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INTERVIEW/012: 25 Jahre arte - über den Tellerrand ...    Andreas Schreitmüller im Gespräch (SB)



Mit einer Pressekonferenz am 30. Mai in Hamburg feierte der deutsch-französische Kulturkanal arte 25 Jahre seines Bestehens und stellte die Programmschwerpunkte des Senders im zweiten Halbjahr 2017 wie insbesondere den "Summer of Fish 'n' Chips" vor, einen Streifzug durch Geschichte und Gegenwart der britischen Popmusik. Im Rahmen der Präsentation nahm Prof. Dr. Andreas Schreitmüller, Hauptabteilungsleiter Spielfilm und Fernsehfilm bei arte, die Anwesenden mit auf eine rasante Tour durch 100 Jahre deutsche Filmgeschichte und stellte cineastische Höhepunkte der Auseinandersetzung mit dem Vietnamkrieg wie auch weitere attraktive Angebote im Sommer und Herbst vor.

Andreas Schreitmüller war nach einem Studium der Linguistik an den Universitäten Konstanz und Manchester von 1980 bis 1981 Lehrbeauftragter an der Jiao-Tong-Universität Shanghai und anschließend bis 1983 Stellvertretender Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen. Von 1984 bis 1991 arbeitete er als Redakteur beim ZDF und betreute in dieser Zeit in der Redaktion Das kleine Fernsehspiel zahlreiche Dokumentar- und Spielfilme sowie Wissenschaftsprogramme und Livesendungen.

Seit 1991 ist er bei arte tätig, zunächst als Leiter der Redaktion Fernsehfilm, seit 2000 zudem als Leiter der Redaktion Spielfilm. In diesen Funktionen betreute er zahlreiche bekannte TV- und Kinoproduktionen. Nach Lehraufträgen an den Universitäten Marburg, Konstanz, Siegen sowie an der Filmakademie Baden-Württemberg wurde Andreas Schreitmüller 2000 zum Honorarprofessor für Medienwissenschaft an der Universität Konstanz ernannt.

Im Anschluß an seine Präsentation beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.


Bei der Pressekonferenz - Foto: © 2017 by Schattenblick

Andreas Schreitmüller
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Schreitmüller, eine biographische Frage vorweg: Sie sind ja studierter Linguist. Wie ist es dazu gekommen, daß Sie zugleich mit Leib und Seele ein Mensch des Films geworden sind?

Andreas Schreitmüller (AS): Ich habe mich im Grunde schon seit meiner Schulzeit mit Film beschäftigt und dann später auch parallel zu meinem Studium an der Uni, aber auch in meiner Heimatstadt Rottweil, Filme im Rahmen eines Filmklubs präsentiert. Im Laufe der Zeit wurde dieses Interesse immer intensiver, so daß sich nach dem Studium der Weg zuerst zum Filmfestival nach Oberhausen und von dort dann zum Fernsehen ergeben hat. Das war nicht unbedingt geplant, aber es ist, wie Sie richtig sagen, eine Leidenschaft geworden, und als sich die Gelegenheit geboten hat, war ich natürlich sehr, sehr froh. Linguistik ist schön, aber das andere hat eben auch sehr viel Spaß gemacht.

SB: Sie gehören bei arte zu den Mitstreitern der ersten Stunde. Wie hat sich der Sender aus Ihrer ganz persönlichen Perspektive seither entwickelt?

