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VORWÄRTS/685: Salonfähiger Rassismus?


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 37/38/2010 vom 9. Oktober 2010

Salonfähiger Rassismus?


luk. Minarettverbot, die Roma- oder die Sarrazin-Debatte weisen, insbesondere was die Resonanz im Volk und in den Medien angeht, auf die gefährliche Tendenz hin, dass mit offener Rassismus Politik gemacht werden kann. Das perfekte "Ambiente" für die Ausschaffungs-Initiative der SVP.


Dass in unserer Gesellschaft Rassismus und rassistische Stereotype vorhanden sind und im gesellschaftlichen Leben eine nicht kleine Rolle spielen, ist keine neue Erkenntnis. Man kann es an den Wahlerfolgen von Parteien ablesen, welche mit rassistischen Parolen werben; man kann es aber auch in der Berichterstattung der Medien über die so genannte "Ausländerproblematik" sehen, oder im alltäglichen gesellschaftlichen Umgang mit "Ausländern". Dennoch: In der letzten Zeit lässt sich eine gewisse Steigerung der Qualität des Rassismus ausmachen.


Krasser Qualitätssprung

Der Rassismus ist kein Phänomen der Stammtische und der Rechtsextremen mehr, sondern scheint seinen Eingang in die gesellschaftliche Mitte gefunden zu haben. Auch in einer gehobenen Sprache und mit Anzug können rassistische Gedanken verbreitet werden. Es ist kein Tabu mehr, den Rassismus in seiner "klassischen" Form zu praktizieren: Soziale, kulturelle und persönliche Eigenschaften werden rassisch-biologisch begründet. Die Debatte um Thilo Sarrazin ist in mancher Hinsicht beispielhaft für diese Tendenzen. Dass ein Sozialdemokrat gegen Einwanderer aus muslimischen Ländern hetzt, ist dabei noch das wenig Skandalöse. Dass er dies in seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" auf ein - pseudowissenschaftlich formuliertes - biologisch-rassisches Fundament stellt, kann hingegen als krasser Sprung der Qualität des Rassismus bezeichnet werden. Soziales Verhalten und Bildung sind der Ansicht Sarrazins nach keine gesellschaftliche Fragen, sondern durch Vererbung von Genen bestimmt. Er reiht sich damit ein in die Tradition von Rassentheoretikern wie Joseph Deniker oder Alfred Siegfried, von welchen man glaubte, sie auch in der bürgerlichen Gesellschaft überwunden zu haben. Von der SPD wurde er zwar ausgeschlossen, konnte aber mit seinen Stammtisch-wissenschaftlichen Argumenten auf erschreckend viel Zustimmung in der breiten Bevölkerung bis hin zu Solidarität von CDU-Politikern und gleichgesinnten SPD-Mitgliedern stossen. Seine Theorien, welche er auf einen krassen rassistischen Biologismus abstellt, werden als "Islam"- oder Migrationskritik dargestellt. Anbetracht der Tatsache, dass biologistisch-rassistische Theorien anscheinend auf gewisse, wenn auch nicht überwältigende, Resonanz stossen (sein Buch "Deutschland schafft sich ab" wurde bisher immerhin etwa 700.000 Mal verkauft), hinterlässt die Debatte um Sarrazin doch einen sehr faden Nachgeschmack.


Bewusstsein schaffen

Es vermag nicht zu erstaunen, dass bei solchen Diskursen, die den Rassismus aus der Schmutzecke des Extremismus verhelfen, die Forderungen der bekannten, populistischen Rechtsparteien immer rabiater werden. "Es ist Zeit, es zu beenden! Roma: Raus oder in Arbeitslager!", titelte die Tessiner Rechtspartei "Lega dei Ticinesi". Es ist keine Übertreibung, bei solchen Forderungen, welche ein äusserst rabiates Vorgehen gegen Menschen allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit verlangt, einen faschistischen Charakter auszumachen. Wäre die "Lega" eine unbedeutende Partei, müsste man solchen Schlagzeilen keine grosse Beachtung schenken. Sie ist im Tessin jedoch eine der grösseren Parteien und hält ein Viertel der Sitze im Tessiner Kantonsparlament, wodurch die Gefahr solcher Parolen offensichtlich wird.

Auch mit dem Wahlkampf und der Annahme der Volksinitive "Gegen den Bau von Minaretten" wurde gezeigt, dass es möglich ist, mit Bestärkung von seichten, und unrichtigen, Vorurteilen gegenüber einer Bevölkerungsgruppe einen grossen Teil der Bevölkerung hinter sich zu bringen. Es wird ein "Kampf der Kulturen" hochgespielt, der prächtig den Kampf um Klasseninteressen verwischen kann. Dass die Kampagne dabei mit sehr hetzerischen Methoden vorging, kann wahlweise für die Unverschrobenheit und Notwendigkeit eines Teils der politischen Elite gesehen werden, eben ein rassistisches Klima zu erzeugen, oder für die leichte Empfänglichkeit kleinbürgerlich denkender Menschen in der Krise für solche Kampagnen. Ein Spiel, bei welchem mit einem Stop-Schild Minarette und Muezzine abgeschossen werden mussten, wurde nicht nur von der SVP erfolgreich eingesetzt, sondern verhalf auch der Freiheitlichen Partei Österreichs zu einer Verdoppelung ihres Stimmenanteils bei der Landtagswahl in der Steiermark auf rund 11 Prozent.

Und dass der "klassische" Rassismus keineswegs vor den "hohen Tieren" hält macht, zeigt ein Blick auf Italien: Wurde doch letzthin zwei Witze publik, die Silvio Berlusconi, Ministerprädient Italiens, an öffentlichen Veranstaltungen erzählte und in einem Fall eine klar antisemitische, im anderen Fall eine klar dem Faschismus wohlwollende Haltung offenzulegen.

Es ist eine unbedingte Notwendigkeit progressiver Politik, solche rassistische Theorien als totalen Schwachsinn - mehr sind sie wirklich nicht - zu entlarven. In Zeiten, in welcher in fast allen politischen Bereichen erfolgreich die rassistische Trommel gewirbelt werden kann, ist es aber auch wichtig, den Charakter des Rassismus offenzulegen: Nämlich uns - die Arbeitenden - zu spalten, in Menschen zu unterteilen, die nach ethnischer Herkunft mehr oder weniger wert sind und damit uns die Möglichkeit nehmen, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, und uns gegen die Dinge, so wie sie sind, zu wehren.


AM VORWÄRTSFEST AM 13. NOVEMBER FINDET EIN PODIUMSGESPRÄCH ZUM THEMA "SALONFÄHIGER RASSISMUS" STATT.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 37/38/2010 - 66. Jahrgang - 9. Oktober 2010, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Oktober 2010