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TV/001: Unter Geiern - Wrestler bei "3 nach 9" (SB)


Wie René Lasartesse selbst Tiefschläge wegsteckte

... und Murat Bosporus allzu anständig sein wollte


Bekanntlich zeichnen sich Talkshows nicht dadurch aus, daß in ihnen einzelne Themen oder Fragen tiefschürfend abgehandelt werden. Nicht selten dienen die eingeladenen Gäste den Moderatorinnen und Moderatoren lediglich dazu, zum wiederholten Male die eigene Weltsicht abfeiern zu können. Erweisen sich Gäste höheren Stands, wird gewöhnlich der Bückling vollzogen, bei seinesgleichen nach Konsens geheischt und bei vermeintlich niederem Volk mit dem Contra aufgewartet.

Eine Bestätigung dieser Rangordnung lieferte am 3. August die in Bremen aufgezeichnete Plauderrunde "3 nach 9" mit dem Moderatorengespann Amelie Fried und Giovanni di Lorenzo. Sie hatten Özgür Bakar, alias Murat Bosporus, eingeladen. Ein profilierter Wrestler, der mit olympischem Ringen angefangen hatte und schon bald ins Showgeschäft eingestiegen war. Mittlerweile hat er in der größten japanischen Liga gekämpft und ein Angebot erhalten, in die USA zu gehen.

Nun wäre es für die Zuschauer sicherlich interessant gewesen, mehr über diesen akrobatischen Sport zu erfahren, den Murat Bosporus mit so viel Enthusiasmus betreibt, doch nicht in "3 nach 9" und offenkundig schon gar nicht mit einem derart selbstbezogenen Interviewer wie Giovanni di Lorenzo. Der schien mehr an der Präsentation seiner vorgefaßten, negativen Einstellung gegenüber dem Wrestling interessiert zu sein, als sich ernsthaft mit dem Thema zu befassen. Selbst bei einfachen Fragen schwang der Unterton mit, daß diese mit starken Show- und Artistik-Elementen angereicherte Sportart brutal und primitiv sei, jedenfalls weit unter dem Niveau einer bürgerlichen Existenz, wie sie der Moderator pflegt.

Bereits bei der Vorstellung des Wrestlers in einigen kurzen Filmausschnitten wurde sich über die Sportart lustig gemacht, und es bestand kein Zweifel, daß dies kein Humor war, wie er bei Wrestling-Shows gezeigt wird, sondern der typische Humor von Personen, die sich als was Besseres wähnen. Wobei sich in diesem Fall noch die anzügliche Sichtweise der Verantwortlichen der Sendung Bahn brach:

"Murat Bosporus gilt als technisch bester Berufsringer Europas und wird spielend auch mit viel größeren Kalibern fertig. Aber das braucht Training, Training, Training. Nur dann kommt es zu solch vollendetem Männerbalett. Und das Liebesleben bei Wrestlern spielt sich auch anders ab als bei unsereinem."

Ja, das ist natürlich eine ungeheuer wichtige Frage, wie's die Wrestler so treiben. Vielleicht kann man dem Gast ja die eine oder andere schlüpfrige Anekdote abringen, dürften sich die Fernsehmacher gesagt haben, und wenn nicht, produziert man sie eben selber. Das Zurechtbiegen von Inhalten stellt schließlich eine der leichtesten Übungen des Mediums Fernsehen dar, das ist sozusagen sein Fleisch und Blut. Also wurde als nächstes eine kurze Sequenz eingeblendet, in der Bakars Freundin angeblich Geheimnisse aus deren gemeinsamen Liebesleben preisgab:

"Komm mal her, komm mal her, und dann nimmt er mich in irgend 'nen merkwürdigen Griff, und dann sagt er, ja, den mach' ich nächstes Mal. So etwa ..."

Der Sender vermied es allerdings zu erwähnen, daß Bakars Freundin ebenfalls wrestelt und unter dem Namen Jazzy B. auftritt. Es wäre also zu erwarten, daß die beiden hin und wieder neue "Griffe" ausprobieren - und so wächst beim Zuschauer der Verdacht, daß in jenem Filmausschnitt ursprünglich gar keine Details aus dem Liebesleben, sondern aus dem Alltag des Wrestling-Paares geschildert werden sollten.

