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VORWÄRTS/1443: "Es brauchte ein Ventil"


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 05/06 vom 21. Februar 2019

"Es brauchte ein Ventil"

Interview von Sabine Hunziker


Die 22-jährige Virginia Köpfli hat 2017 mitgeholfen, den Women's March zu organisieren. Eine Erfahrung, die sie prägte. Die junge Aktivistin freut sich auch über die bevorstehenden Aktionen und Mobilisierungen. Der vorwärts sprach mit ihr.


vorwärts: Wie haben Sie den ersten Women's March in Zürich organisiert?

Virginia Köpfli: Die Frauen waren wütend und es war klar, dass es ein Ventil braucht. Da kam der Women's March in Zürich, der zeitlich verschoben zu dem in Washington DC stattfand, genau richtig. Wir haben im OK einfach die Grundlagen organisiert. Alles andere wurde durch die erstarkende feministische Community selber organisiert: wie ein kleines Puzzle, bei dem jedes Stück ein anderes Thema beleuchtet. Zusammen war es wunderschön, vielfältig und eben gerade deshalb so aussagefähig und stark. Wir haben zu Recht auf ein grosses Programm verzichtet. Beim offenen Mikrofon konnten alle etwas sagen. Bis heute trägt diese Dynamik und Energie einen Grossteil zur feministischen Bewegung bei.


vorwärts: Erinnern Sie sich noch an einzelne Protestaktionen rund um die Kampagne?

Virginia Köpfli: Im Januar war man motiviert von den Women's Marches in den USA. Immer mehr Menschen wollten aktiv werden. Das Kollektiv "We can't keep quiet" übernahm dann dazwischen die Mobilisierungsphase. Aktionen wie "Make Switzerland pink again" auf den sozialen Medien, die Strickaktionen auf dem Bundesplatz am 8. März oder der eigens kreierte Song bleiben mir bis heute gut in Erinnerung. Ich denke, dass sie einen wichtigen Beitrag zur Mobilisierung geleistet haben.


vorwärts: In Washington hat es begonnen und dann weltweit ausgestrahlt: Warum hat dieser Themenkreis wie ein Funken überall Feuer verbreitet?

Virginia Köpfli: Feminismus war zu lange von der Bildfläche verschwunden. Das Märchen, dass alles schon erreicht ist, war spätestens mit der Wahl von Trump und dem direkten Angriff auf unsere Rechte weltweit falsifiziert worden. Die Frauen hatten genug und wehrten sich zusammen. Dies war ein zentrales Mobilisierungsmoment.


vorwärts: 2019 wird es erneut einen "Women's March" geben. Wird der zweite Marsch am Erfolg des ersten anknüpfen können? Was erwarten Sie 2019? Was hat sich beim Protest verändert und was ist gleich geblieben?

Virginia Köpfli: Ich werde auf jeden Fall am Women's Wave teilnehmen, denn die Situation hat sich nicht verbessert - im Gegenteil. Das Gesetz zur Lohngleichheit wurde im Parlament stark verwässert. Noch immer gibt es keine Konsequenzen, wenn man dagegen verstösst. Es gibt immer wieder Versuche, Gleichstellungbüros abzuschaffen. Im Kanton Zug ist dies sogar gelungen. Opfer davon sind vor allem Frauen, welche in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind. Die feministische Bewegung in der Schweiz mobilisiert sich genau deswegen immer mehr. 2019 ist unser Jahr gerade wegen dem 2. Frauenstreik. Auf dem Weg dahin wird es mehrere Möglichkeiten geben, sich lokal zu mobilisieren - so wie etwa der 8. März, der 1. Mai oder eben auch Women's Wave. Dieser ist insbesondere wichtig, weil es auch die internationale Vernetzung unserer Bewegung aufzeigt. Ich freue mich über zahlreiche Teilnahmen.


vorwärts: Feminismus ist ein Lebensstil: was bedeutet das in der Schweiz genau?

Virginia Köpfli: Feminismus bedeutet Machtbeziehungen zu hinterfragen - gerade im Privaten. Sich selber immer wieder kritisch zu hinterfragen, weil wir alle in einer patriarchalen Welt gross geworden sind und sich diese Strukturen nicht von heute auf morgen ablegen lassen. Darum muss man auch in der Schweiz immer wieder reflektieren, wer Zugang hat zu was und wer warum nicht vertreten ist. Es bedeutet also, solidarisch zu sein - gerade auch mit anderen Frauen*. Es soll nicht in einem weissen "Cis-Wohlstandsfeminismus" enden, sondern überall konsequent die herrschenden Machtstrukturen angeprangert werden. Das heisst, unbequem zu bleiben.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 05/06 - 75. Jahrgang - 21. Februar 2019, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2019

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