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KINDER/485: Interview mit dem neuen Vorsitzenden des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Schleswig-Holstein (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2019

Interview
Warten auf mehr Sitze

Gespräch mit Dr. Ralf van Heek


Dr. Ralf van Heek ist seit einigen Monaten neuer Vorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) in Schleswig-Holstein. Im Interview mit Dirk Schnack erläutert er seine Ziele.


Herr Dr. van Heek, Sie sind seit Kurzem neuer Vorsitzender des Landesverbandes im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. Was wollen Sie in ihrer Amtszeit erreichen?

Dr. Ralf van Heek: Der BVKJ wird häufig wahrgenommen als Organisation der niedergelassenen Kinder und Jugendärzte. Das entspricht nicht unserer Satzung. Wir wollen vor allem die Voraussetzungen für die bestmögliche gesundheitliche Versorgung von Kindern und Jugendlichen erarbeiten und vertreten und die Bedingungen der Berufsausübung der Pädiater gestalten. Das ist nicht möglich ohne die Kolleginnen in den Kliniken und im öffentlichen Gesundheitsdienst. Das möchte ich bewusster machen. Die Pädiatrie ist Gefahren ausgesetzt, insbesondere durch Nachwuchsprobleme bei allen beteiligten Berufsgruppen - ärztlich, pflegerisch, Fachangestellte - aber auch durch die fehlgesteuerte Ökonomisierung und Unterfinanzierung der Kliniken. Wir brauchen die Kooperation aller Beteiligten. Daran möchte ich mitwirken. Ein Schwerpunkt dabei ist die ärztliche Weiterbildung, aber auch Studienreform, Pflegeausbildung, der gesundheitsökonomische Rahmen - da haben wir Dinge auf den Weg gebracht, die zum Erfolg geführt werden müssen. Daneben steht der Einsatz für gesunde Lebensbedingungen für Kinder und Jugendliche.

Gibt es in Schleswig-Holstein genügend niedergelassene Pädiater? In welchen Regionen zu wenig?

van Heek: Unser Ziel ist, dass alle Menschen unter 18 Jahren hausärztlich von Kinder- und Jugendärzten versorgt werden. Das ist besonders auf dem Land ambitioniert. Aber auch in urbanen Regionen - Hamburger Randgebiet, Kieler Osten, Flensburg - hat auch die Öffentlichkeit erfahren, dass Praxen keine neuen Patientinnen aufnehmen konnten und Eltern keine ihnen angemessen erscheinende Versorgung erhielten. Andererseits höre ich von Kollegen, die erschöpft sind oder frustriert, weil sie aufgrund der Budgetierung ihre viele Arbeit nicht gerecht vergütet bekommen.

In einigen Bundesländern sind trotz rechnerischer Überversorgung zusätzliche Vertragsarztsitze ausgeschrieben worden - wird dies auch in Schleswig-Holstein erforderlich? Welche Bedingungen müssten dafür aus Sicht des Verbandes erfüllt werden?

van Heek: Die von Ihnen genannte Überversorgung beruht ja auf einer Festlegung aus ferner Vergangenheit. Mittlerweile haben sich Kinder- und Jugendliche, diagnostische und therapeutische Verfahren und Ärzte so verändert, dass die sogenannte Bedarfsplanung keine verlässliche Planungsgrundlage mehr bietet. Wir erwarten zum 1. Juli vom GBA neue Kriterien auf der Grundlage aktueller Sachverständigengutachten. Dadurch erwarten wir eine Erhöhung der Zahl der Sitze im Land. Auch jetzt schon könnte man wohl vereinzelt Sonderbedarf formulieren. Sinn macht das aber nur, wenn auch die Gesamtvergütung entsprechend angehoben wird, sodass nicht die jetzt niedergelassenen Kollegen die neuen finanzieren müssen. Die Vergütung hat mit der Kostenentwicklung vor allem bei den Gehältern, aber auch bei Immobilien, externen Dienstleistungen und neuen bürokratischen Anforderungen nicht Schritt gehalten.

Welche Rahmenbedingungen müssen für eine bessere Kinder- und Jugendgesundheit verändert werden?

van Heek: Ich denke, die wichtigsten Stichworte hier sind Armut und Bildung. Da wissen wir viel, was uns gerade durch die aktuelle DAK-Studie bestätigt wurde. Da läuft die politische Debatte und wir bringen uns auf allen Ebenen ein für die Rechte und Bedürfnisse der Kinder bis zum Grundgesetz. Wir haben einen sehr starken und kompetenten Bundesverband. Auch in der Ernährung sehen wir großes Potenzial, das wird gerade in Berlin diskutiert und unsere Leute diskutieren da mit und versuchen medizinisches Wissen gegenüber den Interessen der Lebensmittelindustrie durchzusetzen. Schulstress ist ein wichtiger Krankmacher, da gibt es positive Entwicklungen. Meines Erachtens profitieren zum Beispiel gesunde Kinder von der Inklusion, um die förderbedürftigen machen wir uns aber Sorgen - vor G8 haben wir seinerzeit gewarnt. Auch da wurden Marktinteressen über die Kindergesundheit gestellt.

Elterliche Erziehungskompetenz - die muss gestärkt werden, damit Eltern ihre Kinder liebevoll leiten können. Aktuell machen wir eine Kampagne zum Eltern-Onlinetraining.

