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REZENSION/005: Sung-Hyung Cho, "Full Metal Village" (SB)


Sung-Hyung Cho




Full Metal Village

So macht Landwirtschaft Spaß

Dokumentarfilm
(Kinostart: 19. April 2007)

Je deprimierender das Leben in unwirtlichen Metropolen, desto mehr erfreut der Blick in die von sozialen und gesellschaftlichen Umwälzungen relativ unbeschadet gebliebene Provinz. "Ein Heimatfilm" hat die Regisseurin Sung-Hyung Cho ihren nun in die Kinos kommenden Dokumentarfilm "Full Metal Village" überschrieben, und diese Kategorie trifft nicht nur in dem leicht ironischen Sinne zu, der schon in dem an Stanley Kubricks Vietnamkriegsdrama "Full Metal Jacket" angelehnten Filmtitel anklingt. Wie ein roter Faden zieht sich der Kontrast zwischen ländlicher Idylle und urbaner Modernität durch das Porträt der schleswig-holsteinischen Gemeinde Wacken, die als Austragungsort eines alljährlich stattfindenden Heavy Metal Festivals sogar in der Heimat der gebürtigen Koreanerin Cho einen legendären Ruf genießt.

Wacken Open Air, so der Markenname dieses zentralen Events der globalen Metal-Szene, bleibt in der ersten Stunde des 90minütigen Films eine bloße Randerscheinung, ein im Jahresverlauf durchaus zentraler, aber im alltäglichen Leben der Dorfbewohner eher entlegener Programmpunkt. Der gemächlichen Abfolge der Ereignisse, die wie alle sich stetig wiederholenden Arbeitspflichten, tief eingeschliffenen Lebensgewohnheiten und kleinen Freuden unspektakulärer nicht sein könnte, wird durch eine filmische Erzählweise Rechnung getragen, die mit langen Einstellungen, kaum bewegter Kamera und der ruhig-atmosphärischen Musik des Komponisten Peyman Yazsanian das Bild einer ländlichen Idylle zaubert, das an die "Heimat"-Trilogie von Edgar Reitz oder cineastische Szenerien, die die Rückeroberung der postindustriellen Landschaften Mittelosteuropas durch die Natur zelebrieren, gemahnt.

Zwar weisen die Dorfbewohner allesamt Wunden und Narben in ihrer Biografie auf, doch werden die Enttäuschungen verlorener Lebenshoffnungen, die Beschwernisse des Alters und die unerfüllten Träume der Jugend in das milde Licht einer sommerlichen Idylle getaucht, die den Begriff der Heimat selbst aus dem Weitwinkel der Exotenperspektive einer Regisseurin, die zwar seit 1990 in Deutschland lebt, aber in einem gänzlich anderen Kulturkreis aufgewachsen ist, bedeutsam und authentisch erscheinen läßt. Nachdem der Zuschauer eine kleine Ewigkeit lang das dörfliche Leben zwischen Wiesen, Weiden und Gärten, mit bedächtigen Bauern, lebensfrohen Landfrauen und muhenden Kühen genossen hat, erlebt er nunmehr aus dem Blickwinkel der Dorfbevölkerung, wie sich dieser breite und träge Fluß, der anscheinend durch nichts auf der Welt aus der Ruhe gebracht werden kann, durch den Auftritt schwarzgewandeter, langhaariger und düster geschminkter Horden jäh in ein wildes Wasser verwandelt.

Dieser Einbruch einer durch und durch urbanen Kultur, schroff markiert durch treibende Gitarrenriffs, die Dynamik der nach Wacken eilenden Autos und Züge sowie kurze Blicke auf johlende und exhibitionistische Rockfans, bildet einen scharfen Kontrast zur bislang unberührten Verträumtheit dörflicher Abgeschiedenheit. Ganz anders, als man vielleicht zu einer Zeit, da der Gegensatz zwischen jugendlicher Rebellion und bürgerlichem Establishment noch virulent war, hätte erwarten können, erweist sich das aus aller Welt herangereiste Rockpublikum in seinem Interesse an Konsum und Unterhaltung als nicht weniger bieder als die ortsansässige Bevölkerung.

