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VORWÄRTS/1095: Stabilität um jeden Preis


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 13/14 vom 10. April 2015

Stabilität um jeden Preis

Von Michi Stegmaier


Saudi-Arabien will mit seiner Militärintervention im Jemen Stärke zeigen. Dabei sind seit Beginn der Operation "Sturm der Entschlossenheit" gemäss UN-Angaben schon über 500 Menschen getötet worden. Während von einem Stellvertreterkrieg zwischen dem Iran und Saudi-Arabien gesprochen wird, werden die eigentlichen Ursachen ausgeblendet.


Seit dem 26. März fliegt ein arabisches Bündnis aus neun Ländern Luftangriffe auf die zaiditischen Huthi-Rebellen, welche inzwischen grosse Teile des Jemens unter ihre Kontrolle gebracht haben. Beteiligt am Militärschlag sind unter anderem Ägypten, Marokko, der Sudan, Jordanien sowie die Golfstaaten Katar, Bahrain, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate. Als weiteres Land wurde Pakistan erwähnt, wobei sich Premierminister Nawaz Sharif zwar einer Beteiligung an der Militärintervention nicht abgeneigt zeigte, jedoch gerne vorher noch gefragt worden wäre. Begründet wird die Militärintervention durch den Hilferuf des jemenitischen Präsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi, der inzwischen ins saudische Exil geflohen ist.


Um die Früchte des Aufstands betrogen

Das saudische Königshaus betrachtet den Jemen seit jeher als potenziellen Unruheherd und Bedrohung für die eigene Stabilität. Es behandelt ihn eher wie seinen Hinterhof und weniger als ein eigenständiges Nachbarland. Ziel der saudischen Machtpolitik war es von daher schon immer, die eigenen Interessen durch die politischen Eliten im Jemen abzusichern. Während 33 Jahren war Langzeitdiktator Ali Abdullah Saleh ein verlässlicher Bündnispartner für Saudi-Arabien und die USA. Schliesslich kam es im Zuge der arabischen Revolutionen auch im Jemen am 27. Januar 2011 zum Volksaufstand, nachdem Saleh eine Verfassungsänderung vornehmen wollte, durch die er auf Lebzeiten hätte regieren können. Schliesslich musste Saleh nach monatelangen Unruhen dem Druck der Strasse weichen und trat am 23. November 2011 als Staatspräsident zurück. Ein Abkommen, welches vom Golf-Kooperationsrat und den USA vermittelt wurde, sah die Machtübergabe an den Vizepräsidenten Abed Mansur Hadi sowie Neuwahlen innerhalb von 90 Tagen vor. Im Gegenzug wurde Saleh sowie seinem Umfeld Immunität und freie Ausreise in die USA zugesichert. Die Amtsgeschäfte wurden vom damaligen Vize- und heutigen Präsidenten Hadi übernommen, der als einziger Kandidat für die Präsidentschaftswahlen am 25. Februar 2012 antrat und mit 99,8 Prozent der Stimmen gewählt wurde. Hadi sollte für zwei Jahre als Übergangspräsident die Weichen für einen neuen Jemen stellen.

Von der Macht ausgeschlossen hingegen blieben zentrale Akteure des 27. Januar, etwa die "Bewegung des Südens", die Minderheit der Huthi und die Bewegung "Jemens Jugend". Hier liegen die eigentlichen Wurzeln für das Chaos im heutigen Jemen. Saudi-Arabien und den USA ging es nie um eine Entwicklung oder den Aufbau einer fortschrittlichen Gesellschaft, sie haben auf die alten Seilschaften und auf Stabilität um jeden Preis gesetzt. Gleichzeitig wurde der Drohnenkrieg noch intensiviert. Tatsächlich stellten die Umbrüche von 2011 mit ihren Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit und dem Ende der Korruption von Beginn an eine grosse Gefahr für die Interessen der Golfstaaten und der mit ihnen verbündeten westlichen Staaten dar. Der Jemen soll auch in Zukunft wirtschaftlich und finanziell von Riad abhängig bleiben. Nicht die Frage nach der Religionszugehörigkeit sind bei den jüngsten Ereignissen von zentraler Bedeutung, sondern die Verelendung und Perspektivlosigkeit grosser Teile der jemenitischen Gesellschaft, welche sich um die Früchte ihres Aufstands im Frühling 2011 betrogen sehen.


