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INTERVIEW/002: Karina Böckmann, IPS Deutschland, über internationale Berichterstattung (SB)


Interview mit Karina Böckmann, IPS Deutschland, in Stelle-Wittenwurth am 28. August 2011


Seit 1964 gibt Inter Press Service (IPS) den Ländern des Südens eine Stimme im internationalen Nachrichtengeschäft. Sie ist vielleicht nicht so laut zu vernehmen wie die der großen kommerziellen Agenturen, aber umso unverzichtbarer für die rationale Beurteilung globaler Entwicklungen. So wartet der auf gemeinnütziger Basis operierende Dienst mit Nachrichten aus Weltregionen auf, die im Strom spektakulärer Berichterstattung eher untergehen, und lenkt den Blick des interessierten Publikums mit Hintergrundberichten über vernachlässigte bis ignorierte Konfliktfelder der internationalen Politik auf Ereignisse und Probleme von eventuell zukunftsweisender Bedeutung. Im Interview mit dem Schattenblick spricht die leitende Redakteurin der deutschen Dependance von IPS, Karina Böckmann, über das Tätigkeitsspektrum der Agentur, über die mediale Repräsentanz internationaler Politik und über die Perspektiven von IPS Deutschland [1] unter den Bedingungen des ökonomisch hart umkämpften Medienmarkts.


Schattenblick: Frau Böckmann, wie lange sind Sie schon bei IPS Deutschland tätig?

Karina Böckmann: Seit 1985. Ich bin sozusagen die Dienstälteste und sogar noch länger bei IPS Deutschland als unser Geschäftsführer.

SB: Warum haben Sie sich ausgerechnet für IPS interessiert?

KB: An IPS bin ich eher zufällig geraten - als Urlaubsvertretung. Dann wuchs das Interesse an der ganzen Palette der Themen und der Philosophie der Agentur. Das war alles Neuland für mich. Als ebenso ansprechend empfand ich die Internationalität, ich habe auch Sprachen studiert. Da gab es chilenische Kollegen und niederländische Journalisten, die im damaligen Deutschland-Büro in Bonn eine Zeitlang den niederländischen Dienst produzierten. Damals war die Technik noch anders, unsere Anlagen waren riesig, wir haben noch mit Lochstreifen gearbeitet.

SB: Können Sie etwas zur Geschichte von IPS, dem internationalen Hintergrund sowie über die journalistischen Grundsätze, nach denen die Agentur arbeitet, sagen?

KB: Gründer der internationalen Agentur war der italo-argentinische Journalist Robert Savio, der in den 1960er Jahren zusammen mit südamerikanischen und europäischen Kollegen Berichte aus und über Südamerika nach Europa brachte. Vordergründiges Ziel war es, Informationen über die damaligen südamerikanischen Diktaturen nach Europa zu schleusen, einen Süd-Nord- und später auch einen Süd-Süd-Informationsfluss in Gang zu bringen. Das war die Grundidee. Dann wurde die Berichterstattung auf Afrika, Asien und Nahost ausgeweitet. Daraus hat sich ein internationales Netzwerk entwickelt.

Wir können sagen, daß wir die erste internationale Agentur waren, die sich wirklich um Entwicklungsländer gekümmert und die Sichtweise der Länder des Südens authentisch wiedergegeben hat. Es ist heute noch so, daß zwei Drittel der IPS-Korrespondenten aus den Ländern selbst stammen. Wenn man über die Belange des Südens berichten möchte, was ja unser Ziel war, dann sollten Journalisten, die die Lage, Nöte und Interessen der Länder am besten kennen, auch für die Berichte zuständig sein. Es gab zunächst den spanischen Dienst, der dann um einen englischen Dienst erweitert wurde. Das sind unsere beiden Hauptdienste. Mit den Jahren ist man dazu übergegangen, auch lokale und regionale Dienste aufzubauen.

