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GYNÄKOLOGIE/500: Untersuchungen zur Vergabepraxis der "Pille danach" (pro familia)


pro familia magazin 4/2008
Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik + Sexualberatung e.V.

Wartezeiten, gynäkologische Untersuchungen und Ablehnung der Rezeptfreiheit
Untersuchung zur Vergabepraxis der "Pille danach" in Braunschweig

Von Sigrid Korfhage und Almut Wollschläger-Reiche


In der pro familia-Beratungsstelle Braunschweig häuften sich Berichte von Klientinnen über Schwierigkeiten unterschiedlichster Art, an die "Pille danach" bzw. an eine Notfallverhütung zu gelangen. Das Team entschloss sich daher, einen Erhebungsbogen an Braunschweiger Gynäkologen und Apotheken zu verschicken, um Einblick in die Verschreibungs- und Vergabepraxis der "Pille danach" in der Region zu erhalten.


*


Zuvor war bereits im Rahmen einer Masterarbeit eine große Studie in Hamburg im Jahr 2004 gelaufen. Im Sommer 2006 folgte eine Untersuchung der pro familia Duisburg über die Vergabepraxis in Duisburg mit leicht veränderten Fragebogen, die wir freundlicherweise übernehmen durften. Im Zeitraum April/ Mai 2008 verschickte die pro familia-Beratungsstelle Braunschweig die Fragebögen an die drei Braunschweiger Krankenhäuser, an 42 Fachärzte für Gynäkologie, an 75 Braunschweiger Apotheken und an den ärztlichen Notdienst.

Von den drei Krankenhäusern mit gynäkologischer Abteilung gab es lediglich einen Rücklauf. In dieser Klinik wird das Rezept für die "Pille danach" nach Anamnese und gynäkologischer Untersuchung ausgestellt ohne Kontraindikationen oder Altersbeschränkungen. Kosten für die Patientin entstehen durch die 10 Euro Praxisgebühr. Über die Möglichkeit der Spirale danach wird informiert, die Spirale selbst kann allerdings nicht in der Klinik gelegt werden. Mit dem Thema, die "Pille danach" aus der Rezeptpflicht zu entlassen, hatte man sich noch nicht beschäftigt.


ÄrztInnen stellen Bedingungen ...

18 Braunschweiger Gynäkologen sandten die Fragebögen ausgefüllt zurück, was einen Rücklauf von 43 Prozent bedeutet. Bis auf einen vergaben alle Gynäkologen das Rezept für die "Pille danach". Als Begründung für die Nichtvergabe werden religiöse Gründe genannt. Betroffene Patientinnen werden aber an eine Nachbarpraxis bzw. Klinik verwiesen, mit der diesbezüglich eine Absprache besteht.

Zwei Gynäkologen (11 Prozent) knüpfen keine Bedingungen an die Rezeptvergabe. Bei 14 Gynäkologen (78 Prozent) wird in der Regel eine Anamnese erhoben. In 13 Fällen (72 Prozent) findet eine Beratung statt. Sieben Gynäkologen (39 Prozent) machen einen Ultraschall (mitunter auch nur bei Bedarf), fünf (28 Prozent) eine gynäkologische Untersuchung (ebenfalls mitunter nur bei Bedarf) und sechs (33 Prozent) fordern einen Schwangerschaftstest für die Rezeptvergabe.

Hinsichtlich der entstehenden Kosten wird einmal (5,5 Prozent) der Schwangerschaftstest mit 5 Euro in Rechnung gestellt, 14 Mal (78 Prozent) wird altersabhängig die Praxisgebühr von 10 Euro angeführt, in sechs Fällen (33 Prozent) werden keine Kosten angegeben. In einem Fall (5,5 Prozent) wird die Beratung als Kassenleistung angegeben und in drei Fällen (17 Prozent) auf die Rezeptvergabe hingewiesen.

Zwei Gynäkologen (11 Prozent) verordnen die "Pille danach" bis lediglich 48 Stunden nach dem Geschlechtsverkehr, die restlichen sechzehn (89 Prozent) bis 72 Stunden danach.

Als Altersgrenze für die Rezeptvergabe wird einmalig 50 Jahre angegeben mit der Begründung, dass postmenopausale Frauen das Medikament nicht mehr benötigen. 17 Gynäkologen (94 Prozent) vergaben das Rezept ohne Alterseinschränkung, wobei allerdings in vier Fällen (22 Prozent) bei Minderjährigen auf die Einsichts- und Verständnisfähigkeit hingewiesen wird beziehungsweise in drei Fällen (17 Prozent) bei unter 14-Jährigen die Einverständniserklärung der Eltern eingeholt wird. Für 13 Gynäkologen (72 Prozent) gelten auch bei minderjährigen Patientinnen keine besonderen Bedingungen.


