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VORWÄRTS/964: Abzocker stoppen. Oder was?


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.37/38 vom 25. Oktober 2013

Abzocker stoppen. Oder was?

Von Thomas Schwendener



In der Debatte um die 1:12-Initiative zeigen sich in grosser Klarheit die ideologischen Vorstellungen ihrer Teilnehmerinnen. Man kann dabei einiges über den Zustand des politischen Personals lernen. Ob der Vorstoss der JUSO von den Stimmenden angenommen oder verworfen wird, verändern wird sich nicht viel.


Am 24. November stimmt das Schweizer Stimmvolk ab, ob der höchste Stundenlohn in einem Unternehmen maximal das Zwölffache des tiefsten Stundenlohns betragen darf. Ob also die Putzfrau in einem Jahr mindestens gleichviel verdienen muss, wie der Manager, dessen Büro sie putzt, in einem Monat.

Längst tobt der Abstimmungskampf, und die beiden verfeindeten Lager haben schweres Geschütz aufgefahren. Glaubt man den Initiativ-GegnerInnen, stehen wir an der Schwelle zum Untergang des schweizerischen Abendlandes. Das "Lohndiktat des Staates" (Homepage Nein-zu-1:12) führe über mehr Arbeitslosigkeit, höhere Steuern und abwandernde Unternehmen dazu, dass sich der Boden auftut und sozialistische Höllenarmeen aufsteigen, die plündernd und brandschatzend über die braven SchweizerInnen und ihre tollen KMU herfallen. Auch wenn das eine oder andere Argument aus Sicht des nationalen Standortes die JUSO-Initiative trifft, erübrigt sich eine genauere Auseinandersetzung mit der auf Angstmache und der Mobilisierung von Ressentiments beruhenden Millionenkampagne der GegnerInnen.


Ideologischer Schaukampf

Aus der Nähe betrachtet führen zwei Tendenzen der Verwaltung der kapitalistischen Produktionsweise die Zankerei an. Auf der Seite der GegnerInnen stehen am äusseren Pol die Wirtschaftsliberalen, die bei jedem staatlichen Eingriff den Sozialismus am Werke sehen, obwohl ihre ganze Ideologie jämmerlich zusammenpurzelt, wenn der Staat seine permanente Wirtschaftsintervention aufgeben würde. Auf der anderen Seite finden sich die offenen oder verkappten KeynesianerInnen, die keinen Begriff davon haben, dass ihre Konsumankurbelung immer einen direkten Zugriff auf die Profite des Kapitals darstellt und dieses heute oftmals ohnehin unter niedrigen Profitraten leidet. Die Logik des Kapitals wird nie auch nur im Ansatz in Frage gestellt: Da geht es dann um den "Zusammenhalt der ganzen Schweiz", um "gerechte Löhne", um "die Ankurbelung unserer Wirtschaft", um eine "Stärkung der Schweiz" (Alle Zitate aus dem Argumentarium der Initiative) und letztlich darum, wie der Wirtschaftsstandort am Brummen gehalten wird. Als Cédric Wermuth kürzlich bei Roger Schawinski erklärte, dass die Initiative "den Kapitalismus nicht überwinden, sondern retten" werde, war das kein reiner Populismus - wenn es auch etwas gar vermessen war. Die JUSO vertritt faktisch tatsächlich nichts anderes als eine sozial dekorierte Verwertungsperspektive des Kapitalismus, die sie mit ein wenig radikaler Rhetorik versieht. Aber Hand aufs Herz: Was erwartet man auch von der Jugendorganisation einer regierungstragenden Partei? Dass sie zum Sturz der Regierung aufruft?

Allerdings haben die JungsozialistInnen einen schweren Stand. Denn die Rationalität des Wirtschaftsstandorts erfordert ein ums andere Mal tatsächlich jene Einschnitte, welche die Wirtschaftsliberalen den Proletarisierten auferlegen wollen. Die Regierenden ihrerseits kümmern sich um derlei ideologische Auseinandersetzungen in der Regel nicht all zu sehr. Gerade die Reaktionen auf den grossen Krach nach 2008 haben gezeigt, dass sie die Beschränkung von wirtschaftsliberaler und keynesianischer Perspektive erkannt haben. Sie umgehen sie ganz pragmatisch, indem sie die gerade passenden Elemente aus beiden Ideologien zur Anwendung bringen; übrigens bei Strafe des eigenen Untergangs.


Lohn und Profit

Selbst aus der beschränkten keynesianischen Perspektive ist die 1:12-Initiative mangelhaft. Die JUSO behauptet, dass viele Unternehmen die Löhne der unteren Segmente anheben und damit den Konsum ankurbeln würden, falls das Stimmvolk im November Ja sagt. Weil die oben immer mehr wollten, müssten sie dann auch die unteren Löhne anheben, um die Proportionen zu wahren. Der JUSO unterläuft ein Fehler: Die grossen kapitalistischen Unternehmen funktionieren nicht nach dem Prinzip der direkten persönlichen Bereicherung, wenn auch manche den Hals nicht voll genug kriegen können. Es geht dem kapitalistischen Grossunternehmen darum, dass ein möglichst grosser Gewinn generiert und wieder in den Verwertungssprozess gespeist wird. Die Unternehmen sind durch das Prinzip der Konkurrenz dazu gezwungen, weil sie sonst mit der Entwicklung nicht Schritt halten können und schnell als Übernahmekandidat gelten oder gleich Bankrott gehen. Statt also die unteren Löhne anzuheben - was zwar in Einzelfällen geschehen kann - ist die Wahrscheinlichkeit weit grösser, dass man zugunsten der Profite die direkten Lohnkosten oben absenkt. Gleichzeitig können die Unternehmen die ManagerInnen stärker an den Profiten beteiligen und dazu vorhandene Schlupflöcher suchen.

Wie bei der Abzockerinitiative fokussiert auch der JUSO-Vorstoss auf ein Verhältnis, das mit der inneren Funktionsweise des Kapitalismus wenig zu tun hat: Statt von Kapital und ArbeiterInnen oder wenigstens von Profit und Lohn zu sprechen, schiesst man sich auf die Frage der Lohnschere ein. Es dürfte der Work-Zeitung darum auch nicht besonders schwer gefallen sein, fünf "Patrons" von KMU heranzukarren, die sich für die Initiative aussprechen. Diese UnternehmerInnen partizipieren direkt am Profit, der ihnen zwar nicht ausbezahlt wird, der aber in ihre Firmen fliesst. Diese werden damit immer wertvoller. Da mag es dann - abseits von einzelnen bescheidenen Menschen - auch nicht erstaunen, dass sie mit einem Lohn von 1:3 oder noch tiefer ganz zufrieden sind.


Unter dem Strich

Ob die Initiative nun angenommen oder verworfen wird, es wird alles beim Alten bleiben. Es mag kleine Umschichtungen geben, da oder dort eine Erhöhung der Löhne oder eine Firmenpleite. Aber das Fundament lässt man bestehen. Es war auch nie die Absicht der JUSO, die innere Funktionsweise des Kapitalismus zu thematisieren oder gar anzutasten. Eine andere Absicht hat die erfolgreiche Jungpartei aber mit ihrem populistischen Vorgehen bereits erreicht: Sie ist in aller Munde und man debattiert über ihr jüngstes Kind. Ein voller Erfolg für die JUSO. Gerade auch weil man heute über die bösen, bösen AbzockerInnen und nicht mehr über das Kapital spricht.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 37/38 - 69. Jahrgang - 25. Oktober 2013, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Oktober 2013