da sie zu krank machenden praktischen Schlussfolgerungen verleiten: Ich rede hier von Studien, die bloß den statistischen Zusammenhang zwischen Lebensstil und Sterbealter messen. Diese Studien passen zwar in den liberalen Slogan "Du bestimmst über dein Leben", aber ihre Erklärungskraft ist verschwindend. Doch viele glauben diesen pseudowissenschaftlichen Studien nur allzu gerne, weil unsere alltäglichen Beobachtungen diese ja auch zu bestätigen scheinen: Wir sehen Dicke Eis essen, Bierbäuche Bier trinken und Schlanke laufen. Diese Beobachtungen zählen wir als Bestätigung unserer konformen alltäglichen Begründung für die Länge der Lebensdauer durch den Lebensstil. Die dünnen Eis Essenden, die sportlichen Biertrinker und die dicken Läufer zählen wir meist nicht mit oder wir werten sie als Ausnahmen, die die Regel bestätigen.

Erste Gründe und letzte Gründe

Nun hatten manche Wissenschaftler die Idee, nicht nur den Zusammenhang zwischen Lebenserwartung und Lebensstil zu messen, sondern auch das Einkommen und die Bildung der Menschen miteinzubeziehen. Dahinter steht die naheliegende Annahme, dass es reichen Menschen besser geht als armen und dass Erstere länger leben. Und man staune: Die Unterschiede sind beträchtlich: Werden Sie als Mann in eine relativ arme Familie in Deutschland geboren, werden Sie im Schnitt 57 Jahre lang gesund sein; werden Sie aber in eine reiche Familie geboren, so werden Sie im Schnitt 71 Jahre lang gesund sein. (RKI GBE 2/2014, S. 3) Das sind 14 Jahre Unterschied in einem Land mit einem gut ausgebauten Gesundheitssystem, Antirauchkampagnen und Initiativen für einen gesunden Lebensstil.

Zur Erklärung haken Alltagsverstand und Pseudowissenschaft fast automatisiert ein: "Eben! Arme Menschen führen einen krank machenden Lebensstil. Da sieht man es schwarz auf weiß!" Doch einer ordentlichen statistischen Messung hält diese Begründung nicht stand: Dabei misst man Todeszeitpunkt, Einkommen, Ausbildungsdauer, sportliche Aktivitäten, Zigarettenkonsum, Alkoholkonsum, BMI, Geschlecht, Ethnizität, Urbanisierungsgrad und den Gesundheitszustand über viele Jahre hinweg in einer ausreichend großen Stichprobe. So kann man mithilfe von schließenden statistischen Methoden den Einfluss der verschiedenen Faktoren auf den Todeszeitpunkt ermitteln. Eine solche Untersuchung wurde von Paula Lantz 1998 und 2010 veröffentlicht.

Dieser Messung zufolge ist das Risiko, früher zu sterben, für die Unterschicht 3,2 Mal so hoch wie für die Oberschicht. Wenn man aber den gesundheitsbezogenen Lebensstil berücksichtigt, so ist das Risiko immer noch 2,7 Mal so hoch. Der tatsächlich etwas ungesündere Lebensstil der Unterschicht erklärt jedoch das erhöhte Sterberisiko dieser Schicht nur zu ca. 13 %. (Lantz et al., 1998, S. 5) Das ist verdammt wenig, wenn man bedenkt, wie populär diese Annahme ist und wie viele Kampagnen die Krankenversicherungen gegen dieses Verhalten finanzieren. Das immer noch 2,7 Mal so hohe Sterberisiko ist durch den Unterschied zwischen Arm und Reich bedingt - das bedeutet, man kann es noch nicht genau erklären, aber den Lebensstil muss man aufgrund der Ergebnisse weitgehend ausschließen. Ich würde aufgrund der Ergebnisse pointiert behaupten: Es ist zu erwarten, dass der abstinente Vegetarier der Unterschicht früher stirbt als der Trinker und schwere Raucher der Oberschicht.

Aber wie sollen wir uns das vorstellen, dass Armut krank macht? So direkt geht das ja nicht. Wir brauchen ein Modell, eine Kette von Wirkungen, die wir mit Messungen bestätigen oder widerlegen können. Zu dieser Wirkkette findet man zum Beispiel folgende Studie: 2005 untersucht Floor van Oort die Annahme, dass Armut durch Stressfaktoren zu einem erhöhten Sterberisiko führt. Auch sie nimmt einen langen Beobachtungszeitraum, eine ausreichend große Stichprobe und ein hinreichend komplexes statistisches Modell. (Vgl. Floor V. A. van Oort et al., 2005)

Die verfrühte Sterblichkeit der am schlechtesten gebildeten Bevölkerungsgruppe kann zu 89 % durch deren Armut erklärt werden. Jedoch kommt es zu einer Überlagerung: Die Armut wirkt als solche (56 %) und durch Armut hervorgerufene Stressfaktoren (33 %) hindurch. Das bedeutet, dass Armut zu verstärktem chronischen Stress führt, und dieser macht sich in unseren Körpern bemerkbar. Es gibt mittlerweile eine große Zahl an biologischen Studien, die den schädigenden Einfluss von chronischem Stress auf unseren Körper bestätigen. (Vgl. Pickett, Wilkinson, 2015)

Allerdings bleiben 56 % der Wirkung von Armut (in dieser Studie) auf verfrühte Sterblichkeit noch unerklärt. Zu dieser Lücke können wir in der Forschung folgende Hinweise finden:

• Umwelteinflüsse: Ärmere Menschen wohnen häufiger in weniger erholsamen und schmutzigeren Regionen. Das Ausmaß an Luftverschmutzung, Lärm und Umweltgiften ist erhöht, dadurch ist die Resilienz dieser Menschen geschwächt. (Kohlhuber, Bolte, 2006, S. 3729)

• soziale Isolation, freundschaftliche und familiäre Netzwerke: Je isolierter ein Mensch, desto größer ist sein Risiko, krank zu werden (vgl. McGinnis et al. 2002), und je länger ein Mensch arm ist, desto isolierter verbringt er sein Leben (vgl. Kern, 2002).

• Verstärkung der bekannten Wirkketten durch das steigende Ausmaß sozialer Ungleichheit: Wilkinson und Pickett weisen nach, dass eine größere Ungleichheit zu einer Verkürzung der Lebenserwartung für alle führt. Je weiter sich die Schere zwischen Arm und Reich öffnet, desto stärker werden sich die bekannten wie noch nicht erkannten krank machenden Mechanismen sozialer Ungleichheit auswirken (vgl. Pickett, Wilkinson, 2015).

