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BERICHT/008: 25 Jahre arte - ein Europaprojekt ... (SB)



25 years of social reform
Ain't gonna make me change or make me conform

Hawkwind - 25 Years

In kaum einem anderen deutschsprachigen Vollprogramm wird die Einigkeit der Europäischen Union so ungebrochen beschworen wie im Kulturkanal arte. Als das deutsch-französische Projekt am 30. Mai 1992 auf Sendung ging, lag die Unterzeichnung des Vertrages von Maastricht gerade einmal ein Vierteljahr zurück. In der EU herrschte Aufbruchsstimmung, hatte sich mit der Implosion der sozialistischen Staatenwelt doch ein Expansionsraum in Richtung Osten geöffnet, der die Aussicht, mit der Weltmacht USA wirtschaftlich wie geopolitisch gleichziehen zu können, in greifbare Nähe zu rücken schien. Nicht nur in den Konzernzentralen Westeuropas knallten die Sektkorken, auch auf den Finanzmärkten wurde die damals beschlossene Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion als Schritt in eine Zukunft der Kapitalakkumulation gefeiert, der keine Grenzen gesetzt zu sein schienen.

25 Jahre später könnte der Katzenjammer kaum größer sein. Die damals getroffene Festlegung auf eine europäische Integration unter dem Vorzeichen der neoliberalen Marktwirtschaft und ihrer vier allein ökonomischen Interessen gewidmeten Grundfreiheiten bei gleichzeitiger Ausschaltung frei flottierender Wechselkurse hat die sozialen wie nationalökonomischen Unterschiede in der Union vertieft. Die wachsende Abneigung vieler EU-Bevölkerungen gegen die Fortsetzung des Integrationskurses in Richtung eines europäischen Bundesstaates ist vor allem diesen Diskrepanzen geschuldet, auch wenn die sozialrassistische und nationalchauvinistische Propaganda rechter Anti-EU-Parteien anderes vermuten läßt. Die seit 2007/2008 anhaltende Wirtschafts- und Finanzkrise birgt ein erhebliches, durch Niedrigzinspolitik immer weiter in die Zukunft verschobenes Zusammenbruchspotential, die unter Beteiligung EU-europäischer NATO-Staaten durchgeführten Angriffskriege in Jugoslawien, im Irak und in Libyen haben Trümmerwüsten hinterlassen, die postkoloniale Ordnung im Nahen und Mittleren Osten zeitigt auch hundert Jahre nach ihrer Festlegung Ergebnisse destruktivster Art, die EU-Flüchtlingsabwehr hat das Mittelmeer in ein Massengrab für 30.000 notleidende Menschen seit 2000 verwandelt, und auf den Straßen marschiert die Rechte wie seit der Zwischenkriegszeit nicht mehr.

Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der Wahl Emmanuel Macrons zum Präsidenten die Einigkeit zwischen Frankreich und Deutschland beschwört, dann tut sie dies von der Kommandohöhe des EU-europäischen Hegemons aus. Die mit der Einführung der Gemeinschaftswährung Euro in Paris beabsichtigte Einbindung des nach 1990 neuerstarkten Nachbarn ist gründlich nach hinten losgegangen, was ein Grund mehr dafür sein dürfte, daß die revanchistische Rechte gerade in Frankreich so stark ist. Dabei waren es nicht immer nur Nationalisten, die sich "antieuropäisch" gebärdeten. Die in Frankreich einst starke Linke macht seit jeher Front gegen den Ausbau kapitalistischer und bürokratischer Herrschaft auf EU-Ebene, und die per Referendum am 29. Mai 2005 mit 54,7 Prozent erfolgte Ablehnung des Vertrag über eine Verfassung für Europa erfolgte unter starker Beteiligung linker Kräfte bis hinein in die PS.

Es war Angela Merkel, die das danach stagnierende Projekt der europäischen Einigung in Form des Vertrages von Lissabon, in dem der gescheiterte Verfassungsvertrag fast unverändert wiederauferstand, zur Abstimmungsreife brachte. Sein Inkraftreten am 1. Dezember 2009 befestigte die Dominanz der Bundesrepublik in der EU, an der auch das Ausscheiden Großbritanniens nichts ändert. Das deutsche Stimmengewicht im Europäischen Rat, das bereits durch den Vertrag von Lissabon aufgewertet wurde, nimmt durch den Brexit weiter zu. Da die Wirtschaft der Bundesrepublik am meisten von der Krise profitiert hat, geht es nun darum, den französischen Arbeiterinnen und Arbeitern die bittere Pille des Loi Travail so schmackhaft zu machen, daß sie ihren Widerstand gegen die am deutschen Modell orientierte Reform des Arbeitsmarktes, wo nach dem Motto from welfare to workfare die Lohnuntergrenze gesenkt und der Konkurrenzdruck in der Lohnabhängigenklasse erhöht wurde, endgültig einstellt.


