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VORWÄRTS/731: Osama tot! Obama froh!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 19/20/2011 vom 27. Mai 2011

Osama tot! Obama froh!


tho. Mit der Liquidierung des "Terrorfürsten" Osama Bin Laden hat sich die USA ihres personifizierten Gegenparts entledigt. In den aufgeregten Medienberichten und in den Wortmeldungen des politischen Personals befreundeter Nationalstaaten ging in den vergangenen Wochen einiges durcheinander. Ein Kommentar zur Debatte.


Seit den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 mit rund 3000 Todesopfern führt die amerikanische Weltmacht einen grossangelegten "Krieg gegen den Terrorismus". Die Hauptschauplätze sind Afghanistan und der Irak mit rund 220.000 Toten seit Kriegsbeginn. Der US-Geheimdienst jagt seit Jahren den vermeintlichen oder tatsächlichen Drahtzieher der Anschläge: Den saudi-arabischen Staatsbürger Osama Bin Laden. Knapp zehn Jahre nach den Terroranschlägen vermeldete der US-Präsident Barack Obama nun am 2. Mai endlich: "Der Gerechtigkeit ist Genüge getan." In einer Kommandoaktion der "Navy Seals" wurde der "Terrorfürst" Bin Laden in seinem Haus in Pakistan erschossen. Spontan versammelten sich vor dem Weissen Haus und am "Ground Zero" Tausende, um die Ermordung des mutmasslichen Anführers der Al Qaida zu feiern. Weltweit war der Jubel gross: Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel erklärte gegenüber den Medien: "Ich freue mich, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten." Der britische Premier Cameron kommentierte: "Die Nachricht von Bin Ladens Tod bedeutet für die Menschen auf der ganzen Welt grosse Erleichterung." Und auch Micheline Calmy-Rey wollte nicht zurückstehen und bezeichnete die Nachricht als "gute Neuigkeit".


Gewalt statt Recht

Man muss weder Sympathien für die menschenverachtenden Methoden und Ziele der islamistischen Terroristen haben, noch ein Freund des bürgerlichen Rechtsstaates sein, um es bedenklich zu finden, wie die USA im "Krieg gegen den Terrorismus" verfährt: Da werden bürgerliche Rechte durch den "Patriot act" empfindlich eingeschränkt. Da werden mutmassliche Terroristen kurzerhand zu "feindlichen und gesetzlosen Kämpfern" erklärt und damit ihr Rechtsstatus weitgehend negiert. Da werden Menschen nach Guantánamo verschleppt, ohne Strafverfahren festgehalten und unter Folter zu Aussagen gezwungen. Dass die "Navy Seals" in der jüngsten Kommandoaktion ohne Wissen Pakistans gehandelt haben und dass einem - nach aktuellen Meldungen - unbewaffneten Bin Laden in den Kopf geschossen wurde, das kann vor diesem Hintergrund nicht mehr wirklich erstaunen.

Dass sich die USA über jegliche internationalen Rechte hinwegsetzen, das ist nicht erst seit der Liquidierung Bin Ladens bekannt. Karl Marx schrieb im Kapital: "Zwischen gleichen Rechten entscheidet die Gewalt." Es ist letztlich immer die (staatliche) Gewalt, die Recht durchsetzt und die das Recht garantiert. Und so verhält sich die USA auch, wenn sie sich über Völker- und Menschenrechte hinwegsetzt. Wer will die USA zur Rechenschaft ziehen? Wenn die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navanethem Pillay, nun die Aufklärung der Todesumstände von Bin Laden fordert oder wenn Völkerrechtler - übrigens oftmals selber von nationalen Interessen geleitet - hochkomplexe Studien zum Thema ausarbeiten, so sind das eher hilflose Versuche, sich auf Verrechtlichungen zu berufen, wo eben letztlich die Gewalt entscheidet.


Rache und Herrschaftsansprüche

Glaubt man Obama, so führt die USA ihren "Krieg gegen den Terrorismus", weil die Opfer der Terroranschläge dies verlangen würden. Und tatsächlich dürfte für einen grossen Teil der Jubelnden vor dem Weissen Haus und am "Ground Zero" endlich ein Rachebedürfnis befriedigt worden sein. Doch wenn nun bekannte Philosophen in den bürgerlichen Medien erklären, das staatliche Handeln der USA wäre diesbezüglich vom Rachegedanken bestimmt, dann stimmt das so nicht. Der Angriff vom 11. September 2001 zielte auf die amerikanischen Symbole der Macht. Dem amerikanischen Staat wurde seine Verletzlichkeit vor den Augen einer staunenden Weltöffentlichkeit demonstriert. Auch wenn seine Macht und Ordnung natürlich reell durch eine Hand voll islamistischer Terroristen nicht wirklich in Gefahr war, reagierte er entsprechend: Um sich und seine Position in der Welt zu verteidigen, führte und führt er einen Krieg gegen die Kräfte, die diese Machtstellung in Frage stellen. Als die einzige verbliebene Weltmacht - auch wenn ihr Einfluss jenseits militärischer Operationen zunehmend schwindet - war es sich die USA natürlich schuldig, ihr Feindbild abzuarbeiten und das personifizierte Böse zu eliminieren. Dass dabei gleich noch geopolitische Interessen im Mittleren Osten und Vorderasien sowie die Kontrolle von wichtigen Ressourcen durchgesetzt werden können, dürfte bei der Motivation für den Krieg keine unwesentliche Rolle gespielt haben.

Man sollte sich in der aktuellen Debatte aber vor plattem und oftmals mit Verschwörungstheorien angereichertem Antiamerikanismus hüten. Dass die USA, nach dem Wegfallen des Ostblocks, die letzte verbliebene Weltmacht sind, macht ihr doch recht rücksichtsloses Handeln natürlich besonders brisant. Doch letztlich macht die USA, was kapitalistische Staaten eben zu machen pflegen: Sie versuchen die Welt nach Massgaben des nationalen Kapitals und den eigenen geopolitischen Interessen zu ordnen. Wer die USA kritisieren will ohne in komisches Fahrwasser abzudriften, kommt nicht darum herum, den gesellschaftlichen Kontext ins Auge zu fassen: den Kapitalismus.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 19/20/2011 - 67. Jahrgang - 27. Mai 2011, S. 9
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2011