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INTERNATIONAL/052: Pakistan - Grenzgebiete zu Afghanistan im Pornorausch (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. März 2012

Pakistan: Grenzgebiete zu Afghanistan im Pornorausch - Kinobesitzer zahlen Schutzgeld

von Zofeen Ebrahim


Karachi, 13. März (IPS) - Im schummrigen Kinosaal riecht es nach Haschisch. Auf der Leinwand tanzt eine stark geschminkte Frau in einem engen Kleid lasziv zu lauter Musik. Das ausnahmslos männliche Publikum johlt und pfeift. Die Musik stoppt, die Darbietung der Pornodarstellerin nimmt an Eindeutigkeit zu und die Menge lässt jede Zurückhaltung fahren: Stühle knarren, und ein Stöhnen und Keuchen durchdringt den Raum.

Quasi vor den Augen der religiösen Parteien Pakistans, der islamistischen Taliban-Extremisten und der Regierung werden in einem Kino in Peshawar, der Hauptstadt der streng konservativen Provinz Khyber Pakhtunkhwa, Pornofilme gezeigt.

In der Provinz und vor allem in ihrer Hauptstadt kommt es noch immer zu Anschlägen auf Mädchenschulen und Heiligenschreine. Auch Plattenläden und Internet-Cafés werden attackiert. Der Hass auf alles Freizügige ist so groß, dass Gesichter von Frauen auf Werbeplakaten entstellt werden. Dennoch erleben Porno-Kinos weiterhin einen Boom.

"Jede Vorstellung in diesen Häusern ist ausverkauft", sagt Lala Fida Mohammad Khan, der früher Filme in paschtunischer Sprache produzierte und inzwischen ein Kino in der Garnisonsstadt Rawalpindi nahe der Hauptstadt Islamabad betreibt.


Von der Moschee direkt ins Kino

"Jeder weiß, was so ein Geschäft einbringt und macht mit", erklärt er. "Täglich laufen drei Vorstellungen, und sonntags kommt noch eine Matinée-Vorführung dazu." An den Tagen des islamischen Opferfestes sind laut Khan sogar fünf Filme zu sehen. Die Männer kommen direkt von der religiösen Zeremonie ins Kino. Um einen störungsfreien Ablauf ihres Geschäfts zu sichern, zahlten die Kinobesitzer Schutzgeld.

Das Shama-Kino in Peshawar ist im Besitz der Familie Bilour. Deren Mitglieder gehören der Awami-Nationalpartei an, die in der Provinz die Mehrheit hat. Wie Khan berichtet, hatte die Familie ursprünglich drei Kinos. Da eines vor Jahren attackiert worden war, wurden zwei zu Shopping-Malls umfunktioniert. Und in dem dritten werden nur noch Pornos gezeigt.

In der Stadt mit mehr als drei Millionen Einwohnern gibt es derzeit nur noch neun Kinos. Ein einziges, das von der pakistanischen Luftwaffe betrieben wird, hat keine Pornofilme auf dem Programm, wie Aljaz Gul, ein bekannter Kritiker, berichtet.

Seit die Taliban ihren Einfluss in der Provinz geltend machen, wurden nach Angaben von Khan zwei Kinos angegriffen und mehrere Kinobetreiber entführt. "Sie zahlten hohe Summen Lösegeld für ihre Freilassung und machen trotzdem weiter", erläutert Khan, der nach eigenen Angaben keine eigenen Filme mehr dreht, weil seriöse Inhalte nicht mehr gefragt sind.

Gul berichtet, dass Filme in Paschtunisch schon immer für mehr oder weniger schlüpfrige Inhalte bekannt gewesen seien. Allerdings habe es auch Ausnahmen gegeben. Younus Qiyasi, der Drehbücher für 22 Filme in Paschtunisch geschrieben hatte, hörte in den achtziger Jahren auf, weil "Vulgarität und Obszönität zum Markenzeichen dieser Filme wurden".


Niedergang der Filmkultur

Khan erinnerte sich an die Zeit vor etwa 20 Jahren, als Kinovorstellungen oft wochenlang im Voraus ausverkauft waren und sich auch Frauen Filme anschauten. "Jetzt wo nur noch Trash gezeigt wird, stellt sich in Peschawar gar nicht mehr die Frage, ob Frauen ins Kino gehen."

Generell liegt das Filmgeschäft in Pakistan am Boden. Als 2006 zumindest das Vorführverbot für indische Filme aufgehoben wurde, konnte die Branche etwas aufatmen. 1977 gab es in dem Land rund 700 Kinosäle. Davon sind nur etwa 200 übrig geblieben. Im vergangenen Jahr wurden nur 20 pakistanische Filme produziert - fünf in der Nationalsprache Urdu, sieben in Punjabi und acht in Paschtunisch.

Qiyasi zufolge sind die Besucher von Pornokinos "in der Mehrheit" Flüchtlinge aus dem benachbarten Afghanistan. Paschtunen aus Khyber Pakhtunkhwa seien selten darunter. Die meisten in Pakistan lebenden Afghanen hatten während der sowjetischen Besatzung in den achtziger Jahren ihr Land verlassen. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR leben in Pakistan immer noch rund 1,7 Millionen anerkannte afghanische Flüchtlinge, insbesondere in Khyber Pakhtunkhwa, den Stammesgebieten und Teilen Belutschistans.


Ressentiments gegen Afghanen

Nach 30jähriger Anwesenheit sehen sich die mehrheitlich paschtunischen Afghanen, die in Pakistan viele Geschäfte übernommen haben und sich oftmals eine solide Existenz aufbauen konnten, zunehmenden Ressentiments von Seiten der Pakistaner ausgesetzt. In Afghanistan stellen Paschtunen 42 Prozent und in Pakistan rund 15 Prozent der Bevölkerung.

Afghanen sind auch begeisterte Käufer von CDs und DVDs, die sie in Peshawar in dem Einkaufszentrum Nishtarabad finden. Musafir Khan, der seit 1991 von diesen Geschäften lebt, erhält jeden Monat zwei auf CD gebrannte Filme in Paschtunisch. Pornos sind nicht dabei.

Die Produktion dieser Mini-Filme koste ihn umgerechnet 3.300 bis 3.900 US-Dollar das Stück. Der Produzent erhält noch einmal 110 Dollar. "Am Veröffentlichungstag verkaufen wir etwa 12.000 CDs zu umgerechnet je 38 Cent, berichtet Khan. In besseren Zeiten seien es dagegen auch schon 30.000 pro Tag gewesen. "Das sind saubere Filme, die von der ganzen Familie angeschaut werden können." Ein Teil dieser CDs gelangt über die Grenzen Pakistans hinaus nach Afghanistan, Dubai und sogar nach London. (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2012