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VORWÄRTS/906: Comedia all' italiana


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.09/10 vom 15. März 2013

Comedia all' italiana

Von Siro Torresan



Italien ist nach den Wahlen unregierbar. Wie ein Tsunami fegte der grosse Sieger Beppe Grillo mit seinem "Movimento 5 Stelle" über das Land und gewinnt dank Millionen von Proteststimmen 108 Sitze im Parlament und 54 im Senat. Ohne die "Grillini" läuft ab sofort in Italien nichts mehr und sie sind nicht bereit, mit einer der etablierten Parteien eine Regierung zu bilden. Eine neue, unbekannte Situation selbst für das Land, das in den letzten 68 Jahren 63 Regierungen verbraten hat. Ein erneutes Wahldebakel hat die radikale, kommunistische Linke eingefahren.


Da bekanntlich auch ein blindes Huhn mal ein Korn findet, sei für einmal das Wahlresultat mit den Worten von Silvio Berlusconi zusammengefasst: "Es gibt keine Mehrheit, sondern drei Minderheiten." Die drei Minderheiten sind das Mitte-Links Bündnis, angeführt vom farblosen, oft bieder wirkenden Sozialdemokraten Pier Luigi Bersani und seiner Partei "Partito Democratico" (PD). Rein zahlenmässig hat Bersani die Wahlen gewonnen (siehe Resultate unten) und verfügt über eine Mehrheit im Parlament, jedoch nicht im Senat. Ein klassischer Pyrrhussieg, der bekanntlich einer Niederlage gleichkommt. Als klarer Favorit gestartet, schaffte Mitte-Links nur hauchdünn den Sieg vor dem Mitte-Rechts Bündnis von Silvio Berlusconi. Der wegen seinen haarsträubenden Skandalen und Verurteilungen für politisch tot erklärte Berlusconi, wird entgegen aller Erwartungen auch in Zukunft eine zentrale Rolle in der italienischen Politik spielen. Wie ist es möglich, dass über 20 Prozent der WählerInnen Berlusconi wieder die Stimme gegeben haben? Nun, über mögliche Antworten zerbrechen sich weltweit renommierte, hoch intelligente PolitologInnen und PsychologInnen den Kopf, jedoch ohne Erfolg. Eine Antwort vom vorwärts zu erwarten, ist daher etwas vermessen. Wir bitten um Verständnis.

Die dritte Minderheit ist die unbestrittene Siegerin der Wahlen. Es ist der "Movimento 5 Stelle" (5-Sterne-Bewegung), angeführt von Komiker Beppe Grillo. Sämtliche Proteststimmen gingen auf sein Konto. Bereits vor den Wahlen hatte er angekündigt, dass seine Bewegung mit niemanden eine Regierungskoalition eingehen wird. Somit ist im Senat keine Mehrheit möglich. "Scacco matto" (Schachmatt), betitelte die kommunistische Tageszeitung "il manifesto" am Tag nach den Wahlen ihre Frontseite und bringt die aktuelle Situation gekonnt auf den Punkt: Wer Italien nun regieren wird, steht nicht mal in den Sternen. Über Neuwahlen wird laut nachgedacht. Ende März wird man mehr wissen, dann wird die erste Konsultationsrunde betreffend der Gründung einer Regierung abgeschlossen sein.


Eine enorme Armutsfalle droht

Der Wahlerfolg des "Movimento 5 Stelle" ist der lebende Beweis der totalen Bankrotterklärung der radikalen, kommunistischen Linken. Um dies besser zu verstehen, ist ein Blick auf die reale Situation im Lande hilfreich. Italien befindet sich in der tiefsten Krise seit dem zweiten Weltkrieg: Offiziell haben 37 Prozent der Jugendlichen bis 25 Jahre keine Arbeit, die Dunkelziffer schätzt man auf 50 Prozent. Vor allem im Süden der Halbinsel ist diesbezüglich die Situation dramatisch. Fixe, unbefristete Anstellungen bilden Ausnahmen. Millionen arbeiten in äusserst prekären Arbeitsverhältnissen und verdienen zwischen 400 und 800 Euro netto im Monat. Im Jahr 2011 zählte das Land über acht Millionen Menschen (13,6 Prozent der Bevölkerung und 11,1 Prozent der Familien), die unter der Armutsgrenze von 1013 Euro im Monat leben. Zahlen, die selbst die Europäische Union stark beunruhigen. In ihrem Rapport "Arbeit und soziale Entwicklung" von 2012 ist zu lesen: "Italien läuft hohe Gefahr, in eine enorme Armutsfalle zu tappen".


