Helmholtz Zentrum München / Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt - 20.10.2015
Weltweit größte genetische Studie zu Neurodermitis
München & Kiel, 16. Oktober 2015. Gemeinsam mit zahlreichen internationalen Kolleginnen und Kollegen hat ein Wissenschaftlerteam des Helmholtz Zentrums München und des Exzellenzclusters "Entzündungsforschung" eine umfassende genetische Studie zu Neurodermitis publiziert. Die Daten von über 350.000 Teilnehmenden förderten zehn Bereiche im menschlichen Erbgut zutage, deren Veränderungen das Erkrankungsrisiko nachhaltig erhöhen. Die Ergebnisse erscheinen im Journal "Nature Genetics".
Neurodermitis, auch atopische Dermatitis genannt, ist eine lang andauernde und phasenweise auftretende Erkrankung der Haut, die oft zu Entzündungen (Ekzemen) und starkem Juckreiz führt. Ihre Ursachen sind bis heute nicht hinreichend verstanden. Dem Forscherteam um Studienleiter und Clustermitglied Professor Stephan Weidinger (Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Medizinische Fakultät an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Universitätsklinikum Schleswig-Holstein) und den Erstautorinnen Dr. Marie Standl vom Helmholtz Zentrum München und Dr. Lavinia Paternoster von der Universität Bristol (Großbritannien) gelang es jetzt, mehrere DNA-Abschnitte und damit Gene herauszuarbeiten, die das Risiko für die Erkrankung erhöhen.
Das Forscherteam aus 14 Ländern um Weidinger und Standl identifizierte zehn neue Genregionen, die das Risiko, an Neurodermitis zu erkranken, erhöhen. Dabei zeigten sich auch Unterschiede zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen. "Durch unsere Kooperationen mit Kolleginnen und Kollegen aus Europa, Amerika, Asien und Australien im Rahmen des EAGLE (EArly Genetics and Lifecourse Epidemiology) Forschungsverbundes konnten wir enorme Datenmengen gewinnen", freut sich Co-Erstautorin Standl. Insgesamt wertete das Studienteam die Daten von rund 350.000 Teilnehmenden aus. Darunter waren sowohl an Neurodermitis Erkrankte als auch Gesunde. Das Ergebnis ist die bisher weltweit größte genetische Studie zu Neurodermitis. Die hohe Fallzahl macht die Ergebnisse sehr verlässlich.
Die Mehrzahl der betroffenen Gene spielen eine Rolle für die Balance des Immunsystems und dessen Reaktion auf Umweltreize und beeinflussen auch das Risiko für andere entzündliche Erkrankungen. Studienleiter Weidinger: "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es bei vielen Menschen eine vererbte Anfälligkeit für Entzündungserkrankungen im Allgemeinen gibt. Daneben sind spezielle erbliche und umweltbedingte Einflüsse dafür verantwortlich, dass sich diese Anfälligkeit auf der Haut ausprägt."
Eine besondere Herausforderung besteht jetzt darin, im Detail aufzuklären, über welche molekularen Mechanismen die identifizierten Genvarianten das Risiko für Entzündungskrankheiten im Allgemeinen und für Neurodermitis im Speziellen erhöhen. Zudem ist zu klären, wie diese durch Lebensstil- und Umweltfaktoren beeinflusst werden. "Nur so werden wir in der Lage sein, Tests zu entwickeln, die eine genauere Vorhersage des Erkrankungsrisikos erlauben, sowie verbesserte Vorbeugungs- und Behandlungsmaßnahmen zu entwickeln oder vorhandene passgenauer einzusetzen", so Studienleiter Weidinger.
Hintergrund:
Neurodermitis zählt zu den häufigsten chronischen Erkrankungen weltweit.
In Deutschland erkranken etwa zwei von zehn Kindern und jeder zehnte
Erwachsene an dieser stark juckenden, meist schubweise verlaufenden
Ekzem-Erkrankung. Mindestens die Hälfte der betroffenen Kinder leidet
zeitlebens an der Krankheit, die insbesondere bei schwer betroffenen
Patienten zu einer massiven Beeinträchtigung der Lebensqualität und zu einem
erhöhten Risiko für andere entzündliche Erkrankungen wie Asthma, Heuschnupfen
und Morbus Crohn führt. In der aktuellsten Analyse der
Weltgesundheitsorganisation zur Gesundheits-/Krankheitslage der
Weltbevölkerung wurde Neurodermitis weltweit als die Hauterkrankung mit
der höchsten Krankheitslast klassifiziert. Die genauen Mechanismen der
Neurodermitis sind bisher noch unzureichend verstanden, aber man geht von
einer "Systemerkrankung" aus. Das bedeutet, natürliche Schutzfunktionen
der Haut sind gestört und das Immunsystem reagiert übermäßig stark auf
Umweltreize. Diese Eigenschaften werden zum großen Teil vererbt.
Original-Publikation:
Standl, M. et al. (2015). Multi-ethnic genome-wide association study of
21,000 cases and 95,000 controls identifies 10 novel risk loci for atopic
dermatitis, Nature Genetics, DOI: 10.1038/ng.3424
Link zur Fachpublikation:
http://dx.doi.org/10.1038/ng.3424
• Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches
Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin
für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten
wie Diabetes mellitus und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht
es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der
Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz
Zentrum München beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist Mitglied der
Helmholtz-Gemeinschaft, der 18 naturwissenschaftlich-technische und
medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten
angehören. Das Helmholtz Zentrum München ist Partner im Deutschen Zentrum für
Diabetesforschung e.V.
https://www.helmholtz-muenchen.de/
Das Institut für Epidemiologie I (EPI I) erforscht die Bedeutung von
Umwelt- und Lebensstilfaktoren, genetischer Konstitution und Stoffwechsel
bei Entstehung und Progression von Atemwegs-, Stoffwechsel- und
allergischen Erkrankungen, sowie ausgewählten Krebserkrankungen. Dazu
dienen Daten und biologische Proben aus den bevölkerungsbasierten
Kohortenstudien GINI, LISA und MONICA/KORA. Das Institut ist federführend
an Planung und Aufbau der Nationalen Kohorte beteiligt.
https://www.helmholtz-muenchen.de/epi1/index.html
Der Exzellenzcluster "Inflammation at Interfaces" wird seit 2007 durch
die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder mit einem Gesamtbudget von
68 Millionen Euro gefördert; derzeit befindet er sich in der zweiten
Förderphase. Die rund 300 Clustermitglieder an den insgesamt vier
Standorten in Kiel (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel,
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein), Lübeck (Universität zu Lübeck,
UKSH), Plön (Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie) und Borstel
(Forschungszentrum Borstel - Leibniz-Zentrum für Medizin und
Biowissenschaften) forschen in einem innovativen, ganzheitlichen Ansatz an
dem Phänomen Entzündung, das alle Barriereorgane wie Darm, Lunge und Haut
befallen kann.
http://inflammation-at-interfaces.de/de
Fachliche Ansprechpartner:
Dr. Marie Standl
Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH)
Institut für Epidemiologie I
Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg
E-Mail: marie.standl@helmholtz-muenchen.de
Prof. Dr. Stephan Weidinger
Exzellenzcluster "Entzündungsforschung" und
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
E-Mail: sweidinger@dermatology.uni-kiel.de
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution44
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, Helmholtz Zentrum München, 20.10.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2015
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang