Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

VORWÄRTS/767: Die Schweiz hat gewählt - Arbeiterpartei nicht mehr im Nationalrat vertreten


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 39/40/2011 vom 4. November 2011

Ausgeträumt

von Siro Torresan


Die Schweiz hat gewählt! Oder korrekter: Nicht mal die Hälfte der Stimmberechtigten hat dafür gesorgt, dass im Nationalrat der Begriff "links" bei der Sozialdemokratie beginnt und auch gleich endet. Und dies nachdem sich die Linke links der SP Hoffnungen auf vier Sitze machte. Der Wunsch war hier Vater der Hoffnung. Und jetzt?


Vielleicht geht es mit Ironie am einfachsten; ich bin derjenige vorwärts-Redaktor, der im Geschichtsbuch dieser Zeitung einen sicheren Platz finden wird, da ich folgenden Satz schreiben muss: Die "Partei der Arbeit der Schweiz" (PdAS) hat seit ihrer Gründung 1944 zum ersten Mal keine Vertretung im Nationalrat. Aber es geht noch schlimmer: Seit dem 23. Oktober 2011 hat es im Schweizer Parlament keinen Platz mehr für eine Stimme links der SP. Traurig aber wahr!


Göttin Fortuna und ein Weihnachtsgeschenk

Sicher, es war auch Pech dabei. Im Kanton Neuenburg hat die gemeinsame Liste der PdA und "Solidarité" über 10 Prozent der Stimmen bekommen. Weil aber ausgerechnet in Neuenburg die Loser der Wahlen, sprich die "Grünen", zugelegt haben, färbte sich der letzte der fünf Neuenburger Sitze grün und nicht rot. Im Kanton Genf hat es auch ganz knapp nicht gereicht. Hier war es weniger Göttin Fortuna, die es mit der radikalen Linke nicht gut meinte, sondern die Zerstrittenheit der verschiedenen linken Parteien und Gruppierungen, die den Genfer WählerInnen eine sinnlose Qual, der Wahl links der SP anboten. Hätten sie eine Listenverbindung hinbekommen, wäre der Sitz an die "Solidarité" gegangen. Die PdA-Genf, einst eine respektierte politische Kraft in der Calvin-Stadt, ist mit 1,2 Prozent Stimmanteile am Tiefpunkt ihrer Geschichte. Ihre Wunden sind wohl zu gross und zu tief, als dass sie nur mit Lecken geheilt werden können.

Im Kanton Waadt hat die PdA die Hälfte der Stimmen verloren, fiel auf das historische Tief von 2.4 Prozent und somit ging ihr Sitz an die SP. Mit den Wahlen ist definitiv und offiziell die Ära Joseph Zisyadis beendet, der sich jedoch seit längerem von der PdA verabschiedet hatte. Er war einer der Architekten des alternativen Sammelbeckens "Alternative Linke", die sich laut einem Bericht der NZZ vor den Wahlen "berechtigte Hoffnungen auf vier Sitze" machte. Zugegeben: Der Theologe Zisyadis sorgte in der PdA-Waadt für ein paar wenige Höhenflüge. Doch er hinterlässt einen Scherbenhaufen, ganz nach dem Motto: Nach mir Gott und dann die Sintflut. Er, der seine elfjährige Präsenz im Nationalrat vor allem dem Engagement der GenossInnen der PdA zu verdanken hatte, machte der Partei zum Abschied ein letztes, etwas verfrühtes Weihnachtsgeschenk: Auf seiner Homepage rief der kommunistische Nationalrat Zisyadis dazu auf, für den Ständerat dem Kandidaten der SP und der Kandidatin der Grünen die Stimme zu geben. Dies obwohl sich zwei GenossInnen der PdA zur Wahl stellten. Danke Genosse Joseph... wie gesagt, mit Ironie geht es einfacher.


Lichtblicke und Wunschdenken

Erfreulich - wenn auch anteilmässig auf tiefem Niveau - war das Abschneiden der GenossInnen im Tessin. Sie erreichten 1,3 Prozent der Stimmen und somit mehr als am kantonalen Urnengang vom April dieses Jahres, als die Partei mit einer gemeinsamen Liste mit dem "Movimento per il Socialismo" (Bewegung für den Sozialismus) antrat.

Dass in den Kantonen Bern und Zürich die PdA keine Wahlstricke zerreissen würde und konnte, war von Beginn weg klar. In beiden Kantonen hat die Partei zu Recht mehr aus Propagandagründen an den Wahlen teilgenommen. In Bern machte die PdA gute Schlagzeilen mit der Kandidatur für den Ständerat von Rolf Zbinden. Er trat an, um den Ständerat abzuschaffen. Die Zürcher GenossInnen zeigten trotz einem mickrigen Budget von 3000 Franken eine gute Präsenz in verschiedenen Quartieren der Stadt. Dies mit dem Wahlslogan: "Kapitalismus - Vom Tellerwäscher zum Sozialhilfeempfänger". Der entsprechende Flyer zeigte einen Papierteller mit einem Fünfrappenstück drauf. Um die Symbolik zu unterstreichen, wurden 1000 Papierteller mit einem echten "Foiferli" beklebt und auf den Boden gelegt. Die Aktion führte zu vielen interessanten und angeregten Diskussionen mit den PassantInnen. Aber auch in Zürich blieb der angestrebte Sitz links der SP ein Wunschdenken, was vor allem für die "Alternative Liste" sehr enttäuschend und schmerzlich ist. Mit 45.000 Franken hat sie für die Wahlkampagne tief in die Kasse gegriffen und dies mit dem klaren Ziel, ihren schon bald ewigen Spitzenkandidaten Niklaus (Niggi) Scherr endlich nach Bern zu schicken. Niggi selber meinte noch vor den Wahlen, der Sitz sei "realistisch". Er hat sich leider getäuscht.


