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VORWÄRTS/1265: Zwei-Staaten-Lösung wird torpediert


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 05/06 vom 17. Februar 2017

Zwei-Staaten-Lösung wird torpediert

Von Georg Polikeit


Das Israelische Parlament mit einer rechtsextremen Mehrheit beschloss ein Gesetz, das die Annexion palästinensischer Gebiete weiter vorantreibt, indem das in den letzten Jahren von SiedlerInnen besetzte Land im Westjordanland nachträglich als israelischer Besitz anerkannt und den PalästinenserInnen enteignet werden kann.

"Heute wurde klar, dass (der israelische Ministerpräsident) Netanjahu gewillt ist, die Zukunft sowohl der Israelis wie der PalästinenserInnen aufs Spiel zu setzen, um eine kleine Gruppe von extremen SiedlerInnen zufriedenzustellen, um seines eigenen politischen Überlebens willen." So beurteilte die israelische Friedensorganisation "Peace Now" (Frieden jetzt) die endgültige Verabschiedung des sogenannten Regularisierungsgesetzes am 6. Februar in der Knesset, dem israelischen Parlament.

Die im israelischen Parlament mit 13 Abgeordneten vertretene Vereinte Liste, mit 10,6 Prozent die drittstärkste israelische Parteienformation, zu der auch die Abgeordneten der israelischen Kommunistischen Partei gehören, erklärte in einer Stellungnahme, das umstrittene Gesetz "legitimiert die Besatzungsverbrechen und den Diebstahl von palästinensischem Land, tötet eine diplomatische Lösung und blockiert jede Friedenschance". Trotz der Tatsache, dass dieses Gesetz völkerrechtswidrig ist, beharre die israelische Rechtsregierung darauf, "langsam ihren Plan umzusetzen, die besetzten Palästinensergebiete zu annektieren". Das werde die ganze Region "über eine Klippe in den Abgrund stürzen und den Konflikt, Hass und Blutvergiessen in der Region verewigen".


Amtliche Enteignung

In der Tat ist das am Abend des 6. Februar mit einer Mehrheit von 60 zu 52 Stimmen in der Knesset verabschiedete "Regularisierungsgesetz" ein schwerwiegender Schritt über die Grenzen hinaus, die bisher von der israelischen Staatspolitik und speziell bei der Siedlungspolitik eingehalten worden sind. Denn mit diesem Gesetz erhebt der israelische Staat zum ersten Mal den Anspruch, Gesetze erlassen zu können, die ausserhalb seiner Staatsgrenzen für nicht zu Israel gehörende Gebiete und ihre BewohnerInnen gelten sollen.

Das Gesetz sieht vor, dass die etwa 55 "wilden" Siedlungen mit annähernd 4000 Häusern und 800 Hektar Land, die extremistische SiedlerInnen in den letzten Jahren ohne vorherige Zustimmung der israelischen Regierung auf palästinensischem Territorium im besetzten Westjordanland errichtet haben, noch dazu auf Grundstücken, die im Besitz palästinensischer Privatpersonen waren, nachträglich als israelischer Besitz anerkannt werden. SiedlerInnen, die in solchen illegal errichteten "Aussenposten" auf palästinensischem Land ihre Wohnhäuser gebaut haben, können ihren Besitz vom israelischen Staat nachträglich für rechtmässig erklären lassen, wenn sie geltend machen, dass sie "in gutem Glauben" gehandelt haben und nicht wussten, dass sie privates palästinensisches Land in Besitz nahmen. Dann können die betreffenden Grundstücke und Siedlungen im besetzten Westjordanland jetzt vom israelischen Staat als "von Amts wegen enteignet" erklärt werden. Die bisherigen, palästinensischen Eigentümer sollen eine "Abfindung" erhalten, aber nur, wenn sie darauf verzichten, die Justiz gegen die unrechtmässige Beschlagnahme anzurufen.