AS: Er ist sicher professioneller geworden. Zu Beginn mußte man natürlich erst einmal die ganzen Strukturen aufbauen, auch vieles erfinden. Es gibt ja kein anderes Programm auf der Welt, das sich ganz explizit auf zwei Publika in zwei Ländern, in zwei Sprachen systematisch ausrichtet. Wie man es macht mit der Sprachbearbeitung, mit den Rechten, mit der Programmplanung, das waren alles Anforderungen, für die es keine Masterpläne gab. Das mußte man sich selber erarbeiten. Das ist inzwischen schon sehr viel professioneller geworden, konsequenter, es ist ein 24-Stunden-Programm, was es zu Beginn auch nicht war. Ich glaube, das Netzwerk, das wir aufgebaut haben, hat sich sehr positiv auf das Programm ausgewirkt, daß man eben auf der ganzen Welt Kolleginnen und Kollegen hat, die einen auf interessante Projekte und Programme aufmerksam machen. Ich glaube, daß durch die Ausweitung des Netzwerks das Programm globaler, universeller geworden ist. Das sind so ein paar Gesichtspunkte, die sich verändert haben, aber in der editorialen, die redaktionellen Ausrichtung sind wir uns treu geblieben: Wir setzen auf Qualität, auf Internationalität, reproduzieren nicht Vorgefaßtes und Erwartbares, sondern versuchen, gegen den Stachel zu löcken. Das hat man ja heute auch an einigen Dokumentationen gesehen, die ganz ungewohnte Einblicke in scheinbar vertraute Sachverhalte geboten haben.

SB: Die Kontroverse darüber, ob wir Zeugen und Leidtragende eines Kulturverfalls sind, wird mit offenem Ausgang geführt: Die einen beklagen eine schreckliche Verflachung, andere widersprechen dem vehement. Was wäre Ihre Position in dieser Frage?

AS: Nein, ich bin überhaupt kein Kulturpessimist. Ich habe das immer für ein etwas einfaches Denken gehalten, daß man nostalgisch das, was in der Erinnerung so positiv wirkt, was man aber gar nicht mehr wiedergesehen hat, sondern wirklich nur noch ganz tief im Erinnerungsschatz bewahrt, für besser hält als alles, was heute gemacht wird. Das halte ich für ganz falsch. Da ich ja professionell manches aus der früheren Zeit sehe, weiß ich schon, daß nicht alles Gold ist, was man so in Erinnerung hat. Und umgekehrt gibt es heute sehr viel mehr Qualitätsprogramme als früher. Damals war einfach die Zeit sehr viel eingeschränkter, es gab nur zwei, drei Sender und auch gar kein 24-Stunden-Programm. Die Zahl der Qualitätsprogramme ist heute auf jeden Fall höher als früher, davon bin ich überzeugt. Ich persönlich neige zu dem Credo, daß ich gar nicht so schlimm finde, was es alles gibt, man sich aber davor hüten muß, daß es bestimmte Dinge nicht mehr gibt. Das wäre allerdings schlimm, wenn es bestimmte Programme wie beispielsweise Filme aus anderen Teilen der Welt oder vertiefende Programme wie etwa über den Vietnamkrieg nicht mehr gäbe.

SB: Gibt es aus Ihrer Sicht Schranken oder Grenzen dessen, was produziert und gesendet wird? Stößt man auf vorbelastete Bereiche, etwa was den DDR-Film betrifft?

AS: Nein, eigentlich nicht. Wir haben ja sogar eine Reihe, wenn auch nicht wöchentlich, so doch das ganze Jahr über zu Trash, weil das auch Teil der Filmgeschichte ist. Es ist für sich genommen ein interessantes Phänomen: Filme, die nicht im Rahmen der Filmindustrie entstanden sind, sondern an den Rändern, wo viele Dinge, bestimmte Obsessionen und Sehnsüchte, sehr viel direkter angesprochen werden, filmästhetisch vielleicht nicht immer auf den Punkt gebracht oder man könnte auch sagen dilettantisch, aber die haben eben auch ihren Reiz. Solche Tabus gibt es bei uns nicht. Und weil Sie das Thema DDR ansprachen: Wir hatten ja letztes Jahr eine durchaus nicht ganz kleine Reihe anläßlich des 70. Geburtstags der DEFA, was ich auch sehr wichtig fand, weil wir die Filmgeschichte der DDR beleuchtet haben, die ganz bedeutende Werke hervorgebracht hat, denken wir nur an "Jakob der Lügner" oder bestimmte Filme von Konrad Wolf. Nein, da haben wir die Aufgabe, weil wir das Filmerbe, das Patrimoine, wie man auf Französisch sagt, sehr pflegen, wirklich auch umfassend Filme zu präsentieren.

SB: Sie sind Wissenschaftler, aber auch selbst Produzent von Filmen und bei arte für die Sparte Fernseh- und Spielfilm zuständig. Wie verträgt sich das, auf so vielen Feldern aktiv zu sein?