Die Expansion der Agentur in den 70er und 80er Jahren machte eine Dezentralisierung erforderlich, die zur Einrichtung von Regionalbüros führte. Im Zentrum der IPS-Berichterstattung standen damals die 'neuen' Akteure, die anderswo nicht zu Wort kamen: Bevölkerungsgruppen wie Frauen, Kinder, Minderheiten und Themen wie Entwicklung, Menschenrechte, Soziales. Wir informieren umfangreich über Ureinwohner und Minderheiten, über Menschenrechte, Umwelt und Entwicklung sowie die Nord-Süd- und Süd-Süd-Zusammenarbeit. Natürlich ist auch die Nahostpolitik ein sehr großer Schwerpunkt unserer Arbeit. Uns ging es darum, möglichst viele Stimmen aus der Zivilgesellschaft zu Wort kommen zu lassen. Deswegen hat sich IPS immer als Stimme des Südens für den Süden verstanden. Dazu möchte ich noch anmerken, daß die Entwicklungsländer IPS mit offenen Armen aufgenommen haben. Es gibt in Südamerika kein Medium, das IPS nicht kennt. Ebenso sind wir in Afrika und Asien und vielen europäischen Ländern bekannt, in Deutschland weniger. Auch den Vereinten Nationen sind wir ein Begriff.

SB: Bei der Verleihung eines IPS-Preises 1996 an den damaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen, Boutros Boutros-Ghali, beklagte dieser das Paradoxon, daß das Wissen der Bürger über wichtige internationale Angelegenheiten ausgerechnet in Zeiten der Globalisierung immer weiter abnimmt. Obwohl seine Organisation ihren Sitz in der Welt-Medienhauptstadt habe, müßte sie täglich darum kämpfen, daß ihre Informationen nicht nur gehört, sondern auch fair und korrekt weitergegeben werden. Wie hat sich die allgemeine Wahrnehmung internationaler Politik und dabei insbesondere der Zivilgesellschaft in den Ländern des Südens Ihrer Ansicht nach seitdem entwickelt?

KB: Ich würde immer noch sagen, daß die Berichterstattung über UN-Themen in Deutschland, aber auch in ganz Europa, relativ schwach ausgeprägt ist. Wir sind da eine Ausnahme. Denn wir leisten uns einen Korrespondenten, der nichts anderes macht, als über die Vereinten Nationen zu schreiben. Dafür, daß Deutschland einen festen Platz im UN-Sicherheitsrat anstrebt, fällt die Berichterstattung über die UN ansonsten ziemlich dürftig aus. Ich denke, daß sich die Politik sehr wohl für Berichte aus und über die UN interessieren würde.

IPS Deutschland beliefert auch deutsche Abgeordnete, und wir erhalten immer wieder Anfragen zu politischen Entwicklungen. Aber zu den Printmedien oder Massenmedien durchzudringen, ist immer noch sehr schwer. Wir haben damals schon von den Flaschenhälsen gesprochen, durch die man nicht durchkommt. Natürlich verlassen sich die Medien auf ihre Auslandskorrespondenten. Aber so viele gab es damals und gibt es erst recht heute nicht, um den Süden angemessen darzustellen. Dennoch ist es schwer für uns, mit unseren Berichten und Themen durchzukommen.

Die UN-Berichterstattung beschränkt sich in der Regel auf die Kritik, daß das System nicht gut genug funktioniert usw. Auf der anderen Seite darf man nicht vergessen, daß die UN immer nur so gut sein kann wie ihre Mitgliedsländer selbst. Sie ist schließlich ein großer Staatenbund von 193 Ländern, und da ist es nicht einfach, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Ich würde sagen, die Kritik von Boutros-Ghali war damals und wäre auch heute berechtigt.

Was die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen angeht, hat sich dagegen sehr viel getan - sowohl in den Entwicklungsländern als auch in den Industriestaaten inklusive Deutschland. Wie man die Themen in die Medien kriegt, ist natürlich eine ganz andere Frage.

SB: Die NGOs haben sich in den letzten Jahrzehnten sehr stark ausgeweitet und verfügen über einen großen Handlungsbereich. Sie verfügen über eigene Nachrichtennetzwerke und sind PR-technisch sehr versiert. Besteht da ein gewisses Konkurrenzverhältnis oder wird IPS durch diese Entwicklung gar an den Rand gedrängt?

KB: Ja, das würde ich so sagen. Die Welt ist ein großer Bauchladen geworden. Die NGOs berichten ja nicht nur über ihre eigene Arbeit, sondern geben auch Informationsdienste heraus. Darin sehe ich durchaus ein Problem, weil sie nicht mehr über uns als Nachrichtenvermittler, sondern direkt mit ihren durchaus professionell gemachten Pressemitteilungen an die Medien gehen. Wir haben schon das Gefühl, daß sie uns im Internet-Zeitalter nicht mehr brauchen.