Modell und Ursache

Ein Modell einer wichtigen Wirkkette ausgehend vom frühzeitigen Tod bis zum vorläufig letzten Grund könnte also folgendermaßen aussehen: Die verfrühte Sterblichkeit hängt vom Ausmaß der Krankheiten ab, diese ein wenig von der Art des individuellen Verhaltens, mehr aber vom Ausmaß der Stressfaktoren; diese wiederum vom Ausmaß der Solidarität einer Gemeinschaft, diese vom Ausmaß der sozialen Ungleichheit.

Ursachenbekämpfung bedeutet, dass die Forschung nach den Gründen sozialer Ungleichheit suchen muss und diese nicht einfach als "naturgegeben" hinnehmen darf, wenn sie auch noch nicht alle ihrer Pfade zu den einzelnen Krankheiten gefunden hat (vgl. Marmot, 2010). Die relevante gesundheitliche Frage lautet:

Was erzeugt soziale Ungleichheit?

Oder aus der individualistischen Perspektive gefragt: Sind die Menschen selbst schuld, wenn sie arm sind? Denn so wird der konforme Alltagsverstand fragen, entspricht diese Art zu fragen doch der modernen Vorstellung, dass wir für unsere Leistung gerecht entlohnt werden und dass die Tüchtigen reich werden.

Auch auf dieser Ebene kann mit wissenschaftlichen Studien der alltäglichen Vorstellung widersprochen werden. Nicht individuelle Leistung macht zum Verlierer oder Gewinner, sondern die soziale Herkunft bestimmt das Ausmaß des Reichtums. Entweder man wird in eine Familie mit sehr großem Vermögen geboren oder in eine Akademiker-, Angestellten-, Arbeiter-, Arbeitslosen-, Migranten-, Flüchtlingsfamilie. Meistens verbringt man sein Leben in der gleichen sozialen Schicht. (Vgl. Altzinger et al., 2013)

Davon, dass man also selber schuld ist, wenn man von Armut gefährdet ist, sind wir weit entfernt. Damit sind wir auch weit davon entfernt, behaupten zu dürfen, dass man selber schuld ist, wenn man verfrüht stirbt oder sehr früh an einer chronischen Krankheit leidet. Aber wem dürfen wir dann die Schuld anlasten?

Die Forschungsergebnisse legen nahe, die sozialen Mechanismen zu benennen, die soziale Ungleichheit erzeugen und die ungleiche Gesellschaften festigen. Nicht Eliten sind wegen ihrer gesundheitsschädigenden Entscheidungen zur Verantwortung zu ziehen, sondern die sozialen Strukturen, in denen Eliten diese Entscheidungen treffen können und müssen, sind das Ziel. Dies fordert ein In-den-Blick-Nehmen der unsichtbaren Dinge zwischen den Handelnden heraus. Das ist etwas, das schwerfällt.

Diese "unsichtbaren" Dinge sind durch genaue Beobachtung ihrer Wirkungen im Sichtbaren zu erschließen und können mithilfe von Daten in ihrer Wirkmächtigkeit nachgewiesen werden. Im Übrigen macht das jede Wissenschaft so: Der Mensch kann die Schwerkraft nicht sehen, sehr wohl aber den fallenden Stein. Von diesem schließt er auf die unsichtbare Kraft aufgrund der Wiederholbarkeit unter unterschiedlichen Bedingungen.

Für die empirisch messbare soziale Ungleichheit kann man ebenso auf soziale, also unsichtbare Dinge schließen, die diese Schlüsse begründen. Thomas Piketty leitet aus seinem umfassenden Datenmaterial eine Ungleichheit erzeugende Gesetzmäßigkeit ab: "Wenn die Kapitalrendite deutlich über der Wachstumsrate liegt - und wir werden sehen, dass das in der Geschichte, zumindest bis zum 19. Jahrhundert, fast immer der Fall war und dass es im 21. Jahrhundert höchstwahrscheinlich wieder zur Regel wird -, dann bedeutet das automatisch, dass sich die ererbten Vermögen schneller vergrößern als Produktion und Einkommen. [...] Wichtig ist vor allem, dass die fundamentale Ungleichheit r > g [Kapitalrendite > Wachstumsrate] [...] nichts mit einem unvollkommenen Markt zu tun hat, im Gegenteil. Je 'perfekter' der Kapitalmarkt im Sinne der Ökonomen funktioniert, desto stärker setzt sie sich durch." (Piketty, S. 46). Je perfekter der Kapitalmarkt arbeitet, desto ungleicher wird "automatisch" die Verteilung der Chancen auf ein langes Leben in Gesundheit sein. Dies ist eine Regel innerhalb der Marktwirtschaft, die im aktuellen Jahrhundert wieder gültig ist.

Piketty selbst fordert angesichts dieser Analyse Änderungen in den Steuersystemen (vgl. ebd. ab S. 627). Doch diese Forderungen sind, wie man sich ausmalen kann, politisch nicht durchzubringen einerseits, andererseits verstehen sie das Problem, in dem sich die Marktwirtschaft befindet, nicht: Sie braucht funktionierende Kapitalmärkte dringend, andernfalls würde ihr Versagen noch wesentlich dramatischer auch in den reichen Zentren der Welt in Form von Armut, Ausgrenzung und Gewalt spürbar sein.

Marktwirtschaft ohne soziale Ungleichheit gibt es nicht.

Die soziale Ungleichheit in enormem Ausmaß erzeugenden Kapitalmärkte sind eine wesentliche Reaktion der Märkte auf die Veränderungen in der Herstellung von Gütern. Menschliche Arbeitskraft ist dafür kaum mehr notwendig, und daher schrumpfte im 20. Jahrhundert die Industrie zusammen. "Hatte in den 1950er und 1960er Jahren die rasante Rationalisierung der Industrieproduktion eine Fülle von Produkten überhaupt erst für den Massenkonsum zugänglich gemacht und damit neue Märkte erschlossen sowie zugleich eine massenhafte Nachfrage nach Arbeitskraft in der Produktion angekurbelt, so richtete sich nun die Produktivkraftentwicklung zunehmend gegen die industrielle Massenarbeit selbst." (Trenkle, Lohoff, S. 55)

