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BERICHT/211: Unerschütterlich - negative Schlagzeilen tasten Grundvertrauen in Wissenschaft kaum an (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 135/März 2012
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Unerschütterlich

Warum negative Schlagzeilen das Grundvertrauen in die Wissenschaft kaum antasten

von Arlena Jung



Wissenschaft steht unter Dauerbeobachtung durch die Medien. Dabei geht es häufig um wissenschaftliche Skandale. Leidet das Grundvertrauen in die Wissenschaft darunter? Eine Analyse über Epidemiologie und Stammzellforschung in der deutschen Presse zeigt: Die Berichterstattung über schlechte Wissenschaft führt nicht zu einem grundlegenden Vertrauensverlust. Dies hängt mit der Eigenlogik der Massenmedien zusammen. Die Ausrichtung auf das Dramatische, Überraschende und Negative allein reicht nicht aus, um Aufmerksamkeit zu erwecken. Journalisten müssen sich auch am tief verankerten Vertrauen ihres Publikums in die Objektivität und das Erklärungsvermögen von Wissenschaft orientieren.

Die Bedeutung von wissenschaftlicher Expertise in allen gesellschaftlichen Bereichen nimmt seit geraumer Zeit zu. Der Wissenschaft wird mehr Platz in den Nachrichten eingeräumt. Öffentlich finanzierter Forschung wird Rechenschaft abverlangt. Politik rekrutiert zunehmend Wissenschaft, um die eigene Position zu legitimieren. Auf eine Expertise folgt dann die Erwiderung mit einer Gegenexpertise. Aber auch Wissenschaftler instrumentalisieren die Massenmedien bei ihren Kämpfen um monetäre, politische und rechtliche Ressourcen. Was einst in der Abgeschiedenheit des Elfenbeinturms stattfand, wird zum Gegenstand journalistischer Dauerbeobachtung. Neben Forschungsergebnissen erweisen sich der Prozess der Wissensgenerierung sowie das Verhältnis zwischen Wissenschaft und ihrem gesellschaftlichen Umfeld als wichtige Medienthemen.

Diese Entwicklung und die mediale Ausrichtung auf das Dramatische, Negative und Aufsehenerregende legt die Vermutung nahe, dass dies einen Verlust an Vertrauen in die Wissenschaft mit sich bringt. Zahlreiche empirische Studien zeigen aber, dass sich die Wissenschaft gegen die negativen Konnotationen der Berichterstattung über "schlechte Wissenschaft" immunisiert: Die Schuldigen werden als schwarze Schafe gebrandmarkt und der Scientific Community verwiesen. Wissenschaftliche Unsicherheit wird nicht als Scheitern, sondern als normaler Teil des wissenschaftlichen Betriebs interpretiert und somit als Rechtfertigung für weitere Forschung genutzt: Nur die Wissenschaft sei in der Lage, die Wissenslücken zu schließen und objektives und sicheres Wissen zu erzeugen. So genießt die Wissenschaft im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Bereichen nach wie vor ein hohes Maß an Vertrauen.

Warum gelingt es, die Glaubwürdigkeit und Autorität der Wissenschaft als Institution und als Wissensform im Kontext einer Dauerskandalisierung zu verteidigen? Warum schreiben Journalisten Berichte, auch über wissenschaftliche Verfehlungen, die letztendlich aber doch die Interessen der Wissenschaft verteidigen? Wie lässt sich erklären, dass Wissenschaftler so ein leichtes Spiel haben? Ist es so einfach, die Journalisten zu instrumentalisieren? Oder müssen wir, um eine Erklärung zu finden, unseren Blick von den Akteuren und ihren Intentionen abwenden und auf die Eigendynamik und Eigenlogik von Wissenschaft und Journalismus richten?

Bei der Suche nach einer Antwort muss man zunächst die Annahme hinterfragen, dass die Berichterstattung über "bad science" zwangsläufig die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft in Frage stellt. Denkbar sind nämlich zwei weitere Möglichkeiten. Zum einen ist eine Spannung zwischen kognitiven und normativen Erwartungen an die Wissenschaft denkbar. Kognitive Erwartungen beziehen sich darauf, wie die Welt tatsächlich funktioniert, normative Erwartungen hingegen darauf, wie die Welt funktionieren sollte. Während sich kognitive Erwartungen durch Erfahrungen verändern, sind normative Erwartungen verhältnismäßig erfahrungsresistent. Die Tatsache, dass mein guter Freund Charly immer zu spät kommt, wird sich nicht unbedingt auf meine normative Erwartung auswirken, dass er pünktlich kommen sollte. Meine kognitive Erwartung, dass er pünktlich kommt, wird sich aber mit der Zeit sehr wohl ändern.

Die andere denkbare Möglichkeit ist die Re-Etablierung einer zunächst verloren gegangenen Glaubwürdigkeit. Vertrauen kann durchaus gestärkt werden - wenn Journalisten mit ihrer Berichterstattung normative Erwartungen als unangemessen erscheinen lassen: Wissenschaftlich als sicher dargestelltes Wissen habe sich eben als falsch erwiesen. Dies liege aber keineswegs daran, dass Wissenschaft prinzipiell nicht dazu in der Lage wäre, sicheres Wissen zu produzieren. Das Problem sei vielmehr die unangemessene Erwartung, Wissenschaft solle in der Geschwindigkeit, in der die Politik dies verlangt, dazu in der Lage sein.

Im Rahmen einer Teilstudie des von der Initiative "Wissen für Entscheidungsprozesse - Forschung zum Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprojekts "Integration wissenschaftlicher Expertise in medienvermittelte öffentliche Diskurse" (Leitung: Prof. Hans Peter Peters) habe ich die Berichterstattung über Stammzellforschung und Epidemiologie in der überregionalen deutschen Presse analysiert. 300 Artikel aus dem Zeitraum zwischen 2001 und 2005 wurden mit einer detailliert arbeitenden Methode der qualitativen Textrekonstruktion analysiert, der objektiven Hermeneutik. Diese Methode der Diskursanalyse berücksichtigt die Kontextabhängigkeit von Kommunikation. Was ohne Einbindung in den Kontext als eine negative Bewertung erscheint, entpuppt sich bei einer genaueren Analyse oft als Teil einer Rechtfertigung. Eine objektiv-hermeneutische Inhaltsanalyse arbeitet den Text Schritt für Schritt durch. Verschiedene Interpretationsmöglichkeiten werden so lange offengehalten, bis eine kohärente Interpretation gefunden wird, die sich für den gesamten Text durchhalten lässt.

Die Inhaltsanalyse der Berichterstattung über Epidemiologie und Stammzellforschung in der deutschen Presse belegt: Was auf den ersten Blick als Glaubwürdigkeitsverlust erscheinen mag, ist bei näherer Betrachtung etwas anderes. Es entsteht nämlich ein Bild mit der Botschaft, dass Wissenschaft realistischerweise nicht immer den normativen Anforderungen gerecht werden kann. Der Normbruch wird festgestellt, aber nährt nicht die Zweifel an der Wissenschaft insgesamt, indem mehr oder minder explizit zwischen guter und schlechter wissenschaftlicher Praxis unterschieden wird. Somit werden mit der Berichterstattung über schlechte Wissenschaft die normativen Kriterien der Bewertung von Wissenschaft reproduziert und stabilisiert. An manchen Stellen wird der Normbruch personalisiert und somit externalisiert. Die Fälschungsskandale um den südkoreanischen Klonforscher Hwang Woo Suk wurden mit Hybris erklärt und somit als Abweichung von der wissenschaftlichen Norm gedeutet, die auf persönliche Eigenschaften des Wissenschaftlers als Mensch zurückzuführen ist und nicht auf seine Natur als Wissenschaftler oder die Natur der Wissenschaft als solcher.

An anderen Stellen wird aber die Spannung zwischen kognitiven und normativen Erwartungen stabilisiert - indem die Abweichung von der Norm als normaler Bestandteil der Wissenschaft eingeordnet wird. An die Stelle einer Begründung mit den individuellen Eigenschaften eines schwarzen Schafs treten Eigenschaften der Wissenschaft als Institution bzw. strukturelle Merkmale des Verhältnisses zwischen Wissenschaft und ihrer gesellschaftlichen Umwelt: Die Neigung zur Hybris liege in der Natur der Wissenschaft und somit zwangsläufig in der des Wissenschaftlers.

Negative Berichterstattung kann aber auch zu einer Wiedergewinnung von Vertrauen in die Wissenschaft führen - und zwar dann, wenn die Berichterstattung impliziert, dass sich die normativen Erwartungen an die tatsächliche Funktionsweise der Wissenschaft anzupassen haben. Die empirisch beobachtete Funktionsweise der Wissenschaft wird legitimiert - und zwar mit der Eigenlogik der Wissenschaft: Die Wissenschaft als Prozess der Erzeugung von sicherem und objektivem Wissen sei eben darauf angewiesen, Unsicherheiten zuzulassen und in bestimmten Phasen offen zu sein für unterschiedliche Interpretationen. Eine Anpassung an die pragmatischen Erwartungen der Politik oder der Wirtschaft würde diese Fähigkeit unterminieren. Von der Wissenschaft zu erwarten, dass sie in ihren Wissensproduktionsprozessen mit der Entstehung gesellschaftlicher Probleme Schritt hält, sei also nicht legitim und sogar schädlich. Nur wenn respektiert werde, dass Wissenschaft ihr eigenes Tempo hat, könne sie ihre gesellschaftliche Funktion erfüllen, objektives und sicheres Wissen zu erzeugen.

Mit dieser Art von Berichterstattung werden die normativen und kognitiven Erwartungen an Wissenschaft nicht tangiert, sondern im Gegenteil sogar stabilisiert. Wissenschaft erscheint als einzige Institution, die dazu in der Lage ist, objektives und sicheres Wissen zu erzeugen.

Wie erklärt sich nun das Phänomen der Festigung des Vertrauens in die Wissenschaft selbst bei kritischer Berichterstattung über Skandale, Fälschungen und Betrug? Um die Ursachen zu verstehen, müssen wir die Eigenlogik des Journalismus bzw. der Massenmedien in die Betrachtung einbeziehen. In ihrer Berichterstattung über Wissenschaft orientieren sich die Journalisten an den Nachrichtenfaktoren, die darüber entscheiden, ob etwas Aufmerksamkeit erregt oder nicht. Das Negative erregt in der Regel mehr Aufmerksamkeit als das Alltägliche, ebenso wie Berichte, die verbreitete moralische Werte ansprechen. Das ist aber nur die eine Seite. Die andere ist: Die Massenmedien müssen auch an tief verankerte kulturelle Muster der Wahrnehmung von Wissenschaft anknüpfen. Würde der Wissenschaft nicht mehr die Fähigkeit zugerechnet, gesichertes und objektives Wissen zu erzeugen, würde dies einen fundamentalen Bruch mit diesen Mustern bedeuten. Das widerspräche der Logik der Massenmedien. Indem er aber, ohne die kognitiven Erwartungen gegenüber Wissenschaft in Frage zu stellen, die Glaubwürdigkeit in Bezug auf normative Erwartungen thematisiert, erfüllt der Journalismus seine demokratisch legitimierte Kontrollfunktion: Wissenschaft wird vor dem Hintergrund gesellschaftsweit wirksamer Normen beobachtet. Indem diese Beobachtung der Wissenschaft in die journalistische Berichterstattung zurückgespiegelt wird, wird die Wissenschaft bzw. die politische Steuerung der Wissenschaft implizit dazu aufgefordert, sich an diesen Erwartungen zu orientieren.


Arlena Jung ist seit 2011 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Kulturelle Quellen von Neuheit und arbeitet im Projekt "Verwissenschaftlichung oder Vergesellschaftung? Der Wandel der Wissensordnungen in Deutschland, Großbritannien und den USA". Die promovierte Soziologin forscht vor allem zum Verhältnis zwischen Wissenschaft, Politik und Massenmedien.
jung@wzb.eu


Literatur

Jung, Arlena: "Medialisation and Credibility. Epidemiology and Stem Cell Research in the German Press". In: Martina Franzen/Simone Rödder/Peter Weingart (Eds.): Yearbook Medialisation of Science. Bielefeld: ZIF 2011.

Kohring, Matthias: Wissenschaftsjournalismus. Forschungsüberblick und Theorieentwurf. Konstanz: UVK 2005.

Weingart, Peter: Die Wissenschaft der Öffentlichkeit. Essays zum Verhältnis von Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit. Weilerswist: Velbrück 2005.

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 135, März 2012, Seite 28-30
Herausgeber:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Mai 2012