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VORWÄRTS/807: Radikale Kritik organisieren


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 11/12/2012 vom 9. März 2012

Radikale Kritik organisieren

von Thomas Schwendener


Ende März findet das zweite Diskussionswochenende des "Projekts Kritik und Klassenkampf" statt. Die veranstaltenden Gruppen und Einzelpersonen haben es sich zum Ziel gesetzt, die Diskussion in der radikalen Linken voranzubringen und dabei über bestehende Gräben hinweg zu gehen.


Im Sommer 2011 trafen sich in der Region Dietikon in Zürich rund 80 Leute aus dem kommunistischen und anarchistischen Umfeld, um ein Wochenende lang gemeinsam über die Themen "Krise, Kämpfe, Intervention, Organisierung und Perspektive" zu diskutieren. Ziel des Unterfangens war und ist es, "eine gemeinsame Debatte mit praktischer Perspektive" voranzutreiben, ohne dabei auf die oftmals zum Dogmatismus erstarrte Abgrenzung zwischen anarchistischer und marxistischer Strömung hereinzufallen. Vorangegangen waren dem öffentlichen Treffen lange Diskussionen über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beteiligten Gruppen und Personen. Das unterdessen auf neun Gruppen plus Einzelpersonen angewachsene Vorbereitungsbündnis veröffentlichte auf den 1. Mai 2011 den gemeinsamen, vierseitigen Aufruf "Mit der Logik des Kapitals brechen": Das "Projekt Kritik und Klassenkampf" war geboren und lädt nun auf Ende März für das zweite Diskussionswochenende ein.


Über Grenzen hinweg

Im "Projekt Kritik und Klassenkampf" sind Gruppen und Personen aus unterschiedlichen Strömungen vertreten: Da treffen sich AnarchosyndikalistInnen mit Leuten aus dem linkskommunistischen Lager. Da diskutieren vom "Gegenstandpunkt" Beeinflusste mit Leuten, deren Position noch lange nicht feststeht. Da debattieren anarchistische "PlattformistInnen" mit KommunistInnen, die dem Operaismus, den SituationistInnen oder der rätekommunistischen Tradition nahe stehen. Man darf durchaus gespannt sein, wie sich ein solcher Mix am zweiten Wochenende auswirkt. Das erste Treffen war geprägt von offenen Diskussionen, von gemeinsamen Erkenntnissen, aber natürlich auch von Differenzen, an denen man allerdings erst ein wenig gekratzt hat.

So gross die inhaltlichen Differenzen zwischen den organisierenden Gruppen und Personen aber auch sein mögen, sie repräsentieren doch so etwas wie ein bestimmtes Spektrum aus der ausserparlamentarischen Linken. Gemeinsam scheint ihnen ihre grundsätzliche Offenheit gegenüber der Infragestellung linker Basics und die Ansicht, dass anarchistische und kommunistische Strömungen nicht in unlösbarem Widerspruch zueinander stehen.


Gemeinsames Fundament

Das "Projekt Kritik und Klassenkampf" schreibt in seiner Selbstdarstellung: "Die im Projekt Kritik und Klassenkampf organisierten Gruppen und Einzelpersonen eint die Einsicht, dass eine revolutionäre Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft jegliche staatliche Verwaltung notwendig ausschliesst. Darunter fallen auch die Sozialdemokratie und staatskapitalistische Versuche, wie sie zum Beispiel in der Sowjetunion, in der VR China und in Kuba unternommen wurden." Natürlich fehlt hier eine genauere Bestimmung, ab wann und wieso die Versuche der Vergangenheit als staatskapitalistisch kategorisiert werden. Man fühlt sich bei diesen Worten aber an die links- und vor allem rätekommunistische Tradition erinnert, und es ist kein Zufall, dass gerade in dieser Strömung die feindlichen Brüder Anarchismus und Kommunismus zumindest zeitweise zueinander gefunden haben. Gut ins Bild passt dabei auch das Urteil des Projektes über parlamentarische Arbeit und die Vorstellung eines reformistischen Hinüberwachsens in den Sozialismus: "Stellvertreterpolitik lehnen wir genauso ab, wie wir keine Perspektive im Parlamentarismus sehen. So ist der Reformismus für uns auch keine gangbare Alternative. Wir lehnen jede Form von Staat oder nationalen Konzeptionen ab, da deren Existenz in der Klassengesellschaft begründet und deren Zerschlagung Bedingung für eine klassenlose Gesellschaft ist." Ein gemeinsames Fundament scheint bei aller Unterschiedlichkeit gelegt.


Das Wochenende

Wie schon das erste Treffen des Projektes findet das aktuelle Wochenende wieder unter dem bestimmenden Eindruck der weltweiten Krise und zögerlich erwachender Widerstandsbewegungen statt. So ist dann auch der erste von drei Schwerpunkten die Auseinandersetzung mit den aktuellen globalen Entwicklungen und der Reaktion von unten: Wo liegen die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Widerstandsbewegungen? Was haben die Riots in den englischen Grossstädten vom August zu bedeuten? Wie ist der Charakter der Occupy-Bewegung einzuschätzen? Welche Rolle spielen die Demokratie und die Selbstorganisation der Klasse? Diesen im aktuellen Aufruf aufgeworfenen Fragen soll am Wochenende nachgegangen werden und nach kurzen Impulsreferaten in kleineren Gruppen diskutiert werden, um die Resultate dann ins Plenum zurückzutragen. In einem zweiten Block will sich das Projekt mit falschen Erklärungen und bürgerlichen Reflexen auf die Krise befassen. Gerade die angesprochene Occupy-Bewegung war ein Musterbeispiel dafür, welcher ideologische Ballast in Krisenzeiten an die Oberfläche gespült wird. Um dagegen einige Argumente griffbereit zu haben und überhaupt zu Verstehen, wie es zu solchen ideologischen Verkehrungen kommen kann, soll das Thema diskutiert werden. Im dritten Block wird es dann recht praktisch: Dieser dreht sich darum, welche Rolle die selbstbezeichneten RevolutionärInnen in den Umwälzungsprozessen einnehmen können und sollen. Diese Frage stellt sich allen, "die zur Überzeugung gelangt sind, dass nichts tun keine Alternative ist. Umso schwieriger gestaltet sich die Beantwortung dieser Frage aus Mangel an praktischer Erfahrung und der Vielzahl von bestehenden, unterschiedlichen und sich widersprechenden Konzepten".

Es ist nicht anzunehmen, dass am Wochenende die Fragen - gerade die letzte - erschöpfend geklärt sein werden, gerade auch im Hinblick auf den unterschiedlichen Hintergrund der Teilnehmenden. Dennoch darf man wohl auf ein weiteres interessantes Diskussionswochenende gespannt sein, an dessen Ende doch die eine oder andere Frage zumindest andiskutiert und etwas entwirrt sein wird.


Diskussionswochenende im Raum Bern vom 30. März bis zum 1. April
Homepage der VeranstalterInnen: http://www.projektkk.blogspot.de


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. Nr. 11/12/2012 - 68. Jahrgang - 9. März 2012 , S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. März 2012