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VORWÄRTS/959: Gesundheit für alle!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 31/32 vom 13. September 2013

Gesundheit für alle!

von Maurizio Coppola



Die aktuelle globale Krise macht auch vor dem Gesundheitswesen keinen Halt. Der Druck zur Kommerzialisierung ist allgegenwärtig und facettenreich. In der Reihe "kritik&utopie" des Mandelbaum Verlags ist ein Buch erschienen, welches die Grundlinien des Gesundheitswesens in Deutschland und Österreich darstellt, die Folgen der Kommerzialisierung beschreibt und von Mobilisierungen gegen diese Tendenzen berichtet.


"Gesundheit für alle!" ist eine Textsammlung der "Initiative Solidarisch G'sund", einer seit 2010 aktiven Plattform für ein öffentliches Gesundheitswesen, die die entscheidende Bedeutung sozialer Gleichheit für die Gesundheit aufzeigt. Alle Beiträge basieren denn auch auf der Prämisse, dass die wichtigste gesellschaftliche Ursache von Krankheit und vorzeitigem Tod die soziale Ungleichheit ist (S. 176).

Das Buch ist in drei Hauptthemen gegliedert. Nach einer Einleitung von Werner Rätz, in dem der Autor mit gängigen "Gesundheitsmythen" aufräumt und den Rahmen der Untersuchung abgesteckt, stellt "Gesundheit, Ungleichheit und Macht" das erste Thema dar. Das zentrale Thema ist weiter die Darstellung des deutschen und österreichischen Gesundheitssystem aus einer historisch-kritischen Perspektive. Schliesslich werden Beispiele von Kämpfen im Gesundheitswesen und ihre auf Alternativen hinweisende Dimensionen diskutiert.


Die Macht der Pharmakonzerne

Bernhard Winter beleuchtet in seinem Beitrag die wachsende Bedeutung der Pharmakonzerne (S. 56-67). Der Autor beobachtet einen sich in den letzten beiden Jahrzehnten dramatisch entwickelnden Konzentrationsprozess im Pharmasektor. Pharmafirmen wurden aufgekauft, zerschlagen und reorganisiert. Für das Jahr 2012 wurde das Volumen des Weltpharmamarktes auf 970 Milliarden US-Dollar geschätzt. Drei Viertel davon werden in den westlichen Industriestaaten USA, Japan und den umsatzstärksten EU-Länder umgesetzt. Diese Bedeutung der Pharmakonzerne ergibt sich daraus, dass heute die Pharmakotherapie die alles dominierende Therapieform der Medizin ist. "Die Verwissenschaftlichung der Medizin im Kapitalismus hat zu einer beeindruckenden Erforschung und Entwicklung von Medikamenten geführt" (S. 57).

Das hat Folgen: Einerseits werden Krankheiten aus dem gesellschaftlichen Kontext herausgelöst, soziale und umweltbedingte Determinanten nicht beachtet und somit eine Individualisierung von Krankheitsursachen begünstigt. Andererseits fungieren Pharmakonzerne als wichtige Geldgeber für die klinische Forschung, unabhängige Forschung wird zunehmend zurückgedrängt. Zudem arbeiten Pharmakonzerne vermehrt daran, selbst aktiv als Versorger das Gesundheitssystem zu strukturieren. "Global betrachtet zeigt sich, dass der Pharmamarkt vornehmlich die Gesundheitsprobleme der Reichen bedient. Erkrankungen, deren Verbreitung sich weitgehend auf ärmere Gesellschaften des Südens beschränken, werden kaum erforscht" (S. 61-62).


