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VORWÄRTS/689: Roma - In Ost- und Westeuropa diskriminiert


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 43/44/2010 vom 19. November 2010

In Ost- und Westeuropa diskriminiert

Von Silvia Nyffenegger


Anstelle von Zwangsräumungen wie kürzlich in Frankreich geschehen, fordern Betroffene europäische Integrationsprogramme für Roma. Das ist auch bitter nötig, weil Roma vermehrt von Ost nach Westeuropa migrieren. Wo Roma hinkommen, sehen sie sich mit Zurückweisung konfrontiert.


Klartext bei den Schlagzeilen diesen Sommer. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy schiebt Roma gruppenweise nach Rumänien ab. Allein bis Ende August, als der Skandal losbrach, sollten 700 Personen Frankreich verlassen. Die EU forderte Sarkozy auf, das europäische Recht auf Personenfreizügigkeit zu respektieren. Der Präsident hatte die Roma mit Geld dazu bewegt, das Land "freiwillig" zu verlassen, was als Zwangsräumung verstanden wird. In den Ländern des Europarats leben 10 bis 12 Millionen Roma. Sie gehören zu den grössten und ältesten Minderheiten Europas und sind am häufigsten Opfer gezielter Diskriminierung und Ausgrenzung. Sowohl der rumänische Staatspräsident Traian Basescu als auch die "EU Roma Politik Koalition ERPC", Brüssel, riefen die EU als Folge der Ausweisungen auf, ein europäisches Eingliederungsprogramm für Roma zu errichten. Jede EU-Bürgerin und jeder EU-Bürger habe das Recht, sich in einem anderen EU-Land niederzulassen. So auch die Roma. ERPC ist ein Zusammenschluss europäischer Menschenrechtsorganisationen.


Roma fordern Kooperation

Den Roma wird von Aussen ein Stigma auferlegt. Um es zum Verschwinden zu bringen, braucht es Einflussnahme von innerhalb und ausserhalb der Romagesellschaften. "Das muss den Mehrheitsgesellschaften bewusst gemacht werden. Unsere Fähigkeit, die Stigmatisierung aufzubrechen, ist begrenzt, verglichen mit den tatsächlichen Problemen in der Gesellschaft", sagt Biser Alekov, Direktor für Anwaltschaftliche Politik bei "ERGO Network", dem europäischen Netzwerk von Roma Basisorganisationen in Brüssel. Das Netzwerk vertritt Organisationen aus Albanien, Bulgarien, Mazedonien, Moldawien, Rumänien, Holland und der Türkei. "Unsere Mitgliederorganisationen sind mehrheitlich osteuropäisch, da sie die Zielscheiben westlicher Umtriebe sind", erklärt Alekov. "Roma migrieren zunehmend von Ost- nach Westeuropa auf der Suche nach besseren Lebensumständen. Sie müssen sich zusammentun, um sich Gehör zu verschaffen. Die stigmatisierenden Vorstellungen über Roma sind unrealistisch."


Wie die Macht zerrinnt

"Roma haben kein Land, keinen Nationalstaat, keine offiziellen MachtträgerInnen und damit keine Entscheidungsmacht in der europäischen Gesellschaft. In den Gremien der EU erhalten sie erst jetzt etwas Gehör, weil andere mit mehr Macht sie unterstützen." Das ist das Fazit von Magdalena Urreyola, Kampagnen-Koordinatorin für Migration und Diskriminierung von Amnesty International, Bern. Im Fall der Zwangsräumungen von Roma sind deren Folgen niederschmetternd. Die Räumungen selbst sind brutal, erniedrigend und völkerrechtswidrig. Arm, sozial ausgegrenzt und dem Unwillen der Mehrheitsbevölkerung ausgeliefert, leben Roma als verletzliche Opfer ganz zuunterst in der Gesellschaft. Jede Zwangsräumung bedeutet den Verlust von Hab und Gut, des sozialen Netzwerks, des Zugangs zu Erwerbsarbeit und zu Dienstleistungen wie Schule und Gesundheitsvorsorge. Roma haben oft gar keine andere Wahl als in informellen Siedlungen zu wohnen. Wobei diese wie kürzlich in Frankreich der Vorwand sind, um deren Bewohner zwangsmässig zu evakuieren. Für die Roma ergibt sich ein Teufelskreis aus Ohnmacht und Rechtlosigkeit.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 43/44/2010 - 66. Jahrgang - 19. November 2010, S. 6
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. November 2010