Installation 'arte 25 Jahre' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Foto: © 2017 by Schattenblick

Die Association relative à la télévision européenne, kurz arte [1] bahnt sich seit 25 Jahren einen eigenen Weg durch die Wogen der Krisenkonkurrenz, obwohl inzwischen sogar innerhalb der EU die für unsinkbar gehaltenen Werte der Meinungs- und Pressefreiheit unterzugehen drohen. Wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung so schnell konsumierter wie vergessener TV-Bespaßung hat arte sein anspruchsvolles Niveau gehalten, wurde in seinem Programm doch ein Qualitätsniveau zwischen Information, Reflexion, Debatte und Unterhaltung etabliert, das seinesgleichen unter privatwirschaftlichen, aber auch öffentlich-rechtlichen Sendern sucht. Zweifellos finden sich im arte-Angebot Zugeständnisse an den Quotendruck, der bei ARD und ZDF ohne echte Not Ergebnisse trivialster Art zeitigt. arte kann es sich als ein vom Anspruch an Form und Inhalt hochprofilierter, eher den Ambitionen der Kultur- und Funktionseliten als der Unterhaltung um jeden noch so niedrigen Preis gewidmeter Fernsehsender offensichtlich leisten, Programme und Formate mit Minderheitenappeal anzubieten.

Bis auf das jüngst eingeführte, eigens auf Außenseiterperspektiven abonnierte Sportmagazin Sport! darf sich das kulturell und politisch arrivierte Publikum über die Abwesenheit des Kultes um Siege, Rekorde und Medaillen freuen, dessen ideologisch überhöhte Leistungskonkurrenz neoliberales Erfolgsstreben als ganz persönliche Lebensaufgabe in alle Wohnzimmer bringt. Wenn schon die Handlungseinheit von Staat und Kapital beworben wird, dann gleich in politischer Reinkultur, wie Magazine und Schwerpunkte auf arte belegen, die die strukturellen Geburtsfehler der prinzipiell wünschenswerten europäischen Einigung eher umschiffen als explizit diskutieren. Zudem dürfte man es sich in Strasbourg, wo die Zentrale des Senders in der Rechtsform Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) oder französisch Groupement européen d'intérêt économique (G.E.I.E.) residiert, in Anbetracht seines überdurchschnittlich aus Entscheidern und Multiplikatoren bestehenden Publikums zur Aufgabe gemacht haben, die Reibungsflächen und Unwuchten im deutsch-französischen Tandem so gering wie möglich zu halten.


Am Rednerpult mit logo 'arte 25 Jahre' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Bernd Mütter zu Marktanteil und Reichweite
Foto: © 2017 by Schattenblick

Ein Lichtblick jenseits des Quotendrucks der Aufmerksamkeitskonkurrenz

Auf der alljährlichen Pressekonferenz zum Sommerschwerpunkt des Programmes, des Summer of ..., am 30. Mai 2017 in Hamburg wurde denn auch ein Feuerwerk an attraktiven Programmangeboten abgebrannt. Zuerst jedoch präsentierte der stellvertretende Programmdirektor Bernd Mütter die Erfolgsbilanz der letzten fünf Monate. So hatte mit The Square, eine hintersinnige Auseinandersetzung mit dem modernen Kunstbetrieb des schwedischen Regisseurs Ruben Östlund, eine arte-Koproduktion die Goldene Palme bei den Filmfestspielen in Cannes erhalten. Neue tägliche Sendungen wie das Kultur- und Reisemagazin Stadt Land Kunst und die Reportageleiste Re: vergrößern die Aktualität des Senders, der zudem sein Online-Angebot immer weiter ausbaut, als gelte es, auch die innovativsten Web-Angebote zu überholen.