Dem Kapital, das von Unternehmern immer wieder reinvestiert werden muss, damit es sich vermehrt, schwinden aber durch den Abbau der Industrie die Anlagemöglichkeiten. Virulent wird dies zum ersten Mal in der sogenannten "Ölkrise". "Tatsächlich jedoch war die Ölpreiserhöhung keinesfalls die Ursache, sondern nur der Funken, der den Flächenbrand entfachte. Nachdem die produzierenden Unternehmen schon aufgrund der stagnierenden Wertproduktion und der [...] strukturellen Probleme (Überkapazitäten, veränderte Währungsverhältnisse und gestiegene Arbeitskosten) unter Druck geraten waren, konnten sie einen weiteren Kostenschub nicht verkraften." (Trenkle, S. 48) "Wären diese Krisenerscheinungen tatsächlich bloß von der Kartellpolitik der OPEC verursacht worden, also aufgrund eines 'externen Schocks', hätten sie sich relativ schnell durch betriebswirtschaftliche Kosteneinsparungen, Rationalisierungen und eine Verdrängung der unterproduktiven Unternehmen überwinden lassen; dies umso mehr, als die Ölpreise im Laufe der 1970er Jahre wieder sanken." (Trenkle, S. 52) Die Märkte hätten sich erholt und die Profite wären wieder in der Industrie angelegt worden. Doch: "Große Mengen an Kapital konnten nicht mehr profitabel angelegt werden, weil Erweiterungsinvestitionen nur zum Aufbau weiterer Überkapazitäten geführt hätten und sich daher nicht rentierten. Soweit Investitionen getätigt wurden, hatten diese den Charakter von Rationalisierungsinvestitionen, die zum zusätzlichen Abbau von Belegschaften beitrugen. Die Weltwirtschaft schlitterte in eine klassische Krise der Überakkumulation oder Überproduktion von Kapital hinein." (Trenkle, S. 53)

Nicht nur zu viele Güter wurden produziert, sondern auch zu viel Geld, das nun da war und verzweifelt eine gewinnbringende Anlagemöglichkeit suchte. Diese musste nun geschaffen werden, damit nicht eine Weltwirtschaftskrise akut ausbrechen würde. Dies gelang zuerst durch keynesianische Wirtschaftspolitik, dann durch neoliberale Wirtschaftspolitik. Im Zuge dessen wurde ein "fiktiver" Markt geschaffen, mit Anleihen, Aktien und dergleichen. Von diesem Kapitalmarkt konnten die Unternehmen viel Geld erhalten, um ihre Produktion am Laufen zu halten. "Dass heute schon Kapital investiert werden kann, das nur durch die Erwartung auf zukünftige Verwertung gedeckt ist, erlaubt es, in Zeiten des Booms die Dynamik der Akkumulation enorm zu beschleunigen. In Zeiten der Krise jedoch kommt eine zusätzliche Funktion hinzu: Durch die Aufblähung von Kredit und Spekulation kann zunächst einmal die Kapitalakkumulation aufrechterhalten werden und die Entwertung überschüssigen Kapitals in die Zukunft verschoben werden." (Trenkle, S. 70) Der Kapitalmarkt ist systemrelevant für die Marktwirtschaft in ihrer heutigen Lage; er verlagert die Folgen der Überakkumulationskrise in die Zukunft.

So wird die pathogene Marktwirtschaft vorerst am Laufen gehalten.

Schluss

Innerhalb dieser hier sehr grob skizzierten Logik der unsichtbaren sozialen Gesetze ist ein gesundes langes Leben für alle nicht machbar. Diese Mechanismen wirken mächtig, solange die Menschen versuchen, ihr Leben und ihre Gesundheit in den Griff zu kriegen, indem sie tüchtig arbeiten, intelligent wählen, sich bewusst ernähren und bewegen.

Dieser Aufsatz dient also der Beraubung von Hoffnung in falsche Versprechen. Unsere Kreativität, unser Mut und unsere Kraft sind besser aufgehoben, wenn sie in Projekte, die aus diesem Zusammenhang der Marktwirtschaft hinausweisen, eingebracht werden. Andernfalls werden sie vom Kapital für dessen pathogene Zwecke instrumentalisiert. Solche Projekte findet man z.B. in "Ecommony", das ebenfalls in dieser Ausgabe der Streifzüge besprochen wird.


Literatur

Altzinger et al.: Intergenerationelle soziale Mobilität in Österreich. Statistische Nachrichten 1/2013.

Habermann, Friederike: Ecommony, Ulrike-Helmer-Verlag, 2016.

Kern, Stephanie: Führt Armut zu sozialer Isolation? 2002,
http://ubt.opus.hbz-nrw.de/volltexte/2004/167/pdf/20030217.pdf

Kohlhuber, Bolte: Modelle und Indikatoren sozialer Ungleichheit bei umweltbezogener Gesundheit: Erklärungsansätze aus der Umweltepidemiologie, in: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006, Frankfurt am Main, Campus-Verlag, 2008.

Lohoff, Ernst und Trenkle, Norbert: Die große Entwertung. Warum Spekulation und Staatsverschuldung nicht die Ursache der Krise sind, Unrast, 2012.

Lantz et al.: Socioeconomic and Behavioral Risk Factors for Mortality in a National 19-Year Prospective Study of U.S. Adults, Soc Sci Med, 2010 May.

Lantz et al.: Socioeconomic Factors, Health Behaviors, and Mortality: Results From a Nationally Representative Prospective Study of US, JAMA, 1998.

Marmot, Michael: Inequalities in health: causes and policy implications, in: The Society and Population Health Reader, A State and Community Perspective, vol. 2. New Press, New York.

McGinnis JM, Williams Russo P, Knickman JR (2002): The case for more active policy attention to health promotion. Health Affairs, 21 no. 2: 78-93.

Oxfam: Ein Wirtschaftssystem für die Superreichen, 2016,
www.oxfam.de/system/files/20160118-wirtschaftssystem-superreiche.pdf

Pickett Kate, Wilkinson Richard: Income inequality and health: A causal review, in: Social Science & Medicine 128 (2015), 316-326.

Piketty, Thomas: Das Kaptal im 21. Jahrhundert, C.H. Beck, 2015

RKI GBE 2/2014 - Lampert T, Kroll LE (2014): Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung, Hrsg. Robert-Koch-Institut, Berlin.

Scheuringer et al.: Performancemessung im österreichischen Gesundheitswesen. Schwerpunkt: Outcomes. SV-Analysenbericht,
www.hauptverband.at/cdscontent/load?contentid=10008.633606&version=1474896682

van Oort et al.: Material, psychosocial, and behavioural factors in the explanation of educational inequalities in mortality in the Netherlands, J Epidemiol Community Health 2005.

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No future for Jenny

von Hermann Engster

Welches ist Ihr Lieblingsbuch, Herr Brecht?
- Sie werden lachen: die Bibel.

Brecht hat das Gedicht Die Seeräuberjenny 1926 geschrieben, im selben Zeitraum wie die Ballade Von der Kindesmörderin Marie Farrar, einer als Dienstmädchen schuftenden jungen Frau, die ihre (ungewollte) Schwangerschaft geheim hält (denn ein schwangeres Dienstmädchen wird auf die Straße geworfen) und dann aus Verzweiflung ihr Neugeborenes umbringt. Geschrieben wurden diese Gedichte für die 1927 erschienene Hauspostille. Der Titel ist eine parodistische Anspielung auf christliche Predigtsammlungen, insbesondere auf die gleichnamige Sammlung von Martin Luther. Brecht hat dazu in einer Vorrede Leseanleitungen gegeben: "Diese Hauspostille ist für den Gebrauch der Leser bestimmt. Sie soll nicht sinnlos hineingefressen werden. (...) Es ist vorteilhaft, ihre Lektüre langsam und wiederholt, niemals ohne Einfalt, vorzunehmen. Aus (ihr) mag mancher Aufschluss über das Leben zu gewinnen sein."

