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VORWÄRTS/580: Todesursache Tuberkulose


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 07/08 vom 20. Feb. 2009

Todesursache Tuberkulose

Von Michi Stegmaier


Die Menschenrechtsorganisation "augenauf" schlägt Alarm. Aufgeschreckt durch zwei Todesfälle und mehrere Tuberkulose-Erkrankungen fordert sie die sofortige Wiederherstellung einer umfassenden medizinischen Grundversorgung im Asylbereich. Kritisiert wird aber auch der mangelnde Informationsfluss.


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Eigentlich galt die Armutskrankheit Tuberkulose (TB) in der Schweiz als überwunden und längst ausgestorben. Nur der Tod eigener Vorfahren erinnert zuweilen noch an dieses dunkle Kapitel. Zeiten, als medizinische Versorgung nur wenigen Reichen und Privilegierten vorbehalten war. Wer sich nur einen Quacksalber leisten konnte, der ging sprichwörtlich vor die Hunde. Nun droht die Rückkehr der längst überwunden geglaubten Krankheit. So sind im Kanton Zürich im vergangenen Jahr, wie Recherchen der Menschenrechtsorganisationen augenauf ergaben, gleich zwei Flüchtlinge an den Folgen von Tuberkulose gestorben. Schon im Mai 2008 verstarb ein Somalier, der im Ausschaffungsgefängnis Kloten inhaftiert war, kurz nach seiner Hospitalisierung an einer speziellen Form der TB. Unterdessen informierte augenauf am 10. Februar 2009 die Öffentlichkeit über einen weiteren Todesfall im Kanton Zürich. So verstarb im vergangenen Oktober eine afrikanische Asylsuchende ebenfalls an Tuberkulose. Sie war erst vier Monate zuvor in die Schweiz eingereist. Trotz einer offenen TB (!!!) wurde sie von der Empfangsstelle in ein Durchgangszentrum im Kanton Zürich transferiert. Auf Grund dieses Todesfalls führte die Lungenliga - Tuberkulosefälle sind meldepflichtig - eine so genannte Umgebungsuntersuchung durch. Diese ergab, dass eine grössere Anzahl Flüchtlinge sowie auch Angestellte mit TB infiziert waren. Schon im Sommer 2008 hatten sich fünf Securitas-Mitarbeiter gemäss Berichten des "Beobachters" und der "Basler-Zeitung" bei ihrer Arbeit in der Basler Empfangsstelle mit Tuberkulose angesteckt. Über die Anzahl betroffener Ausschaffungshäftlinge lagen hingegen keine schlüssigen Zahlen vor.


Die Konsequenzen ziehen

Für Christoph Hugenschmidt von der Gruppe augenauf steht fest, dass die Behörden nun gefordert sind und dringend die nötigen Konsequenzen ziehen müssen. "Notunterkünfte, wo die Betroffenen eng zusammengepfercht unter dem Boden, und ohne direktes Tageslicht, leben, müssen sofort geschlossen werden." Und er fordert als weitere Konsequenz von den Behörden, die Abschaffung des so genannten "Gate-Keeping-System" und der Dynamisierung (wöchentlicher Wechsel der Unterkunft). Für ihn ist nicht von der Hand zu weisen, dass Sparwahn und Repression unweigerlich negative Auswirkungen auf den Gesundheitszustand von Asylsuchenden haben. Neu ist diese Kritik nicht, und schon seit Jahren beanstandet die Gruppe augenauf die mangelhafte medizinische Versorgung von Asylsuchenden und deren fatale Folgen für die Betroffenen. Stossend ist auch die Tatsache, dass selbst diejenigen Flüchtlinge, welche im Fall des Somaliers Abdi Daud sehr engen Kontakt zum Verstorbenen hatten, erst auf ihr heftiges Insistieren hin auf TB getestet wurden. Entsprechend scharf werden die Verhältnisse im Ausschaffungsgefängnis Kloten und der Gefängnisarzt in einem Postulat des FDP-Kantonsrates Jean Luc Cornaz angegangen. In zwei weiteren Postulaten an den Kantonsrat verlangten gleichentags die Zürcher KantonsrätInnen Markus Bischoff (AL), Marcel Burlet und Julia Gerber Rüegg (beide SP) einen unabhängigen Untersuchungsbericht zur medizinischen Situation im Flughafengefängnis Kloten sowie genaue Informationen zur Seuchenprävention insbesondere bei Tuberkulose-Erkrankungen.