Die Strukturen des Gesundheitssystems

Nadja Rakowitz und Peter Hoffmann heben in ihrem Beitrag zu den Strukturen des deutschen Gesundheitssystems hervor (S. 70-77), dass in Deutschland eine lange Tradition staatlicher, solidarischer und nicht-profitorientierter Elemente besteht. Gerade die gesetzliche Krankenversicherung (GKV), in die auch Unternehmen einzahlen, weist eine solche korporatistische Dimension auf. Doch die GKV steht heute unter Reformdruck, so dass sie sich eher einem schweizerischen Modell annähert, in dem sich die Unternehmen aus der Finanzierung zurückziehen und Kopfprämien das Modell bestimmen. Gleichzeitig ist in der stationären Versorgung der Kommerzialisierungsprozess fortgeschritten. Grosse Konzerne wie die Rhön-Klinikum AG, Asklepios oder Helios haben wichtige öffentliche Krankenhäuser übernommen (Privatisierung). Und durch die neue Art der Finanzierung der Einrichtungen über Fallpauschalen wurden alle Krankenhäuser in Konkurrenz zueinander gesetzt (Ökonomisierung). Dieser Wandel wirkt sich auf die ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehung aus.

Ulrike Papouschek unterstreicht in ihrem Beitrag (S. 108-116), dass in Österreich Privatisierungen (noch) keine wesentliche Rolle spielen. Doch die Ökonomisierung hat in Form von massivem Outsourcing und Privat-Public-Partnerships (PPP) Einzug in das österreichische Krankenhaussystem gefunden, so dass heute von einer "staatlich subventionierten, privaten Gesundheitsindustrie" (S. 113) gesprochen werden kann. Somit ist die Marktnähe des Sektors vorangeschritten, Kosten werden in erster Linie über die Reduktion der Arbeitskosten eingespart: Verringerung der Beschäftigtenzahlen, Lohnkostensenkungen, Intensivierung der Arbeit (S. 115). Auf diesen Entwicklungen basieren die im Gesundheits- und Krankenhauswesen ausgebrochenen Kämpfe von PflegerInnen und NutzerInnen.


Kämpfe Und Alternativen

Anna Leder gibt in ihrem Beitrag (S. 150-168) einen Überblick über die Mobilisierungen im Gesundheitssektor. Dabei stellt sie fest: "Es gibt wohl kaum ein Land in Europa, in dem sich in den letzten Jahren kein Widerstand von Beschäftigten aber auch von NutzerInnen des öffentlichen Gesundheitswesens formiert hätte" (S. 150). Die Autorin zeigt auf, wie in Griechenland ein unterfinanziertes System zur gesundheitlichen Unterversorgung geführt hat und wie Besetzungen von Krankenhäusern und die Schaffung von sozialen Gesundheitszentren Gesundheitsdienstleistungen in einem krisengeprägten Kontext garantiert werden. Anhand des Beispiels der Berliner Charité wird hingegen das Problem der Tarifbindung in Krankenhäusern thematisiert. Die Auslagerung nichtmedizinischer und nichtpflegerischer Tätigkeiten hat einen Abwärtstrend der Arbeitsbedingungen angekurbelt. Schliesslich skizziert Leder die Geschichte der sich in Polen mobilisierenden PflegerInnen für bessere Löhne. Die PflegerInnen haben einen Hungerstreik initiiert, ohne dabei jedoch die Arbeit niederzulegen. Die Autorin fragt sich zu Recht, ob diese Form des Protestes nicht das Bild der sich aufopfernden Frau fortschreibt und stellt somit genderspezifische Probleme von sozialen Mobilisierungen zur Diskussion.

In groben Zügen stellt das Buch aus unterschiedlichen Perspektiven die Schaffung eines europäischen Gesundheitsmarktes dar, angetrieben von europaweit agierenden Krankenhauskonzernen und von einer globalen Tendenz hin zur Kommerzialisierung des Gesundheitswesens. Aber diese Transformation der Gesundheit zur Ware produziert eben auch eine neue Produktionsmacht in den Krankenhäusern. Genau darin ist das "Politische" in den sozialen Kämpfen im Gesundheitswesen zu sehen.

INITIATIVE SOLIDARISCH G'SUND (2013)
GESUNDHEIT FÜR ALLE! INTRO.
EINE EINFÜHRUNG.
WIEN: MANDELBAUM VERLAG, REIHE KRITIK&UTOPIE.
192 SEITEN.
ISBN: 978385476-619-3.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 31/32/2013 - 69. Jahrgang - 13. September 2013 , S. 8
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2013