Brecht hat die Seeräuberjenny wenige Jahre später in seine Dreigroschenoper eingebaut. Hier dient das Gedicht als Unterhaltungseinlage zur Hochzeit des mafiosen Gangsterbosses Macheath mit Polly, der Tochter des ebenso mafiosen Chefs der Bettlerbande Peachum. Polly selbst singt dieses Lied. Sie klärt zuvor die Gäste über das Milieu auf, in dem Jenny arbeitet, und weist sie an, wie sie dazu beitragen sollen, die Szene bühnengerecht zu gestalten:

So, das ist die kleine Theke, Sie müssen sie sich verdammt schmutzig vorstellen. Das ist der Spüleimer und das ist der Lappen, mit dem sie die Gläser abwusch. Wo Sie sitzen, saßen die Herren, die über sie lachten. Jetzt sagt zum Beispiel einer von Ihnen - auf Walther deutend - Sie: Na, wann kommt denn dein Schiff, Jenny? - Walther: Na, wann kommt denn dein Schiff, Jenny?" Und ein anderer sagt: "Wäschst du immer noch die Gläser auf, du Jenny, die Seeräuberbraut?" (...) So, und jetzt fange ich an.

Meine Herren, heute sehen Sie mich Gläser abwaschen
Und ich mache das Bett für jeden.
Und Sie geben mir einen Penny und ich bedanke mich schnell
Und Sie sehen meine Lumpen und dies lumpige Hotel
Und Sie wissen nicht, mit wem Sie reden.
Aber eines Abends wird ein Geschrei sein am Hafen
Und man fragt: "Was ist das für ein Geschrei?"
Und man wird mich lächeln sehn bei meinen Gläsern
Und man sagt: "Was lächelt die dabei?"
Und ein Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird liegen am Kai.

Man sagt: "Geh, wisch deine Gläser, mein Kind"
Und man reicht mir den Penny hin.
Und der Penny wird genommen, und das Bett wird gemacht
Es wird keiner mehr drin schlafen in dieser Nacht.
Und sie wissen immer noch nicht, wer ich bin.
Aber eines Abends wird ein Getös sein am Hafen
Und man fragt: "Was ist das für ein Getös?"
Und man wird mich stehen sehn hinterm Fenster
Und man fragt: "Was lächelt die so bös?"
Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird beschießen die Stadt.

Meine Herren, da wird ihr Lachen aufhören
Denn die Mauern werden fallen hin
Und die Stadt wird gemacht dem Erdboden gleich
Nur ein lumpiges Hotel wird verschont von dem Streich
Und man fragt: "Wer wohnt Besonderer darin?"
Und in dieser Nacht wird ein Geschrei um das Hotel sein
Und man fragt: "Warum wird das Hotel verschont?"
Und man wird mich sehen treten aus der Tür gen Morgen
Und man sagt: "Die hat darin gewohnt?"
Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird beflaggen den Mast.

Und es werden kommen Hundert gen Mittag an Land
Und werden in den Schatten treten
Und fangen einen jeglichen aus jeglicher Tür
Und legen ihn in Ketten und bringen zu mir
Und mich fragen: "Welchen sollen wir töten?"
Und an diesem Mittag wird es still sein am Hafen
Wenn man fragt, wer wohl sterben muss
Und dann werden Sie mich sagen hören: "Alle!"
Und wenn dann der Kopf fällt, sage ich: "Hoppla!"
Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird entschwinden mit mir.

Jenny, etwa 16 bis 17 Jahre alt, möglicherweise schon ebenso reizlos wie jene Dienstmagd Marie Farrar und wie sie ebenfalls der von Marx abfällig bezeichneten Schicht des "Lumpenproletariats" zugehörig, Jenny, so erzählt die Ballade, arbeitet vormittags als Stubenmädchen in einem lumpigen Hotel am Hafen, mittags und abends als Thekenmädchen in der dem Hotel angeschlossenen Kaschemme, sicherlich schlecht bezahlt, wäscht die Gläser, bedient die Gäste, Hafenarbeiter, Seemänner, Scheuerleute, muss sich von ihnen allerlei Zoten und Grapschereien gefallen lassen, darf sich aber darüber nicht beschweren, muss vielmehr, um nicht als verklemmt dazustehen, das johlende Gelächter mit gespielter Gelassenheit ertragen - diese Jenny erträgt ihre trostlose Gegenwart, in der sie lebenslang und ausweglos eingesperrt sein wird, nur durch die Flucht in eine phantasierte Zukunft.

Jennys Tagtraum

Sie trägt eine geheime Verheißung in sich, vergleichbar der biblischen Geheimen Offenbarung des frühchristlichen Propheten Johannes, verfasst gegen Ende des 1. Jahrhunderts n.u.Z., die Schrift wird auch Apokalypse genannt, was auf deutsch "Enthüllung" bedeutet. Offenbart wird hier die Bestrafung der Missetäter am Ende der Welt und die erlösende Aufnahme der Leidenden und Auserwählten in einem himmlischen Jerusalem als einem Reich, von dem ihnen verheißen wird: Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei und Schmerz. (Offb. 21,4)

Als auserwählt betrachtet sich auch Jenny, doch gibt sie sich nicht als solche zu erkennen und verbirgt vor den Gästen ihre höhere Bestimmung, verrichtet, innerlich hasserfüllt, äußerlich aber gleichmütig ihre Arbeit, und redet insgeheim für sich zu den Gästen: Und Sie sehen meine Lumpen und dies lumpige Hotel / Und Sie wissen nicht, mit wem Sie reden.

Die Geheime Offenbarung kündet von einem Buch mit sieben Siegeln, das am Ende der Zeiten aufgeschlagen wird. Die ersten vier verkünden das Erscheinen von Reitern auf verschiedenfarbigen Pferden, ausgestattet mit Waffen und der Waage der Gerechtigkeit, Reitern, die Furcht und Schrecken unter den Menschen verbreiten. Hier im Gedicht ist es ein Schiff mit acht Segeln / Und mit fünfzig Kanonen. Das ist kein gewöhnliches Piratenschiff, das kaum mehr als zwei Masten hat, sondern ein Schiff mit acht Segeln ist ein gewaltiger Viermaster und ein seltener und erhabener Anblick, und mit einer Artillerie von fünfzig Kanonen ist es ein veritables Kriegsschiff, das da am Kai anlegt.