Mit einem Marktanteil von 1,1 Prozent in Deutschland und 2,2 Prozent in Frankreich bringt arte es in beiden Ländern zusammen auf eine Reichweite von 21,4 Millionen Menschen, die das Programm pro Woche mindestens für eine Viertelstunde einschalten. Zudem werden via Internet im Monat durchschnittlich 28,4 Millionen Videos angeschaut, wobei Dokumentationen und Dokumentarfilme, die 40 Prozent des Arte-Programmangebots ausmachen, in der Beliebtheit des Publikums ganz vorne liegen. Mit 360.000 Abrufen rangiert in der ersten Hälfte des Jahres ein Porträt von US-Präsident Donald Trump auf Platz eins, gefolgt von dem Dokumentarfilm I'm Not Your Negro über James Baldwin mit 320.000 Abrufen, während der Fritz Lang-Klassiker von 1933 Das Testament des Dr. Mabuse 280.000 Zugriffe erreichte. 4,4 Millionen Fans auf Facebook und 1,6 Millionen Follower auf Twitter können nicht irren, sollte man meinen, wobei das ambivalente Verhältnis zwischen Masse und Exklusivität den Sachwaltern avancierter Fernsehkultur zweifellos bewußt ist.


Bildprojektion von John Lydon als Host des Summer of Fish 'n' Chips - Foto: 2017 by Schattenblick

Johnny Rotten - 1977 verrucht und antikonsumistisch, 2017 Werbeikone für Popkultur und Zahnbürsten
Foto: 2017 by Schattenblick

Rule, Britannia? Über Definitionsmacht in der Popmusik

Mit dem der britischen Popkultur gewidmeten Summer of Fish 'n' Chips macht arte dem Brexit auf entgegengesetzte Weise Beine und feiert mit Großbritannien die "Herzkammer des Pop", so der für die sechs Wochenenden, an denen dieser Programmteil ausgestrahlt wird, zuständige Redakteur Oliver Schwehm. Sechs Jahrzehnte an führender Stelle popmusikalischer Entwicklung haben die britische Kulturindustrie nicht nur bei der Produktion von Alben und Konzerten beflügelt. Aus der sozialen Gemengelage führender britischer Gruppen, die ihren Weg zwischen Arbeiterklasse, Kunstakademie, Drogenkonsum, Rebellion und Musikbusiness machten, gingen höchst erfolgreiche Geschäftsleute hervor, die, was in den sechziger Jahren unvorstellbar erschien, sogar in den Adelsstand erhoben wurden.

Diesen Schritt hat der Host des Summer of Fish 'n' Chips, Johnny Rotten aka John Lydon, zwar noch nicht getan. Ansonsten ist der 60jährige Sänger der Sex Pistols bei aller ruppigen Attitüde den Dinosauriern der Sechziger, die heute als hochgehandelte Exponate an den ersten Adressen musealer Verewigung residieren, so nahe, wie es die Punk-Bewegung in der zweiten Hälfte der Siebziger niemals sein wollte. Doch die Distanz von 40 Jahren läßt die scharfen Kanten, mit denen die Punker gegen das musikalische Establishment zu Felde zogen, in altersmilder Historisierung aufgehen. Damalige Kämpfe um die Kommerzialisierung jugendlichen Aufbegehrens und den Ausverkauf des Punk, wenn er bei den Majors der Plattenindustrie unter Vertrag kam, können vor der Totalität marktförmiger Verwertungsprozesse der heutigen Popkultur nur noch infantil und albern wirken.

Um so entspannter kann das junge wie ältere Publikum auf arte die cineastische Selbstinszenierung der Beatles in Filmen wie A Hard Day's Night, der in seiner deutschen Version mit dem Titel Yeah Yeah Yeah Zeugnis filmbürokratischer Einfallslosigkeit ablegte, und Help, als Hi-Hi-Hilfe! zur Zwangslustigkeit verdammt, genießen. Ein Dokumentarfilm über die Entstehungsgeschichte des epochalen Beatles-Albums Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band [2] rundet das Angebot zu den Fab Four, denen die britische Popmusik viel zu verdanken hat, ab. Als weitere Highlights des Sommerschwerpunktes präsentierte Schwehm den Film Message to Love über das Isle of Wight Festival 1970, der erstmals seit Jahrzehnten im Fernsehen ausgestrahlt wird, den Film 24 Hour Party People von Michael Winterbottom über die Raver-Szene in Manchester und Live-Konzerte von PJ Harvey bis Radiohead.