... und verweisen auf Kontraindikationen

Sieben Gynäkologen (39 Prozent) nennen keine medizinischen
Kontraindikationen für die Rezeptvergabe.

Die restlichen elf (61 Prozent) nannten verschiedene Kontraindikationen, die die Rezeptausgabe ausschlossen: u. a. Thrombosen, Thrombophilien, Gerinnungsstörungen, Adipositas, hormonabhängige Tumoren, pathologische gynäkologische Befunde, positiver Schwangerschaftstest, Verweigerung P-Test, mehrmals ungeschützter Geschlechtsverkehr im Zyklus.

Vierzehn Gynäkologen (78 Prozent) bejahen die Mehrfachvergabe im Jahr, wobei vereinzelt auf eine Beratung über sinnvolle Verhütungsalternativen hingewiesen wird. Allerdings wird die Frage zur Mehrfachvergabe im Zyklus oft nicht verstanden.

Sechs Gynäkologen (33 Prozent) bieten als Alternative zur "Pille danach" die "Spirale danach" an, die dann auch direkt in der Praxis gelegt werden kann.

In nur acht Fällen (44 Prozent) wird Patientinnen die Möglichkeit geboten, anonym und ohne lange Wartezeit an das Rezept zu gelangen. In weiteren 8 Fällen (44 Prozent) konnte dies nicht gewährleistet werden. In der Mehrheit (15 = 83 Prozent) geben die Gynäkologen an, dass die Frauen zeitnah, d. h. direkt nach der Verhütungspanne, zu ihnen kommen. Zwei Mal (11 Prozent) wird bemängelt, dass sich die Patientinnen zuviel Zeit lassen.


Haltung zur rezeptfreien "Pille danach"

Zur Entlassung der "Pille danach" aus der Rezeptpflicht gibt es eindeutig eine eher ablehnende Haltung (89 Prozent) (12 Mal "Halte ich für falsch", 4 Mal "Halte ich für unverantwortlich"). Begründungen für die ablehnende Haltung: zu hohe Hormonbelastung, das Medikament hat Nebenwirkungen und muss ärztlich verordnet werden, Missbrauch, unkontrollierte Einnahme, keine Gelegenheit über andere Verhütungsmethoden zu sprechen beziehungsweise schlechte Aufklärung, unkritischer oder sorgloser Umgang mit Verhütung, eventuell werden die 72 Stunden nicht eingehalten.

Die drei befürwortenden Meinungen (17 Prozent) halten eine rezeptfreie "Pille danach" für fortschrittlich gerade für Teenies, eine Meinung davon nur unter der Bedingung einer Beratungspflicht und gegebenenfalls einer gynäkologischen Untersuchung, ob überhaupt Handlungsbedarf besteht.

Gründe für die Rezeptfreiheit sind die schnellere Verfügbarkeit für die Anwenderinnen (vier Antworten), die wenigen Nebenwirkungen (zwei Antworten) und die Eigenverantwortung für die Einnahme (eine Antwort).


Apotheken: Gute Versorgung nur in den Öffnungszeiten

31 der 75 angeschriebenen Braunschweiger Apotheken sandten den Fragebogen ausgefüllt zurück. (41 Prozent). Alle Apotheken geben die "Pille danach" ab (u.a. mit dem Hinweis, dass sie dazu verpflichtet sind, wenn ein Rezept vorliegt, beziehungsweise nur auf Rezept).

Zur Häufigkeit der Nachfrage geben neun Apotheken 1 bis 3 Mal pro Woche, 12 Apotheken 1 bis 3 Mal pro Monat und 11 Apotheken selten an. Ohne Rezept kommen Kundinnen manchmal (14 Angaben), selten (acht Angaben), fast nie (sieben Angaben), nie (zwei Angaben).

29 Apotheken (94 Prozent) haben Unofem oder Levogynon vorrätig, zwei Apotheken (6 Prozent) nicht.

Wenn das Präparat nicht vorrätig ist, verweisen 15 (52 Prozent) an eine andere Apotheke, 18 (62 Prozent) bestellen das Präparat, das dann während der regulären Öffnungszeiten in 20 Fällen innerhalb von zwei Stunden und in sechs Fällen innerhalb von fünf Stunden erhältlich ist. Fünf Apotheken (16 Prozent) haben die "Pille danach" auch im Notdienst immer vorrätig (eine Apotheke sogar dreifach). Unterschiedlich waren die Zeitangaben zur Erhältlichkeit außerhalb der regulären Öffnungszeiten: Die Angaben variieren zwischen ein bis zwei Stunden und bis zum nächsten Werktag beziehungsweise 24 Stunden.

In 19 Fällen (61 Prozent) wird die Kundin beraten (bei Fragen, zur Anwendung, zu Nebenwirkungen), in vier Fällen (13 Prozent) nicht, da sie ja schon von Arzt beraten wurde. Fünf Apotheken informieren in diesem Zusammenhang nicht über Verhütungsmethoden, sechs immer, 14 bei Bedarf beziehungsweise von Fall zu Fall, 14, wenn die Kundin Fragen hat oder sie, in fünf Fällen, für schlecht informiert gehalten wird.

Die Idee, die "Pille danach" aus der Rezeptpflicht zu entlassen, halten drei Apotheken (10 Prozent) für fortschrittlich, sechs Apotheken (19 Prozent) für richtig, 16 Apotheken (52 Prozent) für falsch und acht Apotheken (26 Prozent) für unverantwortlich. Insgesamt haben neun Apotheken (29 Prozent) eine befürwortende und 24 (77 Prozent) eine ablehnende Haltung. Fünf Apotheken haben sich mit der Frage noch nicht beschäftigt.

Als Bedenken gegen die Entlassung aus der Rezeptpflicht wurden genannt: zu hohe Hormonbelastung (17 Mal), berufsethische Bedenken (zwei Mal), religiöse Bedenken (zwei Mal), moralische Bedenken (vier Mal) sowie sonstige Bedenken: Anwendungsfehler, fehlende Aufklärung, verantwortungsloser, lockerer Umgang mit Verhütungsmitteln beziehungsweise Ersatz von Verhütungsmitteln durch die "Pille danach", leichtsinniger Umgang mit Sexualpartnern, Anstieg von sexuell übertragbaren Krankheiten durch selteneren Kondomgebrauch, Störung der natürlichen hormonellen Steuerung, junge Patientinnen vermeiden den Arztbesuch, wilde, unkontrollierte Bestellung und Versendung über das Internet.

Befürworter der Entlassung aus der Rezeptpflicht geben in 14 Fällen als Begründung die schnellere Verfügbarkeit für die Anwenderin an.

Eine ausführlich Beratung wie sie im Rahmen der Entlassung der "Pille danach" aus der Rezeptpflicht vorgesehen wäre, würden 26 Apotheken (84 Prozent) leisten können, fünf (16 Prozent) nicht. Voraussetzungen dafür wären: Schulung der Mitarbeiterinnen (17 Nennungen), mehr Zeit für die einzelne Kundin (15 Nennungen) sowie räumliche Veränderungen (sieben Nennungen).


Ärztlicher Notdienst

Der Erhebungsbogen wurde leider vom Ärztlichen Notdienst nicht zurückgesandt.


Zusammenfassung und Konsequenz für die beraterische Tätigkeit

Die Auswertung der zurückgesandten Fragebögen zeigt auch in Braunschweig Unterschiede in der Praxis der Verschreibung und der Abgabe der "Pille danach" an Patientinnen. Um an ein Rezept zu gelangen, muss abhängig vom behandelnden Gynäkologen mit unterschiedlicher Wartezeit, unterschiedlichen Voruntersuchungen und unterschiedlichen Kosten gerechnet werden. In den Apotheken kann es unterschiedlich lange dauern bis die Patientin das Präparat erhält, besonders außerhalb der regulären Öffnungszeiten. Nur fünf Apotheken haben die "Pille danach" auch im Notdienst immer vorrätig, während andere Apotheken unzumutbare Lieferzeiten angeben.

In Braunschweig haben sich sowohl die Mehrheit der an der Fragebogenaktion beteiligten Gynäkologen als auch (ganz im Gegensatz zur Duisburger Untersuchung) die Mehrzahl der angeschriebenen Apotheken gegen eine Entlassung der "Pille danach" aus der Rezeptpflicht ausgesprochen.

Für die Beratungstätigkeit ist es schwierig, klare Informationen zum Verhalten bei Verhütungspannen an KlientInnen weiterzugeben, wenn die Vergabepraxis für die "Pille danach" so uneinheitlich ist wie in Braunschweig.

Gerade junge KlientInnen könnten durch Probleme bei ihren Bemühungen, sich das Medikament zu besorgen, verunsichert werden, sich mit Wartezeiten abfinden oder im schlimmsten Fall ganz auf die Notfallverhütung verzichten. Zur Verhütungsmittelberatung gehört daher sowohl die Notfallverhütung als auch die Information über die uneinheitliche Vergabepraxis dazu. Mögliche Beratungstipps sind das vorherige telefonische Abfragen von Wartezeiten, Kosten und eventuell Untersuchungen in der Klinik oder Arztpraxis sowie von Vorrätigkeit der "Pille danach" in der diensthabenden Apotheke.