Als dies sich ereignet, lächelt Jenny vielsagend, sodass sich die Gäste fragen: Was lächelt die dabei? Sie verrichtet weiter ihre Arbeit, wischt die Gläser, macht die Betten, doch weiß sie: Es wird keiner mehr drin schlafen in dieser Nacht. Sie wiegt sich in der Erwartung des Kommenden und genießt ihr geheimes Wissen: Und sie wissen immer noch nicht, wer ich bin. Doch wenn am Abend ein Getös sein (wird) am Hafen, weil das Schiff mit seinen Kanonen die Stadt beschießt, dann wird man sie stehen sehn hinterm Fenster / Und man fragt: Was lächelt die so bös?

Sie wird böse, denn der Wunsch nach Vergeltung für die niederdrückende Hoffnungslosigkeit ihrer Existenz und die erlittenen Demütigungen lodert auf zu einer Rachephantasie: Die Stadt wird gemacht dem Erdboden gleich, und nur ein lumpiges Hotel wird verschont von jedem Streich, sodass jeder fragt: Wer wohnt Besonderer darin? Und dann wird sie ihr Geheimnis enthüllen: Gleich einem biblischen Würgeengel wird sie treten aus der Tür gen Morgen, und alle werden entgeistert sagen: Die hat darin gewohnt? Diese Wahnvorstellung mag man als neurotisch bezeichnen. Aber was erklärt das?

Jenny läuft Amok

Ihre sadistische Rache- und Allmachtsphantasie, mit der sie verfügt, dass Alle! sterben müssen, gewinnt ihre Schreckensgewalt aus der Geheimen Offenbarung. Nach dem Erscheinen der vier apokalyptischen Reiter werden die weiteren Siegel des Buches geöffnet, die sieben Schalen des Zorns Gottes werden über die Menschheit ausgegossen, und sieben Engel blasen ihre Posaunen: Es sind Posaunen wie die, welche einst die Mauern von Jericho einstürzen ließen, so wie hier von den fünfzig Kanonen die Stadt dem Erdboden gleichgemacht wird. Jennys Redeweise, die zunächst in einem schlichten Umgangston gehalten ist, erhebt sich zu einer feierlich-pathetischen Höhe, die den Duktus der Geheimen Offenbarung nachahmt; und dieser wird noch durch die anaphorisch einleitenden Kopula und sowie den wuchtigen parataktischen Gleichlauf der Sätze schicksalhaft drohend verstärkt. So heißt es im 8. Kapitel der Apokalypse:

Und die sieben Engel mit ihren sieben Posaunen hatten sich gerüstet. Und der erste Engel posaunte: Und es ward ein Hagel und Feuer, mit Blut gemengt, und fiel auf die Erde. Und der zweite Engel posaunte: Und es fuhr wie ein großer Berg mit Feuer brennend ins Meer; und der dritte Teil des Meeres ward Blut. Und der dritte Engel posaunte: Und es fiel ein großer Stern vom Himmel, der brannte wie eine Fackel. Und der vierte Engel posaunte: Und es ward geschlagen der dritte Teil der Sonne und der dritte Teil des Mondes und der Sterne Und ich sah und hörte einen Engel fliegen durch den Himmel und tönen mit großer Stimme: Weh, weh, wehe denen, die auf Erden wohnen! (Offb. 8,6 ff.)

Statt der Engel ist es hier eine Hundertschaft von Männern, die gen Mittag an Land (kommen) / Und werden in den Schatten treten / Und fangen einen jeglichen aus jeglicher Tür / Und legen in Ketten und bringen ihn zu mir / Und fragen: "Welchen sollen wir töten?"

Das ist nicht die Redeweise eines armen Thekenmädchens, das ist der Ton der Lutherbibel. Man wird sie sehen treten aus der Tür gen Morgen, wie es im Jakobusbrief (5,9) heißt: Siehe, der Richter ist vor der Tür, und im Psalm (30,6): Den Abend lang währt das Weinen, aber des Morgens ist Freude. Die hundert Männer, die mit ihrem gewaltigen Schiff zu ihrer Rettung herbeigesegelt sind, kommen gen Mittag an Land, wenn also die Sonne am höchsten steht und brennt, und werden in den Schatten treten: Aber der Schatten ist hier nichts Bedrohliches, sondern das Bild spielt an auf den Schatten Gottes, der dem Menschen Schutz bietet, wie es beim Propheten Jesaja (49,2) heißt: Mit dem Schatten seiner Hand hat er mich bedeckt, oder im Psalm 36,8: Wie teuer ist deine Güte, Gott, dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben! Die rächenden Männer fangen einen jeglichen aus jeglicher Tür, wie der Prophet Jeremia von Gott weissagt: Ich, der Herr, gebe einem jeglichen nach seinem Tun (Jer. 17,10), und der Psalm (62,13) Gottes Gerechtigkeit bekräftigt: Du bezahlst einem jeglichen, wie er's verdient.

Brecht verfährt hier dichterisch ebenso wie Goethe, der im Faust in der Szene Gretchen am Spinnrad (Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer) Margarete, ein einfaches Bürgermädchen, in ihrer sehnsüchtigen Erinnerung an den geliebten Faust zur Sprachhöhe des Hohenlieds Salomonis sich aufschwingen lässt: Nach ihm nur schau ich / Zum Fenster hinaus, / Nach ihm nur geh ich / Aus dem Haus (Faust I, 3390 ff.) - Ich will aufstehen und in der Stadt umgehen auf den Gassen und Straßen und suchen, den meine Seele liebt (Hoheslied 3,2). Rüde durchbrochen allerdings wird der hohe Ton bei Brecht durch das saloppe Hoppla! beim Fallen des abgehauenen Kopfes. Das ist eben Brecht.

Jennys Reise ins Glück

Jennys Reise ins Glück
Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird entschwinden mit mir.

