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NEUROLOGIE/948: Multiple Sklerose - Neuer Mechanismus entdeckt ... Hoffnung auf Therapie (idw)


Universität Innsbruck - 22.02.2018

Hoffnung auf Therapie von Multipler Sklerose: Neuer Mechanismus entdeckt


Stammzellbiologen der Universitäten Innsbruck und Cambridge haben einen neuen Mechanismus entdeckt, durch den transplantierte Stammzellen den Stoffwechsel im Gehirn neu programmieren, um Hirnverletzungen heilen zu lassen. Der Nachweis im Tiermodell wurde aktuell im Fachmagazin "Cell Stem Cell" publiziert.

Ein Team von Wissenschaftlern der Universitäten Cambridge und Innsbruck hat bahnbrechende neue Einblicke in zelluläre Signalprozesse gewonnen, welche die Anwendungen von Stammzelltherapien verbessern könnten. Ihre Forschung zeigt, dass die Transplantation adulter, direkt induzierter neuraler Stammzellen in die Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit die Menge des Immunmetaboliten Succinat verringert. "Succinat ist ein Signalmolekül für Makrophagen und Mikroglia, welches Entzündungen verstärkt. Wir haben geschafft, durch den Einsatz von Stammzellen den Succinat-Gehalt lokal zu senken - das führt im Tiermodell zur Abmilderung der Entzündung und der damit zusammenhängenden Gehirn- und Rückenmarksschäden", erklärt Prof. Frank Edenhofer vom Institut für Molekularbiologie der Universität Innsbruck. Helfen könnte diese Entdeckung in Zukunft Menschen, bei denen Multiple Sklerose (MS) diagnostiziert wurde: Bei progressiven Formen der MS wird die chronische Entzündung des Zentralen Nervensystems nämlich durch eine weitverbreitete Aktivierung von Makrophagen und Mikroglia aufrechterhalten.

Stammzelltherapien

Jüngste Fortschritte in der Stammzellforschung haben hohe Erwartungen geweckt, dass Erkrankungen des Zentralen Nervensystems durch die Entwicklung von Stammzelltherapien geheilt bzw. gemildert werden können. Frühere Arbeiten der an der aktuellen Publikation beteiligten Wissenschaftler haben gezeigt, dass die Transplantation von neuralen Stammzellen die Entzündungslast am Ort der Verletzung reduziert, die Anzahl der entzündlichen Makrophagen verringert und die Regeneration des verletzten Zentralen Nervensystems im Tiermodell fördert. Der exakte zelluläre und molekulare Mechanismus, über den die transplantierten Zellen mit dem entzündeten Gewebe interagieren, war jedoch bisher unbekannt. Die aktuelle Arbeit der Wissenschaftler löst zudem ein zentrales Problem der klinischen Anwendung von fremd-transplantierten neuralen Stammzellen: Die für die Transplantation verwendeten Gehirnstammzellen waren bislang nicht vom Patienten selbst, sondern aus dritter Quelle (allogen) gewonnen worden und sind dadurch in der Regel nicht immun-kompatibel. Die aktuelle Arbeit zeigt, dass humane induzierte neurale Stammzellen mit allogenen neuralen Stammzellen vergleichbar effizient sind, jedoch den immensen Vorteil haben, dass sie autolog herstellbar sind, durch direkte Reprogrammierung von Hautzellen des Patienten in stabil expandierbare Gehirnstammzellen, die keine negative Immunantwort auslösen. Dieses Verfahren, Hautzellen in neurale Stammzellen zu reprogrammieren, hat der Innsbrucker Stammzellforscher Frank Edenhofer entwickelt.

Interdisziplinärer Ansatz

Das Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Stefano Pluchino vom Cambridge Stem Cell Institute, Dr. Christian Frezza von der MRC Cancer Unit und Dr. Frank Edenhofer von der Universität Innsbruck hat einen multidisziplinären Ansatz entwickelt, der es erlaubt, die Mechanismen chronischer Nerven-Entzündungen für progressive Formen der Multiplen Sklerose zu charakterisieren. Dabei haben sie insbesondere die metabolischen Determinanten der persistenten Aktivierung von Makrophagen und Mikroglia, sowohl in vitro als auch in vivo in Tiermodellen, analysiert. Die Hauptergebnisse zeigen, dass der Entzündungen fördernde Metabolit Succinat in der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit signifikant steigt, aber nicht im Blut von Versuchstieren mit chronischer experimenteller Multipler Sklerose. Die Transplantation von induzierten neuralen Stammzellen direkt ins Gehirn (intrazerebroventrikulär) hat sowohl therapeutische als auch entzündungshemmende Wirkungen. Die entzündungshemmenden Wirkungen korrelierten mit einer auffälligen Verringerung der Anzahl der Makrophagen im Zentralen Nervensystem und mit der Menge an Succinat in der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit.

Die Studie zeigt auch, dass transplantierte neurale Stammzellen in der Lage sind, auf das von Makrophagen freigesetzte Succinat über die Succinat-Rezeptoren SUCNR1/GPR91 zu reagieren. Tatsächlich löst die Aktivierung von SUCNR1/GPR91 in neuralen Stammzellen die Freisetzung des entzündungshemmenden Moleküls Prostaglandin E2 aus und macht neurale Stammzellen noch aufnahmefähiger für Succinat. Schließlich belegt die Studie durch den Einsatz präziser genetischer Werkzeuge, dass die Aktivierung von SUCNR1/GPR91 einer der Hauptmechanismen ist, durch die Stammzell-Therapien die chronische Neuroinflammation reduzieren, die teilweise für das Fortschreiten der Krankheit verantwortlich ist. "Die neuralen Stammzellen fungieren hier quasi als Schwamm, der das Succinat aufsaugt", erklärt Frank Edenhofer. "Die Besonderheit der Studie liegt darin, dass wir eine bislang wenig verstandene heilsame Wirkung von Stammzellen auf das Zentrale Nervensystem auf innovative Weise an einer konkreten molekularen Wirkung festmachen konnten. Die Verwendung von humanen induzierten Gehirnstammzellen, wie wir sie hier in Innsbruck herstellen, beinhaltet zudem vielversprechende Aussichten für eine klinische Umsetzung der Ergebnisse", schließt der Molekularbiologe.

Weitere Informationen finden Sie unter
https://doi.org/10.1016/j.stem.2018.01.020 Peruzzotti-Jametti et al., Macrophage-Derived Extracellular Succinate Licenses Neural Stem Cells to Suppress Chronic Neuroinflammation, Cell Stem Cell (2018)
https://www.uibk.ac.at/molbiol/research/genomics/ Abteilung Genomik, Stammzellbiologie und Regenerative Medizin am Institut für Molekularbiologie

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution345

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universität Innsbruck, Stefan Hohenwarter, 22.02.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Februar 2018

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