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VORWÄRTS/1000: Geopolitisches Schlamassel in der Ukraine


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.9/10 vom 14. März 2014

Geopolitisches Schlamassel in der Ukraine

Von Thomas Schwendener



Kurz vor dem hundertsten Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges pokern die Grossmächte wieder um geopolitischen Einfluss in Osteuropa. In den hiesigen Medien wird die "vermittelnde EU-Dlplomatie" in der Ukraine hoch gelobt, obwohl es nicht nur Russland, sondern vor allem der Westen war, der zur Eskalation der Situation beitrug.


Als 2004 während der "orangenen Revolution" in der Ukraine der neue Präsident Janukowitsch wegen massivem Wahlbetrug aus dem Amt gedrängt wurde, wurde das in den westlichen Medien als Kampf zwischen Demokratie und Diktatur verkauft. Doch schon damals war hellsichtigeren ZuschauerInnen klar, dass es sich vor allem um eine Auseinandersetzung der politischen Orientierung nach Russland oder Europa handelte. Der an die Macht gedrängt westlich orientierte Präsident Juschtschenko plädierte für einen raschen Eintritt der Ukraine in die NATO, während sich seine Premierministerin, die kürzlich wieder aus der Haft entlassene "Gasprinzessin" Julija Timoschenko, der Abhängigkeit von Russland bewusst war. Sie war es dann auch, die ein Geheimabkommen mit Putin aushandelte, das den Import von lebensnotwendigem Gas gewährleistete und damit die Ukraine vor einem Crash bewahrte. Trotzdem wurde die "orangene Regierungskoalition" zunehmend von einer Krise erfasst und als 2009 im Zuge der globalen Krise das Bruttoinlandsprodukt der Ukraine um 15 Prozent abstürzte, schlug für den verdrängten Janukowitsch die grosse Stunde: Er präsentierte sich als sozialer Retter und konnte sich schliesslich 2010 in der Wahl durchsetzen.


Desolate wirtschaftliche Lage

Janukowitsch war keineswegs eine Marionette des Kremls, sondern schwankte jahrelang zwischen Ost und West, mit dem Wissen, dass die Ukraine von beiden abhängig ist. Immerhin sind die EU und Russland - in dieser Reihenfolge - die Hauptimporteure ukrainischer Waren und beliefern das Land in massgeblichem Umfang. Zudem hat allein Deutschland ein Direktinvestitionsvolumen von 6,6 Milliarden Euro.

Die aktuelle ökonomische Situation in der Ukraine ist eine Katastrophe: Die Wirtschaftsentwicklung ist eine der schlechtesten der Welt. Der IWF hat der Ukraine den Geldhahn abgedreht, weil die Regierung nicht fähig oder Unwillens war, die verordneten Austeritätsprogramme durchzusetzen. Im nächsten Jahr stünde eine Rückzahlung von Krediten in der Höhe von 15 Milliarden Dollar an. In dieser Situation stellte Russland, das seine ehemaligen Satellitenstaaten wieder verstärkt an sich binden will, wesentlich preiswertere Gaslieferungen und günstige Kredite in der Höhe von 15 Milliarden Dollar in Aussicht. Vor diesem Hintergrund kann es nicht erstaunen, dass Janukowitsch sich im November letzten Jahres gegen eine Annäherung an die EU stellte und sich weigerte, ein Freihandelsabkommen zu unterzeichnen.


Einflussnahme der Grossmächte

Unter den skizzierten Umständen war es bloss eine Frage der Zeit, bis das Pulverfass Ukraine in die Luft fliegen würde. Die EU und die USA hatten ihrerseits politisch drauf hingearbeitet: Nicht nur gab es medienwirksame Solidaritätsbesuche von hochrangingen EU-VertreterInnen auf dem Maidan, schon vorher war man aktiv und unterstützte diverse politische Akteure: So etwa Timoschenkos Partei "Vaterland", die sich als eine der ersten in den Schlamassel einmischte. Mit jener Partei eng verbunden ist die Partei UDAR von Vitali Klitschko, die wesentlich von der CDU-nahen Konrad Adenauer Stiftung aufgebaut wurde und Kontakte zur neofaschistischen "Swoboda" unterhält. Die Unterzeichnung eines Abkommens mit der Opposition durch Janukowitsch, welches unter anderem eine Übergangsregierung sowie vorgezogene Präsidentschaftswahlen vorsah, kam unter anderem auf Druck der EU und der USA zustande. Dabei geht es den westlichen Mächten vermutlich - man kann in der Regel nicht in ihre strategischen Planungsberichte schauen - um die "Kornkammer" Europas, den russischen Schwarzmeerstützpunkt in Sewastopol und um die Schwerindustrie im Osten. Die EuropäerInnen könnten "ihre Absatzmärkte erweitern und leichteren Zugriff auf die Rohstoffe und Bodenschätze der Ukraine gewinnen", kann man recht offenherzig auf der Homepage der deutschen Tagesschau nachlesen.

Russland war lange schon mit den genannten wirtschaftlichen Zugeständnissen aktiv. In die Enge gedrängt - und wohl kaum an einem Bürgerkrieg an den eigenen Grenzen interessiert - sah sich der Kreml gezwungen, seine westlichen Truppenteile zu mobilisieren und vermutlich verdeckt militärisch auf der Krim zu agieren. Die Ukraine bildet ein Schlüsselelement in einer "Eurasischen Union", die von Russland angestrebt wird; auch um sich von der Umklammerung durch die EU und die USA zu befreien. Dies zu verhindern dürfte ein weiterer Grund für die vehemente Einmischung durch die Westmächte sein.


Gefährliches Spiel

Man muss nicht wie der "Channel 4"-Journalist Paul Mason gleich das Ende der multilateralen Weltordnung vermuten und einen epochalen Bruch prognostizieren. Aber was sich derzeit in der Ukraine abspielt, stellt die grösste geopolitische Auseinandersetzung zwischen Ost und West seit dem Ende des Kalten Krieges dar. Es bleibt einerseits abzuwarten, welchen Verlauf das Schlamassel am Schwarzen Meer noch nimmt. Und andererseits ist nicht abzusehen, ob und auf welcher Seite sich die "Werkbank der Welt" China in die Sache einmischen wird. Hoch explosiv ist das Gemisch, das da gebraut wird, auf jeden Fall.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 9/10 - 70. Jahrgang - 14. März 2014 , S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2014