Wahn und Wirklichkeit

"Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks. (...) Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volks ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist. (...) Es ist also die Aufgabe der Geschichte, nachdem das Jenseits der Wahrheit verschwunden ist, die Wahrheit des Diesseits zu etablieren. Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde." Karl Marx: Zur Kritik der Hegel'schen Rechtsphilosophie. Einleitung (1844)

Epilog

Muhammad D., 27 Jahre alt, hat am 24. Juli 2016 in Ansbach bei einem Musikfestival einen Selbstmordanschlag verübt, bei dem er 15 Menschen verletzte, drei davon schwer, und er selbst den Tod fand. Dies sind die Stationen seines Lebenswegs: Syrer, gute Schulbildung, seine Frau und sein Kind bei einem Bombenangriff getötet; er wird schwer gefoltert und zum Anschauen von Folterungen und Ermordungen gezwungen; Flucht aus Syrien zunächst nach Serbien, wo er von der Polizei nach Bulgarien weitergeschickt wird, dort als Flüchtling registriert; Granatsplitter in den Kniegelenken diagnostiziert, diese schmerzen, werden aber nicht operiert; im bulgarischen Gefängnis nach Misshandlungen und Einzelhaft auf die Straße gesetzt; Weiterreise nach Deutschland, Asylantrag abgelehnt, da bereits in Bulgarien registriert, Abschiebung nach Bulgarien verfügt; er ritzt sich die Arme blutig, zertrümmert ein Waschbecken, begeht zwei Suizidversuche, wird danach in der Psychiatrischen Klinik Ansbach untergebracht; nach dem Ende der Therapie wird eine neue beantragt. "Das letzte halbe Jahr, in dem er auf eine Verlängerung gewartet hat, da muss etwas passiert sein", sagt sein Therapeut. Muhammad hat Verbindung zum IS und bezeichnet sich als Kämpfer Allahs. Auf seinem Handy wird ein Video gefunden, auf dem er dem IS-Führer Abu Bakr al-Badadi die Treue schwört. Jedoch stellt sein Therapeut fest: "Was Muhammad da als Bekenntnis zum IS wiedergibt, klingt für mich schon sehr auswendig gelernt. Diese Sätze passen einfach nicht auf ihn." Es habe keinerlei Hinweise gegeben, dass er gegenüber anderen Menschen Aggressionen hege. (Quellen: Süddeutsche Zeitung, 27.7.2016; Die Zeit, 28.7.2016)

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2000 Zeichen abwärts

The radical new same old shit

von Ricky Trang


Angeblich weht ein frischer Wind im Vatikan. Aber oft ist ein Lüftchen auch nur das rektale Entweichen von Darmgasen. Jedenfalls hat Everybody's Darling und Popstar Papst Franziskus am Sonntag, den 4.9.2016 Mutter Teresa heiliggesprochen. Nicht überraschend, wusste doch schon Helvetius: Wenn man ihre Heiligenlegenden liest, findet man die Namen von tausend heiliggesprochenen Verbrechern.

Diesem illustren Kreis anzugehören war das Lebensziel der Anjezë Gonxha Bojaxhiu. Und wie sie selbst sagte, sind Taten der Nächstenliebe immer ein Mittel, um Gott näher zu kommen. Dabei ist materielle Hilfe für die Armen und Kranken weniger zuträglich als die Verbreitung des wahren katholischen Glaubens. So ist es nicht verwunderlich, dass, wenn es in ihren Einrichtungen keine schmerzstillenden Mittel gab, die Spritzen unter kaltem Wasser gereinigt wurden, die Ernährung weniger als mangelhaft war und die Elenden dort unter katastrophalen Zuständen dahinvegetierten, es nicht am fehlenden Geld lag. Dieses wird schon eine gottgefällige Verwendung gefunden haben, genaueres weiß jedoch nur dieser selbst.

Selbst gespendete Heime mit zeitgemäßer Ausstattung wurden sofort auf äußerste Schlichtheit und Armut rückrenoviert. Denn es ist etwas sehr Schönes, wenn man sieht, wie die Armen ihr Kreuz tragen. Wie die Passion Christi, ist ihr Leid ein großes Geschenk für die Welt. Dass alles nur eine Frage des Blickwinkels ist muss dem Guardian entgangen sein, als er die Sterbehospize eine organisierte Form unterlassener Hilfeleistung nannte.

Unbeirrt ging der Totenengel von Kalkutta seinen Weg, wissend, dass die Kirche, solange sie auf der Seite Gottes steht, nichts Falsches tun kann, bekennend, dass sie natürlich die Partei der Inquisition gegen Galileo ergriffen hätte, verkündend, dass die Abtreibung die größte Bedrohung des Weltfriedens ist, und überzeugt, dass dieser Weg sie schnurstracks in den heilen Stand des Heiligseins führen würde.

Und doch kann der ab diesem Moment heiligen Teresa von Kalkutta auf ihrer Wolke die subtile Kritik an ihrem Lebenswerk nicht entgangen sein, als der Revoluzzer Franziskus im Anschluss an die Heiligsprechung 1.500 Arme zur Pizza einlud.

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Rückkopplungen

The Future is unwritten

von Roger Behrens


Die Moderne will auf Dauer eingestellt sein, proklamiert die Ewigkeit, die keinen Anfang und kein Ende kennt, verteidigt die Beständigkeit ihrer Werte. Widerlegt wird das, wie in jeder Zeit, von der Vergänglichkeit; das Dauernde, ja Überdauernde realisiert die Moderne nicht als "Ewiges Immer" (das kabbalistische "En Sof"), sondern, im Gegenteil, als Langeweile (und überdies hat mit der Moderne die Langeweile ja eine vehemente Bedeutungsabwertung erfahren): Was bleibt, erscheint nur allzu oft als negativ, lässt einen nicht mehr los. Man versauert, erstarrt körperlich, wörtlich: Die Melancholie ist die schwarze Galle. Die moderne Psychopathologie beschreibt dies - das Leiden an der Zeit, die einen gefangen nimmt - als Depression; schon früh im 20. Jahrhundert geriet das auch zum Schreckbild kapitalistischer Ökonomie: Die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre war die Zeit der Great Depression.

Kontrafaktisch zur verwertungslogischen Realität behauptet der kapitalistische Kulturbetrieb seit jeher, solchen depressiven Zeiten entkommen zu können. Die Komprimierungsverfahren, die Langeweile in Kurzweil verdichten, werden seit Ende der 1990er Jahre, schließlich vor allem seit den sogenannten Nullern sozialtheoretisch aufgebrezelt als Beschleunigung oder Akzeleration bezeichnet: Die Kultur ist auf den Superlativ eingestellt, alles soll immer größer, bunter, schneller sein, die Gegenwart überschlägt sich, die Zukunft findet längst schon statt - das ist das Versprechen; und ohnehin ist kaum noch zu erkennen, was die Zukunft an echtem, wirklichem Novum bieten könnte. "Hier ist die Rose, hier tanze" - Hegels antiutopischer Verzicht auf jeden revolutionären Vorstoß, ist in billiger und blöder Weise eingelöst worden: "Es ist ebenso töricht zu wähnen, irgendeine Philosophie gehe über ihre gegenwärtige Welt hinaus, als, ein Individuum überspringe seine Zeit ... Geht seine Theorie in der Tat drüber hinaus, baut es sich eine Welt, wie sie sein soll, so existiert sie wohl, aber nur in seinem Meinen - einem weichen Elemente, dem sich alles Beliebige einbilden lässt." - "Alles Beliebige" ist nun allerdings das allgemeinste Kulturprogramm, insbesondere seit der Postmoderne, die alles Beliebige noch zur All-Beliebigkeit übersteigerte: ein Sog, der in die Zukunft treibt - in der sich dann doch nur wieder und wieder die Gegenwart spiegelt (bzw. wiederholt). Beobachtet wird seit einigen Jahren, dass man sich im kulturellen Sprung nach vorne allenthalben in die Vergangenheit stürzt: Es gäbe im "Kapitalistischen Realismus" keine Alternativen mehr, schreibt Mark Fisher; und allemal sei die Vergangenheit und das Vergangene irgendwie besser, d.i. spannender, gehaltvoller, auch kurzweiliger. Eine regelrechte "Retromania" sei ausgebrochen, diagnostitziert Simon Reynolds dazu: Der Pop könne nicht von seiner Vergangenheit lassen, so die These des Autors.