Der seit 1988 bei "3 nach 9" tätige und damit dienstälteste Moderator Giovanni di Lorenzo knüpfte prompt an jene Filmsequenz an und eröffnete das Gespräch mit der süffisanten Frage: "Herr Bakar, ist man denn nach manchem Griff oder Wurf überhaupt noch in der Lage, ein Liebesleben zu haben?" Woraufhin der Angesprochene verlegen lachte und sich bemühte, diese aus seiner Sicht unverkennbar abwegige Einleitung auf eine seriöse Bahn zu bugsieren, indem er erwiderte: "Natürlich, das hat ja jetzt nicht wirklich etwas damit zu tun, daß man jetzt unbedingt danach jetzt kein Liebesleben mehr hat."

Genutzt hat der verzweifelte Versuch von Ernsthaftigkeit nichts, denn di Lorenzo hielt es als nächstes für wahnsinnig bedeutsam, seinen Gast über den Sohn Edmund Stoibers, mit dem er auf die Schule gegangen war, zu befragen. Den bekannten Schlafzimmerblick aufsetzend wollte er von dem Wrestler wissen, wie gut der Stoiber-Sprößling in der Schule gewesen sei und ob er, Bakar, den Klassenkameraden verprügelt hätte, und so weiter. Erst dann kamen Fragen zum Leben und Job des Wrestlers auf, wobei der Moderator auch dabei keinen Hehl aus seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem Berufsstand des Wrestlers machte.

Wie bereits der Beginn des Gesprächs erwies sich auch der Abschluß der "Tanzbärvorführung" als wenig schmeichelhaft - für den Gastgeber:

"Ich würde das Gespräch gerne beenden mit einem Wort des Respekts für Ihre Mama, denn die war, wie wir gerade gehört haben, dann, als Sie fünf waren, alleine und hat dann als Putzfrau dafür gesorgt, daß Sie was Anständiges werden."

Es bedarf keiner tiefschürfenden psychologischen Analyse, um in dieser Aussage die gegenteilige Botschaft herauszulesen: Eine Putzfrau, die aus ihrem Sohn was Anständiges macht - diese Aussage zeugt nicht von Respekt, sondern stellt eine Beleidigung des Berufsstands der Putzfrauen im allgemeinen und der Familie Bakar im besonderen dar. Offenbar hat sich di Lorenzos Einstellung gegenüber dem Wrestling in den letzten 16 Jahren nicht gewandelt. Bereits 1991 beleidigte er in einer Talkshow den Gast René Lasartesse, der einer der bekanntesten europäischen Wrestler seiner Zeit war und heute als lebende Legende gilt. Damals wollte der Moderator von Lasartesse wissen, weil er ja "noch sehr helle" wirke - womit di Lorenzo unterstellt, daß er das Format zu solch einem Urteil besitzt -, ob er das Publikum kenne. Was dieser bestätigte. Daraufhin schloß der Moderator die Frage an:

"Wenn Sie das so sehen, die Leute, die sich da amüsieren über die blödsten Gags und da für jeden schreien, ist Ihnen da schon mal der Gedanke gekommen, daß die vielleicht schwachsinnig sein könnten?"

Lasartesse verstand zunächst nicht, bis seine Interviewerin Juliane Bartel, die eingeworfene Frage ihres Kollegen wiederholte. Der Wrestler blieb ruhig ob der üblen Diffamierung nicht nur seiner Person, der unterstellt wurde, vor vermeintlich schwachsinnigem Publikum zu ringen, sondern auch des gesamten Publikums und nicht zuletzt aller Schwachsinnigen, die hier als Vergleichsmaßstab zum einzigen Zweck der Abwertung bemüht wurden. Selbstverständlich verwarf Lasartesse die Frage und klärte di Lorenzo auf:

"Ich glaube, das sind ganz gesunde Leute, die brauchen nicht zum Psychiater. Die brauchen auch keine Nerventabletten zu nehmen. Sie können sich ausschreien, sie können ihre Aggressionen loslassen."

Im übrigen handelt es sich beim obigen Zitat mitnichten um eine Frage des Moderators, auch wenn sie so formuliert war, sondern um dessen Meinung. Das wurde im weiteren Verlauf der Sendung erkennbar. Nachdem kleine Filmausschnitte zum Wrestling gezeigt wurden, kommentierte di Lorenzo diese abfällig lachend aus dem Hintergrund mit den Worten: "Ich bleibe bei Schwachsinn."

