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VORWÄRTS/878: Kampf im Elfenbeinturm


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 45/46 vom 7. Dezember 2012

Kampf im Elfenbeinturm

von David Hunziker



An der Uni Zürich hat sich über drei Tage ein politischer Funke geregt. Die ersten Linken Hochschultage boten ein Forum für theoretische Debatten, die Diskussion aktueller Strömungen in der Politik und Berichte aus der politischen Praxis. Es wurde in Form einer Demo gar selbst zur Tat geschritten, als Nato-Chef Anders Fogh Rasmussen während der Tage die Uni besuchte.


Eigentlich gibt es von den Linken Hochschultagen nur Gutes zu berichten: Die Vorträge und Workshops zu zahlreichen Gebieten aktueller linker Theorie und Praxis wurden von Publikum meist geradezu überrannt, die Durchführung verlief von der Ausrufung der Anlässe durchs Megafon bis hin zur veganregionalen Kost beeindruckend reibungslos und ein Grossteil der Inhalte vermochte zu überzeugen. Dennoch brachte die Abschlussrunde zu Recht unterschiedliche Antworten auf die alles entscheidende Frage hervor, was nun weiter zu tun ist.

In einer ähnlichen Form muss es weitergehen, da war man sich einig. Allein die Tatsache, dass sich in dem dicht gefüllten Raum auch zahlreiche Leute fanden, die aus anderen Städten angereist waren oder die sich gar zum ersten Mal in eine vergleichbare Runde verirrt hatten, war erfreulich. Drei Fragen kristallisierten sich heraus: Worin besteht die Form dieses Anlasses genau, wie soll damit in Zukunft umgegangen werden und wie kann zumindest ein Teil dieses heterogenen Haufens an kontinuierliche Organisationsformen herangeführt werden.


Aneignung eines Raums als politischer Akt

Die Fragen lassen sich getrennt nicht beantworten, denn Kontinuität wird die Frage der Form beeinflussen. Dem Selbstverständnis der Linken Hochschultage nach war die Aneignung eines ungenutzten Raumes - auch wenn ihn die Uni nach der Ankündigung der Aneignung freiwillig zur Verfügung gestellt hat - ein politischer Akt. Dies darum, weil sie sich den immanenten Organisationsprinzipien der Uni zu entziehen versucht hat. Ob dies wirklich gelingen konnte, hängt an der Frage, ob die Linken Hochschultage wirklich Raum für kritische Forschung eröffnen, den die Uni aus strukturellen Gründen nicht bieten kann, oder ob sie lediglich eine Ergänzung des universitären Angebots entsprechen und dieses durch den kritischen Gehalt sogar immanent bereichern.

Ähnliche Fragen beschäftigten auch innerhalb der Veranstaltungen. Christian Frings stellte in seinem Referat zur weltsystemtheoretischen Einordnung der Krise auch Ansätze einer marxistischen Wissenschaftskritik vor. Dabei vertrat er die These, dass die Trennung einerseits der Uni als Institution vom restlichen Teil des gesellschaftlichen Lebens und andererseits der Wissenschaftszweige untereinander es verunmögliche, die Gesellschaft als Ganzes zu begreifen, zu kritisieren und letztlich zu verändern. Gegen diese im Kapitalismus strukturell angelegte Teilung der geistigen Arbeit versuchte Frings, aktuelle Widerstände in einem globalen Kontext zu verorten.

Eine interessante Diskussionslage ergab sich aus dem Beitrag von Urs Lindner, der an einem Lehrstuhl für Philosophie an der ETH angestellt ist. Lindner stieg mit einer Hand voll abstrakt-theoretischer Fragestellungen ein, wie derjenigen danach, was denn eine Sozialtheorie überhaupt sei und was sie kritisch mache. Nachdem ein paar Gemeinplätze und Befindlichkeitsvoten geäussert waren, intervenierte eine Teilnehmerin: Man könne doch nicht darüber sprechen, was Theorien kritisch mache, und dafür gleichzeitig eine komplett unkritische Form wählen. Er, Lindner, stelle zwar offen Fragen, behalte seine Position als urteilende und daher wissende Instanz aber bei. Den Rest der Stunde fand eine Rege Diskussion darüber statt, ob eine kritische Gegenveranstaltung notwendig auch andere Formen der Diskussion mit sich bringen müsse.