An der Retromania-These interessant ist darüberhinaus: dass der Pop überhaupt eine Vergangenheit hat. U.a. als "short-term solution" und "easily forgotten" hatte der Künstler Richard Hamilton die Pop Art definiert; seine berühmte Collage "Just what is it that makes today's homes so different, so appealing?" fungierte als Poster für die Ausstellung "This is tomorrow", die 1956 in London zu sehen war und als initial für die Pop Art gilt; die Künstlerinnen und Künstler, die hier einem europäischen Nachkriegspublikum U.S.-amerikanische Massenkultur als das zukünftige bessere Leben präsentierten, orientierten sich etwa an den futuristischen techno-Entwürfen Buckminster Fullers. Das Idealbild einer Zukunft wurde präsentiert, in der sich das Alltagsleben ohne weiteres durch Konsum und Technik attraktiv und angenehm wird ausstaffieren lassen; die Gestaltung der Zukunft sollte zu einer Aufgabe des Designs werden, und designed wurde der Lifestyle.

Mit dem Pop verkehrte und verkeilte sich der Zukunftsbezug kapitalistischer Kultur merkwürdig: Unter dem Vorzeichen von Pop wurde Kultur zum "Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit" (so der Titel eines Films von Alexander Kluge, 1985) - die popkulturelle Gegenwart antizipierte das Zukünftige in unzähligen Rock 'n' Roll-Varianten einer Wiederkehr des ewig Gleichen; die Zukunft wurde zur neusten Mode, die Vergangenheit zum Unmodernen, Altmodischen.

In der Popvariante schoss die Moderne stets über sich hinaus; allein mit Mitteln des Pop konnte sie nicht halten, was sie allein mit Mitteln des Pop versprach: das bessere Leben. Als Geschichte sedimentierte sich so eine Vergangenheit des Pop - eben das, was die Generationen, die in den 50ern, 60ern, 70ern ff. ihre Jugend hatten, als gelungene ("gute", "schöne", "wilde") Zeit erfahren hatten (oder meinten, erfahren zu haben, und "ihre Jugend" eben derart stilisierten); dabei blieb gerade in der Direktive der Jugend der Pop stets auf die Zukunft gerichtet: "Jede Jugendbewegung stellt sich als Darlehen auf die Zukunft dar und versucht, es vorzeitig einzulösen, aber wenn es keine Zukunft gibt, sind alle Darlehen gestrichen." (Greil Marcus, "Lipstick Traces", Hbg. 1996, S. 17) Dass es keine Zukunft gibt, dämmerte gerade den jungen Leuten: im Schatten der verlorenen Revolten von Achtundsechzig wie auch im drohenden Vorschein des Neoliberalismus Thatchers und Reagans. In der Bundesrepublik, in der dann die Ära Kohl begann, mit Bitburg, Historikerstreit etc., wurden dann die sogenannten Sponti-Sprüche beliebt: "Die Welt geht kaputt! - Gehst Du mit?" und dergleichen. In den 1980ern waren das bereits die Ausläufer des Punk, zumindest in der Variante von den Sex Pistols oder The Clash.

"No Future!" skandierten die Sex Pistols - als Schlussrefrain von "God save the Queen" 1977. BBC und andere Radiostationen weigerten sich, den Song zu spielen. Heute rangiert der Hit auf Platz 175 in der Liste der "500 Greatest Songs of All Time". Auf dem Album "Combat Rock", das The Clash 1982 veröffentlichten, ist hingegen zu lesen: "The Future is unwritten", die Zukunft ist ungeschrieben. - Eine radikale Konsequenz aus dem "No Future!": Mit der bisherigen Geschichte wird es keine Zukunft geben; sie muss erst noch geschrieben werden.

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Auslauf

Denkfabriken

von Franz Schandl


Nicht wenige Begriffe verraten sich, wenn wir sie näher anschauen. "Denkfabrik" ist so ein Terminus, der seine eigene Offenbarung leistet. Denkfabriken wollen Denken fabrizieren, wollen Denken zur industriellen Meterware machen. Denken geht in Serie und so schaut es auch aus. Apologetik pur in Konserven.

Wer es sich leisten kann, leistet sich heutzutage Denkfabriken. Die sind dazu da, Konformes in entsprechenden Happen zu servieren. Gängig und eingängig haben diese zu sein. Wir haben es zu tun mit Gehirnwaschautomaten, die durch ständiges Schleudern suggerieren, dass es so und nicht anders sein kann. Als medialer Dünnpfiff kommt das dann so rüber: Die Wirtschaft gilt es anzukurbeln, die Hausaufgaben zu machen, nicht über unsere Verhältnisse zu leben, den Reformstau zu beenden, das Pensionsalter hinaufzusetzen und das Jammern (insbesondere auf hohem Niveau) zu unterlassen, denn das stellt ein demokratiepolitisches Problem dar und gefährdet den Standort. - Es wird so oft wiederholt, bis alle daran glauben.

Denken ist freilich keine industrielle Größe, sondern eine Kraft von Inspiration und Intuition, Konzentration und Reflexion, Erkenntnis und Wissen. Wer meint Denken industriell fertigen zu können, ist ein Ignorant oder ein Rosstäuscher. Denken ist mehr als Fabrizieren und Registrieren, Kapieren und Akzeptieren, es bewegt sich weit darüber hinaus. Denken ist reflektiertes Reflektiertes, will es Qualität oder gar Originalität gewinnen. Ansichten und Slogans können fabriziert werden, Denken nicht. Seriell herstellen lässt sich nur Werbung, aber darum geht es auch in diesem irrtümlich Denken genannten Fabrizieren. Es ist nichts weniger als die penetrante Reklame der Herrschaft, die dort eifrig reproduziert wird. Denkfabriken sind Abteilungen der Kulturindustrie.

