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INTERNATIONAL/065: Libyen - Unbekannte Freiheit, Neustart stellt die Medien vor gigantische Aufgaben (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Mai 2012

Libyen: Die unbekannte Freiheit - Der Neustart stellt die Medien vor gigantische Aufgaben

von D. Parvaz



Tripolis, 18. Mai (IPS/AJ*) - Die Libyer haben sich zwar nach 40 Jahren aus dem eisernen Griff des Gaddafi-Regimes befreit. Doch für die einheimischen Medien, die sich Jahrzehnte lang als Propagandamaschine des Diktators verstanden, wird der Neustart in Freiheit eine gigantische Aufgabe.

Von dem post-revolutionären Enthusiasmus zahlreicher Journalisten, die ihre frisch erlangte Freiheit nutzten, um über die Gräuel des Gaddafi-Regimes zu berichten, ist angesichts der vielen Schwierigkeiten kaum etwas geblieben. Unsicherheit hat sich breit gemacht und viele treibt die Frage um, wie Medien sein müssen, die ein Land braucht, das sich in einem Demokratisierungsprozess befindet.

Seit dem Sturz Gaddafis sind zwar viele neue Zeitungen, Zeitschriften und Blogs an den Start gegangen. Doch nur wenig haben überlebt. Ihnen fehlte es an Geld, Professionalität und vorerst auch an Glaubwürdigkeit und Selbstvertrauen.

"Anfangs wollte jeder eine eigene Zeitung, einen eigenen Sender starten. Doch wir brauchten viel Zeit um zu begreifen, dass wir erst einmal viel lernen müssen", berichtet Alaa El-Huni von '1Libya'. Die zivile Organisation unterstützt in Libyen den Aufbau der Zivilgesellschaft und unabhängiger Medien.


Schwieriger Umgang mit der ungewohnten Freiheit

Mohamed El-Huni war viele Jahre lang Moderator beim staatlichen Fernsehsender 'Al-Libya TV'. Wie der Medienveteran versichert, wusste man als Journalist, wie weit man gehen durfte. Bisweilen sei Gaddafi persönlich in der Redaktion erschienen, um seinen Standpunkt durchzusetzen.

Doch eines Tages wurde sein gesamtes Redaktionsteam verhört. Stein des Anstoßes war eine Sendung über Menschen, die in Tripolis in armseligen Hütten und anderen Notunterkünften hausten. "Danach haben wir um solche sensiblen Themen einen weiten Bogen gemacht", erinnert sich Huni. Später stellte sich heraus, dass Hunis Abteilungsleiter im Dienst des Außenministeriums stand.

Nachdem er am 18. Februar 2011 bei Al Jazeera einen Bericht über das in seinem Land ausbrechende Chaos gesehen hatte, kehrte Huni nicht mehr an seinen Arbeitsplatz zurück. "Ich war sicher, dass wir nichts darüber bringen würden, und wollte meinem Land kein Messer in den Rücken stoßen", begründet er seinen damaligen Entschluss. Inzwischen ist Huni Moderator beim Privatsender 'Al-Asima'.

"Die jungen Journalisten treten in bester Absicht für Libyen ein, doch sind sie unprofessionell. Sie wissen nicht, wie sie mit bestimmten Themen umgehen sollen und sorgen mit ihrer Berichterstattung für neue Probleme", schildert Huni seine Erfahrungen mit dem journalistischen Nachwuchs in seinem Land. Inzwischen gibt es einen neuen Journalistenverband, der Richtlinien entwickeln und seinen Mitgliedern beibringen soll, wie sie ihre Rechte schützen können.

Auch der Pressereporter Zaptia, der knapp zehn Jahre lang für die Tageszeitung 'Tripoli Post' arbeitete, sieht im Aufbau einer neuen Medienkultur eine große Herausforderung. Er hat die Internetzeitung 'Libya Herald' gegründet. "Wir fangen bei Null an", betont er. "In Libyen gibt es seit etwa 40 Jahren keine unabhängige Presse. Deshalb ist es nicht leicht, gleichsam über Nacht eine entsprechende Kultur aufzubauen."

Zaptia veröffentlicht seine Nachrichten in englischer Sprache, weil er festgestellt hat, dass auch ausländische Journalisten, dazu meist noch aus großer Entfernung, über Libyen in Englisch berichten. Seine eigenen Mitarbeiter kann er vorerst nicht bezahlen.


Hilfestellung durch zivile Organisationen

Obwohl Libyens Übergangsregierung die Etablierung von freien und professionellen Medien zu einem vorrangigen Anliegen erklärt hat, gibt es bislang keine Ausbildungsmöglichkeit für Journalisten. Auch wird der Aufbau freier, unabhängiger Medien nicht bezuschusst. Einheimische und internationale Nichtregierungsorganisationen versuchen in bescheidenem Maße diese Lücke zu füllen. "Organisationen wie '1Libya' können nur ein Projekt nach dem anderen verkraften", berichtet Alaa El-Huni. Er leitet derzeit einen Workshop für Photojournalisten.

Auch der Umgang mit Informationen aus den sozialen Netzen, die in Libyen eine wichtige Kommunikationsbasis bilden, muss gelernt sein. Doch viele Jungjournalisten finden die sorgfältige Prüfung solcher Quellen nicht interessant genug. "Die Leute glauben alles, was in Facebook steht oder über Twitter verbreitet wird", kritisiert Huni.

Der 24-jährige Mohamed Essul und der 19-jährige Majdi Al-Nakua haben bei 'Alive in Libya', einem Projekt der gemeinnützigen US-Einrichtung 'Small World News', eine journalistische Ausbildung erhalten. Jetzt bringen sie ihre neu erworbenen Kenntnisse anderen libyschen Nachwuchsjournalisten bei. Beide kritisieren die fehlende Unterstützung ihrer Arbeit durch die Übergangsregierung. "Sie tut gar nichts", klagt Al-Nakua.

"Ich denke, dass Libyer wissen, dass sie es schaffen können, meint Astrid Schipper, die in Doha das Programm zur Unterstützung libyscher Medien im 'Centre for Media Freedom' koordiniert. "Doch trauen sie sich dies noch nicht allein zu."

Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten müsse noch wachsen, sagt sie. "Libyer schalten Al Jazeera und BBC ein und sehen sich jedes internationale arabischsprachige Programm an, das sie empfangen können. Denn den libyschen Medien trauen sie vorläufig keine vertrauenswürdige interessante Berichterstattung zu." (Ende/IPS/mp/2012)

* Der Beitrag wurde vom arabischen Nachrichtennetzwerk Al Jazeera veröffentlicht, einem Kooperationspartner von IPS International.


Links:
http://alive.in/libya/
http://smallworldnews.tv
http://www.1libya.org/index.php/en
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107778

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 18. Mai 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Mai 2012