Laissez-faire und schlechter Informations-Fluss

Desweitern rügt augenauf den schlechten Informationsstand über die medizinische Situation bei den betreffenden Stellen und Asylorganisationen sowie ein gewisses Laissez-faire im Umgang mit den aufgetretenen Fällen. Dies sei fatal, weil sachgerechte Information der Angestellten über Erkrankungen und allfällige Risiken nur zögerlich - wenn überhaupt - geschah. Gemäss augenauf liess auch der Informationsaustausch zwischen den involvierten Stellen erheblich zu wünschen übrig. Dadurch wurden wichtige Präventionsmassnahmen erst verspätet ergriffen oder teilweise gar verunmöglicht. Dieses Laissez-faire gefährdet aber vor allem auch die Asylsuchenden selbst. In mehreren Fällen wurden sie nur dürftig bis gar nicht über den Sachverhalt informiert. Falschinformationen sowie Schweigen führten unweigerlich zu grosser Unsicherheit und Ängsten. Zwar wusste man, dass jemand aus der eigenen Unterkunft gestorben ist, über die genauen Ursachen konnte man aber nur rätseln. Konkrete Informationen konnte - oder wollte - niemand geben. Menschen, welche in eine Notunterkunft verbannt wurden, sind zudem besonders gefährdet. In Luftschutzbunkern und Baracken leben sie auf engstem Raum und teilen sich mit mehreren Personen ein Mehrbett-Zimmer. Böse gedacht genau der richtige Ort für Seuchen und allerlei Bakterien. Die Betroffenen müssen mit einer minimalen Nothilfe über die Runden kommen, haben nicht genügend Geld für eine ausgewogene und vitaminreiche Ernährung, sind in einem oft erbärmlichen Gesundheitszustand und aus der obligatorischen Krankenkasse ausgeschlossen. Nur in Notfällen können sie überhaupt zu einem Arzt, und selbst dann bleibt ihnen dieser Gang oft verwehrt. Entscheiden über einen etwaigen Arztbesuch tut nämlich das Betreuungspersonal. Und dieses verfügt meist über gar keine medizinische Schulung oder entsprechende Ausbildung. So wird der Lotterie und Willkür Tür und Tor geöffnet. Das Bauchgefühl muss entscheiden und ein notorischer "Jommeri", der plötzlich wirklich mal an etwas Ernsthaftem erkrankt, kann dann schon mal auf der Strecke bleiben.


Spitze des Eisberges

Sparzwänge, personelle Unterdotierung und sprachliche Barrieren tun ihr weiteres dazu. Und bei weitem nicht alle Betroffenen vertrauen dem Asylarzt, der für sie zuständig ist. Eine Wahl haben sie nicht. Für Christoph Hugenschmidt ist klar, dass durch die von der Gruppe augenauf veröffentlichten Missstände im Asylbereich nur die Spitze des Eisberges sind. "Das Ganze hat System und man will die Betroffenen mit allen Mitteln zermürben. Koste es was es wolle. Es trifft zuerst immer die Schwächsten. Nach und nach sind dann andere unliebsame Personengruppen von Verschärfungen und Sozialabbau betroffen", erläutert das augenauf-Mitglied Hugenschmidt. "Die Verschärfungen der letzten Jahre müssen rückgängig gemacht werden. Nur durch eine umfassende medizinische Versorgung kann den hohen Standards von Prävention und Behandlung bei TB überhaupt Rechnung getragen werden. Alles andere ist fahrlässig und höchst bedenklich", hält Hugenschmidt fest.

Vielleicht rufen uns die beiden tragischen Todesfälle auch in Erinnerung, dass die Tuberkulose nach wie vor jedes Jahr weltweit Tausenden von Menschen das Leben kostet. Und jährlich werden es mehr. So gehen aktuelle Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) davon aus, dass die TB in den nächsten zehn Jahren schätzungsweise 30 Millionen Menschenleben fordern wird. Eins ist klar: TB kennt keine Grenzen und hat auch kein Schengen-Visum. Es liegt nun an den Behörden, zu adäquaten Mitteln zu greifen und die Gefährdeten nicht weiter einem solchen Risiko auszusetzen. Es fragt sich nur, was höher gewichtet wird, die Gesundheit aller oder die Repressionsgelüste einzelner.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 07/08, 65. Jahrgang, 20. Februar 2009, Seite 2
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Mai 2009