Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → FACHMEDIZIN

NEUROLOGIE/730: Multiple Sklerose - Kein Nutzen durch umstrittenen Eingriff an Blutgefäßen (idw)


Deutsche Gesellschaft für Neurologie - 26.03.2013

Multiple Sklerose - Kein Nutzen durch umstrittenen Eingriff an Blutgefäßen



Ein Eingriff an den Halsvenen, der angebliche Blutflussblockaden bei MS-Patienten beseitigen soll, hat in der bislang strengsten Untersuchung zu diesem Thema schlechtere Ergebnisse erbracht als eine Scheinbehandlung. Dies berichteten die Studienärzte aus New York auf der weltweit größten Neurologen-Tagung AAN in San Diego vergangene Woche. Bereits im Jahr 2010 hatte die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) erstmals vor dem Eingriff gewarnt und darauf hingewiesen, dass die zugrunde liegende Venöse Stauungshypothese der MS (CCSVI) nicht haltbar ist. Dennoch wurden bisher weltweit rund 30.000 Eingriffe vollzogen - unter anderem auch in Deutschland.

Nun haben sich die Befürchtungen in der ersten randomisierten, kontrollierten und doppelblinden Studie bestätigt. "Wir fordern deshalb endgültig ein Verbot derartiger Eingriffe außerhalb klinischer Studien", sagt Professor Ralf Gold, Direktor der Neurologischen Klinik am St. Josef-Hospital, Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum, und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. "Wir müssen MS-Patienten trotz ihrer großen Hoffnungen dringend davon abraten, das sogenannte Liberation Treatment in Anspruch zu nehmen", warnt Prof. Hemmer, Direktor der Neurologischen Klinik der TU München und Sprecher des Kompetenznetzes Multiple Sklerose (KKNMS).

In der sogenannten PREMiSe-Studie (Prospective Randomized Endovascular Therapy in MS) hatte man zunächst zehn Patienten endovaskulär behandelt, ohne dabei schwerwiegende Nebenwirkungen zu beobachten. Die nächsten 19 Patienten, deren Daten nun vorgestellt wurden, hatten nach dem Losverfahren entweder eine echte Venoplastie erhalten, bei der die innere Drosselvene (Vena jugularis interna) oder die Vena azygos mit einem Ballonkatheter aufgeweitet wurde, oder sie erhielten eine Scheinbehandlung, bei der lediglich der Katheter eingeführt wurde. Nach sechs Monaten war der Allgemeinzustand von neun Patienten in der ersten Gruppe jedoch generell schlechter als bei den zehn Kontrollpatienten. Nach der Venoplastie war es zu vier MS-Schüben gekommen, verglichen mit nur einem Schub in der Kontrollgruppe. Die per Kernspintomografie vermessenen und für die MS typischen Läsionen im Gehirn der Patienten waren nach der aktiven Behandlung weder bezüglich des Volumens noch der Anzahl geringer als unter der Scheinbehandlung. Im Gegenteil zeigte sich hinsichtlich einiger Parameter ein starker Trend zu einer vermehrten Krankheitsaktivität nach der Venoplastie.

Positive Erwartung, negatives Ergebnis

Beachtenswert sind diese Ergebnisse nicht nur, weil die auch als Liberation Treatment bekannte Behandlung seit 2009 an weltweit etwa 30.000 MS-Patienten durchgeführt wurde, bevor man ihren Nutzen jetzt erstmals in einer randomisierten, doppelblinden Studie überprüft hat. Auch sind die zwei Studienleiter Professor Robert Zivadinov und Dr. Adnan Siddiqui, beide von der University at Buffalo, The State University of New York, School of Medicine, dafür bekannt, dass sie der CCSVI-Hypothese eher zugeneigt waren als die meisten ihrer Kollegen. Entsprechend verhalten fällt auch die Beurteilung aus. "Es war ziemlich das Gegenteil von dem, was wir erwartet haben. Die wichtigsten Resultate sind, dass die Behandlung zwar sicher war und es keine schwerwiegenden Nebenwirkungen gegeben hat, dass sie aber auch keine anhaltende Besserung bei den MS-Patienten bewirkt hat", interpretierten Zivadinov und Siddiqui.

Beide wandten sich gegen die auch in Deutschland gängige Praxis, die Venoplastie für Selbstzahler zum Preis von mehreren Tausend Euro anzubieten, solange es keinen wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit gibt und zudem schwerwiegende Komplikationen bis hin zu Todesfällen im Zusammenhang mit der Venoplastie aufgetreten sind. Als Vorstandsmitglied der DGN pflichtet Professor Gold seinem amerikanischen Kollegen Siddiqui bei: "Wir empfehlen eindringlich, dieses Verfahren nicht mehr außerhalb von klinischen Studien durchzuführen." "Eine Anwendung des Verfahrens für Selbstzahler ist in Anbetracht der aktuellen Studienlage absolut inakzeptabel", fügt Professor Hemmer hinzu.


Quelle:
Siddiqui A, et al.
Percutaneous transluminal venous angioplasty (PTVA) is ineffective in correcting chronic cerebrospinal venous insufficiency (CCSVI) and may increase multiple sclerosis (MS) disease activity in the short term: Safety and efficacy results of the 6-month, double-blinded, sham-controlled, prospective, randomized endovascular therapy in MS (PREMiSe)
Trial. AAN 2013
Abstract P04.273.

Fachlicher Kontakt bei Rückfragen
Prof. Dr. med. Ralf Gold
Direktor der Neurologischen Klinik
Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum
St. Josef-Hospital
Gudrunstr. 56
44791 Bochum
Fax.: +49 (0) 234 509-2414
E-Mail: ralf.gold@ruhr-uni-bochum.de

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.dgn.org/presse

Zu dieser Mitteilung finden Sie Anhänge unter:
http://idw-online.de/de/attachment26260
Presseinformation: Multiple Sklerose und CCSVI

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
sieht sich als neurologische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren mehr als 7400 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist die Bundeshauptstadt Berlin.

DGN e.V.
Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin
E-Mail: info@dgn.org

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1276

*

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Frank A. Miltner, 26.03.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2013