Bildschirmmedien - ein ganz großes Thema. In der nicht abwendbaren Digitalisierung stecken vielfältige große Gefahren für Kinder und Jugendliche. Seit Kurzem bekommen Eltern bei der Vorsorge ein Empfehlungsblatt, das auch auf eine Studie unseres Verbandes zurückgeht und dass wir gemeinsam u.a. mit Bundestag, DAK und KBV auf den Weg gebracht haben. Wir versuchen da Schritt zu halten und bilden unsere Mitglieder fort, um kompetent beraten zu können. Der Abfall der Kraftfahrzeuge - Stichwort z.B. Diesel - machen insbesondere Kinder krank. Ich würde behaupten, bei den 100 Lungenärzten war kein Pädiater. Wir haben ja auch Kinderpneumologen in unserem Verband, die haben sich eingebracht in eine Erklärung von 1300 Pneumologen, die klingt anders. Auch hier vertreten wir Kindergesundheit gegen Profitdenken.

Beim Thema Verkehr fällt mir Bewegung ein. Es ist bekannt, dass unsere Kinder sich zu wenig im Freien bewegen.

Impfen: hier sind wir gut davor im Vorschulalter. Bei den Jugendlichen tun sich Lücken auf, Beispiele Papillomavirus, Hepatitis B, Pertussis.

Damit kommt dann auch das Thema Vorsorge- oder Früherkennungsuntersuchungen ins Spiel: Wir brauchen eine Stärkung der J1 mit 13 Jahren, und wir brauchen für die 8- und 10-Jährigen die U10 und die U11.

Die gesundheitlichen Chancen von Kindern in sozialen Brennpunkten sind vermindert. Was muss aus Sicht der Pädiater passieren, um diese Chancen zu erhöhen?

van Heek: Armut und Bildung stehen ja in einem engen Zusammenhang und sie beeinflussen - wie wir gerade wieder erfahren haben - deutlich die Gesundheit der Kinder. Meine Kindheit war nach heutigen Kriterien auch arm und vielleicht freue ich mich auch deshalb immer sehr über gesunde, fröhliche und kluge Kinder in armen Familien.

"Armut und Bildung stehen in einem engen Zusammenhang und sie beeinflussen die Gesundheit der Kinder."
Dr. Ralf van Heek

Aber der Ausweg aus der Armut durch Bildung ist heute schwerer als in meiner Jugend, das ist ein Skandal. Die OECD hält unserem Land besonders vor, dass es da nicht gegensteuert. Um schnell etwas zu erreichen, brauchen wir eine wesentlich frühere und umfassendere Zugänglichkeit zur öffentlichen Kindererziehung. Und wenn wir die soziale Spaltung mindern wollen, dürfen wir nicht einen wesentlichen Teil des Lernens an die Eltern delegieren. Gutes Essen in den Einrichtungen, Lesen, Musik und gutes Spielen, aber auch Unterstützung bei selbstständiger Arbeit - das Angebot sollte so sein, dass alle Kinder da gerne hingehen und von ihren Eltern gerne gelassen werden.

Der hohe Anteil der Freizeit, die Kinder mit elektronischen Geräten verbringen, beunruhigt viele Eltern. Wird dieses Thema im Vergleich zu anderen Gesundheitsgefahren derzeit überbewertet? Ist das Thema in den Sprechstunden?

van Heek: Ich glaube nicht, dass das Risiko überschätzt wird. Wir machen ein Riesenexperiment mit unseren Kindern. Es gibt viele wissenschaftliche Daten, die sehr beunruhigend sind. Andererseits sehen wir viele Jugendliche, die sich inmitten ihres technischen Arsenals mit Smartphone und Spielkonsole schulisch, sozial, seelisch und körperlich prächtig entwickeln. Wie schon gesagt thematisieren wir elektronische Medien jetzt bei jeder Vorsorge nach dem Säuglingsalter und die Eltern von Säuglingen wollen wir mit einer Kampagne ermuntern, in die Gesichter ihrer Babys zu schauen statt auf Bildschirme.

Können Sie den Eltern Tipps geben? Ab wann ist die Sorge angebracht, dass Kinder onlinesüchtig werden?

van Heek: Kinder unter drei Jahren sollten keine Bildschirmnutzung haben, Mahlzeiten dürfen nicht durch Bildschirme gestört werden. Es gibt einen Flyer mit sieben Hinweiskomplexen zur Vermeidung von Schäden, dadurch bieten wir uns als Berater an und bilden uns entsprechend fort. Onlinesucht zeigt sich, wenn das reale Leben vernachlässigt wird, Schulleistungen sinken, soziale Kontakte und Hobbys oder Sport einschlafen. Ich erwarte, dass sich auch hier wiederum ein Zusammenhang mit Armut und Bildung zeigen wird und auch hier ist anzunehmen, dass kulturelle und sportliche Angebote mit Zugang für alle zur Lösung des Problems erforderlich werden.

Vielen Dank für das Gespräch


Info

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte wünscht sich, dass die Expertise der Fachgruppe zum Thema Gesundheit der jungen Menschen mehr gehört wird. Zugleich ist nach Ansicht des Verbandes mehr Forschung zur medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen erforderlich.

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte erwartet, dass mehr Pädiatriesitze eingerichtet werden - aber nur im Zusammenhang mit einer höheren ambulanten Gesamtvergütung für die Fachgruppe. In anderen Bundesländern war dies nicht immer gelungen.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 3/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201903/h19034a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, März 2019, Seite 8 - 9
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2019

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