Die IPS-Berichterstattung funktioniert noch ein bißchen anders. Die Kollegen in den Entwicklungsländern verarbeiten zwar Pressemitteilungen der Zivilgesellschaft, aber reichern sie noch mit Hintergrundinformationen an. Ich persönlich bin auf die deutschen NGOs mit einigen Ausnahmen nicht wirklich gut zu sprechen, weil sie meist nur ihr eigenes Süppchen kochen und ihre eigenen Interessen verfolgen.

SB: Es gibt eine Konkurrenz um die knappe Ressource Aufmerksamkeit, so daß sich die Frage stellt, wie man seine Nachrichten platziert. Haben sich bei IPS besondere Strategien im Rahmen dieser Situation herausgebildet?

KB: Ja, wir führen in regelmäßigen Abständen PR-Kampagnen durch, aber wir können uns nicht mit Organisationen vergleichen, die eine eigene PR-Abteilung haben. Wir sind viel zu klein und kämpfen auch um unsere Mittel. Was uns auszeichnet, ist das persönliche Engagement und der Idealismus der Kollegen, die für uns arbeiten. Es ist sehr schwierig, an die Printmedien heranzukommen. Um einen Beitrag loszuwerden, bedarf es manchmal Monate des Werbens. Das ist ziemlich anstrengend und nicht bestandsichernd.

Wir haben in den letzten Jahren leider etliche Kunden verloren. Als Begründung hieß es, daß der deutsche Markt mit seinen vielen Presseagenturen wie epd, dapd, ap und Reuters, die ihren eigenen deutschen Dienst herausgeben, derart überlaufen ist, daß man nicht bereit sei, in Nischenprodukte zu investieren. Uns wird auch vorgeworfen, daß es unseren Beiträgen an deutschen oder europäischen Bezügen mangelt. Das stimmt und hat damit zu tun, daß IPS-Korrespondenten aus dem Süden Nachrichten aufbereiten, die den Süden interessieren.

SB: Im Bereich der Politikberatung und Think Tanks werden ebenfalls Nachrichten und Informationen als Ressource für Politik oder Wirtschaft bereitgestellt. Dort verfügt man natürlich über eigene Quellen, aber gibt es dennoch eine Zusammenarbeit zwischen ihrer Agentur und diesem Komplex?

KB: Ja, unsere Korrespondenten nutzen die Informationen der Think Tanks.

SB: Die Korrespondentennetze der großen Zeitungen und Nachrichtenagenturen werden sukzessive ausgedünnt und zunehmend auf Journalisten beschränkt, die häufig aus den Hauptstädten der jeweiligen Länder berichten und ihrerseits vor allem die nationale Presse studieren. Welche Strategie verfolgt IPS in der Recherche vor Ort? Wird da direkt auf die Leute zugegangen oder bedient man sich eher der Sekundärquellen?

KB: Bei der brasilianischen Berichterstattung zum Beispiel ist der zuständige Korrespondent permanent auf Achse. Er geht zu den Leuten hin, schaut sich beispielsweise die Soja-Plantagen an und studiert Infrastrukturprojekte vor Ort. Er ist wirklich ein Reisender, der nach guter alter IPS-Manier die Menschen zu Wort kommen lässt, die von Projekten betroffen sind.

SB: Inzwischen gibt es einen starken Trend zur Rationalisierung. Zeitungen bestellen große Nachrichtenagenturen ab, weil das Mediengeschäft immer mehr auf Rendite getrimmt wird.

KB: Ich war im letzten Jahr beim World Editors Forum in Hamburg. Da gab es auch eine Messe, auf der die Maschinen für den Nachrichtensektor vorgestellt wurden. Ein unglaubliches Angebot, wenn man bedenkt, daß niemand mehr für journalistische Beiträge viel zahlen möchte. In der Hierarchie der Medienunternehmen sitzen die Großverdiener oben, die schrumpfende Zunft der Beitragslieferanten - inzwischen vermehrt freie Journalisten - steht ganz unten. Die Personen, die die Beiträge liefern und dafür vernünftig bezahlt werden sollten, kommen immer schlechter weg. Das ist ein großes Problem. Die Messe kam mir vor wie ein großer Bluff: teure Maschinen zur Produktion von Medienoutlets, für deren Inhalte möglichst wenig Mittel bereit gestellt werden sollen.

