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VORWÄRTS/1515: Die Bolivarische Revolution


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.31/32 vom 4. Oktober 2019

Die Bolivarische Revolution

von Amanda Ioset


Die Revolution, wie sie in Venezuela verstanden wird, ist ein langer Aufbau, in dem sich der Klassenkampf in unerwarteten Formen zeigt. Venezuela wird vom US-Imperialismus und von der neoliberalen Rechten im Land mit einer veritabeln wirtschaftlichen Destabilisierung konfrontiert.

Es ist nicht einfach, in Europa über revolutionäre Prozesse in Lateinamerika zu sprechen, auch nicht innerhalb der Linken. Ein grosser Teil dieser europäischen Linken hat jedes revolutionäre Projekt endgültig aufgegeben und begnügt sich damit, in der internationalen Politik die imperialistischen Positionen einzunehmen. Ein anderer, radikalerer Teil dieser Linken, leidet hingegen unter einem "revolutionären Kreationismus", ein Begriff des argentinischen Soziologen Atilio Borón. Das heisst, sie begreift die Revolution als "reinen" Akt, der in einem bestimmten Moment kommt und die Verhältnisse ein für alle Mal für alle zum Guten wendet.


Klassenkampf auf drei Ebenen

Die Revolution, wie sie Atilio Borón versteht, und wir mit ihm, ist im Gegenteil immer ein "kontinuierlicher und fortschreitender Prozess von Veränderungen und wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Reformen, die zur Bildung eines neuen historischen Typs der Gesellschaft führen." Oder anders gesagt, die Revolution ist ein langer Aufbau, in dem sich der Klassenkampf in unerwarteten Formen zeigt. Halten wir fest: Venezuela ist ein kapitalistisches Land, das heisst, die venezolanische Wirtschaft ist noch mehrheitlich kapitalistisch. Vereinfachend gesagt, spielt sich der Klassenkampf auf drei "Ebenen" ab: Die erste ist der internationale Klassenkampf, also der Kampf für nationale Unabhängigkeit und Selbstbestimmung des venezolanischen Volks. Die zweite ist der traditionelle Konflikt zwischen Kapital und Arbeit. Und auf der dritten Ebene findet ein Kulturkampf statt in den verstaatlichten und von neuen Formen geprägten kollektiven Betrieben, das heisst ein Kampf zwischen der alten kapitalistischen Kultur und der neuen sozialistischen Konzeption der Produktionsverhältnisse.

Natürlich ist dies mit vielen Konflikten verbunden und die neue Gesellschaft formt sich nicht in ein paar Jahren ohne Widersprüche, ohne Momente von Stagnation oder auch Rückschritt.


Ressourcen kontrollieren

Venezuela im Norden Lateinamerikas grenzt an Kolumbien und Brasilien. Es ist eine föderale präsidentielle Republik, hat fast 32 Millionen Einwohner*innen, offizielle Sprache ist Spanisch. In Venezuela befinden sich die grössten Erdölreserven. In Venezuela befindet sich auch eine der grössten Süsswasserreserven der Welt, ein öffentliches Gut, das multinationale Unternehmen wie Nestlé besitzen und verkaufen wollen. Weiter hat es mehr als 8000 Tonnen Gold, enorme Coltan-Reserven und andere Mineralien, die wichtig sind für die Herstellung von Hochtechnologie-Geräten wie Computer, Smartphones und so weiter. Dann hat es auch noch Kakao. So begreift man sofort, warum dieses Land im Zentrum des Interesses der Vereinigten Staaten ist. Ihre Multinationalen wollen diese natürlichen Ressourcen unbedingt kontrollieren. Und sie wollen um jeden Preis das schlechte Beispiel der Verteilung der Reichtümer und der Selbstbestimmung verhindern, die Venezuela repräsentiert.

Am 20. Mai 2018 fanden in Venezuela Präsidentschaftswahlen statt. Die "Mesa de la Unidad Democratica" (MUD, Rechte und extreme Rechte Opposition) entschied sich, die Wahl zu boykottieren. Auch Kandidat*innen von "moderateren" Oppositionsparteien wie Henry Falcón stellten sich der Wahl. Nicolas Maduro Moro wurde mit 67,84 Prozent der Stimmen gewählt, Henry Falcón wurde Zweiter mit 20,94 Prozent. Es wurden 9,203,744 gültige und 177,474 ungültige Stimmen abgegeben. Somit betrug die Wahlbeteiligung bei 21 Millionen Wahlberechtigten etwa 46 Prozent. Zum Vergleich: In der Schweiz lag die Wahlbeteiligung bei den Nationalratswahlen 2015 bei 48 Prozent. Sicherlich auch keine gloriose Beteiligung, aber trotzdem repräsentativ - oder was man hier als repräsentativ betrachtet. Wie dem auch sei, die Opposition und andere Länder wie die Vereinigten Staaten, Frankreich und Deutschland lehnten es ab, das Wahlresultat in Venezuela anzuerkennen.


Ziel: US-Intervention

Am 10. Januar 2019 nahm Nicolas Maduro sein Mandat vor dem Obersten Gericht an. Normalerweise geschieht dies vor der Nationalversammlung, aber diese weigert sich, den Präsidenten zu empfangen, bis die Opposition darin die Mehrheit hat - und dies seit 2015. Diese Nationalversammlung ist gerichtlich suspendiert, weil sie sich weigerte, vier des Wahlbetrugs verdächtigte Abgeordnete zu einer erneuten Wahl antreten zu lassen. Seit mehreren Jahren spielt die Opposition dieses Spiel, das heisst, sie will mit allen Mitteln den Chavismus sabotieren und nur eine Lösung der Krise zulassen: eine Intervention der USA. Wie soll man diese Strategie der Opposition und seiner internationalen Unterstützer*innen verstehen?

Nach dem Tod von Commandante Hugo Chavez am 5. März 2013 beschlossen die mit den USA verbundenen, radikalsten Teile der Opposition, seinen Nachfolger Nicolas Maduro Moro mit allen Mitteln daran zu hindern, normal regieren zu können. Das Ziel war, der Bolivarische Revolution ein klares Ende zu setzen. Sie lancierten konkret 2014 und 2017 gewaltsame Stadtguerilla-Offensiven, die 45 und 125 Tote zur Folge (nicht nur im Lager der Demonstrant*innen) hatten. Diese gewalttätigen Aktionen wurden in den internationalen Medien fälschlicherweise als friedliche Demonstrationen präsentiert, auf welche die Ordnungskräfte mit Gewalt reagiert hätten. In Wahrheit forderten diese Aufstandsepisoden zahlreiche Opfer in den Reihen der Ordnungskräfte, unter den Chavist*innen und auch unter einfachen Passant*innen. Erinnert sei zum Beispiel an das tragische Ende eines schwarzen Opfers, das von den "Demonstrant*innen" lebendig verbrannt wurde. Offenbar ist für die wohlhabende weisse Opposition jemand mit dunkler Hautfarbe Chavist*in.


Wirtschaftliche Destabilisierung

Die drastische Senkung des Ölpreises und eine nicht immer effiziente Bewirtschaftung der Regierung führte zu einer schwierigen wirtschaftlichen Situation in Venezuela. Das erklärt aber noch lange nicht alles. Der "wirtschaftliche" Arm der Opposition organisiert Verknappungen und nimmt Lebensmittel, Medikamente und andere Güter des Grundbedarfs in Beschlag, um das Land zu destabilisieren und die Produkte teuer auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Das und die seit 2015 von den USA verhängten wirtschaftlichen Sanktionen provozierten eine unvorstellbare Inflation. Venezuela ist mit einer veritablen wirtschaftlichen Destabilisierung konfrontiert und sogar mit einem Krieg, und davon ist der Wirtschaftskrieg nur eine Front. All das führte am 23. Januar 2019 zur Autoproklamation des Marionettenpräsidenten im Solde Washingtons, Juan Guaidó. Und dann, wie wir in den Medien sehen konnten, zur Show der sogenannten humanitären US-Hilfe, und schliesslich am 30. April zu einem weiteren Putschversuch. Darauf beruhigte sich die Situation auf der politischen Ebene etwas, die Verhandlungen zwischen der Regierung und der Opposition wurden in Norwegen wieder aufgenommen, aber Anfang August als Folge der neu angekündigten US-Sanktionen wieder abgebrochen.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 31/32 - 75. Jahrgang - 4. Oktober 2019, S. 10
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2019

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