Das Fehlen von Antworten

Es ist sicher falsch, die Stärke der radikalen und alternativen Linken anhand der Zahl der Sitze im Nationalrat zu messen. Genau so falsch ist es aber, den Ausgang der Wahlen mit einem Schulterzucken zu ignorieren. Die Ausgangslage war dieses Jahr schon fast optimal: In der Schweiz ist die Krise für viele, sehr viele Menschen spürbar und es gibt weltweit Proteste gegen den Kapitalismus und die bösen, unmenschlichen Banken. So drängt sich die Frage auf: Warum schafft es die Linke nicht, mehr Menschen für die Wahlen zu mobilisieren? Das Potential ist vorhanden, da über die Hälfte der Wahlberechtigten ihre Unterlagen lieber in den Abfall schmissen, als links zu wählen.

Mögliche Antworten auf die Wahlschlappe der Linke gibt es sicher mehr als eine. Es ist keine Zeitverschwendung nach ihnen zu suchen. Denn offensichtlich werden jene Kräfte, die links von der SP im Kapitalismus das Grundübel sehen, nicht als Antwort auf die Krise verstanden und noch viel weniger wahrgenommen. Liegt es an ihrer Zersplitterung? Sicher, aber das Fehlen von konkreten Antworten auf konkrete Probleme vieler Menschen in diesem Land fällt viel mehr ins Gewicht.

Eine radikale linke Organisation hat im Parlament primär die Aufgabe, die Stimme des Protests ins bürgerliche Parlament zu tragen. Rolf Zbinden brachte es kürzlich im Interview mit dem Vorwärts bestens auf den Punkt, in dem er sagte: "Vom parlamentarischen Rednerpult für die revolutionäre Sache". Diese Proteststimmen gibt es aber trotz den erheblichen Missständen im Lande der Eidgenossen nicht. Der Widerstand gegen den Sozialabbau beschränkt sich auf Referenden, die nicht selten verloren gehen. Ansätze einer ausserparlamentarischen "Bewegung", die mit zivilem Ungehorsam Widerstand leistet, sind rar wie Bäume in der Wüste. Und wenn sich was im ausserparlamentarischen Rahmen bewegt, glänzt die Linke, die ins Parlament will, durch Abwesenheit. Ein Beispiel: Am Samstag, 28. Oktober, fand in Zürich die Demo "für soziale Gerechtigkeit" statt. Aufgerufen hatten verschiedene Gruppierungen der Migration. Wo waren all die KandidatInnen der SP, der "Grünen", der JUSO, der AL und der PdA (je 34 pro Liste, Total 170 Personen), die noch eine Woche zuvor für eine bessere Welt in den Nationalrat wollten? Wenn ein Dutzend davon an der Demo waren, dann waren es viele. Es ist unbestritten, dass das Fehlen einer ausserparlamentarischen Opposition, sprich der Kontakt und im besten Fall das Organisieren jener Menschen, die von der Krise und vom Rassismus in der Schweiz direkt betroffen sind, das grösste Manko der radikalen Linken ist. So ist man fast geneigt, dem Genossen Zbinden zu antworten: Lieber Rolf, es gibt in diesem Lande nichts Revolutionäres, dass wir Linken vom Rednerpult des Parlaments zu schreien haben. Wie schon zwei Mal geschrieben, mit Ironie...


Die glücklich gewinnende Verliererin

Da dieser Artikel eh schon länger ist, als an der Redaktionssitzung abgemacht und ich dafür eine Rüge von den anderen Redakteuren kriege, werfen wir einen Blick auf die SP und die Grünen. Dass letztere trotz Fukushima und dem geplanten Automausstieg in der Schweiz die klaren Verlierer der Wahlen sind, erstaunt nicht wenig. Dies umso mehr, da es dieses Jahr rund um die Atomfrage zu einigen grösseren Mobilisierungen kam. Warum die Grünen davon nicht profitieren konnte, sollte sie gründlich analysieren. Die SP ist die glücklich gewinnende Verliererin, denn trotz dem Verlust an WählerInnen konnte sie zwei Sitze im Nationalrat gewinnen. Sie hofft nun, im zweiten Wahlgang für den Ständerat weiter für Schlagzeilen zu sorgen. Es ist das gute Recht der SP, sich als Siegerin zu sehen und dies der Welt entsprechend zu verkünden. Wir Linken wären natürlich bescheidener gewesen und hätten uns nach dem Gewinn von zwei Sitzen gleich an die Arbeit für die Revolution gemacht. Lang lebe der Sarkasmus, um nicht immer das Wort Ironie schreiben zu müssen.


*


Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 39/40/2011 - 67. Jahrgang - 4. November 2011, S. 1+3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch

vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2011