Wir hatten gehofft, daß die großen Medienunternehmen, wenn sie ihre Redaktionen ausdünnen, endlich verstärkt auf unser Material zurückgreifen werden, aber das ist nicht der Fall. Statt dessen wird argumentiert, daß man keinen Platz für noch mehr Auslandsberichterstattung habe. Die beschränkt sich ohnehin nur noch auf vielleicht zwei bis drei Seiten. Selbst Blätter, von denen man annehmen sollte, daß sie eigentlich einen sehr starken Bezug zur internationalen Politik haben, sagen ganz offen: "Das ist nicht das, was die Leute wollen, dafür interessieren sie sich nicht." Es tue ihnen leid, aber sie müßten eben zusehen, den Boulevard-Bedarf ihrer Leser zu bedienen. Das ist natürlich ein großes Problem für uns.

Man kann nicht sagen, daß uns die jüngsten Entwicklungen neue Chancen erschlossen haben. Wir hoffen aber immer noch, daß die Medien auf uns zukommen, allein schon um sich die mühsamen Online-Recherchen zu sparen, die sie machen müssen, um Beiträge zu internationalen Themen von Deutschland aus zu schreiben. Mein Eindruck ist, daß in Zeiten mit geringen Budgets unerfahrene Journalisten engagiert werden. Die läßt man dann vor sich hinwursteln. Darunter leidet natürlich die Qualität der journalistischen Beiträge.

Wenn man politischen Entwicklungen gerecht werden will, braucht man möglichst umfassende und vielfältige Informationen. Und dann müssen diese Informationen auch noch richtig eingeordnet werden. Mit dieser Problematik müssen sich die Medien in nächster Zukunft richtiggehend befassen, auch in Hinblick auf ihr Profil. Eigentlich wäre jetzt die Zeit gekommen, sich auf alternative Strategien zu verlegen. Es macht doch keinen Sinn, als Printmedium einer Berichterstattung hinterherzuhinken, die schon am Vorabend im Fernsehen verbreitet wurde.

SB: Wie bewerten Sie es politisch, daß die Menschen so wenig Interesse daran haben, was in anderen Teilen der Welt vor sich geht, wenn es nicht gerade Celebrity- und Boulevard-Themen sind?

KB: Das ist eine Frage, mit der wir uns schon oft auseinandergesetzt haben. Das ist sehr schwer zu beantworten. Ich befürchte, daß die Bevölkerungsmehrheit tatsächlich ein relativ geringes Interesse an anspruchsvollen und komplexen ausländischen Themen hat. Das kann verschiedene Gründe haben. Ein Grund ist sicherlich, daß auch in den westlichen Ländern ein starker Kampf ums Überleben stattfindet. Wenn in einer Durchschnittsfamilie nicht zwei Personen das Geld ranschaffen, dann wird es eng. Die Neigung ist dann eher, sich berieseln zu lassen und sich nicht noch Probleme anderer Leute heranzuholen.

Es gibt gleichzeitig auch eine Menge interessierter Leute. Wenn man mit denen ins Gespräch kommt und über alternative Inhalte diskutiert, dann sagen sie häufig: "Warum wissen wir das nicht, warum erfahren wir nichts darüber?" Ich glaube, gerade den Printmedien fehlt es an Experimentierfreudigkeit. Sie könnten alternative Beiträge ins Netz stellen und das Interesse an solchen Beiträgen anhand der Klicks verifizieren.

SB: Können Sie aus dem Status der Gemeinnützigkeit und der Anerkennung als Nichtregierungsorganisation Vorteile für die Bestandssicherung von IPS Deutschland ziehen?

KB: Ja und Nein. Es ist natürlich leichter, als gemeinnützige Organisation Projekte an Land zu ziehen. In aller Regel jedoch profitieren wir von den Projekten der internationalen Agentur, die bei den Vereinten Nationen als internationale NGO anerkannt ist. Der Status von IPS Deutschland spiegelt im Grunde den Status der internationalen Agentur und die Sichtweise, daß Informationen eine Global Public Domain sind.

SB: Gibt es eine Stiftung bzw. karitative oder sonstwie geartete gemeinnützige Organisation in Deutschland, die ihre Agentur von sich aus direkt fördern würde, um eine gute Arbeit zu unterstützen?

KB: Wir waren eine lange Zeit ein Projekt der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Förderung wurde nach langen Jahren einer fruchtbaren Zusammenarbeit eingestellt. Seitdem haben wir keinen vergleichbaren Partner gefunden. Hin und wieder sind wir jedoch an interessanten Projekten beteiligt, zuletzt an 'visionews', einer Webseite mit Hintergrundberichten und Features über die Bedeutung, die Frauen als Unterhändlerinnen in Konflikten und Friedensverhandlungen für ihre Gesellschaften spielen können. Im Rahmen dieses von der Frauenaktivistin und TAZ-Mitbegründerin Ute Scheub iniziierte Projekt konnten wir schöne und wirklich hintergründige und positive Beiträge ('good practices') von KorrespondentInnen aus dem Süden anbieten.