Aus medizinischer Sicht ist es schwer hinzunehmen, wenn es zu vermeidbaren Zeitverzögerungen bis zum Erhalt des Medikaments kommt, da die Wirksamkeit der "Pille danach" sich nachgewiesenermaßen mit zunehmendem Abstand zur Verhütungspanne reduziert. Wünschenswert wären keine Wartezeiten in der Klinik oder der Arztpraxis, zügige Rezeptvergabe mit minimalen Kosten und ständige Vorrätigkeit der "Pille danach" in der Apotheke, gerade auch im Notdienst, da ja Verhütungspannen überdurchschnittlich häufig nachts oder an Wochenenden passieren.


Schlussbemerkung

Was war eigentlich der Sinn dieser Untersuchung? Nachdem es sich gezeigt hatte, dass die Vergabe der "Pille danach" in Hamburg und Duisburg so unterschiedlich gehandhabt wurde, wollten wir wissen, wie leicht oder schwer es ist, in Braunschweig an die "Pille danach" zu kommen. Vielleicht hatten wir uns sogar ein einheitliches Verfahren der Rezeptverschreibung und der Apothekenabgabe in Braunschweig erhofft, was aber angesichts der Ergebnisse aus den vorhergehenden Studien wohl nicht zu erwarten war. Unser Ziel ist es aber, unseren KlientInnen klare Informationen mitzugeben, wie sie sich bei einer Verhütungspanne zu verhalten haben.

Wie könnten diese Verhaltensregeln nun nach Auswertung unserer Erhebungsbögen aussehen? Dass aus medizinischer Sicht die Zeitspanne zwischen Verhütungspanne und Einnahme der "Pille danach" möglichst klein gehalten werden müsste, sollte jede Frau wissen. So gesehen sollte eigentlich jede Frau, der eine Verhütungspanne passieren kann, die "Pille danach" im Hause haben.

Betroffene Klientinnen sollten sofort nach der Verhütungspanne ihren Gynäkologen nach telefonischer Rücksprache mit eindeutigem Verweis auf die Dringlichkeit aufsuchen. Desgleichen sollte vor dem Gang in die Apotheke telefonisch abgefragt werden, ob das Präparat vorrätig ist. Nachts oder am Wochenende kann eigentlich nur der Gang ins Krankenhaus empfohlen werden. Mitunter fragt hier der diensthabende Arzt sogar selbst bei der Bereitschaftsapotheke nach, ob das Medikament vorrätig ist.

Zur Entlassung der "Pille danach" aus der Rezeptpflicht wird überwiegend eine ablehnende Haltung deutlich, und das, obwohl die Befürchtungen, dass das Verhütungsverhalten "nachlässiger" wird, durch Studien aus Ländern, in denen es die "Pille danach" bereits rezeptfrei gibt, widerlegt werden.


*


Bedingungen für die Vergabe der "Pille danach" durch    
 Gynäkologen in Prozent
Keine Bedingungen:
Anamnese:
Beratung:
Ultraschall:
gyn. Untersuchung:
Schwangerschaftstest:
11%
78%
72%
39%
28%
33%


Haltung der Gynäkologen zur rezeptfreien "Pille danach"
17%
22%
67%
fortschrittlich
unverantwortlich
falsch


Haltung der Apotheken zur rezeptfreien "Pille danach"  
26%
10%
19%
52%
unverantwortlich
fortschrittlich
richtig
falsch

*


Sigrid Korfhage ist Dipl. Sozialpädagogin und Leiterin der pro familia-Beratungsstelle Braunschweig. Sie ist seit 16 Jahren bei pro familia und hat die Arbeitsschwerpunkte Schwangerschaft, Schwangerschaftskonflikte und Sexualpädagogik.
Dr. Almut Wollschläger-Reiche ist Ärztin bei pro familia Braunschweig. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Familienplanung, Pränataldiagnostik und Klimakterium. Sie arbeitet seit 13 Jahren für pro familia.
Die Autorinnen haben die Befragung zur "Pille danach" in Braunschweig initiiert, begleitet und ausgewertet.


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Quelle:
pro familia magazin Nr. 04/2008, Seite 21-24
Herausgeber: pro familia Deutsche Gesellschaft für Familienplanung,
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Das pro familia magazin erscheint vierteljährlich.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2009