AS: Ich finde nicht, daß sich das im Wege steht, an der Produktion beteiligt zu sein und gleichzeitig darüber zu reflektieren. Ich decke natürlich an der Uni als Honorarprofessor eher ein Feld ab, das einen etwas anderen Blickwinkel auf das Sachgebiet Medien wirft, indem ich eben aus der Praxis komme. Ich bin da sicher nicht so ein klassischer Medienwissenschaftler, insofern habe ich einen anderen Stellenwert und bin da jemand, der andere Gesichtspunkte einbringt. Daß man gleichzeitig darüber nachdenkt und über das, was man macht, auch schreibt, ist durchaus produktiv. Es gibt ja viele - ich will mich jetzt nicht mit denen vergleichen, um Gottes willen, ich nenne sie nur einfach als Beispiele: Solche Leute wie Sergej Eisenstein oder Wim Wenders haben sehr intensiv über Filmästhetik und Filmgeschichte nachgedacht und trotzdem wegweisende Filme geschaffen, Ich glaube, das kann sich gut ergänzen.

SB: Wenn ich mich recht erinnere, wurde damals beim allerersten arte-Abend "Der Himmel über Berlin" von Wim Wenders gezeigt.

AS: Ja, das stimmt. Und er war auch selber beim Gala-Eröffnungsabend anwesend.

SB: Sie haben schon vor Jahren mit "Bilder lügen" zur Frage des Wahrheitsgehalts solcher Medien publiziert. Mit der Debatte um sogenannte Fake News in der medialen Berichterstattung hat diese Kontroverse derzeit Hochkonjunktur. Wie kann man aus Ihrer Sicht damit umgehen?

AS: Das war damals meine Antrittsvorlesung an der Universität Konstanz, die später publiziert wurde. Dabei habe ich versucht aufzuzeigen, wie mißtrauisch man Bildern gegenüber sein muß. Inzwischen hat sich die Debatte fast umgedreht, und man müßte das Ganze womöglich umarbeiten. (lacht) Das ist jetzt gut fünfzehn Jahre her, und man könnte heute sagen, ein bißchen Vertrauen kann man schon in die Bilder haben. Das war damals zu Beginn der digitalen Bearbeitung Anfang der Nuller Jahre und natürlich lange bevor eine solche Debatte über Fake News und alternative Fakten aufkam. Ich wolle darauf aufmerksam machen, daß Bilder durchaus fragwürdig sind und man sehr, sehr skeptisch an sie herangehen muß. Man denke zum Beispiel an die Vorlage angeblicher Beweise für Massenvernichtungswaffen des Irak im Weltsicherheitsrat.

Inzwischen gibt es bestimmte Politiker wie Donald Trump und andere, die ganz bewußt ihre eigenen Wahrheiten in die Welt setzen und darauf vertrauen, daß sie sich zumindest bei ihren Wählern schon durchsetzen werden, wenn sie sie nur oft genug wiederholen. Wir hatten übrigens eine ganz interessante Dokumentation über Donald Trumps frühe Jahre. Diese Technik praktizierte er schon damals, zu bestimmten Sachverhalten einfach seine eigene Meinung in den Raum zu stellen, auch wenn diese der Wahrheit oder der Meinung vieler anderer nicht entsprach, und sie so oft penetrant zu wiederholen, bis zumindest ein Teil seines Umfelds ihm das geglaubt hat. Damit umzugehen ist ganz, ganz schwierig. Ich glaube, man muß es einfach selber anders machen, man muß gut recherchieren - in den USA wird das ja auch gemacht. Da gibt es die großen Zeitungen und Nachrichtensender, die ihre investigativen Abteilungen ausgebaut haben und weiter darauf setzen, Fakten zu sammeln und diese zu vertreten. Ich denke, solchen Auswüchsen wie Trump kann man einfach nur entgegentreten und sagen, wir bleiben bei unserer Linie, so wahrheitsgetreu wie möglich zu berichten.

SB: Herr Schreitmüller, vielen Dank für das Gespräch.


Beiträge zur arte-Pressekonferenz im Schattenblick unter:
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