Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → FACHMEDIZIN

CHIRURGIE/419: Mit Checklisten lässt sich die Patientensicherheit erhöhen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2010

18. Jahrestagung der CAQS
Mit Checklisten lässt sich die Patientensicherheit erhöhen

Von Dirk Schnack


Die Arbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung und Patientensicherheit gab einen Überblick, wie noch mehr Fehler vermieden werden können.


Die öffentliche Diskussion über das geforderte Melderegister für ärztliche Behandlungsfehler zeigte einmal mehr, wie wenig in der Öffentlichkeit über qualitätssichernde Maßnahmen in der Chirurgie bekannt ist. Tatsache ist, dass Chirurgen sich intensiv mit der Fehlervermeidung auseinandersetzen. So auch auf der kürzlich abgehaltenen 18. Jahrestagung der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Qualitätssicherung und Patientensicherheit (CAQS) im Asklepios Klinikum Hamburg-Altona. Dort wurde eine Auswahl möglicher Fehler in der Chirurgie aufgezählt: Es kann der falsche Patient, der falsche Körperteil oder die falsche Seite operiert werden. Es kann der falsche Eingriff oder falsches Material sein. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit für solche Fehler gering, doch die Berufsgruppe, das wurde auf der Tagung deutlich, macht sich laufend Gedanken über eine weitere Fehlerminimierung.

Dazu trägt auch externer Druck bei - die Haftpflichtversicherungen spielen eine nicht unbedeutende Rolle bei der Einführung von mehr Sicherheit. Als Beispiel wurden in Hamburg Checklisten vor der Operation genannt, die von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie empfohlen werden und die bei vielen großen Klinikträgern inzwischen zum Standard gehören. Chefarzt Prof. Claus-Dieter Heidecke aus Greifswald erwartet, dass der Druck der Versicherungen dazu führen wird, dass früher oder später alle Kliniken mit den Operations-Checklisten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) arbeiten. Die WHO hatte im Sommer 2008 erstmals eine 19 Punkte umfassende Sicherheits-Checkliste vorgestellt, bei der wie vor dem Start eines Flugzeuges überprüft wird, was den Patienten gefährden könnte, und zwar vor der Narkose, vor dem ersten Schnitt und vor Verlassen des Operationssaals. Nach bisherigen Erfahrungen hilft die Checkliste, Komplikationen zu vermeiden. Dies bestätigen auch Beobachtungen aus Schleswig-Holstein. Nach Einschätzung von Dr. Arthur Friedrich, Chefarzt der unfallchirurgischen Abteilung im Kreiskrankenhaus Rendsburg-Eckernförde, haben sich Checklisten als "sichernde und schützende Maßnahmen" herausgestellt. Friedrich betont aber auch, dass eine konsequente Anwendung und ständige Überprüfung dieser Checklisten erforderlich ist. Als Beispiel erläuterte er dem Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt den Ablauf in seiner Abteilung, wo jeder operative Patient im Rahmen der Aufnahmeuntersuchung einen Laufzettel, versehen mit seinen Personalien, erhält. Den ersten Abschnitt muss bereits der aufnehmende Arzt ausfüllen und gegenzeichnen. Vermerkt wird von ihm der Operationszeitpunkt, das definitive Eintreffen des Patienten zur Operation im Krankenhaus, die Definition des chirurgischen Eingriffes und seine exakte Seitenbezeichnung. Abschließend muss bereits der aufnehmende Arzt mit einem wasserfesten Filzstift den betreffenden Körperteil mit einem Kreuz markieren.

