Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → FACHMEDIZIN


PSYCHOSOMATIK/170: Alleinerziehende unter Druck - Psychische Belastung nicht unterschätzen (DGPM)


Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) - 18. Juni 2019

Alleinerziehende unter Druck
DGPM: Psychische Belastung nicht unterschätzen und rechtzeitig vorbeugen


Berlin - Alleinerziehende sind hohen wirtschaftlichen, gesundheitlichen und psychischen Belastungen ausgesetzt. Sie haben ein rund dreifach erhöhtes Depressionsrisiko und leiden öfter als Nicht-Alleinerziehende an psychosomatischen Erkrankungen wie chronische Schmerzen. Grund sind häufig die zahlreichen Anforderungen im Alltag: Arbeit und die Bedürfnisse ihrer Kinder unter einen Hut bringen, permanenten Zeitmangel managen, Einsamkeit und finanzielle Engpässe. Die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) weist darauf hin, dass sich die vielfältigen Belastungen auch auf die Eltern-Kind-Beziehung auswirken können. Ein Bindungstraining für Alleinerziehende und ihre Kinder soll hier nun gegensteuern.

Rund jedes fünfte Kind in Deutschland wächst mit nur einem Elternteil auf - insgesamt sind es 2,3 Millionen Kinder, die in rund 1,6 Millionen Ein-Eltern-Familien leben. Meist sind es die Mütter, die nach einer Trennung den Hauptteil der Kindererziehung übernehmen, nur in jeder zehnten getrennten Familie verbringen die Kinder die meiste Zeit beim Vater. "Ein großer Teil der Ein-Eltern-Familien kommt gut mit der Situation zurecht und hat ein harmonisches Familienleben", sagt Professor Dr. med. Matthias Franz vom Klinischen Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universitätsklinik Düsseldorf. Das dürfe jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ein-Eltern-Familien besonderen Risiken ausgesetzt seien.

Zum einen ist die finanzielle Situation oft prekär: Mit 39 Prozent ist die Hartz IV-Quote bei Ein-Eltern-Familien mehr als fünfmal so hoch wie in Paarhaushalten. Zum anderen haben Alleinerziehende oft mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, die auf die psychosoziale Dauerbelastung und Einsamkeit zurückgehen. "Suchterkrankungen, Angststörungen, chronische Schmerzen und andere psychosomatische Beschwerden treten bei Alleinerziehenden deutlich häufiger auf als im Bevölkerungsdurchschnitt", sagt Franz. Aus der Erfahrung anhaltender Überforderung und häufig bestehender Schuldgefühle gleiten viele in eine Depression. Automatisch mitbetroffen sind dann auch die Kinder: Wenn Zeit und emotionale Ressourcen fehlen, um angemessen auf sie einzugehen, reagieren sie oft mit Rückzug oder Verhaltensproblemen; die Eltern-Kind-Beziehung gerät dann mehr und mehr in Schieflage.

Um Alleinerziehende in dieser Situation wirksam zu unterstützen, hat Matthias Franz gemeinsam mit Kollegen das Bindungstraining 'wir2' entwickelt. Das auf entwicklungspsychologischen Grundlagen basierende Programm richtet sich gezielt an Alleinerziehende mit Kindern zwischen drei und zehn Jahren und besteht aus 20 wöchentlichen Gruppensitzungen von je 90 Minuten Dauer. "In dem angeleiteten Gruppenprozess werden besonders das Erleben und der Umgang mit eigenen Gefühlen und den Signalen des Kindes thematisiert", erläutert Franz. So sollen das elterliche Selbstbewusstsein und die intuitiven Elternkompetenzen gestärkt werden.

Dass dieser Ansatz greift, hat sich in der wissenschaftlichen Evaluation des Programms gezeigt: Die Eltern gehen mit gestärktem Selbstvertrauen und besserem Wohlbefinden aus dem Gruppenprozess hervor, psychische Belastungsfolgen verringern sich, und auch das Verhalten und Wohlbefinden der Kinder werden positiv beeinflusst. Diese Effekte waren zudem nachhaltig und ließen sich noch ein Jahr nach dem Ende des Programms nachweisen. Für die Alleinerziehenden ist die Teilnahme kostenlos. "Das Programm kann den Alleinerziehenden die Belastungen nicht ersparen", ergänzt Professor Dr. med. Harald Gündel aus Ulm, Mediensprecher der DGPM "aber es kann zu einem entspannteren Umgang mit der Situation beitragen und helfen, stressbedingte Folgeerkrankungen zu vermeiden." Entscheidend sei, dass Mütter eine bestmögliche Beziehung zu ihrem Kind aufbauten. "In der Praxis sehen wir häufig, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen im Erwachsenenalter nicht selten auch Belastungen in ihrer Kindheit erlebt haben, daher kann ein intensives Elterntraining helfen, stressbedingte Bindungsstörungen und psychische Folgeerkrankungen zu vermeiden."


Weitere Informationen unter
www.wir2-bindungstraining.de

*

Quelle:
Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche
Psychotherapie (DGPM)
Pressemitteilung vom 18. Juni 2019
Jägerstraße 51, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 20 64 82 43
E-Mail: info@dgpm.de
Internet: www.dgpm.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang