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INTERNATIONAL/174: Einfluss der Medien auf das Leben von Frauen in Afghanistan (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 133, 3/15

Unterstützung im Kampf gegen Gewalt?

Der Einfluss der Medien auf das Leben von Frauen in Afghanistan

von Fawzia Ihsan Inglés


Als ich vor neun Jahren nach Afghanistan zurückgekehrt war, habe ich selten Begriffe wie Gewalt gegen Frauen, Frauenrechte, Zwangsehen, Ehen mit Minderjährigen oder Familienrecht gehört. Aber jetzt, wo sich Medien in Afghanistan weiterentwickelt haben, werden solche Begriffe regelmäßig diskutiert. Es besteht kein Zweifel, dass Medien einen wichtigen Anstoß für solche Diskussionen geben. Offen jedoch ist die Antwort auf die Frage: Verändern mediale Diskussionen die Lebenssituation afghanischer Frauen? [1]


In den letzten Jahren haben Medienmacher_innen versucht, die Aufmerksamkeit der Menschen auf Themen wie Geschlechterungleichheit und Gewalt gegen Frauen zu lenken. Jede/r hat bereits eine große Zahl von investigativen Geschichten, Filmen, Artikeln und Berichten mit dieser Thematik über Radio, Fernsehen und Zeitung erfahren. Oft behandeln die Berichte Gewalt in der Familie. Ein bekanntes Beispiel ist der Fall von Aisha, einer 18-jährigen jungen Frau, die wegen der ständigen Gewalt, die sie durch ihren Mann erlebt hat, von zuhause weggelaufen ist. Ihre Geschichte wurde durch internationale Medien bekannt, und bald wusste man weltweit, dass Aisha von ihrem Mann geschlagen wurde und er ihr Ohren und Nase abgeschnitten hatte. Und jede/r wollte Aisha helfen.

Zwangsheiraten sind in Afghanistan üblich. Es ist schon so normal, dass Frauen sogar denken, dass es ihr Schicksal ist, und sie folglich mit einem Mann leben, den sie nicht wollen. Die Heirat von und mit Minderjährigen ist kein Einzelfall. In den meisten Fällen verstehen die Mädchen noch nicht einmal die Bedeutung einer Ehe. Vor allem in ländlichen Gebieten ist es üblich, dass 12- bis 14-jährige Mädchen verheiratet sind und mit 15 Jahren Mutter werden.


Medien wecken das Bewusstsein und die Hoffnung

Medienmacher_innen in Afghanistan arbeiten daran, die Ungleichheiten und Einschränkungen für Frauen im Land zu vermindern. Ein Beispiel dafür ist die TV-Sendung Mask - Niqab in Dari -, in der jeweils eine Stunde lang über Gewalt gegen Frauen und Gewalt in der Familie in Afghanistan berichtet wird. Wie diese TV-Sendung, so berichten auch das Radio und andere Sender regelmäßig über Misshandlungen von Frauen im ganzen Land.

Für einige Frauen ist die Situation in der Familie oder Ehe so aussichtslos, dass sie Selbstmord als einzigen Ausweg sehen, um der Gewalt zu entkommen. Noch vor sechs oder sieben Jahren war das für viele Menschen ein unbekanntes Thema, dennoch erfahren wir dies jetzt auch in den Medien, dank der Reporter_innen, die überlebende Frauen besuchen, deren Geschichten erfahren und darüber berichten.

Man könnte also sagen, dass die Massenmedien als eine Art Fenster wirken, denn durch sie können wir zumindest einen Ausschnitt von Gewalt und Ungleichheit sehen. Wir sind nicht so weit, dass wir alle Probleme, die mit Gewalt gegen Frauen zusammenhängen, lösen können, aber die Berichte und die Debatten über solche Ereignisse können mithelfen, die Probleme in den Vordergrund zu stellen und so Aufmerksamkeit und ein bisschen Hoffnung wecken. Die Arbeit der Journalist_innen lohnt sich also.


Unterstützung des Kampfes für die Rechte der Frauen

Die Medien in Afghanistan konzentrieren sich darauf, die Situation der Frauen in den Vordergrund zu stellen, und verlangen eine aktive Zusammenarbeit im Kampf um die Rechte der Frauen. Generell fordern sie die Teilnahme an der Entscheidungsfindung in Führungspositionen, Hochschulbildung und die Präsenz von Frauen in der Justiz.