Der Faden ist gerissen

Trotz dieser sozialen Misere schaffte keine Kommunistin und kein Kommunist den Sprung ins nationale Parlament. Der "Partito della Rifondazione Comunista> (PRC) und der "Partito dei Comunisti Italiani" (PdCI) versteckten sich hinter dem Symbol des neuen Bündnisses "Rivoluzione Civile" (Zivile Revolution), dem auch die Grünen sowie die Partei "Italia dei Valori" des ehemaligen Magistraten Antonio Di Pietro angehören. Angeführt wurde "Rivoluzione Civile" von Antonio Ingroia, der in seiner Heimatstadt Palermo als Staatsanwalt arbeitet und sich vor allem mit der Bekämpfung der Mafia und der Korruption einen Namen gemacht hat. Die beiden kommunistischen Parteien haben den gleichen Fehler gemacht wie bei den Wahlen vor fünf Jahren, als sie das Wahlbündnis "Arcobaleno" (Regenbogen) gründeten und dabei völlig untergingen. "Eine Form von Wahnsinn besteht darin, immer wieder das Gleiche zu tun und dabei andere Ergebnisse zu erwarten", pflegte ein gewisser Albert Einstein zu sagen.

"Rivoluzione Civile" erreichte 2,25 Prozent der Stimmen und blieb so deutlich unter den 4 Prozent, die für den Einzug ins Parlament notwendig sind. Noch schlimmer ist das Resultat im Senat mit 1,79 Prozent. Nach dem Wahldebakel sind die Parteileitungen von PRC und PdCI zurückgetreten. So ist die Frage nicht etwa, wie ihre Zukunft aussehen wird, sondern ob es für die beiden Parteien überhaupt noch eine geben wird. Wer an den Wahlen ein Symbol mit Hammer und Sichel wählen wollte, hatte die Wahl zwischen zwei aus der trotzkistischen Tradition stammenden Parteien: Eine bekam 0,37, die andere 0,01 Prozent der Stimmen.

Wie ist dieses katastrophale Wahlergebnis der radikalen, kommunistischen Linken zu erklären? Offensichtlich ist der Faden, der historisch die sozialen Proteste und Kämpfe in der Bevölkerung mit der kommunistischen Linken verband, gerissen. So blickt sie jetzt voller Neid auf den "Movimento 5 Stelle" und muss ehrlich zugeben, in den letzten zehn Jahren ziemlich viel - wenn nicht gleich alles - falsch gemacht zu haben. Sicher, die sozialistische Revolution wird niemals durch ein bürgerliches Parlament erfolgen. Fakt ist aber, dass das Wahlresultat ein perfektes Spiegelbild der gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Verankerung der kommunistischen Linken im Lande ist - eine Verankerung, die schlicht nicht mehr vorhanden ist.

Links des PD schaffte nur die Partei "Sinistra, Ecologia e Libertà" (SEL) von Nichi Vendola, aktueller Präsident der Region Apulien, den Sprung ins Parlament. SEL entstanden vor einigen Jahren durch eine Abspaltung vom PRC, trat innerhalb des Mitte-Links Bündnisses an und blieb mit 3,2 Prozent (37 ParlamentarierInnen und 7 SenatorInnen) deutlich unter den eigenen Erwartungen.


Die Palastrevolution der "Grillini"

108 ParlamentarierInnen und 54 SenatorInnen der "5-Sterne-Bewegung" ziehen in die Machtpaläste in Rom ein. Fast niemand dieser "Grillini" hat bisher ein Parlament von innen gesehen. Man munkelt gar, dass viele von ihnen eine Schnellbleiche in Sachen Staatskunde bekommen, da sie keine Ahnung vom italienischen Politsystem hätten. Unbestritten ist, dass mit den "Grillini" das "normale Volk" ins Parlament und in den Senat einzieht. Eine Palastrevolution, denn Italien ist seit der Gründung der Republik 1948 ausschliesslich von PolitkarrieristInnen der grossen Parteien regiert. Die unbekannten und daher schwer einzuschätzenden "Grillini" machen den etablierten Parteien und BerufsparlamentarierInnen Angst, auch weil sie sich weder als links noch als rechts und schon gar nicht als Partei bezeichnen. Die Bevölkerung hingegen schaut mit Neugier und grosser Erwartung auf das parlamentarische Handeln der Bewegung.