Am Rednerpult mit Logo 'arte 25 Jahre' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Oliver Schwehm präsentiert den Summer of Fish 'n' Chips
Foto: © 2017 by Schattenblick

Zweifellos ist ein solcher Sommerschwerpunkt nicht in der Lage, die britische Popmusik der letzten 60 Jahre in ihrer Breite und Tiefe auch nur ansatzweise zu repräsentieren. Jeder, der ein Ohr auf die britischen Inseln hat und sich über die Vielzahl der Bands, SingerSongwriter, Instrumentalisten, DJs oder Rapper, die dort Maßstäbe setzen, klar ist, weiß, daß die Präsentation einiger Highlights und Hintergrundsberichte den angemessenen Kompromiß zwischen Detailgenauigkeit und Verallgemeinerung darstellt. In jedem Fall kommen die Fans von Rock, Jazz, Hip-Hop und anderer muskalischer Stilformen bei arte auf ihre Kosten. So leuchten Dokumentationsserien über die Entwicklung der Studiotechnik oder die Geschlechterverhältnisse in der Rockmusik Hintergründe aus, die passionierte Musikliebhaber schon immer interessiert haben. Im November berichten Catherine Bainbridge und Alfonso Maiorana in ihrem 90minütigen Dokumentarfilm Rumble: The Indians Who Rocked The World über indigene Künstlerinnen und Künstler in den USA und ihre Bedeutung für die popmusikalische Entwicklung des Landes.


Am Rednerpult mit Bildprojektion zur Frankfurter Buchmesse - Foto: © 2017 by Schattenblick

Markus Nievelstein kündigt deutsch-französischen Literaturevent an
Foto: © 2017 by Schattenblick

Bilaterales zur Frankfurter Buchmesse

Der Geschäftsführer arte-Deutschland, Dr. Markus Nievelstein, lenkte den Blick der Pressevertreter auf die Frankfurter Buchmesse, zu deren Ehrengast dieses Jahr Frankreich gekürt wurde. Da arte ohnehin stets mit einem Stand auf der Messe vertreten ist, wird anläßlich dieses deutsch-französischen Ereignisses mit 35 Veranstaltungen wie Talk-Runden und anderen Events zu den arte-Programmen um Literatur besonders viel Präsenz gezeigt. Wie Nievelstein zu berichten wußte, könnte anläßlich der Auftaktveranstaltung, einem Konzert mit den Straßburger Philharmonikern in der Alten Oper, möglicherweise ein Treffen zwischen Macron und der dann amtierenden Bundeskanzlerin stattfinden. Dazu werde viel französische Literatur auf arte präsentiert, zudem ist ein Dokumentarfilm über die Erfindung des Buchdruckes durch Johannes Gutenberg im Programm, dessen Anfänge um 1450 neben Mainz auch in Strasbourg, dem Sitz der arte-Zentrale, angesiedelt waren.

Zu den acht Verfilmungen französischer Romane, die anläßlich der Buchmesse ausgestrahlt werden, zählen Germinal nach Emile Zola, dessen Schilderung eines Arbeitskampfes zur Zeit der Industrialisierung heute wieder von Interesse ist, sowie Geschlossene Gesellschaft nach Jean-Paul Sartre. Mit diesem Drama hat der Philosoph des Existenzialismus ein Sinnbild der Vergeblichkeit der Menschen, einander nahezukommen oder voneinander zu lassen, geschaffen, das der eigenen sozialen Praxis auf kaum erträgliche Weise auf den Leib rückt. "Die Hölle sind die anderen" lautet die Quintessenz menschlichen Scheiterns, dessen zeitlose Aktualität in der praktischen, eher die Regel denn die Ausnahme markierenden Widerlegung humanistischer Werte hervortritt.


Am Rednerpult mit Bildprojektion zu 'Kunst und Kultur' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Claire Isambert über Moden zum An- und Abgewöhnen
Foto: © 2017 by Schattenblick

Dokumentarisches und Cineastisches von Relevanz

Die Hauptabteilungsleiterin Kultur Claire Isambert sprach mit 20 Jahre Tracks ein weiteres Jubiläum an, das im Rahmen zweier Sendungen des Magazins für Popkultur mit einem Blick zurück und einem Blick nach vorne auf wie üblich außergewöhnliche Weise begangen wird. Von besonderem Interesse ist Safari, ein Dokumentarfilm über Jagdtourismus von Ulrich Seidl, der im Oktober erstmals ausgestrahlt wird. Seidl hat mit seinen Spielfilmen Hundstage und der Paradies-Trilogie bewiesen, daß der Hang österreichischer Autoren und Regisseure, die Bodenlosigkeit menschlichen Gegeneinanders zu illuminieren, längst nicht ausgereizt ist. Wenn der Ausnahmeregisseur deutsche und österreichische Touristen filmt, die nach Afrika reisen, um Tiere zu töten, vor deren Kadavern sie anschließend posieren, eröffnet dies Einblicke in Verhältnisse, die als menschliche Natur zu bezeichnen beschönigt, was in seiner Konsequenz niemand wissen will.