Derzeit gibt es vier Frauen im afghanischen Kabinett. Jede/r erinnert sich, als Präsident Hamid Karzai (Amtszeit 2004 bis 2014) neue Kabinettsmitglieder ernennen wollte, haben sich Frauengruppen in verschiedenen Teilen des Landes organisiert und aktiv darum gekämpft, ihn davon zu überzeugen, die Anzahl von Frauen für das Amt zu erhöhen. Sie haben Druck ausgeübt, und er hat sie gehört. Medien haben sie wesentlich dabei unterstützt.

Diskriminierung von Frauen ist ein weiteres Problem. Heute versucht eine Reihe von Gesetzgeber_innen im Parlament, Gesetze durchzubringen, die die Rechte von Frauen weiter begrenzen. Das Gesetz der Shia-Familie ist ein solches Beispiel; würde es in der vorgesehenen Form in Kraft treten, würden Frauen aus verschieden Gebieten Afghanistans in ihren Rechten eingeschränkt. Als das Gesetz veröffentlicht wurde, haben sich zahlreiche oppositionelle Gruppierungen dagegen organisiert, darunter Frauenbewegungen und Menschenrechtsverteidiger_innen. Darüber wurde in allen Medien landesweit kritisch berichtet - in Form von unzähligen Debatten, Artikeln, Berichten und Geschichten zum Thema. Mit dem Ergebnis, dass das Gesetz reformiert und angepasst wurde.

Ein weiteres positives Beispiel der Medienwirksamkeit ist die Tatsache, dass jede/r schon einmal vom 8. März gehört hat, oder von Frauenrechten und Genderungleichheit - über Fernsehen oder Radio. Medien haben mit geholfen, diese Themen in die Öffentlichkeit zu bringen, was ein weiterer Schritt in der Reduktion von Gewalt gegen Frauen ist.

Afghanische Frauen, die es sogar geschafft haben, ein eigenes Unternehmen zu gründen, versuchen nun, auch von den Möglichkeiten der Medien zu profitieren. Sie organisieren Ausstellungen, um ihre Waren zu präsentieren. Sie wissen, dass Reporter_innen ständig auf der Suche nach neuen Geschichten sind. Auch unterschiedliche Bildungs- und Gesundheitsorganisationen sowie Institutionen, die sich mit Frauenprojekten in Afghanistan auseinandersetzen, versuchen nun, durch Medien bekannt zu werden. Familien in Afghanistan, die Zugang zu den Medien haben (TV oder Radio) verfolgen solche Programme.


Ein kleines Licht im Dunkeln

Wenn wir den Einfluss der Medien auf das Leben von Frauen betrachten, bemerken wir, dass diese für Frauen weit mehr als eine Quelle der Unterhaltung sind. Politisch aktiven Personen dienen Medien als wichtiges Werkzeug. Sie erreichen dadurch die Menschen und zeigen anderen, wie man Ziele erreichen kann. Gleichzeitig produzieren junge afghanische Medien Programme, die Frauen ermutigen, sich an sozialen, kulturellen und politischen Angelegenheiten zu beteiligen. Eine Reihe von nationalen und internationalen Organisationen unterstützen einige dieser Programme. Andere Radio- und TV-Sender haben einen Schwerpunkt auf Frauenthemen, weil sie erwarten, von der Aufmerksamkeit des Publikums selbst profitieren und bekannter werden zu können. Doch in vielen Fällen sind die Medien in Privatbesitz und sehen sich nicht dafür verantwortlich, Frauenthemen zu präsentieren.

Die oben genannten Punkte führen zu einer wichtigen Frage: Wird all dies ausreichen, um Diskriminierung, Ungleichheit, Gewalt und Barrieren, die noch weit verbreitet sind, zu reduzieren? Ist das genug, um Veränderungen in das Leben der Frauen im ganzen Land zu bringen? Die Antwort lautet: sicherlich nicht. All die Probleme und Herausforderungen, vor denen die Frauen in Afghanistan stehen, haben tiefe Wurzeln und sind zu komplex, um von den Medien gelöst zu werden. Dennoch kann man sagen, dass die Arbeit, die Medien für Frauen leisten, ein kleines Licht im Dunkeln ist.

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Anmerkung: [1] Dieser Artikel erschien erstmalig auf Englisch in Digital Development Debates (www.digital-development-debates.org).

Zur Autorin: Fawzia Ihsan Inglés hat einen Abschluss in Anglistik und Literatur der Universität in Kabul. Derzeit arbeitet sie als Reporterin für Radio Azadio in Kabul, Afghanistan, und als freie Journalistin für den Blog "Afghanistan Heute". Dieser umfasst vor allem Fragen im Zusammenhang mit Frauen, Kindern und Jugendlichen in Afghanistan.

Übersetzung aus dem Englischen: Tania Pilz

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 133, 3/2015, S. 16-17
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Sensengasse 3, A-1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. November 2015

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