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VORWÄRTS/755: Endlich formelle Arbeitsrechte für Angestellte in Privathaushalten


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.31/32 vom 9. September 2011

Endlich formelle Arbeitsrechte

Von Silvia Nyffenegger


Es ist ein historischer Moment. Die Internationale ArbeitsorganisatiOn "ILO" in Genf verabschiedet ein Abkommen, wonach Angestellte in Privathaushalten zum ersten Mal weltweit formelle Arbeitsrechte erhalten sollen. Dieser wegweisende Schritt zielt darauf ab, die traditionell entwertete Arbeit von Frauen und Mädchen in Privathaushalten in der Schweiz und auf der ganzen Welt in die formelle Erwerbsarbeit überzuführen.


Das ILO-Abkommen von Juni 2011 wird die Arbeitsbedingungen in Privathaushalten weltweit verändern. 53 Millionen Arbeitnehmende sollen davon profitieren. Schätzungen zufolge könnten es sogar 100 Millionen Menschen sein. 83 Prozent der Arbeitnehmenden sind Frauen und Mädchen, oft Migrantinnen. Auch die Schweiz hat hier Platz. Die hiesigen Behörden wissen wenig über die Erwerbstätigkeit in Schweizer Privathaushalten. Der grössere Teil der Arbeit ist informell und somit gesetzlich nicht geregelt. Der Bund führt zwar die Schweizerische Arbeitskräfteerhebung SAKE. Doch diese misst lediglich kleine Arbeitspensen in Privathaushalten ab einer Stunde pro Woche. Aus der Erhebung geht hervor, dass 85 Prozent dieser Erwerbstätigen Frauen sind. Eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Resultaten der ILO eröffnet sich, doch es geht hier um Kleinerwerbstätige. Eine umfassende Erhebung der Erwerbstätigkeit in Schweizer Privathaushalten gibt es nicht.

Die Regierungen der 183 ILO-Mitgliedstaaten sowie die nationalen Organisationen von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden sind jetzt aufgerufen, das jüngste ILO-Abkommen zu ratifizieren.


Privathaushalte rekrutieren selbst

Die Schweiz ist bezüglich der geregelten Arbeit in Privathaushalten teilweise eine Hochpreisinsel. Das rechnet "Proper Job" vor, ein Reinigungsinstitut in Bern, welches schweizweit legale Anstellungen und faire Arbeitsbedingungen anbietet, indem es unter anderem bestehende informelle Arbeitsverhältnisse in Privathaushalten regularisiert. Der Solidarität mit dem Reinigungspersonal verpflichtet, betrage hier der Bruttostundenlohn Fr. 28.40, die Ansätze der auftraggebenden Privathaushalte oder Firmen bis Fr. 42.50 pro Stunde, erklärt Sibil Zaugg, Leiterin Kundendienst von "Proper Job". Diese Kosten beinhalten sämtliche Sozialabzüge einschliesslich 13. Monatslohn und Feriengutschrift. Besser gestellte Privathaushalte beanspruchen die Dienstleistungen von "Proper Job", ein kleiner Betrieb. Hier bezahlt sich die Fairness mit dem Reinigungspersonal in klingenden Münzen aus. Doch grosse Putzinstitute beherrschen den Markt.

"Der Grossteil der Privathaushalte sucht ihre Hausangestellte selbst", sagt Rita Schiavi, Geschäftsleitungsmitglied der Gewerkschaft UNIA, "doch dabei werden die Sozialversicherungsabgaben oft nicht bezahlt." Ein solches Arbeitsverhältnis ist informell. Die beiden Parteien bestimmen die Arbeitsbedingungen selbst. Als Konsequenz sind die meist weiblichen Angestellten weder gegen die Ausbeutung ihrer Arbeit noch ihres Körpers geschützt und sie stehen im Alter ohne berufliche Vorsorge da. Trotzdem seien die wenigsten Arbeitnehmerinnen bereit, sich legal anstellen zu lassen, sagt Schiavi.

"Ein formelles Arbeitsverhältnis im Privathaushalt einzugehen, ist trotz der Bemühungen des Staatssekretariats für Wirtschaft Seco immer noch umständlich", führt Schiavi weiter aus. Mit der formellen Arbeit verbundene Sozialabgaben wie AHV/IV/EO, die Arbeitslosenversicherung und die Einkommenssteuern schlagen sowohl für Arbeitnehmerinnen als auch Arbeitgebende zu Buche. Familienzulagen und die obligatorische Unfallversicherung verteuern die Lohnkosten des Privathaushaits zusätzlich. Hinzu kommen Formalitäten, wie der jährliche Lohnausweis, was Arbeitgebende oft ungern erledigen.


Geregelte Arbeit - tiefe Löhne

Angesichts der oben beschriebenen hohen Lohnnebenkosten lassen sich viele legal in der Schweiz lebende Frauen gar nicht erst legal anstellen. Doch auch die "illegal" und im Verborgenen anwesenden Sans-Papiers-Frauen ohne gültige Ausweispapiere lassen sich aus Angst davor, von den Behörden entdeckt zu werden, nur illegal anstellen. Schiavi beschreibt eine Lohnhierarchie, wo Sans-Papiers-Frauen, die in Privathaushalten putzen, mit den höchsten Stundenlöhnen ganz zuoberst platziert seien. Sie arbeiten in der Regel für besser gestellte Haushalte, wo die Gewerbepolizei ohnehin nicht genau hinschaue.

Tiefpreise gelten dort, wo die Arbeit geregelt ist. und der Wettbewerb spielt. Hier sind Firmen und Private angesiedelt, die sich an den Gesamtarbeitsvertrag GAV für die Reinigungsbranche halten, die Sozialversicherungen bezahlen und allen gesetzlichen Verpflichtungen nachkommen. Hier beträgt der tiefste Stundenlohn 17.05 Franken für Ungelernte, öfters Frauen als Männer, und Fr. 25 bis 26 Franken für Ausgebildete. Türkinnen und Albanerinnen putzen vor allem in den Reinigungsinstituten, denn Private schätzen Menschen dieser Herkunft weniger gut ein.

In Sachen Schwarzarbeit bringt die am 1. Mai 2011 eingeführte Personenfreizügigkeit für alle EU-Länder(ausser Bulgarien und Rumänien) einschliesslich der Schweiz eine Liberalisierung mit sich. Um eine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung zu erhalten, dürfen sich ArbeitsmigrantInnen nun während drei Monaten in der Schweiz aufhalten. Sie haben so die Möglichkeit, einen Arbeitsnachweis zu erbringen. Die bis anhin im Rahmen des Ausländergesetzes durch das Seco verhängten Sanktionen wie Busse, Gefängnis und Ausschaffung bleiben damit vor allem für Migrierende aus dem Trikont relevant.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 31/32/2011 - 67. Jahrgang - 9. September 2011, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. September 2011