Als weiteres Highlight präsentierte Bernd Mütter den Themenabend am 11. Juli, der dem gescheiterten Putsch in der Türkei am 15. und 16. Juli des Vorjahres gewidmet ist. In dem Film Exil Deutschland - Abschied von der Türkei hat der in die Bundesrepublik geflohene Journalist Can Dündar, der der AKP-Regierung Verbindungen zum IS nachgewiesen hat, das prekäre Leben anderer Künstler und Intellektueller, die ebenfalls ins Exil auswichen, porträtiert. Die Dokumentationen Türkei - Eine Demokratie schafft sich ab und Stunde Null - Wohin steuert die Türkei? komplettieren den Themenabend am Dienstag, das journalistische Aushängeschild des Senders.

Weiterhin erwähnenswert im Programmsegment Aktualität, Gesellschaft, Geschichte ist die Dokumentation Monsanto - der Prozess von Marie Monique Robin. 2008 wurde auf arte bereits ihr Dokumentarfilm Monsanto - mit Gift und Genen ausgestrahlt, der die Filmemacherin und Investigativjournalistin zu einer der führenden Kritikerinnen der globalen Agrarindustrie machte. Die Erstausstrahlung im September ist einem Tribunal gewidmet, das im Oktober 2016 in Den Haag abgehalten wurde und die gefährlichen Praktiken des Chemie- und Saatgutkonzerns Monsanto anprangerte. Dessen geplante Fusion mit Bayer macht diesen Film zu einem Pflichttermin für die wachsende Schar von Aktivistinnen und Aktivisten, die für Ernährungssouveränität und gegen die agroindustrielle Monopolisierung der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln streiten.


Themenbild zum Programmsegment 'Aktualität, Gesellschaft, Geschichte' - Foto: 2017 by Schattenblick

Beiträge zu Ökologie und Ernährung - auf arte fast ein Programmschwerpunkt
Foto: 2017 by Schattenblick

Kaum weniger interessant ist die für August 2017 vorgesehene Erstausstrahlung der Dokumentation Das System Milch. Darin untersucht Andreas Pichler, wie dieses angeblich so gesunde Nahrungsmittel zu seiner symbolisch hochgradig aufgeladenen Bedeutung gelangte und auf wessen Kosten es hergestellt wird. Weitere auf arte erstausgestrahlte Dokumentationen wie Armes Schwein, fettes Geschäft, in der Jens Niehuss die staatliche Subventionierung der Schlachtindustrie und deren ökologische Folgen untersucht, oder Bis zum letzten Tropfen von Yorgos Avgeropoulos, die die so folgenreiche Privatisierung des Trinkwassers zum Gegenstand hat, zeigen, wie sehr das allgemeine Bewußtsein für die keineswegs selbstverständliche Verfügbarkeit vollwertiger Lebensmittel zugenommen hat.

Dies sicherlich nicht nur aufgrund subjektiver Bedenken, denen die Menschen angesichts zahlreicher Berichte und Nachrichten über den erbärmlichen Zustand der Massentierhaltung, die daraus erwachsenden Antibiotika-Resistenzen, die industrielle Vergiftung primärer Ressourcen und das suggestive Vorgaukeln gesundheitsfördernder Supermarktprodukte kaum mehr entkommen können, sondern auch objektiver Mangelsituationen, denen die Bevölkerungen des Globalen Südens schon lange ausgesetzt sind. Alexander von Harling, Hauptabteilungsleiter Wissen, verwies mit dem werktäglichen Wissenschaftsprogramm Xenius auf einen Sendeplatz, der sich darauf spezialisiert hat, in der Luft gesellschaftlicher Kontroversen und Debatten liegende Fragen auf leicht verständliche Weise aufzugreifen und zu untersuchen.


