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REZENSION/036: "Personaleingang" - Dokumentarfilm über die Arbeit in der Fleischindustrie (SB)


Schlachtballett - Leib gegen Leib, Körper gegen Körper




Einer nach dem andern treten sieben Männer auf einem Platz an einer vielbefahrenen Straße, im Hintergrund Betriebsgebäude, vor die Kamera. Einer nach dem anderen beginnt damit, mit Armen und Beinen wie dem als Schwungmasse eingesetzten Leib Bewegungen auszuführen, die sich auf stereotype Weise wiederholen. Schließlich ist das ganze Ensemble mit grotesken - den körperlichen Verhältnissen auf geometrisch verwinkelte Weise zuwiderlaufenden - Bewegungen befaßt. Es handelt sich um die Arbeiter eines Schlachthofes, die die ihnen täglich acht Stunden lang abverlangten Arbeitsroutinen in einer Art Schlachtballett vorführen. Selbst draußen vor der Fabrik, aus den apparativen Zurichtungen der Fließbänder und Laufschienen entlassen, kündet ihr bizarres Tun vom Zwangsverhältnis ihrer Arbeitswelt.

Immer wieder läßt sich die Regisseurin Manuela Frésil die Bewegungen vorführen, die den von ihr befragten Arbeiterinnen und Arbeitern einer Schlachtfabrik in der Normandie so in Fleisch und Blut übergegangen sind, daß sie währenddessen von den Belastungen und Schmerzen berichten können, die die industrielle Tierverarbeitung ihnen aufbürdet. Man müßte unsere Gelenke anpassen an die Anforderungen der Maschinen, meint eine Arbeiterin, während sie die Monotonie ihrer Tätigkeit darstellt. Fleisch und Blut sind für die Metzger keine Metaphern, sondern Produktionsmittel wie ihre Körper selbst, wenn sie im Akkordtempo gegen schwere Rinder- und Schweinehälften geworfen werden, um Haut, Sehnen, Knochen und Fleisch mit dem Messer voneinander zu trennen und die an Haken herabbaumelnden Tierteile auf den Laufschienen weiterzuschieben.

Der preisgekrönte, am 25. April auf dem Fernsehkanal Arte ausgestrahlte Dokumentarfilm "Personaleingang" [1] zeigt auf so nüchterne wie bedrückende Weise die Lebenswelt von Menschen, die Lohnarbeit in der fleischverarbeitenden Industrie verrichten. Nicht alle von ihnen tun dies gezwungenermaßen, weil es in der Region keine andere Möglichkeit zum Geldverdienen gibt. Ein Mann bekennt sich dazu, die Arbeit in der Fabrik stets geliebt zu haben und stolz auf seinen Beruf als Schlachter zu sein. Doch er scheiterte mit seiner positiven Einstellung schließlich an der Mechanisierung der Fabrik und den damit gewachsenen Leistungsanforderungen. Wie ein zweiter Vorarbeiter, der ebenfalls berichtet, voller Elan versucht zu haben, an seinem Fließband die Produktionsziele zu erreichen, wird er zwischen den Fronten der Unternehmer und Lohnabhängigen zerrieben. Die Ausbeutungsintensität industrieller Rationalisierung nötigt die Arbeiterinnen und Arbeitern zur immer rücksichtsloseren Einspeisung ihrer Körper in den Produktionsprozeß. Dabei führt die beschleunigte Geschwindigkeit der Bänder und der anwachsende Ausstoß portionsgerechter Tierteile nicht zu mehr Verdienst. Dumpingpreise und Lohnkonkurrenz lassen das finanzielle Arbeitsergebnis der Menschen, die ihre Lebenskraft und -zeit der Fleischproduktion opfern, stagnieren oder sogar sinken.

Das besondere, über die allgemeine Rationalisierungstendenz der Mechanisierung und Verwissenschaftlichung der Produktion hinausgehende Problem dieser Form von Lohnarbeit liegt jedoch in ihrem Gegenstand, wenn man lebendige Tiere so bezeichnen will. So losgelöst vom spezifischen Inhalt der jeweiligen Tätigkeit die abstrakte Arbeit im Kapitalismus ist, so konkret vernichtet das fabrikmäßige Schlachten Lebenslust und Daseinsfreude der Menschen. Das nicht nur durch das hohe Tempo der Arbeit, bei der die Körper der Tiere durch Arbeiterinnen und Arbeitern zerteilt werden, die ihrerseits sinnbildlich gesprochen auseinandergerissen werden, wenn sie schwere Fleischteile über große Tische hinweg wuchten oder im messerbewehrten Infight mit der am Haken baumelnden Rinderhälfte zertrennen, was als gewachsenes Leben noch viele Jahre auf einer idyllischen Weide vor sich gehabt hätte, um das so beliebte Bild von der bäuerlichen Landwirtschaft zu kolportieren, das im Schlachthaus nicht ferner liegen könnte. Die physische Belastung, wenn acht Stunden lang mit dem Messer gegen die Zähigkeit gewachsener Körper gearbeitet wird oder im Laufschritt immer gleiche Bewegungen am niemals stoppenden Band verrichtet werden, führt zu Arbeitserkrankungen, die es als Glücksfall erscheinen lassen, wenn einer der Befragten das Rentenalter in einem Zustand erreicht, der noch einige Jahre eines angenehmen Lebens erwarten läßt.