"Grillo hat begonnen, eine neue Geschichte zu schreiben, die zurzeit noch schleierhaft ist", schreibt "il manifesto" in seinem Kommentar gleich nach den Wahlen. Einer der Wortführer der Bewegung gibt zu Protokoll: "Sie haben Angst vor uns, weil sie unser Projekt nicht kennen". Mit "sie haben Angst" ist die politische Klasse Italiens gemeint, das Feindbild Nummer 1 der Bewegung. Und so verkörpert die Grillo-Bewegung für viele ItalienerInnen das Neue, das Unverbrauchte in der morschen, verkrusteten, von Skandalen und Korruption durchtränkten italienischen Politik. Als Komiker weiss Grillo, wie er die Masse begeistern kann. Er spricht eine einfach Sprache, die alle verstehen und die sich um "political correctness" schlicht foutiert. So wie jeder gute Populist vermittelt er vielen Menschen das Gefühl, aus ihren Herzen zu sprechen. Während der Wahlkampagne hat er auf die Teilnahmen an Talkshows oder Streitgesprächen am Fernsehen verzichtet. Dafür hat er das Internet mit einer der ältesten Formen der Politpropaganda gekonnt vereint: Die Kundgebungen auf der "Piazza" der Dörfer und Städte, die live auf seinem Blog übertragen wurden. In seiner "Tsunami-Tour", die von Sizilien ins Südtirol führte und mit einer riesigen Kundgebung in Rom endete, hielt Grillo praktisch jeden Abend eine Kundgebung ab und war dadurch in sämtlichen Tagesschauen aller TV-Sender Italiens zu sehen. Ein cleverer Schachzug.


Forderungen ohne Analyse

Was will die Bewegung? Auf dem Blog ist zu lesen: "Die einzige Lösung ist eine Regierung des 'Movimento 5 Stelle', die sofort die ersten zwanzig Punkte unseres Programms umsetzt und in Folge alle anderen Punkte". Das Programm besteht aus 15 Seiten und ist unterteilt in die Kapitel "Staat und BürgerInnen", "Energie", "Information", "Wirtschaft", "Transportwesen", "Gesundheitswesen" und "Bildung". Es ist ein Sammelsurium von Forderungen. Einige können aus linker Sicht durchaus geteilt werden (Garantie einer Arbeitslosenversicherung für alle, die Unterstützung der Non-Profit-Organisationen), andere stammen aus dem neoliberalen Lager (Privatisierung der Eisenbahn, Zusammenarbeit der Wirtschaft mit den Universitäten). Eines haben die Forderungen gemeinsam: Es lässt sich mit ihnen leicht punkten. Schwierige und sehr kontroverse Themen, wie etwa die Frage der Migration, werden im Programm nicht aufgegriffen. Eine vertiefte Analyse der Situation oder eine Erklärung, wie es zur dramatischen Situation in Italien gekommen ist, sucht man im Programm auch vergebens.


Nationalistische Färbung

Die Bewegung funktioniert ausschliesslich über das Internet. Andere Strukturen kennt und hat sie nicht. So hält Artikel 1 der Statuten, die den sinnigen Namen "Non Statuto" (kein Statut) tragen, folgendes fest: "Der Sitz der Bewegung ist die Internetadresse www.beppegrillo.it". In den Statuten findet sich auch die nationalistische Färbung der Bewegung, die oft auch in den Reden von Grillo nicht zu überhören ist. Nur "italienische StaatsbürgerInnen" können sich der Bewegung anschliessen (Art. 5). Und um das Feindbild zu verstärken, darf niemand der Bewegung beitreten, die oder der in einer Partei ist.

Man darf also auf die Fortsetzung der "comedia all'Italiana" mit dem Hauptdarsteller Beppe Grillo gespannt sein!


WAHLERGEBNIS

Die Mitte-Links Koalition, unter Führung von Pier Luigi Bersani und seiner Partei "Partito Democratico" (PD), erreichte im Parlament 29,55 Prozent der Stimmen, das Mitte-Rechts Bündnis von Silvio Berlusconi 29,18 Prozent. Der hauchdünne Vorsprung von 125.000 der 35,27 Millionen abgegebenen Stimmen verschafft Mitte-Links dank dem absurden Wahlgesetz eine deutliche Mehrheit von 340 der 630 Parlamentssitze. Am meisten Stimmen (25,55 Prozent) bekommt jedoch der "Movimento 5 Stelle" vom Komiker Beppe Grillo. Zum Vergleich: Der PD erhält 25,42 Prozent und die Partei von Berlusconi "Popolo della Libertà" kommt auf 21,56 Prozent. An vierter Stelle landete die im Zentrum angesiedelte Liste "Lista Civica" (Bürgerliste) des aktuellen Premierministers und Eurotechnokraten Mario Monti.

Ähnliches Bild im Senat, bei dem kein Siegerbonus verteilt wird und es 158 Sitze für die Mehrheit braucht: Mitte-Links gewinnt mit 31,63 (123 Sitze) knapp vor Mitte-Rechts mit 30,72 Prozent (117 Sitze) und dem "Movimento 5 Stelle" mit bemerkenswerten 23,79 Prozent (54 Sitze). Die "Lista Civica" von Monti landet abgeschlagen an vierter Stelle 9,13 Prozent der Stimmen und stellt 19 Senatoren.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 09/10 - 69. Jahrgang - 15. März 2013, S. 9
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. April 2013