Am Rednerpult mit Bildprojektion zu 'Wissenschaft und Entdeckung' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Alexander von Harling zu Tiefpunkten der Geschichte und Höhenpunkten der Forschung
Foto: © 2017 by Schattenblick

Unter dem weit ausgespannten Themenfeld seines Ressorts hervorzuheben ist die für Oktober in Erstausstrahlung vorgesehene Dokumentation Von edlen Wilden und echten Gaffern. In ihr läßt Bruno Victor-Pujebet die legendären Völkerschauen und als anthropologisch kategorisierten Schauen sogenannter Wilder auf eine Weise Revue passieren, die fast zwangsläufig daran erinnert, daß die Institution Zoo, wo diese Zurschaustellungen unter anderem stattfanden, in jedem Fall eine höchst fragwürdige, ihrer Freiheit beraubte Lebewesen entwürdigende Veranstaltung ist [3].

Zu guter Letzt präsentierte der Hauptabteilungsleiter Spiel- und Fernsehfilm, Prof. Dr. Andreas Schreitmüller, der arte seit dem Beginn des Sendebetriebs vor 25 Jahren angehört, einen Ausblick auf das Filmprogramm des zweiten Halbjahres 2017. Das Entführungsdrama Outside the Box, in dem eine simulierte Gefahrensituation plötzlich Wirklichkeit wird, so daß die davon betroffenen Unternehmensberater unversehens mit dem echten Leben konfrontiert werden, läßt auf zeitkritische Unterhaltung hoffen. Die ebenfalls in deutscher Erstausstrahlung gesendeten TV-Serien Top of the Lake, die mit Nicole Kidman und der Mad Men-Darstellerin Elisabeth Moss über ein Staraufgebot verfügt, Fatale-Station und Transferts setzen die lange Reihe außergewöhnlicher Serienformate auf arte fort. Diese meist wenige Folgen und Staffeln langen Formate werden oft von europäischen Produktionsfirmen gedreht und wagen sich nicht selten in unkonventionelle Bereiche vor.


Am Rednerpult mit Bildprojektion zu 'Fernsehfilme Serien Spielfilme' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Rasante Tour durch 100 Jahre deutsche Filmgeschichte mit Andreas Schreitmüller
Foto: © 2017 by Schattenblick

Mit der Reihe erfolgreicher Kinofilme aus 100 Jahren UFA werden die Höhen und Tiefen deutscher Filmgeschichte vermessen. 2016 hat arte mit fünf DEFA-Filmen das Kino der DDR eher gestreift denn ausgeschöpft, was angesichts antifaschistischer Produktionen, die keineswegs nur die Sichtweise der SED spiegelten, heute, wo sich die Neue Rechte formiert, nachzuholen wert wäre [4]. Neugierig im weit ausholenden Programm zur Geschichte des größten und ältesten deutschen Filmkonzerns macht der Durchhaltefilm Kolberg, mit dem Joseph Goebbels einen nationalen Opfermythos glorifizierte, gegen dessen Wiedergänger anscheinend kein Kraut gewachsen ist, wie die mit allen Kriegerweihen einhergehende Aufrüstung der Bundeswehr zur globalen Interventionstruppe nahelegt. Wege zu Kraft und Schönheit heißt die rekonstruierte Fassung eines Filmes von 1925, in dem sich die faschistische Körperästhetik des NS-Regimes ankündigte und der Aufschluß darüber geben könnte, worin eine Marktideologie wurzelt, wenn sie die Zurichtung des Menschen zum Sklaven fremdbestimmter Arbeits- und Leistungsnormen feiert.

Anlässe, um gegen Militarismus und Krieg aufzustehen, bietet arte auch mit dem 202 Minuten langen, den Vorstellungen seines Regisseurs Francis Ford Coppola endlich gerecht werdenden Director's Cut des Klassikers Apocalypse Now. Gleiches gilt für die 18stündige und 10teilige Serie The Vietnam War von Ken Burns and Lynn Novick, deren Ausstrahlung ebenfalls auf arte vorgesehen ist. So erfüllt dieser Sender die Aufgabe, nicht nur zu informieren, sondern auch zentrale gesellschaftliche Diskurse abzubilden und aufzugreifen, auf eine Art und Weise, die zur Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Zeiten wachsender Angriffe auf jede Form nicht als markttauglich qualifizierter Medialität beitragen könnte.


Torte mit Logo 'arte 25 Jahre' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] BERICHT/007: Europas Auge - arte im Wandel ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/medien/report/mreb0007.html

[2] NACHLESE/003: 50 Jahre später ... The Beatles - Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murn0003.html

[3] BERICHT/062: 21. Linke Literaturmesse - Triumph der Verkennung (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbrb0062.html

[4] KULTUR/1017: Geschichtsvergessenheit als kulturelles Pflichtprogramm (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele1018.html


8. Juni 2017


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