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VORWÄRTS/1088: Der grosse Lauschangriff


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 11/12 vom 27. März 2015

Der grosse Lauschangriff

Von Michi Stegmaier


Mit 119 zu 65 Stimmen hat der Nationalrat das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG) am 17. März 2015 deutlich angenommen. Das Wort "Terrorismus" hatte während der Frühlingssession Hochkonjunktur, der Fichenskandal scheint längst vergessen und der Überwachungsstaat wird massiv ausgebaut werden.


Gemäss dem neuen Gesetz ist das Abhören von Telefonaten, Eindringen in Computer und Verwanzen von Privaträumen künftig ohne grosse Hindernisse möglich, sämtliche Bedenken betreffend fehlenden Kontrollinstanzen und Anträge für mehr Transparenz blieben bei der Debatte chancenlos und wurden abgeschmettert. Zwar ist auf dem Papier ein dreistufiges Bewilligungsverfahren vorgesehen, doch ExpertInnen halten dies für Augenwischerei. Das klare Votum für das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG) kommt nicht überraschend, schliesslich wurde auch mit grosser Kehle angerührt und SVP-Bundesrat Maurer betonte, dass es gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und gegen Terrorismus ginge, da kann man ja schliesslich als braver Bürger nicht dagegen sein.


Massenüberwachung durch "Kabelaufklärung"

Geht es nach dem Nationalrat, so soll der Schweizer Geheimdienst künftig allerlei neue Kompetenzen und Betätigungsfelder bekommen. Unter anderem soll der Nachrichtendienst den Finanzplatz Schweiz künftig vor Cyberattacken und Spionage durch fremde Dienste schützen. Vor allem aber die sogenannte "Kabelaufklärung" sorgte für einige rote Köpfe. So kritisierte im Vorfeld der Nationalratsdebatte zum NDG die Digitale Gesellschaft, Amnesty International und die Stiftung für Konsumentenschutz in einem offenen Brief die Kabelaufklärung und die damit verbundene verdachtsunabhängige Massenüberwachung als unverhältnismässigen Eingriff in die Privatsphäre. Mit der Kabelaufklärung ist es möglich, sämtliche Inhalte der elektronischen Kommunikation wie etwa Mails, Suchanfragen oder Internettelefonie auf bestimmte Schlüsselwörter zu durchforsten. Es wird dabei der gesamte Datenstrom gescannt und über sämtliche Daten eine Rasterfahndung vollzogen, was unweigerlich zu vielen "Falschtreffern" führen wird. Zwar betonte der Bundesrat, dass bloss "grenzüberschreitende Signale" angezapft würden, diese Beschwichtigung ist aber insofern absurd, als das Grossteil der Mails - etwa bei GMX oder Hotmail - sowieso über ausländische Server laufen, auch wenn Herr Meier aus Bümpliz seine Dödelbilder an Frau Müller in Allschwil mailt. Zudem kollidiert die verdachtsunabhängige Massenüberwachung in mehrfacher Hinsicht mit mehreren Grundrechten aus der Bundesverfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention. So sind neben dem Recht auf Schutz der Privatsphäre auch die freie Meinungsäusserung und die Unschuldsvermutung tangiert.

Die geplante Kabelaufklärung in der Schweiz erinnert desweitern stark an das Programm "Tempora" des britischen Geheimdienstes und ist eine Weiterentwicklung des Überwachungssystems "Onyx", welches jahrelang ohne rechtliche Grundlage vom Schweizer Nachrichtendienst betrieben wurde.


Populistische Augenwischerei

Ob mittels einer flächendeckenden Massenüberwachung des Internets tatsächlich etwa islamistische Anschläge verhindert werden können, muss stark bezweifelt werden, schliesslich wird der durchschnittliche Schnüffelpolizist wohl kaum Hocharabisch sprechen, geschweige denn irgendwelche arabischen Dialekte. Zudem kann man sich etwa durch die Nutzung des sogenannten "Darknet" problemlos einer Überwachung entziehen. Zwar muss in der Sommersession noch der Ständerat über das NDG befinden und mit der Revision des BüPF stehen weitere Verschärfungen an, trotzdem wird der grosse Lauschangriff bald Tatsache sein, auch wenn die Grünen, die Juso und Piratenpartei mit dem Referendum gegen das NDG drohen. Statt etwa soziale Brennpunkte zu thematisieren oder Konzepte gegen neue Bedrohungsszenarien zu entwickeln, wird Augenwischerei und purer Populismus betrieben, schliesslich sind im Herbst Wahlen. Besonders bedenklich ist, dass es die Linke nicht geschafft hat, eine öffentliche Debatte über ein immer repressiver werdendes Klima und totalitäre Tendenzen zu lancieren. Den vielbeschworenen Terrorismus hingegen werden wir trotzdem mit jedem Liter Benzin, den wir tanken, brav weiter mitfinanzieren.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 11/12 - 71. Jahrgang - 27. März 2015, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2015

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