Die Agenda Austria ist so ein wirtschaftsliberaler Think Tank. 2013 gegründet, bezeichnet sie sich als "erste unabhängige Denkfabrik". Unabhängig meint, dass die "Stimme für die Marktwirtschaft" ohne staatliche Gelder auskommt und ausschließlich privat finanziert wird. Dabei verpflichten sich die Geldgeber dieser "Denkfabrik für Millionäre" (Kurier vom 4. September 2013) auf drei Jahre. Private zahlen 10.000 Euro jährlich, Firmen ab 20.000 aufwärts. Das durch Freiheit befreite Denken muss natürlich unablässig geschmiert werden. Und es muss toll sein, denn sonst würden die Leistungsträger den Leistungsideologen nicht solche Summen spendieren. Der Markt regelt das, sei die Hand nun sichtbar oder unsichtbar. Da werden Büros zur Verfügung gestellt und Veranstaltungen ausgerichtet, auf dass Koryphäen der Affirmation ihre standesgemäß standardisierten Meldungen ausliefern und verbreiten können.

Ähnlich Tierfabriken liefern Denkfabriken Fast Food für genügsame Birnen. Es geht um das Akklamieren akkreditierten Gemeinsinns. Ziel ist die stetige Rekonsolidierung bürgerlicher Hegemonie. So gewinnen gut bestallte Kanoniere den Kampf um die Köpfe, nicht aufgrund überzeugender Argumente, sondern weil sie ganz einfach infrastrukturell hochgerüstet eine Unmenge industriell herstellen und ihre Auswürfe überall unterbringen können, sei es direkt als PR oder indirekt durch redaktionelle und außerredaktionelle Beiträge. Es gleicht einem unermüdlichem Lobbying und einer ständigen Propaganda. Neben diversen Frontmagazinen (Brandeins, Hohe Luft) sind Think Tanks heute unabkömmlich.

Was übrigens die Besucherzahlen ihrer Homepage betrifft, rangiert besagte Agenda Austria nur wenige Plätze vor der Website der Streifzüge. Hätten wir ihre Werbemittel, wäre der Vergleich eindeutig zu unseren Gunsten ausgegangen. Indes, wir haben sie nicht. Wir sind zwar besser, aber akkurat deswegen auch um vieles ärmer. Verfügt die Agenda jährlich über ein Budget von 1,2 Mio. Euro, so die Streifzüge über gerade mal 15.000 Euro. Dieses Missverhältnis sollte unser Publikum nicht durchgehen lassen. Die Trafomitgliedschaft kostet bei uns jährlich 144 Euro. Wenn jemand 10.000 zahlen kann, nehmen wir es aber auch. Die Streifzüge werden ja weder staatlich alimentiert noch industriell finanziert. Ob wir existieren oder nicht, ist eine Frage der Menschen, die sich uns gönnen wollen. Wenn es mehr wären, wäre es besser. Wir bitten das nicht zu vergessen und entsprechend zu berücksichtigen. Am besten gleich.

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AutorInnen

Roger Behrens, Streifzüge-Kolumnist.

Meinhard Creydt, 1957. Autor, Soziologe und Psychologe, lebt in Berlin. Zuletzt erschienen: Wie der Kapitalismus unnötig werden kann (2014), Der bürgerliche Materialismus und seine Gegenspieler (2015). www.meinhard-creydt.de

Nikolaus Dimmel, 1959. Studierte Rechtswissenschaften, Politikwissenschaften, Soziologie. Lehrtätigkeit u.a. an der Univ. Salzburg. Schwerpunkte: Armut/Reichtum/Ungleichheit, Sozialwirtschaft, Sozial- und Migrationsmanagement sowie Arbeits-, Kriminal- und Rechtssoziologie.

Hermann Engster, 1942. Lebt in Göttingen, Studium der Nordistik und Germanistik. Zzt. Dozent an der Universität des dritten Lebensalters Göttingen, Seminare zu Literatur und Opern; bei der Krisis und im Trafoclub der Streifzüge.

Tomasz Konicz, 1973. Studierte u.a. Geschichte, Soziologie, Philosophie. Freier Journalist mit Schwerpunkt Osteuropa. Zuletzt erschienen: Kapitalkollaps. Die finale Krise der Weltwirtschaft (2016).

Stefan Meretz, Streifzüge-Kolumnist.

Emmerich Nyikos, 1958. Historiker, lebt als freier Autor in Mexiko-City. Zuletzt erschienen: Das Kapital als Prozess. Zur geschichtlichen Tendenz des Kapitalsystems (2010).

Theresia Pfister, lebt in Österreich und Italien, freiberuflich auf dem Land tätig, z.B. mit Olivenernte und -verarbeitung beschäftigt.

Annette Schlemm, 1961. Physikerin und Philosophin, lebt in Jena und betreibt das virtuelle "Philosophenstübchen" auf www.philosophicum.de

Sowie: Lorenz Glatz, Franz Schandl, Martin Scheuringer, Ricky Trang, Maria Wölflingseder, Petra Ziegler

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E-Mail-Container

Auch die Streifzüge verfügen über eine Art Newsletter, genannt E-Mail-Container. Wer Lust hat, gelegentlich von uns belästigt zu werden, der teile uns das bitte mit. Eine E-Mail mit dem Betreff "E-Mail-Container" an redaktion@streifzuege.org reicht.

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IMPRESSUM

ISSN 1813-3312

MEDIENINHABER UND HERAUSGEBER
Kritischer Kreis - Verein für gesellschaftliche
Transformationskunde,
Margaretenstraße 71-73/1/23, 1050 Wien.
E-Mail: redaktion@streifzuege.org
Website: www.streifzuege.org

DRUCK
H. Schmitz, Leystraße 43, 1200 Wien
Auflage: 1200

COPYLEFT
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sofern nicht anders gekennzeichnet,
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Der Medieninhaber ist zu 100 Prozent
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Grundlegende Richtung: Kritik-Perspektive-Transformation

REDAKTION
(zugleich Mitglieder des Leitungsorgans des Medieninhabers)
Lorenz Glatz, Severin Heilmann, Franz Schandl, Martin
Scheuringer, Ricky Trang, Maria Wölflingseder, Petra Ziegler

Covergestaltung: Isalie Witt
Layout: Françoise Guiguet

KONTO
Kritischer Kreis
IBAN: AT87 60000 0000 9303 8948
BIC: BAWAATWW

ABONNEMENTS
Aborichtpreise für 3 Hefte pro Jahr.
1 Jahr 21 Euro, 2 Jahre 39 Euro, 3 Jahre 54 Euro.
Probenummer gratis

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Quelle:
Streifzüge Nr. 68, Herbst 2016
Kritischer Kreis - Verein für gesellschaftliche Transformationskunde
Margaretenstraße 71-73, A-1050 Wien
E-Mail: redaktion@streifzuege.org
http://www.streifzuege.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2017

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