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VORWÄRTS/734: "Unser Ziel - gleich viel!"


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 21/22/2011 vom 10. Juni 2011

"Unser Ziel - gleich viel!"


jos. Im Vorfeld des Freuenstreiktages am 14. Juni spricht der vorwärts mit Julia Gerber Rüegg (54). Julia ist Präsdentin des Gewerkstaftsbundes des Kantons Zürich sowie Kantonrätin der SP und Co-Präsidentin der SP-Frauen.


VORWÄRTS: Julia, vor welchem Hintergrund ruft der Gewerkschaftsbund zum Aktions- und Streiktag auf und was sind eure konkreten Forderungen?

JULIA GERBER RÜEGG: In der ganzen Schweiz wird der Grundsatz der Lohngleichheit zwischen Mann und Frau verletzt. Für gleichwertige Arbeit am gleichen Ort wird oft nicht das Gleiche bezahlt. Im Kanton Zürich stehen wir sogar vor der Situation, dass sich die Lohnschere zwischen Mann und Frau wieder öffnet, zudem gibt es in der Privatwirtschaft eine Quote von 10 Prozent offen, illegaler Lohnungleichheit. Aus gewerkschaftlicher Sicht steht der Bereich der Arbeit und des Lohns natürlich im Vordergrund. Was wir wollen, ist gleicher Lohn für gleiche Arbeit für beide Geschlechter. Ein weiteres Ziel ist, dass Frauen die Wirtschaft mitgestalten können. Das heisst, es braucht mehr Frauen in den Führungspositionen. Auch hier hat die Lohngleichheit eine Hebelwirkung. Ein Beispiel: Sobald ein Paar für ein Kind verantwortlich wird, also Betreuung und Haushalt regeln muss, dann überlegt es sehr rational - es rechnet. Da der Mann in der Regel mehr verdient, ist es für die Familie finanziell die grösserer Einbusse, wenn der Mann sich aus dem Beruf zurückzieht. Darum kümmern sich die Mütter mehr um Kind und Haushalt und die Väter konzentrieren sich auf die Karriere - da ist es dann klar, dass mehr Männer in Spitzenpositionen ankommen. Da dieses Muster sehr verbreitet ist, haben sich auch die Arbeitgeber darauf eingestellt und investieren, in der Erwartung, dass sich die Frau vermutlich irgendwann stärker aus dem Beruf zurückziehen wird, auch vermehrt in die Weiterbildung und die Laufbahn der Männer. Um diesen Kreis durchbrechen zu können, ist Lohngleichheit absolut notwendig. Deshalb ist unser Motto für den Frauenstreiktag auch "Wir haben ein Ziel - gleich viel!".

VORWÄRTS: Was etwartet uns am 14. Juni?

JULIA GERBER RÜEGG: Es geht darum, unseren Forderungen in der ganzen Schweiz Nachdruck zu verleihen. Sie sicht- und hörbar zu machen. Um 14. Juni Uhr wird es ein landesweites Trillerpfeiffenkonzert geben. Und wie in Zürich, wo sich die Frauen um 17.30 Uhr auf dem Bürkliplatz zu Demo und Kundgebung treffen, wird es in vielen Städten Demonstrationen geben. Viele einzelne Aktionen finden während des ganzen Tages statt. So wird im Kanzleiareal eine Lila-Lounge eingerichtet, wo frau während des Streikpausen einlegen kann, bei denen sie sich mehr Zeit nimmt, als sie normalerweise hätte. Frauen und fortschrittliche Männer, werden hier ihre Forderungen und Vorschläge für eine Welt ohne Geschlechterhierarchie in kreativer Weise zum Ausdruck bringen können. Zudem ist auch geplant, "Spaziergänge" durch Warenhäuser zu machen. Auch in den Pflegeberufen und im Bildungsbereich und in anderen Branchen sind verschiedenste Aktionen vorgesehen. Das meiste wird sich in den Ballungszentren wie Zürich und Winterthur abspielen, aber auch in kleineren Orten. In Wädenswil zum Beispiel zeigt die Kulturkommission den Dokumentarfilm "Frauenbilder - Frauenrechte", ein Film über Geschlechterbilder zwischen Tradition und Emanzipation. Es geht nicht darum den Frauenstreik von 1991 zu wiederholen. Die Welt hat sich seither verändert, aber in Sachen Gleichstellung sind wir noch lange nicht am Ziel. Wir wollen, dass unsere Parole "Unser Ziel - gleich viel!" in allen Medien prominent platziert und beleuchtet wird. Wenn wir das schaffen, haben wir ein Ziel erreicht.

VORWÄRTS: Nun war der 8. März recht ernüchternd im Bezug auf die TeilnehmerInnenzahlen an den Demonstrationen. Macht ihr euch dahingehend Sorgen?

