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VORWÄRTS/1238: Die Zitterpartie um Ceta


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 39/40 vom 4. November 2016

Die Zitterpartie um Ceta

Von Thomas Schwendener


Das umstrittene Ceta-Abkommen stand kurz auf der Kippe. Die Wallonie stellte sich quer. Was hatte es damit auf sich? Und warum hat die Region im Süden Belgiens doch noch eingelenkt?


Einen Moment schien es, als würde die kleine Wallonie das über sieben Jahre ausgehandelte europäisch-kanadische Ceta-Abkommen über die Klinge springen lassen. Schnell waren KommentatorInnen zur Stelle, denen das Vertrauen in demokratische Verfahrensweisen gründlich abhanden gekommen waren und die Schimpf und Schande über die Region ausschütteten. Ebenso schnell traten aber auch Linke auf den Plan, die die BewohnerInnen des belgischen Landesteils zu modernen Che Guevaras hochjubelten und deren Widerstand als Rettung für die Demokratie ausgaben. Mittlerweile haben die Regionalregierung und Brüssel eine Einigung erzielt: Der Vertragstext von Ceta bleibt unangetastet. Er wird aber mit einem Zusatzdokument versehen, das erklärt, wie der Vertragstext zu verstehen ist. Dieses muss nun nur noch von den europäischen Regierungen abgesegnet und dann das Gesamtpaket von den Vertragspartnern unterzeichnet werden. Das sorgt für Erleichterung bei den einen und für Ernüchterung bei den anderen. Doch was war eigentlich vorgefallen? Warum der kurzzeitige Widerstand?


Die politische Konstellation

Die 3,6 Millionen EinwohnerInnen zählende Wallonie ist das, was ÖkonomInnen als strukturschwach bezeichnen: Lange Zeit war die Kohle- und Stahlindustrie der Region der belgische Wirtschaftsmotor, doch der Niedergang dieser Sektoren war zugleich der Niedergang der Gegend. Heute hat ein wallonischer Haushalt noch 85 Prozent des europäischen Durchschnitts für Konsumgüter zur Verfügung. Die Arbeitsiosenzahlen liegen zwischen 12 und 30 Prozent. Angesichts dieser Entwicklung ist es nicht erstaunlich, dass sich viele in der Region als VerliererInnen der oft gescholtenen Globalisierung sehen. Ceta stellt für sie die logische Fortsetzung dazu dar.

Der Widerstand kam aber nicht aus der Bevölkerung, sondern von Regierung und Parlament. Diese haben die verbriefte Möglichkeit, wichtige Entscheide der Zentralregierung in Brüssel zu blockieren. Nebst der Furcht vor den Folgen von Ceta spielten Machtspiele zwischen den Parteien und Regionen eine wichtige Rolle für den Widerspruch. Der sozialdemokratische Parti Socialiste (PS) hat Ende September in der Wallonie an Stimmen eingebüsst, kommt aber immer noch auf 26 Prozent. Es liegt im Interesse der Partei, sich gegen die Zentralregierung zu positionieren: Zum einen ist der PS nicht mehr Teil der Regierungskoalition in Brüssel, sondern wurde in die Oppositionsrolle gedrängt. Zum anderen will die Partei Protest gegen den rigiden Sparkurs der Regierung einlegen. Damit kann sie sich gegen die erstarkende linke Opposition in der Wallonie bewähren. Der Widerstand war faktisch gar nicht gegen Ceta generell gerichtet, sondern betraf Bestimmungen, die gegen die regionalen Interessen verstossen. Der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette erklärte öffentlich, dass seine Region Ceta nicht verhindern, sondern Nachverhandlungen erwirken wolle. "Wir haben noch Gesprächsbedarf rund um die Landwirtschaft und um die Konfliktlösungsmechanismen", erklärte er. Diese Bedenken dürften in das ausgehandelte Zusatzdokument eingeflossen sein.


Der Ceta-Vertrag

Wenn eine Regierung sich gegen das Ceta-Abkommen ausspricht, dann darf man getrost davon ausgehen, dass diese die wirtschaftlichen Interessen ihrer Region vertritt und nicht aus reiner Menschenliebe handelt - auch wenn parlamentarisch orientierte Linke das anders sehen möchten. Wer sich gegen sogenannte Freihandelsverträge zwischen den kapitalistischen Kernstaaten einsetzt, muss aufpassen, dass er sich nicht diesen nationalen Interessen andient und in nationalistisches Fahrwasser gerät. Aber natürlich gibt es genügend Gründe gegen solche Verträge zu sein.

Wirtschaftsabkommen wie Ceta gehen weit über die klassischen Handelsabkommen hinaus. Sie sollen nicht bloss Zölle abschaffen, sondern greifen stark in die innenpolitischen Belange der Länder ein. So sollen Einschränkungen für InvestorInnen verboten werden, wenn diese ihre Gewinnaussichten verringern. Das betrifft viele Bereiche, die mit den Verträgen endgültig dem Marktprinzip unterworfen werden sollen: Bildung, Gesundheitswesen, Energieversorgung und auch die Kulturproduktion. Falls sich InvestorInnen benachteiligt fühlen, können sie vor speziellen Gerichten gegen die Staaten klagen. Zwar sind diese Gerichte im Falle von Ceta auch aufgrund des Widerstandes nicht mehr als Privatgerichte konzipiert, aber es bleibt dabei, dass Unternehmen Staaten verklagen können, wenn sie sich, um ihre Profite geprellt sehen. Zugang zu den Gerichten sollen nur Unternehmen erhalten. Die Verfahrenskosten sind dabei so hoch angesetzt, dass faktisch lediglich Grossunternehmen klagen können.


Die Ziele des Vertrags

Der Hintergrund von Abkommen wie Ceta ist die Krise der Welthandelsorganisation WTO. In dieser wehren sich die ökonomisch schwächeren Länder erfolgreich gegen eine Marktöffnung und Liberalisierung, um die lokale Wirtschaft zu schützen. Die Rechnung ist einfach: Jene Länder, die eine höhere, Produktivität und tiefere Lohnstückkosten aufweisen, können die unterlegenen Länder mit ihren Produkten fluten, wenn die Handelsschranken fallen.

Mit Abkommen wie Ceta oder TTIP versprechen sich die betreffenden Nationalstaaten einiges: Durch verschärfte Konkurrenz sollen die Kosten gesenkt werden, durch die vereinheitlichten einfachen Genehmigungsverfahren soll der Austausch erleichtert werden und letztlich soll der Staat als einklagbare Instanz zum Garanten für die Profite gemacht werden.

Das hat weitreichende Folgen für die Entwicklungs- und Schwellenländer. Die Vertragsstaaten wollen mit den aktuellen Abkommen Standards schaffen, denen sich alle unterwerfen müssen, wenn sie Marktzugang haben wollen. Die Abkommen werden aber auch schwerwiegende Folgen für die Lohnabhängigen in Europa, den USA und Kanada haben: Durch die billigeren Importe steigt auch der Druck, lokal billiger zu produzieren. Das sorgt für Angriffe auf die Löhne und angesichts der stärkeren Konkurrenzsituation dürfte eine Gegenwehr schwerer fallen.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 39/40 - 72. Jahrgang - 4. November 2016, S. 8
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2016

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