Der zweite Abschnitt betrifft die Freigabe des OP durch die verantwortliche Stationsschwester. Diese zeichnet ab, ob die unterschriebene OP-Aufklärung erfolgt ist und notwendige Aufkleber vorhanden sind, ob das Labor und die unterschriebene Narkosearztaufklärung vorhanden sind, ob alle Anästhesieanforderungen laut Narkoseprotokoll erfüllt sind und ob letztlich die Markierung am Patienten vorhanden ist. Durch ihre Unterschrift bestätigt die am OP-Tag verantwortliche Bereichspflegekraft, dass der Patient komplett vorbereitet ist und alle Unterlagen vollständig sind. An der OP-Schleuse überprüft die verantwortliche OP-Schwester, ob der Laufzettel mit den oben genannten Abschnitten vollständig ausgefüllt und jeweils vom aufnehmenden Arzt und von der verantwortlichen Stationsschwester unterschrieben ist. Weiterhin überprüft sie die Markierung. Fehlt nur einer dieser Punkte, wird der Patient nicht eingeschleust, sondern der Operateur oder ein verantwortlicher Arzt wird angerufen und muss noch vor der Schleuse die fehlenden Schritte ergänzen. Erst dann erfolgt die Einschleusung in den OP. Als letzter Schritt erfolgt im OP nach Abwaschen und Abdecken nochmals ein sogenanntes Team-Time-out durch den Operateur; dieser bestätigt die Personalien des Patienten, den geplanten Eingriff, die richtige Körperseite, die korrekte Indikation und das Vorhandensein der notwendigen Materialien. "Der Anästhesist im Saal bestätigt das Team Time-out durch seine Unterschrift, erst dann beginnt der operative Eingriff", so Friedrich. Im Kreiskrankenhaus Rendsburg-Eckernförde wurde der Patientenlaufzettel im September 2008 fest eingeführt. "Seitdem ist es zu keiner Verwechselung mehr im Operationssaal gekommen", sagte Friedrich.

Er ist überzeugt, dass Checklisten "bei konsequenter Durchführung eine hohe Sicherheit bieten, dass es aber andererseits nicht einfach ist, in der gesamten Mannschaft eines Krankenhauses die volle Akzeptanz für solche Systeme dauerhaft herzustellen und zu unterhalten."

Im Universitätsklinikum Greifswald hat man die WHO-Liste um eine präoperative Säule ergänzt. Darin bestätigt der Operateur u. a., dass er den Patienten gesehen und über den Eingriff aufgeklärt hat. Bei dieser Gelegenheit zeichnet er auch die korrekten Schnittlinien auf den Körper. "Damit vermeiden wir Seitenverwechslungen und geben dem Patienten die Möglichkeit, dazu nochmals Fragen zu stellen", erläuterte Heidecke. Zur Vorbereitung gehört auch, dass der Operateur Angehörigen vor dem Eingriff anbietet, sie danach persönlich anzurufen, um sie über Befund und Verlauf der OP zu informieren. In Greifswald arbeiten die Operateure seit rund einem Jahr mit der erweiterten Checkliste und haben seitdem über 900 Listen ausgewertet - grobe Verletzungen oder Verwechslungen kamen in diesen Fällen nicht vor. Das Fazit dazu fällt in Greifswald rundum positiv aus, weil außerdem die Teambildung und die Kommunikation zwischen dem Operateur, seinem Team und dem Patienten verbessert und mögliche hierarchisch bedingte Hindernisse überwunden werden.

Doch nicht jede Kommunikation dient der Patientensicherheit. Als Beispiel nannten die Chirurgen in Hamburg das in den USA derzeit erprobte Twittern aus dem Operationssaal. Damit informieren Krankenhäuser wartende Angehörige über den Verlauf des gerade stattfindenden Eingriffs. Prof. Hartwig Bauer, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), warnte ausdrücklich vor diesem Trend. Denn das OP-Team soll sich während des Eingriffs ausschließlich auf den Patienten konzentrieren. Hinzu kommt, dass die Beteiligten während des Eingriffs so wenig wie möglich reden sollen, um das Infektionsrisiko zu senken, aber auch, um sich nicht gegenseitig abzulenken. Für das Twittern dagegen müsste der Chirurg ständig kurze Kommentare abgeben, damit die Angehörigen informiert werden können. Noch etwas spricht gegen den Trend aus den Vereinigten Staaten: Bei Komplikationen würde sowohl ein plötzlicher Stopp des Informationsflusses als auch eine entsprechende Mitteilung die Angehörigen beunruhigen. Bauer glaubt auch gar nicht, dass Angehörige wirklich über jedes Detail eines Eingriffs unterrichtet werden wollen. Er gab zu bedenken: "Ich bezweifle, dass Kommentare wie: 'Der Tumor sitzt auf dem Harnleiter auf' für Außenstehende hilfreich sind."

Zugleich bemühten sich die Verantwortlichen, einen falschen Eindruck zu vermeiden. Aus der Ablehnung des Twitterns zu schließen, Chirurgen wären nicht aufgeschlossen für technische Neuerungen und moderne Kommunikationsmittel, wäre falsch, betonten die Vertreter in der Pressekonferenz zur Tagung. Weitere Aspekte der Patientensicherheit, die im Rahmen der CAQS in Hamburg diskutiert wurden:

Zentrenbildung: Die Patienten sehen sich heute einer Flut von Zentren gegenüber, deren Qualität sie nicht einschätzen können. Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie fordert deshalb ein Qualitätssiegel "Zertifiziertes Zentrum", auf das sich die Patienten verlassen können - und welches das Zentrum zwingt, eine Mindestqualität vorzuhalten.

