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VORWÄRTS/1402: Gegen den Wirtschaftskrieg


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 27/28 vom 6. September 2018

Gegen den Wirtschaftskrieg

von Amanda Ioset


Die Flüchtlingsorganisation Solidarité sans frontières gehört zu den Organisationen, die die Initiative für Ernährungssouveränität unterstützt. Dies hat gute Gründe: Die industrielle Landwirtschaft zerstört unter anderem die Nahrungsmittelkette in der südlichen Hemisphäre.


Man kann sich vielleicht fragen, warum ein Verein, der MigrantInnen und Asylsuchende unterstützt, sich für eine Initiative zum Thema Landwirtschaftspolitik einsetzt. Ernährungssouveränität ist ein globales Konzept, das die Menschheit über unsere Grenzen hinaus betrifft und viele Aspekte umfasst, an die man auf den ersten Blick nicht denkt. An dieser Stelle möchte ich Aminata Dramane Traoré, ehemalige Kulturministerin von Mali, zitieren, die uns in Erinnerung ruft, dass MigrantInnen "Flüchtlinge eines Wirtschaftskrieges" sind. Die industrielle Landwirtschaft ist Teil dieses Wirtschaftskrieges, der die südliche Hemisphäre verwüstet, indem die lokalen Nahrungsmittelmärkte zerstört und der Zugang für KleinbäuerInnen zu überlebenswichtigen Ressourcen versperrt werden. Die Rechte der BäuerInnen werden überall auf der Welt mit den Füssen getreten - und zwar täglich. In zahlreichen Ländern sind bäuerliche Gemeinschaften Opfer von Umsiedlung, Verfolgung und Inhaftierung. Währenddessen floriert die transnationale Agroindustrie. Ihre Firmen kaufen wucherisch Land auf, verschmutzen die Böden durch Monokultur, Pestizide und Kunstdünger. Und das alles, um für Weltmärkte zu produzieren, die in ihren Augen rentabler als lokale Märkte erscheinen.


Unsere Verantwortung

Wenn wir uns dessen bewusst werden, können wir uns nicht mehr weiter hinter Ausdrücken wie "Fluchtmotive" verstecken, wenn wir von Migration reden. In Wirklichkeit sind wir mit der organisierten Zerstörung der Ökosysteme und der Lebensgrundlage von Milliarden von Menschen konfrontiert, u.a. durch die internationalen Freihandelsabkommen. Warum sind wir erstaunt, dass so viele BäuerInnen, denen Land und Ressourcen geraubt werden, verarmen, zu Flüchtlingen im eigenen Land werden und anderswo versuchen, eine Arbeit zu finden? Wie können wir die Verantwortlichkeit unseres Wirtschaftssystems und der Regierungen, die es tragen, leugnen? Denn sie sind es, die das Agrobusiness anstelle der KleinproduzentInnen unterstützen. Ernährungssouveränität stellt den zwingend nötigen Paradigmenwechsel dar, der den Plünderungen von Land und Ressourcen ein Ende setzt, damit sich alle Länder nach ihren Wünschen entwickeln und ihrer Bevölkerung eine Zukunft bieten können.

Natürlich löst ein einzig in der Schweiz umgesetztes Konzept der Ernährungssouveränität nicht all diese Probleme. Dennoch behandelt die Initiative wesentliche Fragen: Erstens: Das Schweizer Importproblem bezüglich Tiernahrung. Die Schweiz hängt immer stärker vom Ausland ab, um ihr Vieh füttern zu können. Damit unterstützt sie die Verbreitung von Monokulturen zulasten der Entwicklung einer bäuerlichen Landwirtschaft. Zweitens: Das grosse Problem der Exportsubventionen. Sie konkurrieren direkt die lokalen Märkte im Ausland, wo unsere Überproduktion zu niedrigen Preisen verkauft wird und so den Aufschwung einer lokalen Landwirtschaft verhindert, die im Dienste der Bevölkerung steht. Bäuerliche Organisationen aus dem Norden und Süden fordern, dass ein entsprechender Grenzschutz gegen Sozial- und Umweltdumping eingeführt wird. Im Gegenzug wollen sie auf Exportsubventionen verzichten. Das scheint nur richtig, angesichts der oftmals fehlenden öffentlichen Subventionsgelder für die Landwirtschaft im Süden, die in unfairem Wettbewerb zu spottbilligen Produkten steht.


Wichtigste Initiative in diesem Jahr

Und schliesslich drittens das Problem der katastrophalen Arbeitsbedingungen im Schweizer Agrarsektor. Dies erklärt sich insbesondere dadurch, dass es hierzulande scheinbar unmöglich ist, rentabel zu wirtschaften. Denn: Die Produktpreise für BäuerInnen sind seit 2000 um 12 Prozent zurückgegangen, während die Preise für die KonsumentInnen um 5 Prozent gestiegen sind. Rufen wir uns in Erinnerung, dass die Arbeitskräfte in der Schweizer Landwirtschaft hauptsächlich MigrantInnen aus Osteuropa sind. Wer möchte denn schon in der intensiven Landwirtschaft als "PraktikantIn" 50 Stunden pro Woche für 2510 Franken pro Monat arbeiten? Es ist kein Zufall, dass von den 30.000 ausserfamiliären, in der Landwirtschaft tätigen Personen 14.000 keinen Schweizer Pass haben - ohne die geschätzten rund 8.000 Sans-Papiers miteinzuberechnen, die in der Landwirtschaft arbeiten. Die Initiative fordert faire und harmonisierte Arbeitsbedingungen für alle LandarbeiterInnen.

Ernährungssouveränität ist eine der grossen Herausforderungen unserer Zeit. Wir müssen den Menschen und die Natur und nicht den Profit um jeden Preis wieder ins Zentrum unserer Sorgen stellen. Deshalb ist die Initiative für Ernährungssouveränität ohne Zweifel die wichtigste Initiative, über die wir SchweizerInnen in diesem Jahr abstimmen.

Amanda Ioset ist politische Sekretärin und Geschäftsführerin von Solidarité sans frontières.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 27/28 - 74. Jahrgang - 6. September 2018, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. September 2018

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