Ein Feindbild wie gerufen

Der Westen indes heuchelte Verständnis für die militärische Intervention im Jemen. Die USA und die Türkei sicherten logistische sowie nachrichtendienstliche Zusammenarbeit zu. Die Unterstützung durch die Türkei kommt insofern überraschend, als Recep Erdogans Verhältnis nach dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Mursi und der Verfolgung der Muslimbrüder zu den Saudis und zu Ägypten bisher angespannt und gehässig war. Offenbar sollen innersunnitische Zwistigkeiten durch ein gemeinsames Vorgehen im Jemen übertüncht werden. Tatsächlich lassen die Beteiligung Katars an den Luftschlägen sowie die wohlwollende Haltung der Türkei darauf schliessen, dass es dem saudischen König Salman gelungen ist, die Divergenzen mit den beiden Ländern zu überwinden und zusammen mit Ägypten eine gemeinsame Partnerschaft zu bilden. Dafür kamen die Huthi-Rebellen als neuer gemeinsamer Feind wie gerufen, um die Gräben zwischen Katar, Ägypten und der Türkei unter Führung Saudi-Arabiens zu überwinden.

Und in der Logik der Golfstaaten wird die Minderheit der zaiditischen Huthis nicht als eigenständige Akteurin wahrgenommen, sondern die saudische Propaganda und der öffentliche Diskurs sehen sie als Instrument des regionalen Rivalen Irans, der den Jemen destabilisieren will, um damit den Golfstaat zu schwächen. Tatsächlich hat die Verteufelung des Irans durch die Saudis in letzter Zeit immer groteskere Züge angenommen und jegliche schiitische Gruppierung wird als verlängerter Arm Teherans gesehen. Sowohl der Iran wie auch die Huthi-Rebellen sprechen von einer "lächerlichen Lüge", da insbesondere das Religionsverständnis der schiitischen JemenitInnen nicht dem Gusto der Mullahs in Teheran entspricht. Des Weiteren existiert auch in Saudi-Arabien eine schiitische Minderheit der ZaiditInnen und ausgerechnet in der wichtigen Erdölstadt Qatif kam es 2013 und 2014 zu schweren Unruhen. Der wichtige schiitische Kleriker Nimr an-Nimr, eine prominente Stimme der Protestbewegung in Saudi-Arabien, wurde im Sommer 2012 verhaftet und schliesslich im Oktober 2014 wegen Anstiftung zum Aufruhr, Vandalismus und Mangel an Gehorsam zum Tode verurteilt.


Die Rückkehr des Diktators

Schon letzten Sommer marschierten Hunderttausende nach Sanaa und besetzten seit Mitte August 2014 die Hauptstadt. Die Huthis, seit jeher ausgegrenzt, forderten mehr Mitbestimmung und Teilhabe an der Macht. Erklärtes Ziel zu Beginn der Proteste war es, der politisch und ökonomisch vernachlässigten Region der Huthis zu mehr Anerkennung und Mitsprache zu verhelfen. Trotz Beteiligung am "nationalen Dialog" und den Umbrüchen von 2011 blieben die Huthis von der staatlichen Machtebene ausgeschlossen. Vorausgegangen war zudem die Ankündigung der Regierung Ende Juli 2014 die Subventionen auf Benzin und Diesel zu kürzen, woraufhin es zu neuen Demonstrationen kam. Seit den Umbrüchen von 2011 hat ein Grossteil der Bevölkerung vergeblich auf eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation und auf Fortschritt gehofft, so waren zu Beginn der Proteste in Sanaa nicht nur AnhängerInnen der Huthis auf der Strasse. Spätestens als sich diese aber mit abtrünnigen Sonderheiten der jemenitischen Armee, die loyal zu Ex-Diktator Saleh stehen, verbrüderten, verloren sie den Rückhalt bei vielen JemenitInnen. Viele bezichtigen deren Anführer Hussain al-Huthi, gemeinsame Sache mit Saleh zu machen, und sprechen von einer Konterrevolution der alten Kräfte. Effektiv ist die Rolle des Ex-Diktators undurchsichtig und für viele gilt Saleh als der eigentliche Drahtzieher der aktuellen Krise.