JULIA GERBER RÜEGG: Weisst du, in diesem wichtigen Jahr sind Frauen oft und überall unterwegs. Die SP-Frauen haben schon im Februar eine Veranstaltung organisiert, dann kam der 8. März, nun der 14. Juni. Und es gab ja nicht nur Aktionen auf der Strasse, auch die bürgerlichen Frauenorganisationen waren teilweise in ganz anderer Form aktiv. Sogar die Bäuerinnen machen Gleichberechtigung in ihrem Umfeld zum Thema. Man muss dieses Jahr einmal als Ganzes sehen. Ich sehe, dass die Botschaft der Gleichstellung überall Fuss fasst. Das ist doch gut. Es geht uns ja auch nicht um eine feministische Innenschau, sondern darum, die Gleichstellung, für die Frauen schon seit über 100 Jahren kämpfen, voranzutreiben. Ich denke, am Ende des Jahres wird man erkennen, dass durch all die Aktionen sich etwas bewegt hat.

VORWÄRTS: Wenn ihr ein starkes Zeichen für die Sache setzen wollt, warum ruft ihr dann nur zu Streikpausen und nicht zum Streik auf?

JULIA GERBER RÜEGG: Das ist eine gute Frage. (lacht) Ich glaube, es genügt zur Zeit, die Macht der Frauen in Wirtschaft Familie und Gesellschaft, die Botschaft von 91, "Wenn Frau will, steht alles still" in Erinnerung zu rufen. Dazu genügen erstmal Streikpausen. Man muss nicht immer gleich mit dem schwersten Geschütz auffahren.

VORWÄRTS: Weshalb gibt es keine Gleichstellung, obwohl wir rechtlich gesehen gleichberechtigt sind? Wessen Interessen stehen gegen die wirkliche Gleichstellung?

JULIA GERBER RÜEGG: Gleichstellung heisst natürlich Machtteilung. Viele Männer haben kein Interesse an einer anderen Organisation der Gesellschaft. Das liegt auch in der Sozialisation, denn lange Zeit wurden Frauen ja wirklich als Zudienerinnen erzogen, die das Leben des Mannes erleichtern sollten, während er die Familie ernährt. Die Rolle der Männer ist hier die des Ernährers, praktisch eine heroische Rolle. Diese zu verlassen, ist in der Vorstellung vieler immer noch ein Bedeutungsverlust. Auch ist es ein Problem, dass sich die Gleichstellungsoffensive innerhalb eines Systems bewegt, das grundsätzlich auf Machtungleichgewichten zwischen arm und reich abläuft. Frauen verfügen nachweislich über viel weniger Reichtum als Männer. Wobei aber anzumerken ist, dass das Problem der Diskriminierung der Frauen in allen bisher bekannten politischen Systemen virulent war und ist. Eine Welt, frei von Diskriminierung der Frauen, muss erst noch erfunden werden. Dass Männer langsam bemerken, dass es noch Qualitäten neben der Karriere gibt, etwa die Zeit für die Familie, ist für mich eine Hoffnung. Denn: Können wir Frauen die Gleichstellung allein Umsetzen? Nein, was wir auch brauchen, ist das Engagement der Männer. Das nächste Wegstück muss ein gemeinsames sein. Das, was wir am wenigsten brauchen ist ein Geschlechterkrieg. Der wirft uns nur zurück und den verorte ich als reaktionär - etwa bei den Antifeministen.

VORWÄRTS: Einmal persönlich: Wie hast du den Frauenstreiktag 1991 erlebt?

JULIA GERBER RÜEGG: Nun, mein Sohn wurde drei Wochen vor dem Frauenstreiktag geboren. Ehrlich gesagt, war ich also zuhause, habe mein Kind gestillt. Aber ich habe alles per Radio und Fernsehen verfolgt. Ich war zwar nicht auf der Strasse, aber ich habe mich sehr über die ganze Sache gefreut. Ich war schon damals in der Gleichstellungspolitik aktiv, ich habe als Gemeinderätin in meinem Wohnort Wädenswil dafür gesorgt, dass unsere Gemeindeverfassung sowohl Männer wie auch Frauen gleichberechtigt anspricht. Und an diesem Tag 1991 bin ich wirklich stolz auf unsere Bewegung gewesen und habe von zuhause aus sehr mitgefiebert.


Ein echter Push-up wäre...

- genug Betreuungsplätze für Kinder
- Teilzeitstellen auch für Männer
- gleicher Lohn für gleiche Arbeit
- mehr Führungspositionen für Frauen.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 21/22/2011 - 67. Jahrgang - 10. Juni 2011, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2011