Mit dem Versuch, einen denkbar weit gespannten kulturellen Antagonismus in Szene zu setzen, hat die Regisseurin ungewollt daran erinnert, daß Popkultur und Rockmusik integraler Bestandteil des globalen Verwertungssystems und daher bar jeder widerständigen Qualität sind. Welch rebellischer Geist auch immer die treibenden Rhythmen, gellenden Solostimmen und wilden Bewegungen dieser Musik einmal inspiriert haben mag, er ist zur bloßen Attitüde und mechanisch wiederholten Phrase erstarrt. Der Einfall schick zurechtgemachter, in den modischen Attributen ihrer popkulturellen Nischenzugehörigkeit durchaus uniformer Horden meist männlicher Metal-Fans erweist sich als Aufmarsch einer Feierabend- und Wochenendkultur, deren Leistungsvermögen sich an der Zahl der geleerten Bierdosen und der Rauhheit heiser geschrieener Stimmbänder mißt.

Wenn der kurze Blick, den der Film auf das eigentliche Geschehen auf der Festivalbühne gewährt, den Auftritt einer Gruppe ins Visier nimmt, dessen Sänger das Publikum auffordert, den jeweils nächsten Nachbarn zu töten, woraufhin die Gitarren zu wildem Headbanging in dissonantes Geschrammel verfallen, gerät die mit Lightshowkaskaden aufgemotzte Pose vollends zur Karikatur des Schrebergartenrockers. So grell und schockierend der Auftritt auch sein mag, als Konsumgut unterscheidet sich das wüste Gehabe in nichts von den Inszenierungen einer Unterhaltungskultur, die in den Labors der digitalen Film- und Spieleschmieden bizarre Erlebniswelten zum schnellen Verzehr am Band produziert. Erfolgreich verbraucht wird all das, was Menschen zum Anlaß nehmen könnten, tatsächlich gegen widrige und bedrängende Verhältnisse aufzustehen.

Die Dorfbewohner haben also keinen Grund, den im Umfeld der Metal-Szene immer wieder anklingenden Gerüchten über archaische Wildheit und gottlose Rituale irgendwelchen Glauben zu schenken. Alles läuft so zivilisiert ab, wie man es von einem gut zahlenden Publikum, das einen wohl nicht geringen Beitrag zur Ökonomie Wackens leistet, zu erwarten hat. Nachdem das Spektakel vorbei ist, geht die Dorfbevölkerung gemeinsam ans große Aufräumen. Die erste Szene des Films, die die von den Festivalbesuchern hinterlassenen Müllberge auf grüner Weide zeigt, beschließt denn auch den Handlungsbogen eines Ereignisses in der deutschen Provinz, bei dem globale Unterhaltungskultur und lokale Reproduktion eine für das postmoderne Zeitalter durchaus nicht untypische Symbiose eingehen.

Auch wenn die ländliche Szenerie verklärt wirkt - weiß man doch um die Fehden und Zerwürfnisse, die in dörflichen Gemeinschaften mitunter noch besser florieren als in den atomisierten Verhältnissen urbaner Individuation -, und die pittoreske Darstellung bäuerlicher Existenz nichts davon ahnen läßt, welche Probleme das moderne Agrobusiness dem klassischen Familienbetrieb auflastet, lohnt der mehrfach preisgekrönte Film den Besuch des Kinos. Was für Landbewohner wie ein Blick aus dem Fenster wirken mag, vermittelt dem urbanen Publikum einen Eindruck davon, daß es außerhalb der Stadtmaschinen eine Welt gibt, in der zu leben ungeahnte Möglichkeiten eröffnet.

14. April 2007


Full Metal Village
Dokumentarfilm
Deutschland 2006
Länge 90 Min.
Regie: Sung-Hyung Cho