Währenddessen träumt die "Bewegung des Südens" in der umkämpften Hafenstadt Aden, noch in den 50er Jahren hinter New York der zweitgrösste Hafen der Welt, von der erneuten Unabhängigkeit und Wiederauferstehung des sozialistischen Südjemens, der von 1967 bis 1990 als "Demokratische Volksrepublik Jemen" existierte.


Ein Spiel mit dem Feuer

Da bezweifelt werden darf, dass sich die Huthis durch Luftschläge zurück an den Verhandlungstisch bomben lassen, geht es den Saudis wohl in erster Linie darum, gegen Innen Stärke zu vermitteln und von hauseigenen Problemen abzulenken. Während im Irak und Syrien eine breite Militärallianz im Kampf gegen den "Islamischen Staat" agiert und sowohl schiitische Milizen, der Westen, Iran und die Golfstaaten Seite an Seite stehen, werden im Jemen vom Chaos vor allem die Militanten der Al-Kaida und des IS profitieren. Schon seit Jahren gilt der Jemen als Hochburg der "Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAP), allenfalls gar als letzte Bastion der alten Garde von DschihadistInnen, denen durch den IS immer mehr der Rang abgelaufen wird. Die aktuellen Entwicklungen spielen vor allem diesen reaktionären Kräften in die Hände. Während sich die AQAP von den beiden Anschlägen auf die Badr-Moschee und die Al-Haschusch-Moschee vom 20. März mit 142 Toten in Sanaa distanzierte, bekannte sich wenig später der bis dahin im Jemen nicht in Erscheinung getretene IS zum mörderischen Doppelanschlag. Letztendlich war es dieser Bombenterror, der die Huthi-Rebellen zum Handeln zwang. Und diese Strategie der totalen Eskalation könnte durchaus aufgehen. Schon seit Jahren wird im Jemen ein Drohnenkrieg gegen die AQAP geführt, welcher alleine in den letzten beiden Jahren Hunderte von Todesopfern unter der Zivilbevölkerung forderte, aber die AQAP mehr stärkte als schwächte. Im Zuge der Huthi-Invasion aus dem Norden konnte die AQAP ihre Machtbasis im Süden weiter ausbauen. Und sowohl die AQAP wie der IS richten sich in ihrer Ideologie explizit gegen das dekadente, verwestlichte saudische Königshaus und fordern die Befreiung der beiden Heiligen Stätten Mekka und Medina von der saudischen Besatzung.


Gescheiterter Reformprozess

Das militärisch hochgerüstete Saudi-Arabien sieht sich immer mehr von Feinden umgeben und in seiner Führungsrolle in der arabischen Welt bedroht. Im Norden sieht sich die Golfmonarchie durch die Ausrufung des "islamischen Kalifats" in Syrien und dem Irak existenziell bedroht. So soll ein 800 Kilometer langer High-Tech-Zaun mitten durch die Wüste ein Einsickern des IS nach Saudi-Arabien verhindern. Der europäische Rüstungskonzern EADS hat schon im Sommer 2009 einen Auftrag ergattert, die 9000 Kilometer Grenze Saudi-Arabiens hermetisch abzuriegeln. "Es ist das grösste Projekt dieser Art, das es jemals gab", sagte Stefan Zoller, Chef der Sicherheits- und Verteidigungssparte von EADS. Über das Auftragsvolumen wurde Stillschweigen vereinbart.

Die eigentlichen Ursachen, nämlich die Seilschaften der alten Machteliten, die verkrusteten Gesellschaftsstrukturen und die ungerechte Verteilung des Erdölreichtums bleiben auch in den westlichen Medien meist ausgeblendet. Da passt die Ankündigung der deutschen Bundesregierung vom 4. April, dem allseits geschätzten Onlineportal "Qantara", einer der wenigen kritischen Brücken in die arabische Welt, auf Ende Jahr - aus heiterem Himmel und ohne inhaltliche Begründung - die finanzielle Unterstützung zu streichen, bestens ins Bild.

Der Jemen war und ist aufgrund seiner geografischen Lage geopolitisch zu wichtig, um "demokratische Experimente" zuzulassen. Das heutige Chaos im Jemen ist ein Ergebnis dieses Sicherheitsdenkens und vor allem des monumentalen Scheiterns, einen revolutionären Prozess mittels Reformen kanalisieren zu wollen.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 13/14 - 71. Jahrgang - 10. April 2015, S. 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2015

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