SB: Ihre Agentur bietet auch Ausbildungsveranstaltungen und Beratungstätigkeiten an. Können Sie dafür Beispiele nennen und erklären, in welchem Zusammenhang das zu der Arbeit einer Nachrichtenagentur steht?

KB: Als wir noch in Bonn saßen, veranstalteten wir einige Jahre lang Journalistenseminare mit dem Ziel, junge Menschen an internationale Themen heranzuführen. Damals wurde Bonn Sitz mehrerer UN-Organisationen. Da Bonn als UN-Stadt hervorgehoben werden sollte, erhielten wir Mittel des Bundes, des Landes Nordrhein-Westfalen und auch der Stadt Bonn. Mit diesen Mitteln haben wir Journalisten-Seminare für Zeitungs- und Rundfunkvolontäre durchgeführt. Die Seminare konnten wir kontinuierlich perfektionieren. Irgendwann kamen wir zu dem Schluss, daß es sinnvoll wäre, daß die Volontäre im Rahmen der Seminare Eigenberichte über die Inhalte, Inputs von Dozenten oder internationalen Konferenzen verfassten, die dann zum Teil auch von ihren Medien übernommen wurden. Wir werden uns um Fördergelder für eine Fortsetzung der Projekte bemühen. Es war erfreulich zu sehen, wie sehr sich junge Leute für internationale Fragen interessieren lassen.

SB: Die Hinwendung zu Themen, die nicht immer im tagesaktuellen Brennpunkt öffentlichen Interesses stehen, kann dem Nutzer ein umfassenderes Verständnis globaler Entwicklung bis hin zu größerer Treffsicherheit prognostischer Art verschaffen. Gibt es Beispiele für exklusiv von IPS verbreitete Nachrichten, die einen solchen Informationsvorteil dokumentieren könnten?

KB: Ja. Mein Lieblingsbeispiel dafür ist die Berichterstattung von IPS über die Ogoni im Nigerdelta. Wir waren die erste Agentur, die wirklich ausführlich über die Umwelt- und vor allem die verheerende Lebenssituation der Menschen, die praktisch in diesen Öllachen leben müssen, berichtet hat. Wir haben relativ schnell eine breite Berichterstattung organisiert und diese natürlich an unsere Kunden weitergegeben. Als dann Ken Saro-Wiwa ermordet wurde, konnten verschiedene Rundfunkanstalten rasch mit umfangreichen Hindergründen aufwarten, mit denen wir sie beliefert hatten.

Noch ein Beispiel: ein Bericht von unserem UN-Korrespondenten in New York über die Beitragszahlungen der internationalen Organisationen. Der Kollege hatte einen kritischen Bericht über die schlechte Zahlungsmoral der Industriestaaten bei der Überweisung ihrer UN-Beiträge geschrieben. Die Story hat viel Staub aufgewirbelt und schaffte es auf die Titelseite einer überregionalen deutschen Zeitung.

SB: Die Berichterstattung über den Nahostkonflikt ist sehr polarisiert. Da gibt es durchaus auch Bereiche, die aus politischen Gründen fast gar nicht behandelt werden. Wie hält es ihre Agentur mit Informationen zu diesem Thema?

KB: Wir haben fünf bis sechs KorrespondentInnen, die speziell über die Region Nahost berichten. Es ist allerdings so, daß wir als Stimme der Benachteiligten vor allen Dingen die Sichtweise der Palästinenser berücksichtigen. Das hat uns natürlich auch Kritik eingebracht. Wir berichten über Projekte der Völkerverständigung, in denen junge Palästinenser mit jungen Israelis zusammenarbeiten, über die Arbeit israelischer Menschenrechtsorganisationen und Friedensaktivisten. Zuletzt hatten wir einen sehr schönen Bericht über einen Rabbi, der in Israel Palästinenser unterstützt. Er wird dafür von seinen eigenen Leuten angefeindet. Wenn er mit dichtem Bart und Locken auftritt, sind die Palästinenser zunächst sehr skeptisch. Doch um seine Worte aufzugreifen: "Nichts ist so verbindend, wie die Erfahrung, sich gemeinsam von israelischen Sicherheitskräften verprügeln zu lassen".