Nein, die Hauptbelastung liegt in der Arbeit des Tötens lebendiger Tiere, der Zerteilung ihrer noch zuckenden Körper und der daraus erwachsenden Traumata, mit denen jede Arbeiterin selbst fertig werden muß. Ich habe mich verändert, bin gleichgültig gegenüber anderen geworden, habe meine Naivität verloren, gibt eine junge Frau zu Protokoll: "Blut macht mir nichts mehr aus, die abgeschnittenen Köpfe lassen mich kalt. Am Anfang hatte ich Alpträume. Ich träumte von Transportschienen, an denen Menschen hingen. Zu viel rohes Fleisch."

Natürlich wird das auch demonstrativ mit machohafter Coolness auf die leichte Schulter genommen. Begrüßt der Chef neue Arbeiterinnen als "Frischfleisch", gibt es ein großes Hallo, doch blickt man in die Gesichter der Männer am Band, dann herrscht eher ein Ausdruck schmerzhafter Anspannung vor. Einige Arbeiter sind sensibler als vielleicht von außen vermutet, wo sich die Menschen ohnehin nicht vorstellen können, wie man den ganzen Tag mit Tierkadavern, den Geruch von Blut und Eingeweiden in der Nase, verbringen kann. Jede Minute stirbt ein Tier, gibt ein junger Arbeiter an, der sich lange Zeit nicht an diese Tätigkeit gewöhnen konnte. Keine Zeit, die erste tote Kuh zu verdauen, da kommt schon die zweite dran. Er habe Alpträume, bekennt er, immer habe er das Tier vor Augen, das gleich getötet wird.

Wie in jedem Schlachthof ist die Station, wo die Tiere getötet werden, der Ort, an dem die Arbeit am härtesten ist. Sie werden nach dem Bolzenschuß zwar als tot deklariert, zucken aber noch, treten mit den Beinen und reagieren auf ganz individuelle Art darauf, daß ihnen Körperteile abgeschnitten und ihre Leiber aufgehängt werden. Jedes Tier reagiert anders, deshalb sei es für ihn wie das Töten von Menschen, gibt ein Schlachter an. Doch du gewöhnst dich an alles, und das ist am schlimmsten daran, meint ein anderer. Der alte Mann, der sich nun der Austernfischerei widmet, ist seit zwei Jahren nicht mehr im Schlachthof und hat immer noch Alpträume. Keine Nacht, in der er nicht aufschrecke. Immer werde er verfolgt von einem lebenden Tier. Er weiß nicht, warum er immer nur von lebenden Tieren träumt, aber niemals von Kadavern oder Blut. Keine Nacht vergehe, in der er keine Kuh abschlachte, so der Mann zum Abschluß dieses ohne jegliches emotionalisierendes Beiwerk in seiner prosaischen Alltäglichkeit aufwühlenden Filmes.

In der deutsch untertitelten Dokumentation "Personaleingang" geht es nicht in erster Linie um die Tiere, die dort in großer Zahl verarbeitet werden. Doch ihre Ohnmacht ist es, die die Arbeitswelt der Menschen zu einer Hölle macht, die in der Normalisierung des routinemäßigen Schlachtens zu einem Beruf wie jedem anderen ihren ganzen Schrecken entfaltet. Wie sehr die Umgebung den Menschen bestimmt, zeigen die Folterexperimente der Camera-Silens-Forschung. Totaler Reizentzug führt schnell zum Zusammenbruch aller psychophysischen Stabilität. Es ist nicht einerlei, ob ich mit dem Schraubenschlüssel an einem Werkteil drehe oder mit dem Messer in den Eingeweiden eines noch lebenswarmen Organismus herumstochere, der sich nicht wirklich vom menschlichen Körper unterscheidet. Der Schmerz dieser Tätigkeit liegt tiefer, als es die entzündeten Handgelenke der Schlachter vermuten lassen, und die bereiten den Arbeiterinnen und Arbeitern, wie die Dokumentation belegt, bereits sehr große Probleme.

Am 1. Mai hat die Kampagne gegen Tierfabriken (KgT) im niedersächsischen Vechta, einem Zentrum der Tierausbeutung in Deutschland, mit einem Transparent demonstriert, auf dem zu lesen stand: "Für die Befreiung von Mensch, Tier und Natur: Solidarität mit den Arbeiter*innen der Fleischindustrie!" Die Aktivistinnen und Aktivisten protestierten gegen die ausbeuterischen Bedingungen in der Fleischindustrie, "weil wir uns gegen jegliche Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur stellen!" [2] Diese für die Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung eher ungewöhnliche Form der Solidarisierung betrachten sie "als ersten Schritt hin zu einer Umwandlung der Schlacht- und Tierhaltungsbetriebe in Produktionsstätten, wo Entscheidungen von allen getroffen, die Gewinne gerecht aufgeteilt und Lebensmittel ohne Tierleid und ökologisch vertretbar produziert werden." Wer sich "Personaleingang", der noch bis 23. Juni 2017 in der Arte-Mediathek zu sehen ist, zu Gemüte führt, kann kaum anders, als diesem Ziel zuzustimmen.


Fußnoten:

[1] http://www.arte.tv/de/videos/073085-000-A/personaleingang

[2] http://kampagne-gegen-tierfabriken.info/kampagne-gegen-tierfabriken-kgt-beim-01ten-mai-2017-in-vechta/

6. Mai 2017


Personaleingang
Entrée du personnel
Regie: Manuela Frésil
Frankreich 2013
Orignal mit deutschen Untertiteln
60 Minuten


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