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ONKOLOGIE/1645: Forschung - Gezielte Enzymblockade verbessert den Behandlungserfolg und reduziert Nebenwirkungen (idw)


Deutsches Krebsforschungszentrum - 18.03.2015

Gezielte Enzymblockade reduziert Nebenwirkungen


Beim Neuroblastom, einem bösartigen Tumor, der vor allem bei Kindern auftritt, kann die gezielte Blockade eines krebsfördernden Enzyms das Tumorwachstum aufhalten. Die Krebszellen wachsen dadurch weniger aggressiv, wie Wissenschaftler im Deutschen Krebsforschungszentrum nun an Mäusen zeigten. Die Kombination mit einem Vitamin A-Abkömmling, der ebenfalls Nervenzellen ausreifen lässt, verbessert den Behandlungserfolg zusätzlich.

Neuroblastome, bösartige Tumoren, die vorwiegend bei Säuglingen und Kleinkindern auftreten, entstehen aus Zellen des embryonalen Nervensystems. Die Erkrankungen verlaufen extrem unterschiedlich. Manche bilden sich spontan zurück, andere nehmen trotz intensiver Behandlung einen tödlichen Ausgang.

Eine neue Klasse von Krebsmedikamenten könnte die Behandlung des Neuroblastoms verbessern. Die Wirkstoffe hemmen die Aktivität der so genannten HDAC-Enzyme, die als wichtiger Teil des epigenetischen Steuersystems der Zelle an der Krebsentstehung beteiligt sind. Wirkstoffe gegen HDAC-Enzyme bremsen das Krebswachstum, lassen die Krebszellen ausreifen und sensibilisieren sie wieder für den programmierten Zelltod.

"Das Problem ist jedoch, dass Breitband-HDAC-Inhibitoren, die alle Mitglieder dieser Enzymgruppe hemmen, in ihrer therapeutisch wirksamen Konzentration unangenehme Nebenwirkungen haben", sagt Dr. Ina Oehme vom Deutschen Krebsforschungszentrum.

Beim Menschen sind Gene für elf verschiedene klassische HDAC-Enzyme bekannt. Die derzeit in Studien erprobten HDAC-Inhibitoren wirken unspezifisch auf alle Mitglieder der Enzymgruppe. Das erklärt die Nebenwirkungen der Substanzen, etwa Magen-Darm-Störungen, Blutbildveränderungen und das Fatigue-Syndrom.

Ina Oehme und ihre Kollegen aus der Abteilung von Professor Dr. Olaf Witt hatten kürzlich bereits gezeigt, dass beim Neuroblastom vor allem HDAC8 das bösartige Krebswachstum antreibt. Die Wissenschaftlerin ging daher davon aus, dass ein selektiver Wirkstoff, der ausschließlich HDAC8 hemmt, die übrigen Mitglieder der Enzymfamilie nicht beeinträchtigt und damit weitaus besser verträglich sein sollte als ein Breitspektrum-Inhibitor.

Dies konnte nun Inga Rettig, die Erstautorin der Arbeit, an Mäusen bestätigen, denen Neuroblastomzellen übertragen worden waren. Die Forscher verglichen dazu den Wirkstoff, der selektiv HDAC8 blockiert, mit einem Breitband-HDAC-Inhibitor, der bereits für die Therapie einer bestimmten Art von Lymphdrüsenkrebs zugelassen ist. Während das Medikament in seiner klinisch wirksamen Dosierung zu Nebenwirkungen führte, blieb die Behandlung mit dem selektiven Wirkstoff völlig nebenwirkungsfrei.

Das Wachstum der Neuroblastome konnte der selektive Wirkstoff genauso gut oder sogar noch besser bremsen als der unspezifische HDAC-Inhibitor. Die Behandlung mit dem HDAC8-Inhibitor ließ die Tumorzellen Merkmale reifer Nervenzellen ausprägen. Ihre Teilungsrate verlangsamte sich und sie starben vermehrt am programmierten Zelltod - eine Fähigkeit, die viele Krebszellen verloren haben.

Die Forscher überlegten daraufhin, dass eine Kombination mit einem weiteren Wirkstoff, der ebenfalls die Zelldifferenzierung fördert, die anti-Tumor-Wirkung weiter steigern könnte. Eine solche Substanz ist Retinsäure, ein Abkömmling des Vitamin A. Retinsäure wird beim Neuroblastom sowie bei bestimmten Blutkrebsformen bereits als Medikament eingesetzt, um die unreifen Vorläuferzellen in reife Zellen ausdifferenzieren zu lassen.

In der Tat erzielte die Kombination von HDAC8-Inhibitor und Retinsäure synergistische Effekte, sowohl beim Wachstumsstopp als auch bei der Ausreifung. Überdies enthielten die doppelt behandelten Zellen weniger des krebsfördernden MYCN-Proteins. Der Grund für das günstige Zusammenwirken ist nach Meinung der Forscher, dass HDAC8 und Retinsäure molekulare Gegenspieler sind: Eine Blockade des Enzyms fördert daher die Differenzierung der Krebszellen.

"Bei einem Tumor wie dem Neuroblastom, der aus sehr unreifen Zellen besteht, halten wir die Kombination der beiden Wirkstoffe für eine vielversprechende Strategie", sagt Ina Oehme. "Eine solche zielgerichtete Therapie, die wachstumstreibende Veränderungen des Tumors mit einer intelligenten Kombination aus mehreren selektiv wirkenden Substanzklassen angreift, ist das Ziel unserer Forschung."

Jetzt gilt es zu prüfen, ob sich die experimentell erzielten Ergebnisse beim Menschen bestätigen lassen. Die spezifischen HDAC8-Inhibitoren sind allerdings noch nicht als Medikament zugelassen.


I Rettig, E Koeneke, F Trippel, WC Mueller, J Burhenne, A Kopp-Schneider, J Fabian, A Schober, U Fernekorn, A von Deimling, HE Deubzer, T Milde, O Witt and I Oehme: Selective inhibition of HDAC8 decreases neuroblastoma growth in vitro and in vivo and enhances retinoic acid-mediated differentiation. Cell Death and Disease 2015, DOI: 10.1038/cddis.2015.24


Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsches Krebsforschungszentrum, Dr. Stefanie Seltmann, 18.03.2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. März 2015

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