SB: Wie gestaltet sich die Berichterstattung über Schwellenländer bei IPS und wie spiegelt sich die Veränderung in den globalen Kräfteverhältnissen durch die sogenannten BRIC-Staaten und andere Akteure, die wirtschaftlich stärker auftreten im Verhältnis zu den Ländern der EU und Nordamerikas?

KB: Wir haben von Anfang an ausführlich über die sogenannten Schwellenländer berichtet und tun das auch weiterhin. Auch über die vielen erfolgreichen Projekte, die sie im Kampf gegen die Armut gestartet haben. Es ist ja unser Anliegen, aufzuzeigen, was diese Länder aus eigener Kraft erreicht haben und erreichen.

SB: Gehört auch Kritik an der Entwicklungspolitik zum Beispiel Deutschlands und anderer EU-Staaten zu den Themen, über die IPS berichtet?

KB: Ja, was die Folgen der Entwicklungspolitik für die Länder des Südens betrifft oder die Stagnation, international vereinbarte Entwicklungsziele zu erreichen. Im internationalen Dienst ist kürzlich ein Bericht erschienen, in dem ein indonesischer Vertreter der Zivilgesellschaft Kritik an der gebundenen Entwicklungshilfe äußert und meint, es sei allmählich an der Zeit damit aufzuhören, die Entwicklungspolitik im Norden am Leben zu erhalten. Eigentlich sollte Entwicklungspolitik überflüssig sein. Wenn man sich allerdings unsere NGO-Landschaft anschaut, dann fällt auf, daß sie mittlerweile zu einer Industrie in den westlichen Staaten und auch in Deutschland geworden ist. Möglicherweise ist das auch ein Grund, warum sich unsere NGOs oftmals damit schwer tun, kritisch über die Länder zu berichten, in denen sie gerade aktiv sind. Das müsste das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eigentlich ermuntern, uns zu abonnieren.

SB: Veröffentlicht IPS Deutschland auch Kommentare zum Weltgeschehen, in denen explizite Meinungen artikuliert werden?

KB: Kommentare sind im deutschen Dienst mit seinen fünf Beiträgen am Tag nicht anzutreffen, im internationalen Dienst sehr wohl. Auch InDepthNews, ein Online-Dienst des Global Corporation Council, dem Träger von IPS Deutschland, bringt Kommentare, allerdings in englischer Sprache.

SB: Es gibt unter den IPS-Autoren durchaus bekannte Leute wie Jim Lobe.

KB: Die Korrespondentenbeiträge von Jim Lobe werden fast alle von uns ins Deutsche übernommen.

SB: Gab es Fälle, in denen man innerhalb von IPS, etwa zwischen IPS Deutschland und der internationalen Organisation, gegenteiliger Ansicht über die Veröffentlichung bestimmter Beiträge war?

KB: Als unser früherer Generaldirektor Roberto Savio IPS einmal als "very strange animal" bezeichnete, deutete er damit an, daß sich für die Agentur vor allem Individualisten engagieren. Das merkt man der Berichterstattung an. Es ist keine Übertreibung zu sagen, daß die Leute, die versucht haben, IPS eine klare Struktur vorzugeben, eigentlich immer gescheitert sind. Die Qualität der Berichterstattung hat daran keinen Schaden genommen - ganz im Gegenteil. Unsere Korrespondenten im Süden, die zum Teil seit den Anfängen dabei sind, wissen ganz genau, was sie tun. Man darf auch nicht vergessen, daß etliche IPS-Journalisten selbst Schicksalsschläge erlitten haben, die sie beruflich motivieren und antreiben. Kintto Lucas aus Ecuador zum Beispiel, dessen Bruder ermordet wurde. Solche Menschen sind natürlich aus großem Eigeninteresse und Eigenengagement für IPS tätig.

SB: Glauben Sie, daß der Beruf des Nachrichtenredakteurs unter den Bedingungen des großen Aktualitätsdrucks und verdichteten Zeittakts im Nachrichtengeschäft für junge Menschen noch attraktiv ist?

KB: Leider können wir jungen Leuten nur selten Praktika anbieten. Ich würde ihnen aber auf jeden Fall ganz genau die Nachteile vor Augen führen, die inzwischen mit dem Beruf des Journalisten verbunden sind. Ich würde allerdings nicht so weit gehen, ihnen abzuraten. Sicher läßt sich mit den neuen Medien Geld verdienen. Die Möglichkeiten kann ich nicht abschätzen. Ich würde aber auf jeden Fall die Idealisten erden, aber ich würde ihnen nicht abraten.



Fußnote:

[1] http://www.ipsnews.de/


5. September 2011