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VORWÄRTS/1190: Ein teuflischer Pakt


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 17/18 vom 6. Mai 2016

Ein teuflischer Pakt

Von Patricia D'Incau


Im Kampf gegen Menschen auf der Flucht strebt die EU ein Abkommen mit Libyen an. Geplant ist die Einrichtung von Gefängnislagern.


Monatelang waren alle Augen auf die "Balkanroute" gerichtet. Nun drängt sich ein anderer Fluchtweg zurück in das öffentliche Bewusstsein: Das Mittelmeer.

Am 18. April forderte der gefährliche Seeweg zwischen Afrika und Europa erneut hunderte Tote: Wie die Internationale Organisation für Migration (IOM) und das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR bestätigten, ertranken an diesem Tag bis zu 500 Menschen, die in Booten von Libyen und Ägypten aus versucht hatten, nach Italien überzusetzen. Das Unglück lässt erahnen: Auch in diesem Jahr wird das Mittelmeer zum Massengrab werden.

Während Rettungsorganisationen wie die deutsche Initiative Sea-Watch wiederholt die Einrichtung von sicheren Seewegen fordern, hat die EU anderes im Sinn. Um die Menschen an der Überfahrt zu hindern, sollen in Libyen "vorübergehende Auffanglager" eingerichtet werden, berichtete Spiegel Online am 30. April auf Grundlage eines vertraulichen Berichts des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS). Man müsse dabei "auch über Inhaftierungseinrichtungen nachdenken", zitiert das Nachrichtenmagazin aus dem ihm vorliegenden Papier.

Bereits am 8. April hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel vor CDU-Delegierten in Berlin für ein Abkommen mit Libyen geworben. Um die EU-Aussengrenzen zu schützen, gebe es keinen anderen Weg, als Verabredungen mit Nachbarstaaten zu treffen, so Merkel. "Ausgerechnet Libyen, einem Land (...) in dem Terrortruppen des IS ihr Unwesen treiben, in dem Flüchtlinge misshandelt und gefoltert werden", kommentierte das ARD-Fernsehmagazin "Monitor" das Vorhaben.


Abkommen in greifbarer Nähe

Libyen gilt seit jeher als wichtiger Knotenpunkt in der Frage der "Migrationsabwehr". Aufgrund der geografischen Nähe zu Italien ist der Küstenstaat für Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten, die vor Gewalt und Armut aus ihrer Heimat fliehen, eine der meistfrequentierten Stationen auf dem Weg nach Europa. Seit dem Ausbruch des Arabischen Frühlings war es der EU allerdings nicht möglich, mit Libyen ein Abkommen zur Fluchtabwehr zu schliessen; der Bürgerkrieg hatte zwei Parallelregierungen hervorgebracht, es fehlte an einem "stabilen Partner".

Dies könnte sich nun jedoch ändern. Unter Anleitung der Vereinten Nationen hat sich kürzlich eine neue Regierung konstituiert. Die Abriegelung der Mittelmeerroute rückt für die EU damit in greifbare Nähe.

Der Deal wäre eine Rückkehr zum Status quo: Von 2008 bis 2011 sorgte der sogenannte "Freundschaftsvertrag" zwischen der damaligen Regierung Berlusconi und dem libyschen Machthaber Gaddafi dafür, dass kaum mehr Menschen über das Mittelmeer nach Europa gelangten. Das Abkommen war zuvor von der EU forciert worden. Gegen finanzielle und personelle Unterstützung liess die libysche Regierung, mit Abordnungen der italienischen Küstenwache, Boote auf hoher See abdrängen und die Menschen an der Küste festsetzen. Wie aus Berichten der europäischen Grenzschutzagentur Frontex hervorgeht, waren der EU die dramatischen Zustände in den Internierungslagern durchaus bekannt.

Erst der Arabische Frühling machte den teuflischen Pakt zunichte. Ein Pakt, der nun wiederbelebt werden soll.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 17/18 - 72. Jahrgang - 6. Mai 2016, S. 5
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2016

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