Bis heute scheint er nicht begriffen zu haben, was René Lasartesse bereits vor 16 Jahren mit wenigen einfachen Worten zu erklären versucht hat: Das Ringen ist echt, aber es bekommt durch die Show eine Verpackung, ohne die kein Geschäft zu machen ist. Lasartesse wörtlich:

"Also, wir wollen, daß das Publikum kommt, und das Publikum kommt. Damit das Publikum kommt, müssen wir diese Ware einpacken. Schön, mit einem Silberpapier. Schleife dran."

Mit einer welterfahrenen Souveränität, wie sie aus einer jahrzehntelangen Ringpräsenz als meisterhafte Verkörperung jener Rolle erwuchs, die wüsteste Beschimpfungen des tobenden Publikums auf sich zieht und von sich abperlen läßt wie einen Sturzregen an der Ölhaut, ließ Lasartesse keine anderen Regungen als Ernst und Milde erkennen: Ernst im Bemühen, dem Laien seine Kunst mit so einfachen Worten zu erklären, daß selbst der Unverständigste begreifen müßte. Milde angesichts der sattsam bekannten Pseudofragen, vorgetäuschten Naivität und aggressiven Ignoranz einer gackernden Hühnerschar, der er gleichmütig eine Handvoll Futter hinstreut, auf das sie sich in heller Aufregung stürzt.

Was René Lasartesse damals gelassen konterte, mußte Murat Bosporus heute erneut aushebeln: Die ewig vorgehaltene Einfalt der immer gleichen Frage, noch dazu aus dem Munde desselben Moderators:

"Aber ich glaube, die meisten Leute, die das sehen, sagen sich, das ist doch alles Show. Ist es Show oder wirklich ein Kampf? (...) Wenn da Leute von den Seilen runterspringen, mit lautem Gebrüll, das sind Showelemente, oder ist das für Sie ein Wettkampf? Erklären Sie es uns, denn ich habe keinen Schimmer, deshalb freue ich mich auf das Gespräch."

Eigentlich sollten Medienleute am besten verstehen und zu würdigen wissen, welch hohe Anforderungen die Kunst stellt, das Publikum zu erreichen und gut zu unterhalten. Um so erstaunlicher mutet aus ihrem Munde die Vorwurfslage an, es handle sich um eine Mogelpackung, wenn die Ringkämpfer einander nicht auf der Stelle totschlagen. Zeigen sich hier etwa die geradezu klassischen Symptome der Berufskrankheit eines Journalisten, nichts als blanken Zynismus aufzubringen und das Gegenüber ausschließlich als Objekt zu begreifen, das es um jeden Preis vorzuführen gilt?

Vergebens die Liebesmüh des Wrestlers mit Herz und Seele, dem daran gelegen ist, Beruf und Neigung Außenstehenden verständlich zu machen. Er ist hier unter die Räuber gefallen, hat man ihn doch keineswegs eingeladen, um sich gesprächsweise auf seine Welt einzulassen und mit Respekt und Interesse Einblick in sein Metier zu nehmen. Gleichsam als Hofnarr und Kuriosum soll er vor dem Thron journalistischen Hochmuts posieren, der aus dem Hinterhalt seine Giftpfeile abfeuert und sich überlegen dünkt, wenn er sich Aufklärung und Argumenten verschließt und borniert seine vorgefaßte Gehässigkeit durchträgt.

Die Dummen sind immer die andern, lautet das berufsständische Motto eines Gewerbes, über dessen Horizont es zu gehen scheint, daß diese Grundüberzeugung geradezu der Inbegriff beschränkter Kapazitäten ist. Im kindischen Eifer, den Gast aufs Glatteis zu führen, zum Gespött zu machen und als dumpfen Tölpel zu verhöhnen, entgeht dem Moderator voll und ganz, daß er längst Gift und Galle spuckend in der ersten Reihe am Ring sitzt und sich der hoffentlich sozialhygienischen Funktion unterzieht, Häme und Unverstand kübelweise und ungestraft ausgießen zu dürfen. Während sich aber der Durchschnittsfan bei dieser Veranstaltung nach Herzenslust ausgetobt hat und uneingeschränkt auf seine Kosten gekommen ist, erkennt der Moderator verbiestert die Enge und blinde Wut seiner Perspektive selbst dann nicht, wenn ihn der Wrestler schon fünfmal im Gespräch geschultert hat.

16. August 2007