Demo gegen die NATO

Doch derart theoretisch blieb es nicht die ganze Zeit. Es gelang sogar ein kleiner Sprung in die Praxis, als die Gruppe "Uni von unten" gegen den Besuch von NATO-Chef Anders Fogh Rasmussen mobilisierte. Die wütende Meute von bestimmt 150 Personen zeigte, dass sich der Widerstand gegen vergleichbare Veranstaltungen an der Uni Zürich etabliert. Das zeigte sich auch in der repressiven Drohkulisse, die zu Rasmussens Schutz aufgebaut wurde: Die Uni wurde mit Sprengstoffhunden durchsucht, Polizei in Demo-Montur stationierte sich rund ums Gebäude und als direkte Reaktion auf die letzten vergleichbaren Proteste wurde der Eingang vom Lichthof nach draussen verlegt. Wieder zurück in den ehemaligen Hörsälen der Pädagogischen Hochschule: Der in Paris lebende Journalist Bernhard Schmied berichtete über den Arabischen Frühling, mehrheitlich in Nordafrika, speziell über soziale und ökonomische Ursachen. Er hob etwa hervor, dass eine Kombination aus ansteigender Bildung und einem Fehlen an entsprechenden Arbeitsplätzen in höher qualifizierten Berufen zu Unmut unter Jungen geführt habe. Mafiöse Wirtschaftsstrukturen, die Abhängigkeit von höher Entwickelten Industrien in Europa - im Falle Tunesiens etwa der Autoindustrie - und mancherorts die Bedeutung der Ölwirtschaft hätten diese Konstellation mit verursacht.

Aus der politischen Praxis in Griechenland berichtete der Autor und Aktivist Rainer Thomann, der als freier Mitarbeiter regelmässig für den vorwärts schreibt. Er berichtete von kollektiv organisierten Initiativen in der Bevölkerung, etwa von einer Fabrik, die von den ArbeiterInnen übernommen und verwaltet wird, seit die frühere Leitung die Schliessung erzwingen wollte. Auch von einem autonom verwalteten Spital, das statt Geldspenden nur Güter entgegen nimmt, und einem besetzten Campingplatz an der Küste, der sowohl Obdach als auch Widerstand gegen den geplanten Bau eines Luxusressorts ist.


Griechenland macht Sorgen

Thomann betonte dagegen auch die Elemente der Machterhaltung der Bourgeoisie: Gleichgeschaltete Medien, eine technokratische Regierung, die repressive Gewalt der Polizei und die Basisarbeit der faschistischen Schlägertrupps. Um vor allem letzterer entgegenzuwirken, sei die Arbeit auf den Strassen und in den ärmeren Quartieren, in denen die Partei "Chrysi Avgi" ihre Stimmen holt, entscheidend. Nach neusten Umfragen würden bereits 15 Prozent der Bevölkerung die Neofaschisten wählen. Er hebt die Bedeutung des Parteienbündnisses "Syriza" bei dieser Arbeit heraus, betont aber auch die Gefahren ihrer Partizipation im griechischen Parlament.

Bei Getränken und etwas Musik liess man die Tage ausklingen, wurde daran aber bald von Polizisten in Vollmontur gehindert, die die Musikanlage einsteckten. Dies zeigt, dass der Anlass auch von der Gegenseite als politisch wahrgenommen wurde. Darum, aber auch weil gut diskutiert worden ist, braucht es die Linken Hochschultage wieder.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 45/46/2012 - 68. Jahrgang - 7. Dezember 2012, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2012