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VORWÄRTS/1114: "Breaking the Silence" - "Irgendwann fragten sie sich, was tun wir denn da?"


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 23/24 vom 19. Juni 2015

"Irgendwann fragten sie sich: Was tun wir denn da?"

Von Tarek Idri


Andrea König und Jochi Weil sind für die Realisierung der Ausstellung "Breaking the Silence" im Kulturhaus Helferei in Zürich verantwortlich. Im Gespräch mit dem vorwärts spricht Jochi Weil über die Ursprünge der Ausstellung, über das Lob von BesucherInnen, und davon, dass er eine "paradoxe Hoffnung" für die Zukunft der Region hegt.


vorwärts: Wie ist die Ausstellung "Breaking the Silence" zustande gekommen?

Jochi Weil: Im September 2012 wurde die Ausstellung "Breaking the Silence" (BtS) während gut zweier Wochen in Berlin gezeigt. Es kamen etwa 6500 Menschen. Tsafrir Cohen, ein Mitorganisator, setzte mir "den Floh ins Ohr", die Ausstellung in der Schweiz zu zeigen.

Im Oktober 2013 kam Yehuda Shaul, Mitbegründer von BtS, für ein paar Stunden nach Zürich, traf sich mit Mitgliedern der Jüdischen Stimme für Demokratie und Gerechtigkeit in Israel/Palästina, deren Sympathisant ich bin, und regte an, die Ausstellung hier zu zeigen. Diesem Ruf folgte ich und fand einen geeigneten Raum im Kulturhaus Helferei. Dessen Leiterin, Andrea König, sagte begeistert zu. Seit Januar 2014 arbeiteten wir zusammen an diesem grossen Projekt. Wir sind beide von dem überzeugt, was wir hier geschaffen haben.


vorwärts: Wer steht hinter der Organisation und wofür setzt sie sich ein?

Jochi Weil: BtS wurde 2004 von Yehuda Shaul und anderen SoldatInnen der israelischen Armee gegründet. Sie waren nach der Matura mit 18 Jahren und einem militärischen Grundkurs nach Hebron gekommen mit dem Auftrag, die palästinensische Bevölkerung mit ungefähr 150.000 EinwohnerInnen dort "in Schach zu halten" und die etwa 800 SiedlerInnen vor Übergriffen zu schützen. Anfänglich führten sie die Befehle unhinterfragt aus, indem sie zum Beispiel PalästinenserInnen mit verbundenen Augen und hinter dem Rücken gefesselten Händen bei hohen Temperaturen manchmal stundenlang "schmoren" liessen. Irgendwann fragten sich wenige: Was tun wir denn da? Sie begannen im Besatzungsalltag zu fotografieren, was schliesslich zu einer Ausstellung führte, die in Tel Aviv gezeigt wurde. Dies wiederum löste einen riesigen Sturm und Empörung im israelischen Verteidigungsministerium aus. Die Armee ist in der israelischen Gesellschaft tief verankert. Diese Publizität, entstanden durch Auseinandersetzungen, hatte zur Folge, dass viele Israeli die Ausstellung besuchten. Seither wird die Ausstellung an verschiedenen Orten in Europa, aber auch in den USA gezeigt.

Die ehemaligen SoldatInnen und OffizierInnen sind meist ReservistInnen, lieben Israel und sehen sich als PatriotInnen. Sie setzen sich mit Bildern und Zeugenaussagen gegen Verrohung und Entmenschlichung in der Armee ein. 1988 sagte mir eine ehemalige Subalternoffizierin von Zahal in Zürich: "An dieser Besatzung geht unsere israelische Seele kaputt."

"Breaking the Silence" setzt sich in Israel und im Ausland dafür ein, Verhaltensweisen und Übergriffe der israelischen Armee aufzuzeigen und transparent zu machen.


vorwärts: Der beinahe mildeste Vorwurf gegen BtS war, dass darin kein ausgewogenes Bild von der israelischen Besatzung gezeigt wird. Was denkst du über solche Vorwürfe?

Jochi Weil: Persönlich kann ich gut damit leben, zumal solche Entartungen in der israelischen Armee oft "unter dem Deckel" gehalten werden. So führen Untersuchungsverfahren wegen Fehlverhalten in Einheiten oft nicht zur Aufklärung von Verfehlungen und nicht zur Verurteilung der Verantwortlichen.

Ich denke, dass angesichts solcher Situationen eine gewisse Einseitigkeit legitim ist, zumal sogenannte Ausgewogenheit nicht selten dazu führt, die Sachverhalte zu verwedeln. Solange Entwürdigung, Unterdrückung gegenüber der palästinensischen Bevölkerung - durch die Besatzungspolitik - von den militärischen Untersuchungsbehörden nicht konsequent geahndet werden, ist qualifizierte Einseitigkeit gerechtfertigt.


vorwärts: Gab es auch positive Reaktionen auf die Ausstellung?

Jochi Weil: Ja, sehr viele von BesucherInnen. Ich bin von den anerkennenden Worten überwältigt und vermag diese kaum zu "schlucken". Von meinen KollegInnen, welche die Ausstellung betreuen, höre ich Ähnliches. Viele BesucherInnen lassen sich von den beiden Reservisten abwechselnd durch die Ausstellung führen. Ihnen gilt ein grosses Dankeschön.


vorwärts: Gibt es überhaupt noch eine Hoffnung auf ein Ende der Besatzung?

Jochi Weil: Ich bin seit über 30 Jahren im Bereich der Verständigung zwischen JüdInnen und PalästinenserInnen in verschiedenen Organisationen tätig. Ich arbeitete bis zu meiner endgültigen Pensionierung bei medico international schweiz in verschiedenen Funktionen, am längsten als Verantwortlicher für die Unterstützung basismedizinischer Projekte in Palästina. Im Laufe der vielen Jahre ist die Situation für PalästinenserInnen immer schlimmer geworden, und ich sehe beim besten Willen kein Ende der israelischen Besatzung. Das ist für mich enorm kräfteraubend. Dennoch bemühe ich mich, so gut und schlecht ich es eben kann, dranzubleiben, im Sinne einer "paradoxen Hoffnung" nach Erich Fromm.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 23/24 - 71. Jahrgang - 19. Juni 2015, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2015

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