Das verstösst natürlich nicht nur gegen die seit Jahrzehnten immer wieder bekräftigten Uno-Resolutionen, in denen die Aufrechterhaltung der israelischen Besetzung in der "Westbank" für völkerrechtswidrig erklärt worden sind. Es verstösst darüber hinaus gegen die elementare Norm des Völkerrechts, dass Staaten Gesetze nur für ihr eigenes Staatsgebiet erlassen können.


Viele GegnerInnen

Das Gesetz war auch in der israelischen Öffentlichkeit und innerhalb des israelischen Establishments stark umstritten. Dafür stimmten in der Knesset Netanjahus "rechtskonservative" Regierungspartei Likud und ihre Verbündeten in der Regierungskoalition, die rechtsextreme Siedlerpartei Jüdisches Heim und die ultraorthodoxen "religiösen" Parteien. Zu den GegnerInnen gehörten neben der linken Vereinten Liste auch die stärkste Oppositionspartei im Parlament, das Bündnis Zionistische Union, ebenso die "linksozialdemokratische" Partei Meretz. Selbst der israelische Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit hatte öffentlich vor der Verabschiedung des Gesetzes gewarnt und erklärt, dass er es bei einer Klage vor dem Obersten Gerichtshof nicht verteidigen werde. Er hält es für einen Verstoss gegen das internationale Recht und befürchtet wie andere ExpertInnen, dass die PalästinenserInnen damit eine erfolgversprechende Option in die Hand bekommen, vor dem Internationalen Strafgerichtshof gegen israelische Staatsorgane Klage einzureichen.


"Die Provinzen Judäa und Samaria"

Die Wahl von Trump in den USA und dessen Andeutungen, dass er sich im israelisch-palästinensischen Konflikt deutlich von Obamas Haltung distanzieren werde, hat unter den israelischen RechtsextremistInnen und SiedleraktivistInnen offenbar eine wahre "Euphorie" hervorgerufen, dass nun die "Gunst der Stunde" ergriffen werden müsse, um die Zwei-Staaten-Lösung endgültig zu begraben und das historische "Gross-Israel" wiederherzustellen. Seit Trumps Amtsübernahme hat Israel den Bau von mehr als 6000 neuen Wohnungen in Siedlungen im Westjordanland und in Ostjerusalem angekündigt, berichtete die "Times of Israel" am 3. Februar. Schon seit 2013 verkündete der Siedler-Chef Naftali Bennett, Netanjahus Koalitionspartner und Bildungsminister, offen, dass er gegen alle weiteren Verhandlungen und gegen eine Zwei-Staaten-Lösung mit den PalästinenserInnen sei. Er befürwortet stattdessen die direkte Einverleibung von mehr als 60 Prozent des Westjordanlands, nämlich der gesamten "Zone C" des von der israelischen Armee besetzten Palästinenserlandes, in das israelische Staatsgebiet. Auch andere israelische RegierungssprecherInnen schliessen sich dem offenbar an, indem sie dazu übergingen, generell nicht mehr von besetzten palästinensischen Gebieten, sondern nur noch von den "Provinzen Judäa und Samaria" zu reden, die "zu Israel gehören", wenn sie die palästinensischen Gebiete westlich des Jordan meinen.


Gefährliche Zuspitzung

Damit droht in der nächsten Zeit eine weitere gefährliche Zuspitzung des israelisch-palästinensischen Konflikts, die die ganze Nahost-Region in Mitleidenschaft ziehen könnte. Das könnte aber auch im globalen Massstab zu einer weiteren Zuspitzung der Spannungen führen. Deshalb ist es im Licht der jüngsten Ereignisse unerlässlich, den internationalen Druck für eine friedliche Regelung des Konflikts mit friedlicher Koexistenz eines souveränen Staates Palästina neben dem Staat Israel zu verstärken. Ein wirksames Mittel dafür wäre, dass alle Staaten, die Israel anerkennen, jetzt auch die offizielle Anerkennung des Staates Palästina bekannt geben, wie es Präsident Abbas und die palästinensische Führung vorgeschlagen haben.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 05/06/2017 - 73. Jahrgang - 17. Februar 2017 S. 8
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2017

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