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VORWÄRTS/1357: Absurd irrationale Börse


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 05/06 vom 15. Februar 2018

Absurd irrationale Börse

von Tarek Idri


Abermilliarden Franken sind innerhalb von Augenblicken vernichtet worden. Dabei handelt es sich zwar vor allem um fiktive Werte, allerdings ist noch nicht abzusehen, ob der Crash nicht in die nächste Wirtschaftskrise führen könnte.


Auf dem Aktienmarkt hat's geknallt. Der Dow-Jones-Index verbuchte den grössten Punkteverlust seiner Geschichte. Innerhalb von Augenblicken war der Index um mehr als 1597 Punkte gefallen. Die Kursgewinne seit Anfang Jahr wurden mit dem Crash zunichte gemacht. Bis zum Wochenende (zum Redaktionsschluss) sank der Dow Jones um mehr als 10 Prozent im Vergleich zum Höchststand Ende Januar. Die Konzerne im Dow-Jones-Index waren durch den Einbruch am 6. Februar ganze 285 Milliarden Franken weniger wert. Das entspricht grob geschätzt dem Bruttoinlandprodukt von Finnland. Für Unruhe hatte die Bank of England gesorgt, die einen Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik andeutete.

Der Swiss Market Index (SMI) schloss am letzten Donnerstag auf dem tiefsten Stand seit fast einem Jahr. Allein am Montag waren 14,4 Milliarden Franken vernichtet. Die Aktien vom Industriekonzern ABB sanken stark um 6,7 Prozent, mehr als jeder andere Titel im SMI; auch die Bank CS schnitt schlecht ab (-4 Prozent). Mit rund 2,5 Prozent minus war der Absturz des deutschen DAX nicht so heftig wie in New York - was offenbar damit zusammenhing, dass die AnlegerInnen zunächst die weitere Entwicklung in den USA abwarten wollten. Auf allen Aktienmärkten hielt der Abwärtskurs bis zum letzten Wochenende an. Beim Börsensturz sind weltweit Geldwerte in Billionenhöhe vernichtet worden. Dabei handelt es sich jedoch um fiktive Gewinne, die eine Hausse innerhalb der letzten Wochen geschaffen hatte.


Kleine Schwächephase?

Grund für den Absturz könnte - absurderweise - die gute Konjunktur in den Zentren des Kapitalismus sein. Sogar die EU-Staaten scheinen sich aus der Stagnation gelöst zu haben. Ihr BIP-Wachstum erreicht um die zwei Prozent. Ebenso scheint die Arbeitslosigkeit, die gemessene und in geringerem Masse auch die reale, zurückzugehen.

In der Schweiz konnte das Seco schöne Zahlen präsentieren: Die Zahl der registrierten Arbeitslosen (nota bene ohne Ausgesteuerte) ist im Vergleich zum Vorjahr um 9,3 Prozent gesunken. 15.000 Personen weniger waren Ende Januar bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (Rav) gemeldet; "nur" noch 150.000 Menschen sind offiziell arbeitslos. Die Unternehmen machen seit längerem wieder weltweit Gewinne. Steigende Gewinne sollten die AnlegerInnen eigentlich dazu veranlassen, mehr für Wertpapiere zu zahlen. Für den linken Finanzjournalisten von der Tageszeitung "Junge Welt" Lucas Zeise bedeutet der aktuelle Rückgang der Kurse nicht, dass die Gewinne in nächster Zeit schrumpfen werden. Bei niedrigen Zinsen von Staats- oder festverzinslichen Anleihen sind Aktien attraktiver. Weil die Zinsen seit der Finanzkrise tief sind, wurden die Aktienkurse angeheizt und bis Januar 2018 in Rekordhöhe befördert. Nun sind die Zinsen der US-Staatsanleihen aber in den letzten Wochen kräftig gestiegen, was sich in einem kräftigen Rückschlag auf dem Aktienmarkt ausgedrückt hat, so Finanzjournalist Zeise. Er ordnet die Ereignisse als "kleine Schwächephase am Aktienmarkt" ein.


Irrsinniger Kapitalismus

In den letzten Jahren haben die Zentralbanken drohende Abstürze wiederholt mit billigem Geld verhindert. Die Geldflut im Wert von 15.000 Milliarden Dollar floss allerdings in die Börsen und Anlagenmärkte. Die Zentralbanken haben die Welt immer wieder gerettet - mit immer höherem Einsatz, sagte der frühere UBS-Chef Luqman Arnold im Herbst 2017: "Die Gefahr besteht, dass der nächste Crash noch schlimmer wird als der letzte." Offen redet er über den Irrsinn der kapitalistischen Wirtschaft und gesteht, "dass wir ziemlich ahnungslos sind. Wir wissen nicht, von welchem Bereich die nächste Krise ausgeht." InvestorInnen können gar nicht anders, als bei überhöhten Kursen mitzugehen. Ein Ausstieg würde ihnen nicht verziehen. "Die Börse wird niemals rational sein", weiss der Kapitalist Arnold.

Die Zukunft wird wohl zeigen, ob es sich um eine "Korrektur", einen Kursrückschlag im Rahmen eines längerfristigen Aufwärtstrends, oder um einen Crash handelt, der zur nächsten Wirtschaftskrise führen wird. Die KommentatorInnen jedenfalls geben sich noch gelassen.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 05/06 - 74. Jahrgang - 15. Februar 2018, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Februar 2018

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