Arbeitsdruck: Die Arbeitsverdichtung in den Kliniken führt zu einer stärkeren Belastung des Personals. Zwar streben nach Einschätzung von Dr. Frank Ulrich Montgomery auch die heute jungen Ärzte keinen "Nine to Five-Job" an. Aber sie fordern deutlich stärker als die Generation zuvor vernünftige Arbeitsbedingungen und -zeiten ein. Das ist aus Sicht des Präsidenten der Hamburger Ärztekammer auch richtig so, denn geregelte Arbeitszeiten sind nach seiner Ansicht eine Voraussetzung, um langfristig mit hoher Zufriedenheit und Motivation sichere Ergebnisse erzielen zu können. Montgomery regte an, diese These evaluieren zu lassen.

OP-Kontrollen: Das Operationsteam zieht vor festgelegten Zeitpunkten des Eingriffs einen ansonsten unbeteiligten Chirurgen aus dem Haus als externen Kontrolleur hinzu, um etwa den nächsten Schnitt absegnen zu lassen. Nach Angaben von Tagungspräsident Prof. Wolfgang Schwenk aus dem Altonaer Krankenhaus ist diese Methode "einfach und effektiv" und in allen Klinken mit mehreren Chirurgen ohne großen Aufwand umsetzbar. Eine zusätzliche Belastung des ärztlichen Personals sieht Schwenk damit nicht verbunden.

*


"Ärzte wollen offensiv mit Fehlern umgehen"

"Wir begrüßen und unterstützen einen offensiven Umgang mit ärztlichen Fehlern. Dabei setzen wir auf das Prinzip der Freiwilligkeit, denn Zwangsmaßnahmen schaffen keine Akzeptanz und helfen weder Ärzten noch Patienten. Ein reines Melderegister greift außerdem zu kurz, denn dieses erzielt keinen Lerneffekt." Das hat der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Köhler, zu der jüngsten Diskussion über ein Melderegister für ärztliche Behandlungsfehler gesagt.

Um den verantwortungsvollen Umgang mit Fehlern und Beinahe-Schäden zu unterstützen, haben die KBV und die Bundesärztekammer bereits vor fünf Jahren ein Berichts- und Lernsystem im Internet eingerichtet. Das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) betreut das Online-Portal im Auftrag der beiden Ärzteorganisationen. CIRS steht für Critical Incident Reporting-System. "Dabei handelt es sich um ein anonymes Berichts- und Lernsystem für kritische Ereignisse und Fehler in der Medizin. Das System ermöglicht es beispielsweise Ärzten, aus den eigenen Fehlern und denen anderer zu lernen. Daraus lassen sich Strategien zur Vermeidung unerwünschter Ereignisse und zur Verbesserung der Patientensicherheit entwickeln", erklärte Köhler. Prof. Günter Ollenschläger, Leiter des ÄZQ, fügt hinzu "CIRSmedical.de ist ein Erfolgsmodell. Die Anzahl der Fehlerberichte nimmt stetig zu, ebenso wie Anfragen zur Einrichtung von Berichtssystemen. Ärzte wollen offensiv mit Fehlern umgehen. Die Sicherheitskultur hat sich in den vergangenen fünf Jahren ganz klar positiv verändert."

Das Portal richtet sich an alle im Gesundheitswesen Beschäftigten und findet sich im Internet unter der Adresse www.CIRSmedical.de. Auch Patienten können dort kritische Ereignisse melden. Die Berichte sind von jedem einsehbar. Das ÄZQ anonymisiert diese zuvor, sodass ein Rückschluss auf die beteiligten Personen oder Orte nicht möglich ist. Nutzer der Plattform können die Meldungen kommentieren. 2008 hat das ÄZQ einen Fachbeirat eingerichtet, der die Analyse der Berichte unterstützt. Dieser Fachbeirat besteht aus 49 Experten aus 44 Institutionen, darunter Fachgesellschaften und Berufsverbände. (PM)


*


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 3/2010 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2010/201003/h10034a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


*


Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt März 2010
63. Jahrgang, Seite 60 - 62
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -188
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.org
www.aeksh.de
www.arztfindex.de
www.aerzteblatt-sh.de

Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2010